In seinem Text zur Sparsamkeit behandelt Said Nursi das Thema aus der Perspektive eines Gelehrten seiner Zeit.
(iz). Bei aller Notwendigkeit zur Übertragung von Verhältnissen und Kontexten gehört der spätosmanische (und frührepublikanische) Gelehrte Said Nursi nicht nur unter türkisch- und kurdischstämmigen Muslimen zu den langfristig einflussreichsten Autoren.
Seine umfangreiche Textsammlung „Risale-i Nur“ gehört wie die „Ihya ‘Ulum Ad-Din“ von Imam Al-Ghazali zu den Werken, aus denen gerne einzelne Segmente als Einzelausgaben erschienen. 2013 ist von ihm ein Buch zum Thema „Sparsamkeit“ (übersetzt durch Dr. Serdar Aslan) verlegt worden.
Said Nursis Abhandlung „Sparsamkeit“ ist eine schmale, aber dicht komponierte Schrift, die aus der islamischen Tradition heraus eine Ethik des Maßhaltens für eine konsumistische Gegenwart formulieren will.
Im Zentrum steht die These, dass Schlichtheit nicht Verzicht um seiner selbst willen ist, vielmehr eine Form geistiger Dankbarkeit, die den Menschen würdiger, freier und letztlich auch unabhängiger von materiellen und sozialen Zwängen macht.
Der Text will weniger moralisieren als eine Wahrnehmung der Welt einüben: Gaben werden nicht nach ihrem Preis, sondern nach ihrem Sinn und ihrer Einbettung in ein religiöses Leben bemessen.
Die Abhandlung ist klassisch didaktisch gegliedert: In sieben „Aspekten“ entfaltet Nursi jeweils einen Zugang zu Sparsamkeit, von der Begriffsbestimmung über den Alltag des Essens bis hin zu seelischen und gesellschaftlichen Folgen von Gier.
Ein einleitender Qur’anvers – „Esst, trinkt, doch verschwendet nicht“ – wird programmatisch als kategorisches Gebot zur Nüchternheit und Verbot der Verschwendung gelesen und durch Gleichnisse, Hadithe und Gelehrtenworte konkretisiert.
Sie erscheint dabei als spirituell aufgeladene Praxis: Und ist Ausdruck von Dankbarkeit, Quelle von „Segen“ und ein Schutz vor der „Erniedrigung geistiger Bettelei“.

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Besonders anschaulich wird der Autor, wenn er Verschwendung beim Essen beschreibt. Das Bild vom menschlichen Körper als Palast, der vom„Wächter“ Geschmackssinn und „Verwalter“ namens Magen organisiert wird, dient dazu, den geringen realen Nutzen teurer Speisen gegenüber einfachen Lebensmitteln herauszustellen.
Der kurze „Gaumenkitzel“ eines kostspieligen Desserts wird dabei bewusst nüchtern gegen den langfristigen Schaden von Überernährung und Verdauungsstörungen ausgespielt. Es ist diese Nüchternheit, gestützt durch den Verweis auf Avicenna, die der religiösen Argumentation einen rationalen Rahmen gibt.
Nursis Text ist durchgehend in einer Sparsamkeit verankert, welche diese Bescheidenheit als „prophetische Tugend“ und Teil der göttlichen Ordnung des Kosmos versteht. Dankbarkeit, „göttliche Gnade“ und der „Segen“ einer bescheidenen Lebensführung bilden den spirituellen Hintergrund, vor dem selbst alltägliche Entscheidungen – ob Schwarzbrot oder Baklava – zu Fragen des Gottesverhältnisses werden.
Immer wieder zieht er Linien zu anderen, seiner Werken, sodass dieser Text zugleich als Baustein eines größeren, innerislamischen Projekts lesbar ist.
Charakteristisch ist die Unterscheidung zweier Formen von Versorgung: einer „natürlichen“, für das Überleben notwendigen, die Gott gewährleiste. Und einer „künstlichen“, durch Gewöhnung und Konsumkultur erzeugten, für die es keine solche Garantie gebe.
In dieser Gegenüberstellung klingt eine deutliche Kritik an modernen Konsumstandards an, die Bedürfnisse in Süchte verwandeln und den Menschen in Abhängigkeit von Geld, Status und fremder Gunst treiben. Sparsamkeit wird so zur Technik der Zurückhaltung: Sie soll helfen, zwischen Notwendigem und Überflüssigem neu zu unterscheiden.
Die Übersetzung und Edition durch „Islam auf Deutsch“ rahmt den Text ausdrücklich als Angebot in die hiesige Debatte hinein. Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Verweise auf klassische wie moderne muslimische Quellen machen deutlich, dass hier nicht nostalgisch eine vormoderne Askese beschworen wird, sondern eine Tradition neu eröffnet werden soll.