„Alle Parteien – einschließlich der Grünen – stecken daher in einem Argumentationsdilemma. Und genau diese Indifferenz und rhetorische Verunsicherung ist diesem Papier abzulesen.” (Kamuran Sezer, auf Facebook)
(IZ/Agenturen). Kontrazyklisch zur Sommerpause erneuerte die grüne Bundestagsfraktion mit ihrem Fraktionsbeschluss bezüglich einer „Grünen Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam in Deutschland“ die politische Debatte. Auf einer Pressekonferenz erklärten führende Politiker der Partei, sie wollten „Druck machen“ – auf Bund und Länder und auf die muslimischen Verbände. Notwendig sei unter anderem ein Neustart der 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) begonnenen Deutschen Islamkonferenz (DIK).
Aufgabe der Muslime sei die Gründung einer Religionsgemeinschaft, die die vom Grundgesetz geforderten Kriterien erfülle, meinte die Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck erklärte, eine von den Verbänden gewünschte Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts sei schon deshalb kein praktikables Modell, weil sie sich nicht nach Bekenntnissen, sondern nach Sprache, Kultur oder Herkunftsland organisierten. Zudem sei es etwa problematisch, dass der türkisch-muslimische Dachverband DITIB faktisch eine Unterorganisation der türkischen Religionsbehörde sei. Es sei nicht Sache des Staates, sich in die Gründung muslimischer Organisationen einzumischen. Diese könnten sowohl die Form einer Einheitsgemeinde wählen oder sich nach unterschiedlichen Bekenntnissen zusammenschließen.
Realitäten
Zu Beginn ihres, eher skizzenhaften Papiers erkennen die Grünen die Realität des Islam in Deutschland an. Die rechtliche Gleichstellung von Muslimen ist für die Grünen die logische Folge „einer erfolgreichen Integration ihrer Religion in das deutsche Religionsverfassungsrecht“. Für die Partei habe dieser Vorgang einen offenen Ausgang. Die grüne Bundestagsfraktion ist sich bewusst, dass mit „den Muslimen“ in Deutschland lediglich die religiösen gemeint seien – organisiert oder nicht.
Während sich das Papier stellenweise als Verlangen nach ergebnisorientierten Konzepten liest, finden sich an anderen Stellen altbekannte Vorstellungen. Dazu gehört auf der allgemeinen Ebene nicht nur der, mehrfach wiederholte Verweis auf mutmaßliche verfassungsfeindliche Bestrebungen; nicht nur bei Salafisten, sondern auch bei einzelnen, ungenannten Mitgliedsverbänden des KRM. Eine kritische Reflexion, die dieser – durch den NSU-Skandal in Mitleidenschaft gezogene – Inlandsgeheimdienst in Sachen Begriffsbestimmung und Politikberatung spielte, wird hier schmerzlich vermisst. Die Grünen kamen auch leider nicht ohne den unwissenschaftlichen Begriff des „Islamisten“ aus.
Organisatorische Fragen
Es dominieren vor allem organisatorische Fragen. Zwar sei der 2007 gegründete Koordinationsrat „ein bedeutender“ Schritt, aber er fungiere selbst nach eigenem Verständnis nicht als alleiniger Ansprechpartner des Staates. Die Grünen glauben, dass das Recht für “weitere Religionsgemeinschaften“ offen sei. Hier unterscheidet sich das Papier von früheren Ideen, wonach muslimische Gemeinschaften eine alleinige Vertretung in bräuchten. Dieser Wunsch führte in der Vergangenheit zur Verzögerungen und Blockaden bei Verhandlungen.
Zwei Klein-Vereine (der „Liberal-Islamische Bund“ und der „Verband demokratisch-europäischer Muslime“) will die Roadmap gemeinsam mit „verbandsunabhängigen Moscheegemeinden“ in die Herausbildung von Religionsgemeinschaften einbeziehen, sofern diese in der Lage seien, „eine dem deutschen Religionsverfassungsrecht entsprechende Organisationsform zu finden“. Im Rahmen „differenzierender islamischer Religionsgemeinschaft“ könnte durch etwaige liberale Strukturen „parallel Neugründungen eines reformierten Islam erfolgen“. Dieser Punkt dürfte gewiss Anlass für Kritik an der Roadmap führen. Man kann sich die Frage stellen, ob die Grünen ausschließlich die Integration des organisierten Islam anstreben, oder ob sie die politische Förderung, genehmer Religionsgemeinschaft wollen.
Zweifel an Strukturen
Die Grünen gehen davon aus, dass es Jahren brauche werde, bis es zur Herausbildung einer oder mehrerer muslimischer Religionsgemeinschaften kommt. Allerdings könnten weder Muslime, noch Gesellschaft so lange warten. „Auf dem Weg zu dauerhaften Regelungen brauchen wir Zwischenlösungen.“ Man stünde vor einer Vielfalt von Aufgaben.
Allerdings ist auch den Grünen bewusst, dass sich diese „Zwischenlösungen“ als „fragil“ erweisen können. In Nordrhein-Westfalen – im Rahmen der Einführung es Islamischen Religionsunterricht – beispielsweise bestehen diese in der Einsetzung von Beiräten, an denen unter anderem Vertreter muslimischer Dachverbände beteiligt sind. Insbesondere, wenn Verbände oder Einzelpersonen juristisch gegen sie vorgehen würden, könne es zu Schwierigkeiten kommen.
Während die grünen Forderungen ein gewisses Medienecho hervorriefen, gab es bisher nur begrenzte Reaktionen von Seiten muslimischer Repräsentanten. Einzig die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) setzte sich kritisch mit dem Inhalt dieses Konzepts auseinander. Mustafa Yeneroglu, stellvertretender Vorsitzender der IGMG, bezeichnete das Fraktionskonzept als „äußerst enttäuschend“. Bei näherer Betrachtung erkenne man, dass es sich hierbei „im Wesentlichen um CDU-Positionen“ handle.
Kernelemente dieser Politik, so der IGMG-Vize, seien „die Relativierung der großen islamischen Religionsgemeinschaften (…), das untaugliche Starkreden von nicht repräsentativen Randgruppen, die unkritische Übernahme der Positionen des Verfassungsschutzes und nicht zuletzt der Versuch der Negierung des verfassungsrechtlichen Anspruches der Muslime auf Gleichbehandlung“.
Auch auf Blogs und von Seiten muslimischer Foristen waren die Reaktionen alles anderes als durchgehend begeistert. Einige muslimische Stimmen reagierten kritisch. „Die Grünen (…) sammeln die immer wichtiger werdenden Stimmen der muslimischen Minderheit und halten ihre Versprechen am Ende nicht. So auch geschehen mit dem Versprechen der doppelten Staatsbürgerschaft“, meinte ein Forist auf Facebook. Ein weiterer sieht eine Bringschuld der Partei: „Es gibt Bundesländer in denen die Grünen Regierungsverantwortung tragen. Da haben sie Gelegenheit, ihre Aufrichtigkeit zu beweisen.“