
Die technologischen Entwicklungen der letzten 150 Jahren haben die Abläufe der Pilgerfahrt erheblich beeinflusst.
(The Conversation). Die Hajj – die jährliche islamische Pilgerfahrt nach Mekka in Saudi-Arabien, die Muslime einmal im Leben unternehmen sollten, sofern sie dazu in der Lage sind – wird dieses Jahr voraussichtlich vom 4. bis zum 9. Juni stattgefunden haben.
Diese Reise wird, wie in früheren Generationen, durch moderne Technologie verbessert und sogar erst ermöglicht. In den letzten Jahren hat die saudische Regierung Smartphone-Apps für Pilgergruppen entwickelt. Die Pilger nutzen diese selbst, um mit Hilfe von Reiseführern spezifische Orte zu finden und dort zu beten.
Außerdem dokumentieren sie ihre Reise, sowohl die physische bzw. die spirituelle, auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok. Das Land führt Smartcards für Pilger ein, mit denen sie Zugang zu Hadsch-Dienstleistungen und Informationen erhalten und bargeldlos bezahlen können.
Neue System für die Hajj
Und im Jahr 2022 hat die saudische Regierung ein Onlinesystem eingerichtet, über das potenzielle Pilger aus den USA, Australien und Westeuropa an einer digitalen Lotterie für Visa teilnehmen müssen, die ihnen die Teilnahme am Hadsch ermöglicht.
Was die mehrheitlich muslimischen Länder betrifft, so wird pro 1.000 Personen je Staat ein Visum vergeben. Diejenigen, denen eines erteilt wird, sollen ihre Reise via die saudische Regierung buchen und nicht den Reisebüros in ihren Heimatländern.
Im Zuge dieser Veränderungen wurde in den Medienberichten über die Pilgerfahrt häufig auf die damit verbundenen Techniken hingewiesen und diese als neues Phänomen beschrieben, das sie „verändert“.
Als Historiker des Nahen Ostens und Expertin für den zeitgenössischen Islam weiß ich, dass Technologie ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle spielt. Transport- und Kommunikationstechnologien sind seit langem von grundlegender Bedeutung für die Organisation der Pilgerfahrt durch die Regierungen und für die spirituellen Erfahrungen der Pilger.
Der technologische Wandel beeinflusste die Pilgerfahrt
Schon in den 1850er Jahren ermöglichten Dampfschiffe vielen Muslimen, die weit entfernt von Mekka lebten, die Pilgerreise. Laut dem Historiker Eric Schewe „suchten europäische Reedereien Pilger als Passagiere, um ihre Einnahmen aus dem Transport von Handelsgütern durch den Suezkanal aufzubessern“. Indem sie die Reisenden an arabischen Häfen entlang einer Route absetzten, die ihre Schiffe ohnehin befuhren, konnten die Kaufleute während der Hajj ein kleines Zusatzeinkommen erzielen.
Und die Pilger schätzten die Sicherheit, Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit und geringeren Kosten der Dampfschiffe. Sie waren in der Lage, schneller und kostengünstiger als jemals zuvor in der Geschichte zu den heiligen Stätten zu gelangen. Von den 1880ern bis zu den 1930ern vervierfachte sich die Zahl der Pilger, die jedes Jahr zur Hajj reisten.
Auf See kam die Dampfschifffahrt den Leuten zugute. Zu Lande taten dies entstehende Eisenbahnen. Insbesondere betraf die Muslime aus dem russischen Zarenreich, deren mehrteilige Reise oft eine Zugfahrt in Richtung Odessa in der heutigen Ukraine oder einem anderen Schwarzmeerhafen umfasste, wo sie mit dem Dampfschiff via Istanbul und dann mit Karawanen nach Mekka weiterreisten.
Der Telegraf spielte ebenfalls eine bedeutende Rolle. Die osmanische Regierung nutzte ihr ausgedehntes Telegrafennetz zur Regierungsführung und als Zeichen der Unabhängigkeit von den Mächten Europas.
Eine wichtige Verbindung lief von der Hauptstadt Istanbul über Damaskus in Syrien nach Mekka. Europäische Konsularbeamte, Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsgesellschaften und sogar einzelne Pilger nutzten das Telegrafensystem für die Kommunikation im Zusammenhang mit ihrer Reise.
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Zwischen Epidemien und Herrschaft
Die Geschwindigkeit der Verkehrstechnologie bewirkte, dass Pilger Infektionskrankheiten mit nach Hause bringen konnten, wie es bei Epidemien der Fall war, die regelmäßig im 19. Jahrhundert ausbrachen.
Viele Regierungen führten Regelungen zur Nachverfolgung ein, die sich auf Drucktechnologien stützten: Die Niederländer verlangten 1825 die Mitführung eines Reisepasses, während die Franzosen dies 1892 für Algerien erließen. Die britische Verwaltung erteilte dem Reisebüro Thomas Cook 1886 das Exklusivrecht für Hajj-Reisen aus Indien und verpflichtete die Pilger, für jede Etappe der Pilgerfahrt Tickets im Voraus zu kaufen.
Die Verbreitung des kommerziellen Flugverkehrs ab den 1940er Jahren veränderte die Dynamik des Hadsch weiter: Fliegen war schneller, billiger und sicherer als die Reise mit dem Dampfschiff. Es bot mehr Muslimen die Chance zur Teilnahme, stellte andererseits enorme logistische, politische und wirtschaftliche Herausforderungen dar: Die Zahl der Pilger stieg zwischen 1950 und 1980 um das Sechs- bis Siebenfache an.
Historisch gesehen hatte nur eine winzige Minderheit jemals eine reale Möglichkeit, im Laufe ihres Lebens eine Pilgerreise zu unternehmen. Heute wird die Mehrheit niemals gehen können. Die meisten, die es tun, werden nur einmal dorthin reisen. Aber die schiere Menge der ca. 1,9-2 Mrd. Muslime weltweit bewirkt, dass in den letzten Jahren nur rund 0,1 % von ihnen auf die Hajj konnte.
Durch die Erleichterung des Reisens und der Kommunikation ist die Fähigkeit Mekkas, all diese Besucher zeitgleich zu bewältigen, zu einer großen Herausforderung geworden. Für das saudische Hajj- und Umra-Ministerium steht einiges auf dem Spiel: Es soll allen Pilgern eine sichere, gesunde und spirituell bedeutsame Erfahrung bieten und gleichzeitig negative Schlagzeilen für das Gastgeberland vermeiden.
* Übersetzt und veröffentlicht im Rahmen einer CC-Lizenz.