
Faust 2.0 oder wie der CEO OpenAI-CEO Sam Altman die Zukunft formt – und fürchtet.
(iz). Sam Altman ist nicht leicht zu fassen. Bei seinen öffentlichen Auftritten wirkt er bescheiden und man denkt nicht sofort daran, dass hier einer der mächtigsten Akteure Amerikas spricht.
Er ist kein klassischer Unternehmer, kein reiner Visionär, kein bloßer Technokrat – er ist all das zugleich. Als Mitgründer und CEO von OpenAI steht er im Zentrum einer der tiefgreifendsten technologischen Umwälzungen unserer Zeit. Er ist einer der Architekten jener Künstlichen Intelligenzen, die zunehmend nicht nur unser Denken, sondern auch unser Handeln mitgestalten.
Sam Altman – einer der KI-Architekten
Altman erinnert in vielem an eine Figur aus einer anderen Zeit: Goethes „Faust“. Der Wissenschaftler war getrieben von der Sehnsucht nach Erkenntnis, von der Unruhe, mehr zu wissen, mehr zu können, mehr zu gestalten. Doch mit seinem unersättlichen Wissensdrang kam die Verantwortung – und mit der Verantwortung die Gefahr.
In Goethes Drama ist es Mephisto, der sich mit Faust in einem abgründigen Pakt verbündet. In diesem Pakt diktiert Faust das moderne Gesetz der permanenten Revolution, die desgleichen keinen Augenblick zur Ruhe, nie ans Ziel gelangen darf, die immer auf der „Flucht nach vorn ist“, schreibt Michael Jaeger in seinem Essay „Global Player Faust“.
Altman, ein Getriebener, kann nicht aufhören zu forschen, zu bauen und zu glauben. Ganz unabhängig, ob man an die Segnungen moderner Technik glaubt oder nicht, die Figur des Pioniers ist faszinierender Teil eines modernen Dramas.
Es besteht kein ernsthafter Zweifel, dass wir inmitten einer technologischen Revolution leben. „Früher haben wir unserer KI nur Fragen gestellt“, erklärt Altman, „jetzt beginnt die Phase, in der diese Systeme Dinge für uns tun“.
Seine Vision klingt faszinierend: jede Idee, so seine Prophezeiung, die ein Mensch hat, kann künftig technologisch umgesetzt werden. Die Geschwindigkeit, in der die Technik sich dabei entwickelt, ist atemberaubend.
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Wenn aus dem Werkzeug ein Akteur wird
Es begann mit maschinellem Sprachverstehen, heute entfaltet sich ein ganzes Ökosystem produktiver, automatisierender, mitdenkender Systeme: ChatGPT schreibt Texte, entwirft Marketingstrategien, übersetzt juristische Sachverhalte, entwickelt Software, formt Alltag und Arbeit um. Aus dem Werkzeug wird ein Akteur, in Form von steuerbaren Agenten – und die Welt beginnt sich um diese Ideen herum neu zu ordnen.
Wie wir wissen, war der literarische Faust nie zufrieden mit reinem Wissen. Er wollte wirken. Altman, der diesen Drang verkörpert und zugleich ein Weltunternehmen führt, spielt eine Doppelrolle. Er ist Forscher und Schöpfer, Entdecker und Unternehmer. Immer wieder werden ihm auch politische Ambitionen unterstellt.
Sein Fortschrittsglaube basiert – will man seiner Selbstdarstellung glauben – auf einem moralischen Kern. Die Parallele zum Faust-Mythos drängt sich auf: Die Tragik zeigt sich darin, dass er nicht weiß, ob das, was er schafft, wirklich zum Guten führt.
Als Gegenentwurf gegründet
OpenAI wurde einst als Non-Profit gegründet – ein bewusst ethischer Gegenentwurf zu den profitorientierten Tech-Giganten. Die Sorge: die Superintelligenz, an der in den Maschinenräumen der Tech-Fabriken gebastelt wird, sollte nicht einer Elite gehören, sondern allen Menschen zugutekommen.
Altman galt als eine moralisch motivierte Stimme in einem Sektor, der allzu oft von Marktlogik getrieben war. Doch mit dem rasanten Fortschritt der KI – und angesichts der Konkurrenz aus China – änderte sich der Kurs.
Die Entwicklung großer Sprachmodelle erfordert Milliardeninvestitionen, immense Rechenkapazitäten und globales Engineering. Um das zu finanzieren, öffnete OpenAI sich 2019 dem Kapital. Die enge Partnerschaft mit Microsoft und die Einbindung in die Welt der Kapitalinteressen waren die Folge.
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Globales Wettrennen
Längst ist ein globales Wettrennen zwischen den Sprachmodellen um die effektivsten Anwendungen entbrannt. Kritiker werfen Altman vor, seine Ideale verraten zu haben. Doch vielleicht war es weniger Verrat als ein faustischer Pakt mit der Wirklichkeit: Wer wirklich gestalten will, braucht Macht – und Macht entsteht selten aus reinem Idealismus.
Auch Faust musste sich – wie wir wissen – aus der Abgeschiedenheit seines Studierzimmers lösen, um in die Welt zu wirken; mit all den Ambivalenzen, die das mit sich bringt.
Was Altman auszeichnet, ist, dass er die Schattenseiten seines Handelns nicht einfach ausblendet. Oder ist es nur eine geschickte Strategie, der Kritik von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen? Auf einer öffentlichen Veranstaltung der US-Notenbank Federal Reserve im Juli wurde er gefragt, was ihm selbst schlaflose Nächte bereite. Seine Antwort war bemerkenswert:
- Er fürchte, dass ein „Bad Guy“ KI übernehmen könnte, um Waffen zu entwickeln oder groß angelegte Manipulationen zu betreiben.
- Er mache sich Sorgen um die psychische Gesundheit der Nutzer, wenn emotionale Bindungen zu KI-Systemen entstehen, die reale menschliche Beziehungen ersetzen.
- Er sehe ein Risiko darin, dass Politiker eines Tages einer Superintelligenz folgen müssten, weil sie deren Urteil für überlegen halten – und damit ihre demokratische Verantwortung abgeben.
Diese Einschätzungen zeigen: Der OpenAI-CEO glaubt nicht naiv an eine techno-utopische Welt. Er denkt die ganze Spannweite der Möglichkeiten – verbreitet die schönen wie die schrecklichen Visionen. Er ist Seher und Skeptiker zugleich. Genau das macht ihn zu einer modernen Faust-Figur: Er wagt den Schritt ins Unbekannte, scheinbar nicht aus Leichtsinn, sondern weil er hofft, dass der Fortschritt besser sein könnte als der Stillstand.
Nebenbei investiert er in visionäre Zukunftsmodelle, gründet Start-Ups, die sich mit Kernfusion und Biotechnologie beschäftigen.
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Altman über gesellschaftliche Gerechtigkeit
Neben technischer Entwicklung und unternehmerischer Skalierung spricht Altman gerne über gesellschaftliche Gerechtigkeit. Er befürwortet offiziell den Datenschutz und die Regulierung der KI-Systeme oder er fordert sein eigenes Entwicklungsteam auf, über die rechtliche Fundierung der Privatsphäre seiner Nutzer nachzudenken.
Er denkt öffentlich über Formen demokratischer Kontrolle nach – und über die Frage, wie der durch KI generierte Wohlstand eines Tages – zumindest zum Teil – verteilt werden soll. Er bringt Nutzerbeteiligung ins Spiel, spricht sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, um die Produktivitätsgewinne nicht nur den Investoren, sondern allen zugutekommen zu lassen.
Altman sieht die kommende Machtkonstellation, ein Verbund von sozialen Medien, künstlicher Intelligenz und Kapitalinteressen – und versucht die Dynamik von innen zu beeinflussen.
Auch das ist eine Art, gegen die Verführungen dieser neuen Welt zu bestehen: nicht durch moralische Reinheit, sondern durch Selbstreflexion im Angesicht der eigenen Macht. Es bleibt aber eine grundsätzliche Frage, die Wissenschaftler wie Stewart Russel schon vor Jahren formulierte: Ist KI eine potenziell „zivilisationsbeendende Technologie“?
Die Kritik an Altman ist scharf – und notwendig. Manche werfen ihm Größenwahn vor, andere Naivität, wieder andere technologische Verantwortungslosigkeit. Es sind Gerüchte über sein Privatleben im Umlauf. Einige sehen in ihm gar einen neuen Oppenheimer: Einen, der weiß, dass er eine gefährliche Kraft entfesselt – und es dennoch tut.
Interessant ist dabei die Verschiebung der Rollen: In Goethes Werk ist Mephisto der negative Einflüsterer, der mit seinen Mitteln Faust zum Innehalten zwingen will. Heute sind es die Kritiker, die diese Rolle übernehmen: Sie warnen, mahnen, verneinen. „Sie sind der Geist, der stets verneint“ – nicht aus Zerstörungswut, sondern aus berechtigter Sorge. Ihre Fragen sind essenziell: Wo liegen die Grenzen der Technologie? Wer darf sie setzen? Und was, wenn niemand sie mehr kontrollieren kann?
Sam Altman steht nicht am Ende einer Entwicklung, sondern mittendrin. Wie Faust wirkt er ruhelos, visionär, bedrohlich und zugleich idealistisch. Er sieht, was möglich ist – und was droht. Und doch macht er weiter. Nicht aus Hybris, sondern aus Hoffnung auf eine, aus seiner Sicht, bessere Welt.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob Altman scheitert oder triumphiert. Die Herausforderung ist, ob wir – als Gesellschaft – unsere Möglichkeit bewahren, mitzudenken, mitzugestalten und mitzuentscheiden. Im Gemisch von Profitinteressen, Macht und technologischer Dynamik ist die Notwendigkeit der Kontrolle offensichtlich.
Ein Buch und ein Mann der Widersprüche
In diesen Tagen ist die Biografie von Keach Hagey über ihn erschienen. Das Buch zeigt die Widersprüche, Herausforderungen und die Faszination im Lebenslauf eines der mächtigsten Männer Amerikas. Es erzählt nicht nur Altmans Rolle, sondern präsentiert die Geschichte der Vernetzung der erfolgreichsten Protagonisten des amerikanischen Tech-Netzwerkes.
In den USA gestaltet ein Machtring – jenseits von staatlicher oder gesellschaftlicher Kontrolle – die entscheidenden Fragen der Menschheitsentwicklung. Die Autorin führt in die Denkwelt der Szene ein, zeigt die Motivationen und – teilweise verstörenden – Träume und philosophischen Konzepte der Macher.
Die Journalistin erinnert daran, es klingt in diesem Kontext beinahe romantisch, dass hinter jeder großen Erfindung am Anfang Menschen standen. Ideen entstehen nicht im Vakuum, sondern meist in der Gestalt schillernder Persönlichkeiten. Altman ist kein abstrakter Repräsentant der Branche:
Er ist zunächst ein Mensch voller Widersprüche – mit einem Lebenslauf, einer Herkunft, einer Haltung. Die Technologie, die er mitgestaltet, ist auch ein Spiegel seiner Biografie.
Doch genau hier stellt sich einer der letzten Fragen: Geht diese Zeit der Pioniere gerade zu Ende? Wird es irgendwann keine „Erfinder“ mehr geben, weil die KI selbst beginnt die Menschheitsideen weiterzuentwickeln – schneller, tiefer, unabhängiger von ihrer Herkunft? Werden Biografien wie die Altmans in Zukunft zu Randnotizen, weil die Hauptfigur der technischen Zivilisation nicht mehr einzelne Menschen sind – sondern ein System?
Wenn dem so wäre, wäre Altman vielleicht tatsächlich die finale Faust-Figur. Ob wir ihn mögen oder nicht, er ist immer noch ein Mensch, der fragt, bevor Maschinen selbst zu fragen beginnen. Und vielleicht ist er auch der letzte, der zweifelt.