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Imam Shakir Alemdar: „Das Wohl Zyperns ist unsere erste Pflicht“

Ausgabe 319

Foto: Pixabay | Lizenz: CC0 Public Domain

Larnaka (KNA). Die Hala-Sultan-Tekke liegt am gleichnamigen Salzsee südwestlich von Larnaka, ist Grabmal, Moschee und Pilgerziel zugleich – und eine der bedeutendsten Wallfahrtsstätten des Islam.

Sie liegt in der Republik Zypern, die anders als die „Türkische Republik Nordzypern“ völkerrechtlich anerkannt ist. Für Alemdar, der als Vertreter des zyprischen Muftis für die Moscheen im Südteil Zyperns zuständig ist, ist die Stätte zugleich „eine fantastische Gelegenheit, friedliches Zusammenleben zu fördern“, sagt er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur an seinem Amtssitz.

Frage: Herr Alemdar, warum ist die Hala-Sultan-Tekke so wichtig?

Imam Shakir Alemdar: Die Bedeutung der Hala-Sultan-Tekke kommt von Umm Haram, der Amme des Propheten Mohammed, die hier an dieser Stelle begraben ist. Der Prophet weihte sie in seine Vision ein, das Wort Gottes in der Welt zu verbreiten, und sie bat ihn, an den Expeditionen teilnehmen zu dürfen. An dieser Stelle stürzte sie von ihrem Pferd, starb und wurde hier begraben.

Seither verehrten Muslime diesen Ort, der im Laufe der Geschichte nie verloren ging. So wird er etwa in historischen Reisebüchern erwähnt. In osmanischer Zeit wurde die Stätte ausgebaut. Tekke bedeutet so viel wie Kloster, ein Ort des Gottesdienstes mit Unterbringungsmöglichkeiten, in diesem Fall vielleicht auch mit Krankenstationen und Einrichtungen zur religiösen Erziehung. Es wurden Wohltätigkeitsvereine für sie eingerichtet, über die großzügige Spenden eingingen.

Mit dem politischen Konflikt und der Teilung der Insel war die Hala-Sultan-Tekke von 1974 bis 2003 nicht für Muslime zugänglich und verfiel. Nach einer von der USAID finanzierten Instandsetzung 2008 begann die Gemeinde, langsam wieder zurückzukommen – und wir begannen, eine Routine zurückzubringen, etwa bei den Gebeten. Zu den Freitagsgebeten kommen sehr viele Gläubige. Wir kochen für sie, mit gespendeten Lebensmitteln – das findet man in vielen anderen Moscheen so nicht. Gleichzeitig ist die Stätte bis heute nicht vollständig unter unserer Verwaltung. Wir sind an die Öffnungszeiten gebunden und können nicht Vollzeit arbeiten. Wir hoffen, dass sich das in Zukunft ändern wird. Noch spüren wie die Anormalität, die die Spaltung der Insel mit sich bringt.

Frage: Die Hala-Sultan-Tekke ist gleichzeitig auch im positiven Sinne „anormal“.

Imam Shakir Alemdar: Seit der Anfangszeit wurde der Ort auch von Nichtmuslimen besucht. Er ist bis heute ein leuchtendes Vorbild für gute interreligiöse Koexistenz und wird von nichtmuslimischen Gruppen und auch den religiösen Führern anderer Religionen besucht, mit denen wir enge Beziehungen haben. Damit ist die Hala-Sultan-Tekke eine fantastische Gelegenheit, friedliches Zusammenleben zu fördern.

Frage: Das ist auch das Anliegen der Initiative „Religious Track of the Cyprus Peace Process“.

Imam Shakir Alemdar: Der Religious Track, der Prozess der Annäherung der Religionen auf Zypern, ist ein sehr hilfreiches Instrument, weil er Menschen zusammenbringt. Er bringt führende Vertreter der christlichen Konfessionen und der Muslime an einen Tisch. Wir hören einander zu mit dem Herzen des Gläubigen, ohne dabei Politik oder den Konflikt mit hineinzuziehen. Davon profitieren alle Beteiligten. Zypern hat eine gute Bilanz des Zusammenlebens. Wir haben eine jahrhundertelange Geschichte guter Nachbarschaft und gegenseitiger Sorge, aber wir brauchten diese Initiative als Mahnung daran. Sie weckt gute Erinnerungen und erinnert uns gleichzeitig daran, dass das Wohl Zyperns unsere erste Pflicht ist.

Zypern mit seinem reichen muslimischen Erbe ist einzigartig in Europa. Zypern kennt keine Islamfeindlichkeit, weil Zyprer das wahre Gesicht des Islam gesehen haben. Ich hoffe, dass unsere Arbeit im Religious Track, die eine Arbeit für die Menschheit ist, sich weiterentwickeln und auch in einer entsprechenden Praxis niederschlagen wird. Es ist nötig, dass wir lernen, miteinander zu leben, Muslime mit Nichtmuslimen, Christen mit Nichtchristen. Der Religious Track hat viele positive Veränderungen diesbezüglich gebracht. Wir zeigen, dass religiöse Führer wie eine Familie und ohne Rivalitäten handeln.

Frage: Welche Rolle spielt Religion im Zypernkonflikt?

Imam Shakir Alemdar: Religion ist ein Opfer des Konflikts, nicht seine Ursache! Nehmen wir das Beispiel von Gottesdienstorten der jeweils anderen Seite: Sie sind nicht in den Händen der Religionsgemeinschaften, sondern politischer Behörden. Politiker und Beamte wiederum kümmern sich nicht sehr darum. Deshalb brauchen wir Erziehung und Bildung für ein besseres Verständnis. Die Feindschaft muss enden.

Frage: Wie viele Moscheen gibt es heute im Südteil der Insel?

Imam Shakir Alemdar: Etwa einhundert, aber nur acht werden genutzt. Das reicht für unsere Gemeinschaft nicht aus. Wir brauchen mehr Moscheen und mehr Friedhöfe, insbesondere, wenn man die Zahl der Flüchtlinge aus muslimischen Ländern mitberücksichtigt. Es gibt dringenden Bedarf. Es fehlen Orte für die rituellen Waschungen, es fehlen Räume für Frauen, unsere Einrichtungen müssen barrierefrei werden. Ich möchte, dass unsere Moscheen auf zivilisierte Weise betrieben werden, genauso wie ich Menschen, die neu zu uns kommen, darauf hinweise, dass sie in Europa sind und eine europäische Haltung haben müssen. Wir sind uns der Mängel bewusst, und das Problem ließe sich schnell beheben, aber leider sind die Behörden sehr langsam im Verstehen. Das gleiche gilt für christliche Stätten im Nordteil der Insel. Die herrschende Situation ist unter anderem Anlass für kritische Berichte zur Religionsfreiheit auf Zypern.

Frage: Wie sieht Ihre Gemeinde aus?

Imam Shakir Alemdar: Wir sind ungefähr 30.000 Muslime im Südteil Zyperns. Sie setzen sich sehr bunt zusammen aus türkischen Zyprern, Arbeitsmigranten, Flüchtlingen. Es sind Araber, Asiaten, Europäer. Meine Predigt zu den Freitagsgebeten halte ich auf Englisch. Im Übrigen sind meine Predigten nie politisch, sondern handeln von der reinsten islamischen Lehre: dem Allgemeinwohl, unserer Verantwortung gegenüber dem Schöpfer, den Menschen, der Natur.