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Debatte: Kann der Islam „weiß“ sein?

Ausgabe 285

Foto: The Eye in Islam, Ammar Asfour

(iz). Dr. Farid Hafez hat kürzlich in seinem Artikel „The Figure of the White Muslim“ argumentiert, dass „weiße Muslime“ unter anderem in Westeuropa tendenziell als willkommen galten, da sie sich äußerlich nicht oder kaum vom Rest der Europäer unterschieden und weitläufig als liberale, moderne und weltoffenere Muslime betrachtet würden. Diese Beobachtung ist jedoch nur insofern korrekt, als dass die entsprechenden Muslime ihren Din nicht nach außen sichtbar praktizieren.
Dies fängt beim Nichttragen des Hidschab an und endet in der Etablierung von Moscheen, der Zakat und anderen islamischen Institutionen. Als liberal und weltoffen wird in der westlichen Sphäre Europas letztendlich derjenige betrachtet, der weder säkulare Augen noch Weltanschauungen stört. Sind es doch gerade die sogenannten Reformer, die seitens der Politik und weiter Teile der Gesellschaft mit offenen Armen empfangen werden. Sobald sich der hellhäutige Muslim, sei er Konvertit oder autochthoner muslimischer Europäer, dazu entscheidet, seinem Din eine gesellschaftlich klar erkennbare Form zu verleihen – und diese ist klar für uns von Allah vorgeschrieben – dann verliert auch der weiße Muslim seine sogenannten Privilegien.
Auf dem Balkan selbst, den Hafez in seinem Textstück erwähnt, ging man geschichtlich noch sehr viel weiter als es die heutigen Islamophoben des Westens tun. Der Jugoslawienkrieg der 1990er verdeutlichte, dass das Muslimsein zu einer Rassenfrage erklärt wurde, die auf Mythen der Feindschaft gegenüber „dem Anderen“, „dem Verräter“ Europas basiert. Hier reichte es aus, namentlich als Muslim erkennbar zu sein, ohne jemals den Islam praktiziert zu haben (viele der Muslime Jugoslawiens waren Kommunisten), um dem Genozid ausgesetzt zu werden.
Die Ermordung der Muslime Bosniens, des Kosovos und weiterer Teile des damaligen Jugoslawiens beruhte nicht auf der tatsächlichen Andersartigkeit in Sprache, Kultur, Aussehen und Lebensart. Sie wurde begründet durch die simple Tatsache, dass diese Menschen ethnisch als Muslime, und somit als Erzfeinde der europäischen Identität, galten.
Die Ablehnung des Islam ist nicht nur in Südosteuropa identitätsstiftend. Sieht man sich die momentane, und bereits Jahre andauernde politische Landschaft Europas an, erkennt man das wiederkehrende und eindeutige Muster: Wir (Europa) und sie (die Muslime) und – sind diese überhaupt mit einander vereinbar? Wollen wir die Muslime tatsächlich als gleichwertige Bürger der Europäischen Union betrachten? Die Antwort seitens der Rechten ist ein klares Nein. Die Antwort der meisten anderen ist ein ebenso klares „Ja, aber…“ Das Europäischsein (und somit „Weißsein“) der Muslime wird immer bloß unter Vorbehalt anerkannt.
Solange sie auf die soziopolitische und öffentliche Ebene ihres Dins verzichten und sich in den vorgeschriebenen Diskurs eingliedern, sind sie die „guten“ Muslime. Ich stimme Dr. Hafez insoweit zu, dass es diese Tendenz gegenüber hellen Muslimen durchaus gibt. Er übersieht jedoch die wirklichen Gefahren auch für die hellhäutigen Anhänger des Islam, sich in derselben, wenn nicht sogar schlimmeren (als Verräter des Eigenen) Situation vorzufinden, wie ihre restlichen Glaubensgeschwister, wenn sie auf Grundlage der islamischen Tradition handeln und urteilen.
Selbst wenn Muslime auf die parteipolitische Ebene verzichten und sich etwa auf die Etablierung der Zakat, die mit einer Kritik der herrschenden Vorstellung von Ökonomie einhergeht, fokussieren, werden sie als „Islamisten“ und Gefahrenquellen angesehen. Dabei spielt die Hautfarbe derer, die sich zu diesen Themen äußern, letztlich keine Rolle mehr. Die starke Rückbesinnung auf die Sunna und das Festhalten an dieser sind zur Frage unserer Zeit geworden: Kann Europa den Islam ertragen?