Hinter der Debatte um Khorchide steht ein Grundsatzkonflikt

Bonn (KNA). Es war eher eine Randnotiz ohne größere öffentliche Resonanz: Die Lehramtsstudenten am Münsteraner Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) fürchten um ihre Berufschancen. In einer Erklärung spricht die Fachschaft von „wachsender Unsicherheit“. Doch der Streit um ihren Professor Mouhanad Khorchide bedroht nicht nur die soziale Existenz von Studenten, die Debatte gefährdet auch die gerade erst im Wachsen begriffene islamische Theologie in Deutschland insgesamt. Warum genau geht es? Der Koordinationsrat der Muslime (KRM), Dachverband der islamischen Verbände, kündigte die Zusammenarbeit mit ihm auf. Der KRM legte Gutachten zu dessen Theologie vor und nannte das Verhältnis „zerrüttet und irreparabel beschädigt“.

Im Hintergrund steht die Frage: Was verträgt sich mit der islamischen Lehre und was nicht? Ähnlich wie im Christentum sind die Muslime kein Block, sondern in Lehrtraditionen aufgeteilt, die teils mit Ländergrenzen übereinstimmen. Was in Kairo gilt, kann in Riad, Muskat, Istanbul oder Teheran ganz anders beurteilt werden. Doch im Unterschied zur katholischen Kirche kennt der Islam keine Glaubenskongregation, die im Zweifel den Daumen zu einer theologischen Aussage hebt oder senkt. Wenn etwa aus römischer Sicht Wissenschaftler Falsches an ihre Studenten weitergeben, wird den Professoren schlicht die Lehrerlaubnis entzogen.

Der Staat hat kein Interesse, religiöse Fragen zu beantworten. Weil er neutral bleiben muss, soll an den universitären Zentren für islamische Theologie ein Beirat über Personen und Inhalte bestimmen. Zwar gilt dieses Modell verfassungsrechtlich als bedenklich, doch politisch erschien es sinnvoller, überhaupt etwas in Sachen islamischer Theologie statt weiterhin nichts zu machen. Das Beiratsmodell konnte in Münster bisher nicht umgesetzt werden.

So hat der Fall Khorchide Modellcharakter: Wer darf was bestimmen? Beim Verbleib Khorchides besteht die Gefahr, dass die beim ZIT ausgebildeten islamischen Religionslehrer später keine Akzeptanz bei Schülern und Eltern haben. Hier spielen wieder die Verbände eine Rolle: Wenn Moscheevorsteher vom Schulbesuch abraten, weil sie am rechten Glauben der Lehrer zweifeln, dürfte das Folgen haben. Andererseits will die Wissenschaftlerszene den Verbänden keinen stärkeren Einfluss einräumen. Khorchide gilt bei ihnen zwar nicht als sehr einfach, aber auch als eindrucksvolle Persönlichkeit.

Anzeige:

Befürchtet wird ein immenser Schaden für die islamische Theologie, die ihren Platz im Konzert der Fakultäten ja gerade erst einnehmen will. Mit Interesse verfolgen auch die anderen Zentren in Erlangen-Nürnberg, Osnabrück und Tübingen die Diskussion. Zwischen allen Stühlen sitzen die Studenten in Westfalen. An ihnen kann ein Makel hängenbleiben – wie auch immer der Streit ausgeht.