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Imam Al-Ghazali und das Geld

Ausgabe 367

Al-Ghazali geld
Foto: Jan Chipchase | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Imam Al-Ghazali hat sich als wegweisender Denker mit Finanzen und ihrer Bindung zur Ethik beschäftigt.

(iz). In den letzten Jahrzehnten hat sich der Mehrheit des globalen muslimischen Diskurses beim Thema Geld und Finanzen – jenseits einer Minderheit kritischer Stimmen – auf Formalfragen und die Machbarkeit eines „islamischen Finanzwesens“ konzentriert.

Grundsätzlichere Überlegungen zur Natur eines, alle ideologische Grenzen ignorierenden Geldsystems sowie zur Ethik unserer Zahlungsmittel blieb häufig ein Spartenthema.

Anfang Dezember machte im Internet ein englischsprachiger Beitrag (auch als Video auf einigen YouTube-Kanälen verfügbar) ohne Nennung eines Autoren die Runde. Darin wird der wegweisende Gelehrte Imam Al-Ghazali und sein Werk auf die Verbindung von Geld und Ethik hin befragt.

Die IZ-Redaktion zitiert auszugsweise jene Punkte, die durch Belege anerkannt bzw. inhaltlich plausibel sind.

Foto: IZ Medien

Wenn Menschen über die Ursprünge des ökonomischen Denkens nachdenken, kommen ihnen meist Adam Smith, Karl Marx oder gar Aristoteles in den Sinn, sofern sie in der Schule aufgepasst haben.

Aber es gibt eine weniger bekannte Wahrheit, die sich in der mittelalterlichen Welt verbirgt und in der westlichen Geschichtslehre kaum Beachtung findet. Vor fast tausend Jahren, lange bevor es Kapitalismus oder Zentralbanken gab, sprach ein muslimischer Gelehrter eine Warnung aus, die noch heute in jeder Finanzkrise nachhallt.

Er sagte, wenn Geld seinen moralischen Kompass verliert, verfaulen Gesellschaften von innen heraus. Um Al-Ghazali, einen der einflussreichsten Denker des Islam, zu verstehen, muss man sich eine Welt vorstellen, die sowohl vertraut als auch fremd erscheint.

Wir schreiben das Jahr 1100 n. Chr. – Europa ist zersplittert, arm und kämpft sich gerade aus den Trümmern des Frühmittelalters heraus.

Unterdessen erstreckt sich die islamische Welt von Andalusien in Spanien bis nach Persien und darüber hinaus. Ihre Städte sind reich, überfüllt und hoch entwickelt. Bagdad, Damaskus, Kairo.

Sie sind finanzielle und intellektuelle Zentren. Auf den Handelswegen herrscht reger Verkehr mit Karawanen, die Seide, Gewürze, Textilien und Silber transportieren. Gelehrte diskutieren über Philosophie, Recht, Astronomie und Medizin.

Die Märkte sind belebt, die Herrschaftsgebiete reich. Der Wohlstand verändert die Gesellschaft schneller, als irgendjemand vollständig begreifen kann. In dieser Welt des boomenden Handels und der zunehmenden Ungleichheit tritt ein Gelehrter namens Abu Hamid Al-Ghazali in Erscheinung. Er ist teils Philosoph, Jurist, Theologe und auch Kritiker.

Stellen Sie sich ihn als einen Denker vor, der ohne mit der Wimper zu zucken sowohl den Zweck der Seele wie die Existenzberechtigung eines Währungssystems erklären konnte. Was ihn einzigartig machte, war nicht sein Ansehen. Es ist seine Weigerung, den Status quo zu akzeptieren.

Er sah eine Welt, in der der Wohlstand wuchs, die Märkte wuchsen, und doch fühlte sich etwas nicht richtig an. Eine Wirtschaft, die äußerlich florierte, hingegen innerlich verfiel. Man muss sich nicht besonders anstrengen, um die Parallelen zur heutigen Zeit zu erkennen.

Er begann, eine Frage zu stellen, die nur wenige wagten: Was passiert, wenn eine Zivilisation schneller reich wird, als sie weise wird? Um das zu beantworten, richtete er sein Augenmerk auf das Konzept des Geldes selbst. Das ist der Teil, der die meisten westlichen Zuschauer überrascht.

Foto: Shutterstock

Er war einer der ersten Philosophen, der es unter moralischen und systemischen Gesichtspunkten untersuchte. Während Aristoteles Geld als praktische Erfindung betrachtete und spätere Ökonomen es mathematisch analysierten, beobachtete Al-Ghazali psychologische und spirituelle Auswirkungen auf eine Gesellschaft.

Er fragte, wie es das Verhalten, Anreize, Vertrauen und letztlich das Schicksal von Nationen prägt. Um seine wirtschaftlichen Ideen zu erkennen, muss man zunächst verstehen, wie er Geld im Kern sah. Für Al-Ghazali war es nicht dazu gedacht, angebetet, gehortet oder als Statussymbol verwendet zu werden.

Es war ein Werkzeug – nichts weiter. Ein Vermittler des Austauschs. Er verglich es mit einem Spiegel. Er hat an sich keinen Wert. Dieser ergibt sich aus dem, was er reflektiert. Mit Geld verhält es sich genauso.

Gehortetes Kapital ist tot. Für ihn war Reichtum, der in Truhen verschlossen, in Räumen versteckt oder in Höfen vergraben war, nicht nur nutzlos. 

Er war sozioökonomisch destruktiv. Ungenutztes Geld zirkuliert nicht. Es ernährt keine Arbeiter, finanziert nicht Handel und unterstützt keine Familien. Es erstickt das Wirtschaftsleben. Er beschrieb es als das Einfrieren des Blutkreislaufs der Gesellschaft.

Eine Aussage, die ohne Weiteres in jeder modernen Kritik an Ungleichheit vorkommen könnte. Aber Al-Ghazali beklagte sich nicht einfach nur über Gier.

Seine Argumentation war systemisch. Wenn die Reichen Geld horten, schaffen sie Knappheit. Nicht weil Ressourcen fehlen, sondern weil der Geldkreislauf blockiert ist. Die Preise verzerren sich. Die Märkte brechen zusammen. Die Menschen leiden.

Diese Kritik führt zu einer weiteren wichtigen Idee. Spekulation zerstört Vertrauen. Al-Ghazali hatte keine Geduld mit Händlern, die Preise manipulierten, künstliche Knappheit schufen oder Krisen ausnutzten, um Gewinne zu machen. Er sah spekulatives Verhalten nicht als clevere Strategie, sondern moralische Korruption. Profit ohne Beitrag. Wer vom Leid anderer profitiert, schrieb er, bereichert sich daran.

Und das war seiner Ansicht nach ansteckend. Sobald sie sich festgesetzt hat, breitet sie sich über Märkte, Institutionen und dann die gesamte Gesellschaft aus. Wenn dies wie ein Kommentar zu modernen Finanz- und Geschäftspraktiken klingt, dann ist es das. Nur, dass es 900 Jahre früher geschrieben wurde. Aber Al-Ghazali war nicht gegen Gewinne bzw. das Geschäftsleben.

Er forderte keine Klöster oder Gelübde der Armut. Er glaubte fest an Handel. Er wusste, dass Märkte natürlich und notwendig sind. Und war der Ansicht, dass Reichtum sinnvoll sein könne.

Sein eigentliches Ziel war unehrliche Ökonomie zu verhindern, d.h. Betrug, Lügen, die Verwendung falscher Gewichte, das Verbergen von Mängeln und Produkten oder die Manipulation von Informationen.

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