
Humanitäre Organisationen können nach einer Kommunikationssperre wieder informieren. Sie sprechen von einer verheerenden Lage der Zivilbevölkerung.
(dpa, KNA, iz). UN-Generalsekretär António Guterres hat erneut zu einem sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Konflikt aufgerufen. Er sei überrascht über die „beispiellose Eskalation“ der Bombardierungen, sagte Guterres laut einer Mitteilung vom Samstag.
Neben den Angriffen durch die israelische Luftwaffe weiten sich die Operationen der IDF am Boden aus. Mittlerweile dringt sie tiefer und in größerer Dichte auf Gebieten im Norden Gazas ein. Im gleichen Zeitraum wurden die im Norden verbliebenen Einwohner aufgefordert, diesen zu verlassen. „Das Zeitfenster schließt sich schnell.“
Der UN-Chef bekräftige seinen Aufruf „zu einem sofortigen humanitären Waffenstillstand“, verbunden mit der bedingungslosen Freilassung aller Geiseln und der Bereitstellung von Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen. Dort spiele sich „vor unseren Augen“ eine menschliche Katastrophe ab.
Erklärung von Jan Egeland, Generalsekretär des Norwegischen Flüchtlingsrates (NRC) forderte eine Waffenpause:
„Fast drei Wochen sind vergangen, seit die Hamas einen entsetzlichen Terrorakt gegen israelische Zivilisten verübt hat. Seitdem füllen die Bilder leidender Familien in Israel und Gaza unsere Bildschirme.
Zahllose völlig unschuldige Palästinenser sind nun wahllosem und verheerendem israelischem Bombardement und totaler Belagerung ausgesetzt. Diese kollektive Bestrafung bringt unendliches Leid über die Zivilbevölkerung und kostet Tausende von Menschen das Leben.
Die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen unverzüglich zu einem humanitären Waffenstillstand aufrufen, um das Leiden zu beenden und den Prozess wieder in Gang zu bringen, der die Ursachen für Generationen von Entbehrungen, Konflikten, Terror und Besatzung beseitigen kann. Die Geschichte wird uns dabei zusehen.“
Humanitäre Helfer sprechen von einer sehr schwierigen Situation
Das UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA beklagte, zur „großen Mehrheit“ seiner Mitarbeiter im Gazastreifen keinen Kontakt mehr zu haben.
Ihr Generalkommissar, Philippe Lazzarinim bezeichnete den Ausfall der Kommunikationsdienste als „einen weiteren Versuch, die humanitäre Antwort für die Zivilisten im Gazastreifen“ zu behindern. Das Hilfswerk werde sich davon aber nicht entmutigen lassen.
Die Versorgungslage im Gazastreifen war schon vor Kriegsbeginn sehr schlecht und hat sich durch die laufenden Kämpfenoch verschlimmert. Fast die Hälfte der gut 2,2 Millionen Menschen im Gazastreifen sind Kinder und Jugendliche. Bei den israelischen Gegenschlägen in den vergangenen drei Wochen sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in dem Palästinensergebiet mehr als 7703 Menschen ums Leben gekommen.
Foto: Palestinian News & Information Agency (Wafa) in contract with APAimages, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0
IKRK fordert „sofortige Deeskalation“
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) rief zu einer sofortigen Deeskalation auf. „Ich bin schockiert über das unerträgliche Ausmaß des menschlichen Leids und fordere die Konfliktparteien auf, jetzt zu deeskalieren“, schrieb IKRK-Chefin Mirjana Spoljaric in der Nacht zum Sonntag auf der Plattform X (vormals Twitter).
Es sei nicht hinnehmbar, dass die Zivilbevölkerung im Gazastreifen angesichts der massiven Bombardierungen der israelischen Luftwaffe keinen sicheren Zufluchtsort habe. Angemessene humanitäre Hilfe sei derzeit nicht möglich. „Das ist ein katastrophales Versagen, das die Welt nicht hinnehmen darf.“
Dem Roten Kreuz zufolge müssen Tausende von Familien im Gazastreifen in Behelfsunterkünften oder unter freiem Himmel schlafen, mit wenig Nahrung und Wasser. Krankenhäuser, die noch funktionierten, stünden „kurz vor dem Zusammenbruch“, da ihnen die Vorräte zur Versorgung der vielen Kranken und Verletzten ausgingen. Die meisten Kläranlagen seien zudem nicht mehr in Betrieb. Die Gesundheitsversorgung sowie die Versorgung mit Wasser und Strom müssten sofort wiederhergestellt werden, um Leben zu retten.
Foto: MedGlobal Org, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0
Tausende halten sich in Nähe des Shifa-Krankenhauses auf
Im Umkreis des Shifa-Krankenhauses in Gaza halten sich nach TV-Berichten weiterhin Tausende Zivilisten auf. Die Menschen verblieben im Bereich der größten Klinik des Gazastreifens, die sie offenbar als Zufluchtsort ansehen, wie Fernsehbilder am Sonntag zeigten, unter anderem von Al Jazeera und CNN. Diese zeigten unter anderem, wie Menschen um die Klinik unter Zeltplanen campieren.
Die „New York Times“ schrieb am Sonntag, die normale Kapazität des größten und am besten ausgestatteten Krankenhauses im Gazastreifen betrage 700 Betten.
Jetzt beherberge es mehr als 60.000 Menschen. Dazu zählten unter anderem Verwundete sowie Angehörige, die sie versorgten. Zehntausende Menschen hätten Zuflucht gesucht, weil sie glaubten, dass ein Hospital ihnen einen gewissen Schutz biete.
Demonstranten in Berlin am 28. Oktober. Screenshot: X/Twitter
Massive Proteste in westlichen Großstädten
Unzählige Demonstranten haben auf einem erneuten Großprotest in London eine sofortige Waffenruhe im Gaza-Krieg und Solidarität mit Palästinensern gefordert. Viele von ihnen trugen am Samstag Banner und Schilder mit Botschaften, mit denen sie ihre Unterstützung für die Bevölkerung bekundeten.
Die Nachrichtenagentur PA sprach von schätzungsweise 100.000 Teilnehmern des Protests. Fotos zeigten eine große Menschenmenge. Auf Videos in sozialen Medien war zu sehen, wie sie langsam durch das Zentrum der britischen Hauptstadt zog. Auch in anderen Orten des Landes wie Manchester und Glasgow fanden größere Kundgebungen statt.
In mehreren deutschen Städten gab es ebenfalls pro-palästinensische Demonstrationen. An die Teilnehmerzahl in London reichten sie aber bei weitem nicht heran. Die größte Kundgebung gab es in Berlin mit mehreren tausend Teilnehmern.
Mehrheit der UN-Mitglieder nimmt Resolution an
Am Freitag, den 27. Oktober nahm die UN-Generalversammlung nach gescheiterten Anläufen eine Resolution mit humanitärem Fokus an. Ein symbolisches Papier wurde verabschiedet – aber geschlossen zeigt sich das Gremium nicht.
Das Papier erreichte am Freitag in New York eine notwendige Zweidrittelmehrheit. 120 Länder stimmten dafür, 14 dagegen, 45 enthielten sich, darunter auch Deutschland. Resolutionen der UN-Vollversammlung sind allerdings nicht rechtlich bindend, sondern gelten als symbolisch.
Der mächtigere UN-Sicherheitsrat, dessen Resolutionen bindend sind, war zuvor mehrfach an der Verabschiedung einer Resolution mit humanitärem Fokus zur Situation im Gazastreifen gescheitert.
Die nun verabschiedete Resolution verurteilt unter anderem jegliche Gewalt gegen israelische und palästinensische Zivilisten, fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Zivilisten, die „illegal festgehalten“ werden, und verlangt ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen.
Außerdem ruft der Text zu einer „sofortigen dauerhaften und nachhaltigen humanitären Waffenruhe“ auf, die zu einer «Einstellung der Feindseligkeiten» führen solle.
Foto: Lev Radin, Shutterstock
Westliche Staaten enthielten sich zumeist
Außenministerin Annalena Baerbock begründete die Enthaltung Deutschlands damit, dass das Papier aus deutscher Sicht nicht ausgewogen genug sei.
„Weil die Resolution den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nennt, die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug fordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt, haben wir mit vielen unserer europäischen Partner entschieden, der Resolution am Ende nicht zuzustimmen“, sagte Baerbock nach der Abstimmung laut Mitteilung.
Kanada hatte zuvor eine Ergänzung zu der Resolution eingebracht, der die „Terrorattacken der Hamas“ und die Geiselnahmen verurteilt und die sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln fordert. Dieser Zusatz verfehlte aber eine notwendige Zweidrittelmehrheit.