Außerhalb des Systems – (geistiger) Stillstand auf PEGIDA-Kundgebung. Ein Augenzeugenbericht aus Dresden

(iz). In Kälte ausharren. Kälte, die das Wetter mit sich bringt. Minusgrade, die am Leibe zehren, die Füße gefrieren lassen. Eine Kälte, die eine Freude ist in Anbetracht der frostigen Gesinnung, welche sich Woche für Woche in der Öffentlichkeit einer Landeshauptstadt artikuliert. Denn das Abendland schlägt zurück und „Dresden zeigt wie’s geht.“

Montag, ein Tag in der Woche der für vielerlei berüchtigt ist: Wochenstart, blau, schwarz, rosig, schwierigster Arbeitstag und Sturz einer Weltordnung. Das Gedächtnis an Montagsdemonstrationen, die ihren Beitrag zum Ende des bipolaren Systems der Welt beigetragen haben, sind gerade hier im kollektiven Bewusstsein. Symbolträchtig, wenn in Sachsen Versammlungen an eben diesen Montagen abgehalten werden, so dass allein die Ehrfurcht vor diesem Tag so mancher Person ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung suggeriert.

Im Folgenden soll es nicht um Fragen gehen, nicht um Interviews oder Zitate, nicht um Katastrophe oder Untergang, sondern um exemplarische Geisteshaltung, beobachtet und bewertet nach subjektiven Maßstäben.

Bei Betreten der Kundgebung eine ganz persönliche Begrüßung auf dem Gelände eines Skateparks: schallendes Gelächter und Hohn, nach einem Witz über die Abstinenz vieler Muslime vom Alkohol und kräftigen Schlucken aus der Bierflasche. Die Klientel, wie man gerne liest, ist genauso divergent, wie auf vielen Demonstrationen, in denen gesellschaftliche Belange adressiert werden. Studierende, Rentner, Kinder, Funktionsjacken, Mäntel, Hosen, Röcke, lange Haare, Glatzen unter Mützen. Und präsentiert wird ein geschlossenes Weltbild, außerhalb des Systems.

In Zeiten von unklaren Linien in so vielen Belangen des Lebens, lechzen Menschen nach eindeutigen Strukturen, Bildern und gelebtem Miteinander. Dafür dienlich sind Feindbilder und einfache Lösungen. Eine sich scheinbar täglich verkomplizierende Welt, die undurchsichtig und gefährlich ist, braucht für viele, die Halt suchen und Angst haben, eben simple und schnelle Antworten. Schon immer waren äußere und innere Feinde ein Garant für Einheit, gelebt wird das bei der Anhängerschaft der Pegida. Die eigentliche Divergenz innerhalb der Spaziergängerschaft äußert sich vor allem durch das unterschiedlich laute Applaudieren nach gewissen Äußerungen der Redner.

Wenn zum Beispiel eine Bürgermeisterin einer sächsischen Kleinstadt mit den Worten zitiert wird, dass aufgrund des Fehlverhaltens einzelner keine weiteren Flüchtlinge mehr aufgenommen werden, brechen fast alle Anwesenden zu einem Jubel aus, den deutsche Straßen seit der Fußball Weltmeisterschaft nicht mehr vernommen haben, abgesehen von den anderen Demonstrationen, die das Abendland erretten wollen, HoGeSa et cetera.

Diese Feindbilder sind eben jene Flüchtlinge, die „sowieso zu 95 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge sind“, sowie Medien, mit denen man tunlichst keinen Kontakt haben solle, denn auf diesen „gleichgeschalteten Kanälen“ werden „Sätze verdreht“ und „Wahrheiten bewusst verschwiegen“. Weitere mittlerweile dezidierte Feindschaften bestehen selbstverständlich zum Islam und den Muslimen, welche als völlig fremd gelten. Das Wesen der Muslime wird subversiv mit gängigen islamophoben Klischees untermauert: Zwangsehe, Konversion, Ehrenmord, ISIS, Enthauptungen. Die etablierten Parteien gelten ebenso als Erzfeinde, korrumpiert und zusammenarbeitend mit den „linksfaschistischen Gutmenschen“, repräsentieren sie in der Denkweise auf dem Dresdner Lingnerplatz eben nicht das Volk.

Das Volk spielt hierbei eine enorme Rolle. In Anlehnung an den Slogan der Demonstrationen gegen die SED beruft sich die Masse auf die Zugehörigkeit zu einer Volksgemeinschaft. Und nur die Edelsten dieser Gemeinschaft stehen zusammen auf dieser Kundgebung, als eine Bewegung zum Schutze unser aller Identität. Auch deshalb werden Parolen gegen Flüchtlinge und Muslime mit lautstarkem Bekundungen des Sachverhaltes untermauert und wieder und wieder „Wir sind das Volk“ krakeelt, nur getrübt durch sporadische und leisere Forderungen von Einzelpersonen oder Gruppen getrübt, die „Abschieben!“ oder „Erschießen!“ ohne Widerspruch der Nebenleute rufen dürfen. Humanismus nur für Weiße, nur für Europäer. Immerhin darf ein stolzer Niederländer reden und auf gebrochenem Deutsch davon berichten, dass es mittlerweile kleine „Fast-Kalifate“ in holländischen Städten gibt. „Das Volk“ klatscht und hat Angst vor Stellvertreterkriegen in deutschen Städten, die nach Meinung der Pegida bereits existieren, von den Medien jedoch nur heruntergespielt werden.

Es handelt sich hierbei oft um Menschen, deren Segregation aus der Alltäglichkeit so weit vorangeschritten ist, dass sie in ihrem kleinen, subsummierten Weltbild Abläufe und Phänomene erklären. Dabei tangiert es in keiner Weise, was der Rest dazu zu sagen hat, ob dieser „Rassismus!“ ruft oder nicht. Vollkommene Skepsis gegenüber Journalisten, die bei ihrer Arbeit gehindert werden, während gleichzeitig immer wieder – nicht zu Unrecht – die Freiheit der Meinung eingefordert wird. Latente Abneigung gegen alles „etablierte“, bewusste Anknüpfung an die „Helden der Wende“ und die bittere Sorge davor, nochmals alles zu verlieren. Dieses Mal nicht an die Treuhand oder die Nachbarn, sondern an die gierigen und schmutzigen „Mohrenköpfe“ aus dem Morgenland, dem scheinbaren Antagonisten des angeblich hiesigen christlichen Abendlandes.

Bosbach: Politiker und Medien in der Pflicht. Politiker warnen vor islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen

(KNA). Innenpolitiker warnen vor einer Teilnahme an Demonstrationen der „Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida). „Jeder kann für oder gegen etwas demonstrieren. Aber man sollte sich nicht für extreme politische Ziele instrumentalisieren lassen, die man selbst nicht teilt“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag).

Er sieht Politik und Medien in der Pflicht, über die Hintermänner und die wahren Absichten der Kundgebungen aufzuklären. Seiner Ansicht nach geht es den Veranstaltern um die gezielte „Verankerung radikaler Ansichten in der Mitte der Gesellschaft“. In mehreren deutschen Städten hatten am Montag Anti-Islam-Kundgebungen und Gegendemonstrationen stattgefunden

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD), erklärte gegenüber derselben Zeitung, er habe dieses Thema auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz in dieser Woche gesetzt. Zugleich warf er den Initiatoren der Demonstrationen gegen eine vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“ vor, sie schürten „mit ausländerfeindlicher Hetze und islamfeindlicher Agitation Vorurteile und Ängste.“ Es mache ihm Sorgen, „dass Rechtspopulisten und Rechtsextremisten hier aggressiv Stimmung machen – und das auf dem Rücken der Menschen, die sowieso schon alles verloren haben“.

In den „Hooligans gegen Salafisten“ („HoGeSa“), die sich zuletzt in Köln und Hannover getroffen hatten, sieht Jäger ebenfalls ein ausländerfeindliches und rechtsgerichtetes Sammelbecken. „Sie missbrauchen ein politisches Thema, um ihre Gewaltbereitschaft auszuleben“, sagte der SPD-Politiker. „Das kann und wird eine wehrhafte Demokratie nicht hinnehmen.“ Jäger kündigte zugleich eine wissenschaftliche Untersuchung zur Zusammensetzung und Motivation von „HoGeSa“ an.

CDU-Innenexperte Bosbach geht bei aller Kritik an den Demonstrationen aber auch davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung durchaus in der Lage sei „zu unterscheiden zwischen dem Islam als Religion und den Strömungen Islamismus und Salafismus.“

Vor Staatsbesuch: Verfolgte Rohingya in Myanmar sehen in US-Präsident Obama als letzte Rettung. Ein Bericht von Simon Lewis

Die muslimischen Rohingya werden im buddhistischen Myanmar gehasst und verfolgt. Sie setzen alle Hoffnung auf US-Präsident Obama. Setzt er als Fürsprecher der Entrechteten andere US-Interessen aufs Spiel?

Rangun (dpa). Für US-Präsident Barack Obama ist Myanmar nur eine Durchgangsstation von einem Gipfel zum anderen. Doch in dem südostasiatischen Land wird ihn ein von der Welt vergessener Konflikt einholen: Die von Staats wegen verfolgte muslimische Minderheit der Rohingya fürchtet um ihr Leben. Seit Mitte Oktober seien bis zu 16.000 auf vollgepferchten und oft kaum seetüchtigen Booten Richtung Thailand und Malaysia geflüchtet, sagt Chris Lewa, Koordinatorin der Hilfsorganisation Arakan Group.

Die Behörden betrachten die meisten Rohingya als illegale Einwanderer aus dem Nachbarland Bangladesch, verweigern ihnen die Staatsbürgerschaft, drohen mit Abschiebung und halten 140 000 hinter Stacheldraht in Internierungslagern fest. Ihre Anführer setzen alle Hoffnung auf den Friedensnobelpreisträger Obama. „Für uns heißt der Obama-Besuch: alles oder nichts“, sagt Kyaw Min, Präsident der Rohingya-Partei „Menschenrechte und Demokratie“. „Wenn er die Rohingya-Frage nicht ernst nimmt und nicht aufwirft, werden wir hier Zielscheibe bleiben, bis zur Vernichtung.“

Doch für Obama ist die Sache schwierig. Er kann einerseits als Verfechter der Menschenrechte nicht schweigen, will aber auch nicht die Reformregierung brüskieren. Er braucht das Ohr von Präsident Thein Sein, weil die USA die 2011 angefangenen Reformen hin zu einer offenen demokratischen Gesellschaft unbedingt vorantreiben wollen. Obama schreibt sich den friedlichen Wandel dort auch auf die eigene Fahne. Er war einer der ersten, der nach dem Ende der Militärdiktatur 2012 kam und dem einstigen Junta-General Thein Sein die Hand reichte.

Nicht nur aus Selbstlosigkeit: Myanmar – früher Birma – liegt strategisch zwischen den aufstrebenden Mächten Indien und China. Da wollen die USA eine starke, offene demokratische und gerne US-freundliche Gesellschaft sehen. Zudem ist Myanmar nach Jahrzehnten Abschottung auch ein Markt mit 51 Millionen Verbrauchern.

„Die USA sind als Gegengewicht zu China unerlässlich“, schreibt das Institut für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington. „Die USA haben viel investiert, und das wird erst richtig Früchte tragen, wenn wir am Ball bleiben.“

//1//Viele Rohingya sind schon im 19. Jahrhundert mit dem britischen Kolonialherren in die Rakhine-Region in Westmyanmar gekommen und leben seit Generationen dort. Animositäten mit der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit gab es immer. 2012 kam es zu blutigen Zusammenstößen, ausgelöst durch das Gerücht einer Vergewaltigung. Dutzende Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende Rohingya wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Zu den Aufrührern gegen die Rohingya gehören auch buddhistische Mönche.

Schätzungsweise 300.000 Rohingya, also fast ein Drittel, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ wurde aber aus der Rakhine-Region im Frühjahr ausgewiesen. „Die Regierung tut nichts, um die Übergriffe zu stoppen“, meint Lewa vom Arakan Projekt. „Sie schicken nur mehr Sicherheitskräfte, aber die schüren noch die Gewalt gegen Rohingya.“ Die Behörden weisen das zurück.

Die Regierung treibt die Lösung der Rohingya-Frage voran. Wer die Staatsbürgerschaft will, muss mindestens 60 Jahre Ansässigsein schriftlich nachweisen. Das können die wenigsten der oft bitterarmen Wanderarbeiter. Wer das nicht kann, soll ausgewiesen werden. Deshalb die Flüchtlingswelle. Viele hoffen, ins muslimische Malaysia zu gelangen, wo die Rohingya bislang stillschweigend geduldet werden.

Nach einer Untersuchung der Organisation „Fortify Rights“ müssen Flüchtende Soldaten und Polizisten schmieren, um auf kaum seetüchtigen Booten zu größeren Transportern aufs Meer hinausgebracht zu werden. Die Flucht kostet viele ein Vermögen, wie sie der Organisation berichteten. Auf hoher See warten oft Schlepper, die sie als billige Arbeitskräfte an Fischtrawler verschachern.

Kommentar: Die Muslime und die ökonomischen Debatten um die AfD und den Euro

„Ist die Alternative für Deutschland (AfD) also eine, wie es Jakob Augstein in seinem SPIEGEL-Kommentar spektakulär formulierte, ‘Partei aus der Gruft der Geschichte’? Das mag durchaus sein. Die nationalistischen und islamophoben Tendenzen in der AfD sind zweifellos alarmierend und die Partei ist deswegen für Muslime schlicht nicht wählbar.“

(iz). Eigentlich ist es doch sinnvoll. Inmitten der größten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte – der Rettung maroder Banken auf Kosten des Steuerzahlers und der titanischen Erweiterung der sich im Umlauf befindlichen Geldmenge – versucht sich auch in Deutschland der politische Widerstand zu formieren. Gesucht war zunächst eine Partei, die endlich einer alternativen ökonomischen Denkschule in der Debatte eine Stimme verleiht. Wer für ein Moment glaubte, die Alternative für Deutschland (AfD) könnte eine solche Alternative sein, ist inzwischen jeder Illusion beraubt.

Beobachtet man heute den AfD-Chef, Bernd Lucke, bei seinen öffentlichen Auftritten, dann wachsen die Zweifel, ob der biedere Professor die Geister die er rief, wirklich wieder loswerden kann. Lucke wird kaum noch zur Geldkritik gehört, sondern doziert, um im politischen Tagesgeschäft zu bleiben, auch über Flüchtlinge, innere Sicherheit oder Wohnungseinbrüche. Seine Partei ist längst von rechts unterwandert. Es geht nicht mehr nur um Fälle einiger Verirrter, die man schnell aus der Partei ausschließen könnte, sondern um das geistige Klima, in dem die Partei sich nunmehr gewollt bewegt.

Hierbei wird die künftige Substanz von Begriffen wie „Souveränität“, „Staat“ und „Kultur“ nicht etwa positiv bestimmt, sondern im Gegensatz zu anderen, vermeintlichen und realen, Kulturen konstruiert. Das populistische Schema ist bekannt: Wir haben Kultur, weil sie keine haben. Die Partei hat so nüchtern kalkuliert, dass ihr ursprüngliches Thema „Geld“ zwar durchaus eine Schicksalsfrage ist. Nur eine kleine Elite im Lande möchte das Thema aber wirklich substantiell diskutieren. Für die ersehnten Wahlsiege reicht das nicht.

Populär wird eine Partei in Deutschland nur mit anderen Themen und – wie es alle Politiker auf ihre je eigene Weise können – mit der Anrufung diverser Ängste: sei es die Furcht vor Überfremdung, wirtschaftlichem Niedergang oder eben die Innere Sicherheit. Nur ungern hört das Wahlvolk dagegen Erinnerungen an die Brüchigkeit des erarbeiteten Wohlstandes, die natürlichen Grenzen des Konsums oder die profane Notwendigkeit, den Gürtel etwas enger zu schnallen.

Ist die Alternative für Deutschland (AfD) also eine, wie es Jakob Augstein in seinem SPIEGEL-Kommentar spektakulär formulierte, „Partei aus der Gruft der Geschichte“? Das mag durchaus sein. Die nationalistischen und islamophoben Tendenzen in der AfD sind zweifellos alarmierend und die Partei ist deswegen für Muslime schlicht nicht wählbar. Auch wenn zum Beispiel eine substantielle (Papier-)Geldkritik der rationalen Sicht des islamischen Wirtschaftsrechts durchaus nahekommen würde: ein politisches Bündnis mit Nationalisten oder Rassisten ist zweifellos ausgeschlossen.

Im Ergebnis gibt es nun keine wählbare Partei mehr, die sich gegen die abenteuerliche Logik der „wundersamen Geldvermehrung“ stemmt. Inakzeptabel ist aber auch der geläufige Umkehrschluss einiger Euro-Befürworter, die jede ökonomische Alternative (ohne Banken) als undenkbar abqualifizieren lassen will. Ein These also, wonach dem geläuterten und geschichtsbewussten Europäer nur die blinde Unterstützung des Euros bleibt und die hoheitliche Manipulation der Geldmenge geradezu zwingend der Pfeiler unserer Moderne sein muss.

In Augsteins Kommentar kann man also die Geschichtskomponente nachvollziehen; man vermisst aber das Verantwortungsbewusstsein. Vielleicht auch Empathie, die ebenfalls die dramatischen Folgen der globalen Inflationskultur ins Visier nimmt. Sie ist weiß Gott kein nationales Thema mehr. Gerade, wenn man nicht „national“ denkt, müsste das Schicksal der Opfer unseres Finanzsysteme Sorge bereiten. Hierzu gehören auch als „Frühling“ verklärte Hungeraufstände oder der – für die andere Seite – fragwürdige Deal, wertvolle Rohstoffe gegen inflationäres Papier auszutauschen.

Die Währungs- und Rohstoffspekulationen dieser Zeit sind eben keine folgenlosen Instrumente. Sie fordern konkrete Opfer und sie schaffen reale Verheerungen. Die „Gruft“, die Augstein zu Recht erschauern lässt, hat auch eine Dimension im Hier und Jetzt. Die Bedrohung schließt niemanden aus. Und, wenn das Finanzsystem eines Tages zusammenbricht, dann stellt sich auch in unseren Komfortzonen die soziale Frage in der brennendsten Form. Was dann aus dem Potential der AfD wird, davor haben auch Muslime Angst.

Natürlich ist Augstein einer unser klügsten Köpfe. Dies wird im Interview mit dem Sachbuchautor Josef Vogl („Das Gespenst des Kapitals“) in der Wochenzeitung „Freitag“ klar. In diesem Gespräch wird präzise herausgearbeitet, dass die Finanztechnik und ihre Eliten, die übrigens allen bekannten Konfessionen angehören, die nationale Demokratie herausfordert, überlagert und in Teilen sogar dominiert. „Kapitalistische Entscheidungsprozesse“, fasst Vogl die bedenkliche Lage dann punktgenau zusammen, „sind weder verfahrenstechnisch legitimiert, noch revidierbar.“

Die Einschätzung über den realen Demokratieabbau ist wichtig. Denn nur so grenzt man sich von einer Paranoia ab, die uns erzählen will, dass etwa die Hundertschaften marodierender Salafisten die aktuelle Kerngefahr für unsere Demokratie seien. Der, bei nüchterner Betrachtung besehen, Hauptbeitrag der muslimische Extremisten für die Menschheitsgeschichte war es bisher, Vorlagen dafür geliefert zu haben: einerseits für geopolitische Machenschaften und andererseits den Ausbau nationaler Kontrollsysteme. Und sie verhindern nicht zuletzt, dass Köpfe wie Augstein das positive Potential des islamischen Beitrages überhaupt noch erkennen können.

Das Dilemma für uns Muslime, die sich an den wichtigen Debatten unserer Zeit konstruktiv beteiligen wollen zeigt sich dabei in der letzten Frage Augsteins in seinem Interview. Dort fragte er schlussendlich, „ob der Islamist der letzte Gegner des Kapitalismus sei?“ Damit reduziert er das mögliche Gegengewicht des Islam letztendlich auf Gewalt.

Augstein verkennt dabei, dass gerade der so genannte politische Islam, im Grunde in allen seinen Facetten von liberal bis extremistisch, sich kaum um das ökonomische Thema kümmert; geschweige denn eine ökonomische Alternative (die noch vor dem Paradies einsetzt) intellektuell schlüssig vorstellen kann. Das sollte den interessierten Beobachter verwundern; dreht sich doch islamische Geschichte und Lebenswirklichkeit entscheidend um Verträge, Märkte und Handelsbeziehungen.

Demzufolge ist das ökonomische Modell des Islam heute nach wie vor eine unbekannte Größe. Sie wird auch nicht von den berühmten Verbandstheologen gelehrt. Der Begriff Antikapitalismus ist – auf die islamische Lebenspraxis bezogen – übrigens eine nur partiell treffende Bestimmung, bestätigt doch das islamische Recht gerade das Eigentum und das Gewinnstreben des Unternehmers. Statt um das „Anti“, oder gar um Gewalt, geht es hier um die Freiheit der Märkte, die Segnungen des Gerechten Handels – also letztlich um eine freie Marktwirtschaft, die diesen Namen auch verdient.

Wenn man schon negativ denken will, ist der Islam so gesehen am ehesten Anti-Finanztechnik. Das heißt dann, philosophisch betrachtet, dass auch wir Muslime wissen, dass das Phänomen globaler Technik nicht allein mit politischen Machenschaften dem politischen Willen unterzuordnen ist. Alle muslimischen Staaten sind natürlich, ob sie wollen oder nicht, in den finanztechnischen Apparat eingebunden. Als europäische Muslime beobachten wir mit einiger Skepsis den hilflosen Versuch des politischen Islam, das eigene ökonomische Modell auf die hierzulande umstrittenen Banken zu reduzieren, so anzupassen und die „islamische“ Bank dann als angeblich moralisch höherstehende zu verklären.

Was uns positiv beschäftigt, ist die Ethik der Geldproduktion, die Suche nach dem Maß und die Unmöglichkeit, als vernünftige Menschen in dem Drucken von immer mehr Geld die Vernunft-Lösung unserer Zeit zu sehen. Ein solcher Diskurs kann nicht nur exklusiv zwischen Muslimen stattfinden. Hier ist auch das Gespräch mit den anderen Religionen oder über die partielle Übereinstimmungen mit der Österreichischen Schule oder den Gesellianern gewinnbringend. Mt politischen Extremisten welcher Couleur auch immer kann diese Auseinandersetzung auf der Höhe der Zeit nicht sinnvoll geführt werden.

Jenseits des Politischen bleibt in jedem Fall, ob Muslim oder nicht, die tiefe Irrationalität des Lösungsansatzes, durch endloses Geldwachstum ein System der Gerechtigkeit und des Wohlstandes zu errichten. In diesem Ansatz „contra naturum“ verbirgt für jeden denkenden, aufgeklärten Menschen das Problem.

Hier fordern wir Muslime, die Gesetze der Aufklärung auf das Feld der Ökonomie auszudehnen. Wer aber nach keinen echten Alternativen mehr suchen will, gibt das Politische und die Freiheit auf und unterwirft sich schlussendlich der Totalität einer globalen Finanztechnik. Die Rolle der Muslime wäre dann in diesem System auf Pseudo-Gegnerschaft reduziert.

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Überlegungen zu Islamophobie, Muslimfeindlichkeit und Kritik im Allgemeinen

(iz). In den letzten Jahren weitete sich die Debatte um dieses – im Grunde archaische – Phänomen enorm aus. Regelmäßig geben sich Fachpublikationen, Symposien und Debatten hier die Klinke in die […]

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Was AfD-Chef Bernd Lucke zum Thema Islam einfiel

(iz). Die Parteienlandschaft wird von der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland (AfD) massiv aufgemischt. Nachdem sie den Einzug in den Bundestag nur knapp verpasste und sowohl in das Europaparlament gewählt […]

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Die IZ-Blogger: Nach den Brandstiftungen der 1990er Jahre brennen nun auch Moscheen

(iz). Die Übergriffe auf Moscheen haben in den letzten Jahren signifikant zugelegt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Lagen die Übergriffe […]

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US-Muslime diskutieren den anhaltenden Rassismus

(islamicommentary.org/IZ). Anders als in den muslimischen Gemeinschaften Westeuropas, stellen in den USA einheimische Muslime einen nicht zu übersehenden Block dar. Vor allem, aber nicht nur, sind das schwarze Muslime, die […]

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Kommentar: In Köln war Erdogan Staatsmann und Wahlkämpfer zugleich

(iz). Das war es also: Der türkische Ministerpräsident, Recep Tayyip Erdogan, hat in der Lanxess-Arena seine Rede gehalten und sich dabei für einen eher besonnenen Redestil entschieden. Nach einer Schweigeminute für die Opfer des Grubenunglücks von Soma verteidigte er sich gegen scharfe, manchmal auch beleidigende Medienkritik. Der Regierungschef streifte die Vorkommnisse rund um den Gezi-Park, den Gülen-Konflikt und das Soma-Unglück und sah sich praktisch bei jedem Fall unberechtigter Kritik ausgesetzt. Darüber wird man auch nach der Kölner Rede streiten; wenn hoffentlich auf der Grundlage, dass selbst der wütendste Demonstrant nicht mit Schusswaffen bewaffnet sein sollte.

Ansonsten schwankte der Gast aus Ankara zwischen Staatsmann und Wahlkämpfer um das Präsidentenamt. Er betonte die ökonomischen Wachstumsraten seines Landes und die Entschuldung des Staates, ohne natürlich andererseits die neoliberale Wirtschaftspolitik und die hohe Verschuldung der Privathaushalte zu hinterfragen. Den Vorwurf, er sei gar ein „Diktator“ quittierte Erdogan angesichts der Aktivitäten von Opposition und Medien mit einem Lächeln und bekannte sich gleichzeitig zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Erdogan beschwor die neue Stärke der Türkei, aber auch die Freundschaft mit Deutschland. Stark war sein Argument, dass nur eine lebendige deutsch-türkische Freundschaft Deutschland vor neuem Rechtsradikalismus schütze. Polemik bezüglich der fragwürdigen Aufklärung der NSU-Mordserie sparte er dabei dankenswerterweise aus. Im außenpolitischen Teil warf Ministerpräsident Erdogan Europa Doppelmoral im Umgang mit den Verhältnissen in Ägypten vor.

Vor seinen 20.000 Anhängern wiederholte der türkische Regierungschef seine umstrittene Losung „Integration ja, Assimilation nein“, fügte aber zugleich das Bekenntnis hinzu, dass seine Landsleute „Deutsch lernen und in Deutschland nicht wie Fremde leben sollten“. Er erinnerte an die enorme Leistung tausender Immigranten, die heute über 80.000 Betriebe in Deutschland führten.

Nebenbei lobte Erdogan den Veranstalter, die UETD. Für was genau wurde nicht ganz klar. In den letzen Jahren hatte der Verein seine Politik nicht besonders gut erklären können. Für die Mehrheitsgesellschaft sind zehntausende türkische Fahnenträger in Köln wohl nach wie vor eher irritierend. Auch ein inhaltliches Rahmenprogramm, ein paar deutsche Worte und eine professionelle Live-Übersetzung der Rede hätten der Veranstaltung mehr Aufmerksamkeit und Verständnis beschert.

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Kommentar zum Tag der offenen Moschee (TOM) 2013

(iz). Na also, wir Muslime müssen nicht immer nur reagieren. Wir können auch – wenn wir gut organisiert sind – ein Thema offensiv besetzen. Am Tag der Offenen Moschee ging […]

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