
Nachhaltiger Konsum ist ein wichtiger Aspekt von Spiritualität. Das gilt umso mehr im Ramadan, wo Achtsamkeit zur religiösen Praxis gehört.
(iz). Esra Doganay, gebürtige Hamburgerin hat Bau- und Umweltingenieurwesen studiert und arbeitet seit knapp fünf Jahren als Verkehrsplanerin im Bereich nachhaltige Mobilität. Außerdem arbeitet sie seit 2014 ehrenamtlich bei NourEnergy e.V. – seit 2 Jahren verantwortet sie die Leitung der Kampagne „GreenIftar“. Auch für 2023 ist eine Neuauflage des erfolgreichen Projektes in Vorbereitung.
Mit ihr sprachen wir über die Notwendigkeit, im Ramadan auch auf übermäßigen Ressourcenverbrauch zu verzichten, über Alternativen zu Plastik sowie Tipps für einen sinnvollen Einkauf.
Islamische Zeitung: Liebe Esra Doğanay, Sie engagieren sich beim Projekt GreenIftar. Könnten Sie sich und das Projekt kurz unseren Leser*innen vorstellen?
Esra Doğanay: Mein Name ist Esra Doğanay. Ich bin gelernte Bau- und Umweltingenieurin und arbeite seit knapp fünf Jahren als Verkehrsplanerin im Bereich nachhaltiger Mobilität. Seit 2014 bin ich ehrenamtlich bei NourEnergy aktiv und habe da unterschiedliche Aufgaben und Stationen durchlaufen. Dazu gehörte unter anderem der Bereich Regenwassernutzung, sowie Personalleitung. Und seit zwei Jahren leite ich die Kampagne „Green Iftar“. Vorher hieß sie #RamadanPlastikFasten.
Nachhaltiges Leben gehört dazu
Islamische Zeitung: Jetzt stehen wir am Anfang des Ramadans, der wieder unter Sonderbedingungen stattfindet. Das heißt, große Events mit viel Plastikmüll fallen weg. Nichtsdestotrotz, was ist GreenIftar und warum ist es ein wichtiges Projekt?
Esra Doğanay: Wir gehen mit der Kampagne jetzt ins fünfte Jahr und haben 2017 unter dem Namen #RamadanPlastikFasten angefangen. Das war mehr eine Aktion beziehungsweise eine Reaktion auf die öffentlichen Iftare – so wie sie immer mit viel Einweg Geschirr und leider auch viel Lebensmittelverschwendung stattgefunden haben.
Das war der Ausgangspunkt. Mittlerweile ist es eine globale Kampagne: von Muslimen für Muslime, die den Ramadan zum Anlass nimmt, um gewisse Punkte erneut anzusprechen und zu überdenken.
Fotos: NourEnery
Dabei geht es um wichtige Themen wie Nachhaltigkeit, Spiritualität, Community, Bildung und auch Frieden. Das heißt, wir motivieren und inspirieren die muslimische Community – einschließlich uns selbst – an erster Stelle, den Ramadan nachhaltiger zu gestalten, unsere eigenen Konsumentscheidungen zu hinterfragen. Und den Ramadan als Anlass für Selbstreflexion zu nehmen
Das führt uns natürlich zum Punkt Spiritualität, weil er der Monat der Spiritualität ist, an dem wir unser eigenes Verhalten des vergangenen Jahres Revue passieren lassen. Dazu gehört unserer Meinung nach auch unser Konsumverhalten. Das können und sollten wir hinterfragen. So entsteht eine sehr schöne Community von unterschiedlichen Menschen, die alle hohe Werte vertreten, zu denen unter anderem Umweltschutz gehört.
Islamische Zeitung: Kurze Nachfrage – es gibt seit langer Zeit im englischsprachigen Raum Vorläufer wie das Buch „Green Deen“ oder das Konzept von „Green Ramadan“. Haben Sie sich davon inspirieren lassen oder ist es selbstständig entstanden?
Esra Doğanay: Es ist tatsächlich komplett unabhängig davon entstanden. Wir haben uns von der Umweltorganisation BUND inspirieren lassen. Hier gibt es eine ähnliche Aktion für Ostern, wo Christen sich unterschiedliche Dinge vornehmen und dann beispielweise auf ihr Auto verzichten. Dazu gehört auch Plastik-Fasten. Und 2017 war das die Inspiration, anhand der wir uns gesagt haben: Ähnliche Probleme haben wir im Ramadan bei uns auch. Wir Muslime verbrauchen durch diese öffentlichen Iftare viel mehr Plastik, als über das gesamte Jahr verteilt.
Erschreckende Müllmengen nach einem konventionellen Iftar
Islamische Zeitung: Gibt es zum Thema Ressourcenverbrauch eine ungefähre Zahl, was bei solchen Events in Moscheen oder Vereinen an Plastikmüll anfiel?
Esra Doğanay: Größenordnungen von den Moscheen haben wir nicht. Wir haben eine Rückmeldung von einer Moschee bekommen, die 2018 an der Kampagne teilgenommen hat. Sie haben zuvor zum Tarawwih-Gebet immer Plastikbecher angeboten und haben 2018 im gesamten Monat dann komplett auf Plastikbecher verzichtet; und dafür Mehrwegbecher hingestellt.
Von ihnen kam die Rückmeldung, sie hätten in einem Monat 10.000 Becher eingespart. Das ist tatsächlich nur, was im Tarawwih angeboten wurde.
Ansonsten haben wir 2019, von den Organisatoren, die an der GreenIftar-Kampagne teilnahmen, Werte bekommen. Die haben wir hochgerechnet. Es waren 11 Moscheen und 17 Hochschulgemeinden. Gemeinsam wurden von ihnen über 102.000 Plastikteile eingespart.
Daraus können wir errechnen, was ungefähr bei einem Iftar anfällt, der nicht unter nachhaltigen, „grünen“ Kriterien stattfindet. Das sind die Größenordnungen für 28 Organisatoren und man muss dann hochrechnen – wir haben über 2.000 Moscheen in Deutschland – was da an Plastikmüll oder Einweggeschirr zusammenkommen kann, ist erschreckend. Und das ausgerechnet im Ramadan!
Gibt es Alternativen
Islamische Zeitung: Zu was würde GreenIftar den Vereinen und Moscheeorganisationen raten? Mit Mehrweggeschirr, Mietoptionen sowie kompostierbaren Verpackungen gibt es unterschiedliche Optionen…
Esra Doğanay: Es gibt viele unterschiedliche Lösungen. Sie hängen davon ab, wie die Moschee selbst aufgestellt ist und welche Infrastruktur sie hat. Wenn sie selbst keine Küche hat und keine Möglichkeit zum Abwasch und Lagern von Geschirr, dann ist das Einfachste, die Gäste zu bitten, selbst Geschirr mitzubringen. Daran ist nichts Verwerfliches
Es gibt viele Hochschulgemeinden, die das ausprobiert haben und die Gäste darum baten. Keiner nahm das übel. Ganz im Gegenteil! Anders ist es natürlich, wenn man weiß, es gibt Moscheen, die den ganzen Monat oder an Wochenenden Iftare veranstalten und die das über die Jahre weiter fortführen möchten. Diese können oder sollten sich natürlich Mehrweggeschirr anschaffen.
Das wären vielleicht zuerst höhere Anschaffungskosten. Wenn man das hochrechnet und schaut, wie viel Einweggeschirr gekauft wird, amortisiert sich das sehr schnell.
Also das sind so die einfachen Sachen, die jede/r machen kann. Wie erwähnt, lässt sich Geschirr auch mieten, bzw ausleihen. Das ist viele nicht bekannt. Antworten auf solche Fragen, von denen wir wissen, dass sie die Organisatoren beschäftigen, finden sich bei uns. Dafür haben wir den GreenIftar-Guide, den man auch auf www.greeniftar.com herunterladen kann. Dort sind noch viele unzählige andere Tipps aufgelistet.
Islamische Zeitung: Muslime müssen Ramadan inklusive des Fastenbrechens momentan im engsten Kreis informell begehen. Ressourcenschonung und nachhaltige Verhalten sind nicht auf Moscheen beschränkt – obwohl sie eine wichtige Vorbildfunktion haben sollten. Was können Familien tun, um tatsächlich diesen diesen individuell oder familiär umzusetzen?
Esra Doğanay: Durch den Ausfall der großen öffentlichen Iftare haben wir im Moment das Problem mit dem Einweggeschirr weniger. Das wird sich wahrscheinlich allgemein legen, weil die EU ja auch ein Plastikverbot beschlossen hat. Ab Sommer wird auch in Deutschland kein Einweggeschirr mehr verkauft. Es werden trotzdem weitere Probleme da sein.
In Hinsicht auf die Familien geht es GreenIftar nicht nur um Plastik, sondern um viel mehr. Es geht beispielsweise um Lebensmittel. Womit kochen wir? Nehmen wir Lebensmittel, die aus unserer Region und der richtigen Saison stammen? Oder verwenden wir solche, die aus der Ferne kommen, weite Transportwege haben und dementsprechend einen größeren ökologischen „Fußabdruck“ haben? Kochen wir täglich Fleischgerichte oder verstärkt vegetarisch, vielleicht sogar auch mal vegan?
Auch das ist ein wichtiges Thema: Ein Kilo Fleisch benötigt für die Erzeugung 15.000 Liter Wasser. Hier stecken Unmengen Wasser und Energie. Durch die Verringerung unseres Fleischkonsums können wir auch so etwas gut reduzieren. Und selbstverständlich muss auch unser Fokus auf die Bewahrung des Tierwohles gelegt werden, gerade wenn wir von „halal“ und „Tayyib“ sprechen.
Ein anderes Thema ist Leitungswasser: Wir müssen nicht immer Wasser in Flaschen kaufen. Und wenn abgefüllt, dann nicht in Plastik- sondern in Mehrweg oder Glas. Leitungswasser ist in Deutschland das am besten kontrollierte Lebensmittel. Das heißt, wir können es mit gutem Gewissen trinken, es sei denn wir leben in einem sehr alten Haus mit alten Leitungen. Da gibt es in den städtischen Wasserwerken kostenlose Testsstäbchen, mit denen man zu Hause testen kann. Also das ist kein Problem. Aber im Grunde genommen ist Leitungswasser in Deutschland problemlos. Darüber hinaus können wir auch noch bei Verpackungen sparen, indem wir beispielsweise mit einer Stofftasche einkaufen gehen.
Industrien und Interessen nicht übersehen
Islamische Zeitung: Momentan dominiert die Vorstellung, es sei der einzelne „Verbraucher“, der Umweltschutz, wenn nicht die Rettung der Welt, in seinen Händen halte. Kritische Stimmen aus der Umweltbewegung merken an, dass diese Verkürzung die Verantwortung einzelner Industrien und Interessen ignoriere. Ist es nicht ein bisschen platt und unfair, von Familien und Niedrigverdienenden zu verlangen, sie mögen doch jetzt bitte alle vegan kochen und im Bioladen einkaufen?
Esra Doğanay: Genau, da stimme ich vollkommen zu. All diese Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit kann man gar nicht auf die Schulter einer bestimmten Bevölkerungsgruppe legen und sagen: „So, das ist jetzt eure Verantwortung und ihr habt da ja die richtige Entscheidung zu treffen.“
Mit der Größe wächst auch die Verantwortung. Das heißt, die Politik hat eine gewisse Verantwortung, der sie mit Regelungen und Gesetzen nachkommen muss. Die Wirtschaft spielt eine sehr große Rolle. Auch in der Produktion kann sie da sehr viel optimieren. Und es gibt natürlich die Verantwortung der einzelnen Menschen. Hier ist wichtig, aus welcher Perspektive wir auf die Sache schauen.
Wir als Muslime wissen, dass wir eine Verantwortung haben, dass wir Beauftragte Allahs sind. Und da müssen wir uns als einzelne Muslime fragen: Was ist meine Verantwortung und wie kann und muss ich ihr nachkommen? Uns als NourEnergy geht es nicht darum, die Welt zu retten. Sondern wir möchten die Muslime als einzelne erinnern, dass wir Sachwalter (Khalifa) auf dieser Erde sind und dass die Schöpfung ein anvertrautes Gut (Amanah) ist.
Und jeder kann und soll so viel tun wie er, wie es ihm entsprechend seiner Lebensumstände möglich ist. Das heißt, von einer fünfköpfigen Familie, in der nur der Vater arbeitet, oder einer klassischen Arbeiterfamilie, die am Ende des Monats schauen muss, dass das Geld noch reicht, kann ich nicht erwarten, dass sie zu 100 Prozent Bio einkauft.
Also, das ist utopisch und auch nicht fair. Man muss aber jedem dieses Bewusstsein mitgeben und sagen: Schaut, entscheidet bewusst und lernt, was hinter diesen Produkten steckt. Genau wie das, was ich eben gesagt habe: Es liegt in unserer Verantwortung zu wissen, dass hinter jedem Kilo Fleisch 15.000 Liter Wasser stecken und uns zu informieren, welches Leben diese Tiere vor ihrer Schlachtung hatten. Wenn wir Fleischgerichte kochen, sollte uns das klar sein.
Dementsprechend sollten Anpassungen im Konsumverhalten und Lebensänderungen vorgenommen werden. Ich finde, das ist die gerechte Version und es gibt da keine Ideallösung. Mit allein vegan ist es auch nicht getan. Wichtig ist die letztendlich die richtige Absicht, weil wir tatsächlich glauben, Umweltschutz ist Gottesdienst. Weil wir uns erhoffen, dass wir damit eben Allahs Wohlgefallen erlangen.
Tipps und Hinweise
Islamische Zeitung: Zum Abschluss eine praktischere Frage – gibt es Tipps und Hinweise wie in Form von Einkaufsliste, wo interessierte Leute beispielsweise am billigsten nachhaltige Produkte beziehen können? Es ist ja nicht immer so, dass beispielsweise Halal-Lebensmittel sonderlich nachhaltig wären…
Esra Doğanay: Ich kann tatsächlich gerade viel aus der eigenen Erfahrung sprechen und aus den Gesprächen, die ich mit Freunden und Familie führe. An erster Stelle gibt es große Unterschiede von Stadt zu Stadt. Wir leben in Darmstadt und haben eine größere Auswahl, was Biolebensmittel angeht, die dann auch nicht zu teuer sind.
Hier gibt es eine Supermarktkette, die gute Lebensmittel in Eigenmarke – auch frische Lebensmittel – verkauft; in Demeter- und Bioland-Qualität. Demeter ist bei Bio mit Zertifikat das Non-Plus-Ultra. Danach folgen Bioland und Naturland. Unter dem Bioland-Zertifikat finden sich mittlerweile bei Lidl viele Produkte. Ich halte es an dieser Stelle für wichtig, dass auch Menschen mit geringerem Einkommen Zugang zu solchen Lebensmitteln haben.
Sie sind immer noch besser als konventionelle Produkte und preislich nicht allzu verschieden von ihnen. Viele Discounter führen mittlerweile ein großes Bio-Sortiment.
Ich finde, das ist ein Prozess, den man starten sollte. Zu Beginn muss man viel vergleichen. Irgendwann weiß man, welches Produkt wo am besten zu bekommen ist. Ganz hilfreich sind auch Saison-Kalender, die sich kostenlos im Internet herunterladen lassen. Da sieht man, welches Produkt gerade bei uns seine Saison hat und daher auch in Bioqualität nicht überteuert ist. Bio Tomaten jetzt im Frühjahr sind superteuer und wir kochen aber irgendwie gerne mit ihnen. So wichtige Gemüse wie Tomaten, Gurken und vielleicht Paprika, mit denen wir immer kochen, sind derzeit teuer.
Und so entsteht die Wahrnehmung, das Bio bei Frischware unbezahlbar sei. Im Winter stimmt das auch. Das ändert sich aber zum Sommer hin. Und dann kann man natürlich etwas mehr kaufen und es konservieren. Auch dazu gibt es viele Tipps. Also, ein bisschen Beobachtung, sich langsam herantasten. Da werden auch unsere ZuschauerInnen und LeserInnen tatsächlich den Unterschied merken.
Islamische Zeitung: Liebe Esra Doğanay, wir bedanken uns für das Gespräch.