Debatte: Nennt mich nicht „Hijabi“

Ausgabe 321

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Seit Jahrzehnten ist das „Tuch“ nicht nur Standardmotiv, wenn es um die öffentliche Wahrnehmung von „Islam“ und „Muslimen“ geht. Als Thema, Handlung und Symbol ist es längst auch bei einem Teil der Musliminnen zu einem Merkmal ihrer „Identität“ geworden. Zu den Metamorphosen dieses Diskurses gehört die Zuschreibung „Hijabi“.

(Altmuslimah). Hijabi – das Wort rumpelt ungelenk, anstatt mir anmutig von der Zunge zu rollen. Wenn es aus meinem Mund entflieht, kommt es nicht gut an. Dann wird mir bewusst, dass ich es nicht ausstehen kann. Der Begriff beschränkt mich auf eine Schublade. Es reduziert mich als Mensch auf eine Bekleidung, für die ich mich vor Jahren entschied.

Der Hijab war für mich eine schöne Erfahrung. Seit zehn Jahren symbolisiert er meine Freiheit, mich so zu kleiden, wie ich will. Aber noch wichtiger ist, dass es mich an die Verbindung zu einem barmherzigen Gott erinnert. Er zeigt Seine Liebe durch Feinheiten wie ein Bekannter, der mir im richtigen Moment das Nötige sagt, oder ein Plan, der aus einem Grund verzögert wird, was sich später als Segen erweist.

Abgesehen von spirituellen Aspekten fungierte Hijab als ein Auslöser für einsichtige Gespräche mit Fremden und Freunden. Das sind Gespräche über Fremdenfeindlichkeit in Amerika, über die Rolle von Religion im öffentlichen und privaten Leben der US-Bürger, über Gott, Glauben und Wahlfreiheit.

In Räumen voller Menschen, die sich anders als ich anziehen, ist der Hijab ein Zeichen für mich und meine Umgebung, dass Muslime tief mit dem Gewebe dieser Gesellschaft verwoben sind. Er ist meine fühlbare, körperliche Erinnerung daran, dass ich mich Allah verpflichtet fühle und durch Ihn in jedem Augenblick erhalten werde – in jeden Atemzug dieses weltlichen Lebens. Schließlich ist er ein Symbol dafür, dass mein Inneres mehr zählt als mein Äußeres. Das Letztere bestimmt nicht meinen Wert. Aus diesen Gründen schätze ich ihn.

Das Tragen meines Kopftuches – das mit zurückhaltenden Anzügen und Kleidern gepaart ist – jährt sich zum zehnten Mal. Ich erkenne, dass dieser Hijab an meiner Identität nagt. Er wurde zu einem großen Teil, Teil dessen, was ich bin und überschattet alle anderen meiner Aspekte. Er veranlasst die Leute zu vergessen, wer ich als Individuum bin. Bevor mein Charakter, mein Glaube und meine Persönlichkeit wahrgenommen werden, erscheine ich als Person, die Hijab trägt – eine „Hijabi“.

Er wurde zu dem, was ich bin; und lässt meine Hoffnungen, meinen Glauben und die Person, die ich werden will, verkümmern. Muslimische Männer reden darüber, eine Hijabi heiraten zu wollen – oder auch nicht. Als ob es überhaupt deren Entscheidung wäre, darüber zu bestimmen. Frauen in der Gemeinschaft sagten mir, ich hätte damit warten sollen, als ob es mich meiner Jugend beraubt hätte. Als sei dies ein untrüglicher Beweis meines guten Charakters. Freundinnen fürchten sich vor negativen Folgen, wenn sie ihr Kopftuch abnehmen; dass sie als schwach, unaufrichtig und wankelmütig gelten würden. Währenddessen entgleitet mir meine Handlungsfähigkeit. Was meine persönliche Entscheidung war, wurde dem öffentlichen Konsum und dem Urteil auf dem metaphorischen Dorfplatz zugänglich gemacht.

Was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass die Art meiner Bekleidung kein Seinszustand ist? Dass mein Ich fließend ist und dass das, was ich trage, kein Zeichen für einen gestärkten oder geschwächten Glauben an Gott ist? Hijab ist nicht meine Identität. Ich habe einen Charakter, den ich entwickeln muss. Ich muss meinen Glauben prüfen. Und Talente gebrauchen, bevor ich mich über meine Kleidung definiere. Der ganze Zweck des maßvollen Kleidens und Verhaltens ist die Überwindung meines Äußeren und die Arbeit an meinem Verstand, meiner Seele sowie meinen Beziehungen. Fürs Erste bleibt mein Hijab bei mir wegen dessen, was er für mich getan hat. Aber ich habe mich mit der Tatsache abgefunden, dass es sich nicht um eine Konstante handelt.

Ich entschied mich dafür, Hijab zu tragen. Aber ich bin keine Hijabi.