Ökonomie: Peking spielt die „islamische Karte“

Foto: Ergon Verlag

Münster (exc). Zur Anwerbung von Investoren aus arabischen Ländern präsentiert sich die Volksrepublik China nach einer Studie aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ gezielt islamfreundlich. „Der chinesische Staat fördert in ausgewählten Regionen das ‘Label Islam’, um damit die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu arabischen Ländern zu verbessern, vor allem zu Erdöl exportierenden Staaten“, erläutert die Islamwissenschaftlerin und Sinologin Dr. Frauke Drewes.
Gegenüber potentiellen muslimischen Investoren werde der Islam als Gemeinsamkeit herausgestellt. „Das kommunistische China unterstützt besonders die muslimische Minderheit der Hui-Chinesen, um das Image als ‘Land der Ungläubigen’ abzulegen“, so die Autorin der Dissertationsstudie „Orientalisiert – Kriminalisiert – Propagiert?“ aus dem Ergon Verlag. Drewes untersucht darin die komplexen Beziehungen zwischen der Minderheit der 20 Millionen Muslime in China sowie Staat und Mehrheitsgesellschaft.
Die Untersuchung, die unter der Leitung des Islamwissenschaftlers Prof. Dr. Thomas Bauer in der Graduiertenschule des Exzellenzclusters entstand, schließt eine Forschungslücke, da der Islam in China bisher islamwissenschaftlich und sinologisch kaum erforscht ist. Drewes führte für die Studie qualitative Interviews mit Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland, China und Ägypten. Außerdem analysierte sie die Online-Ausgaben der chinesischen Tageszeitung „Renmin ribao“ (Volkszeitung), dem offiziellen Organ der Kommunistischen Partei Chinas, aus den Jahren 2003 bis 2011.
Uiguren stark benachteiligt
Die Untersuchungen ergaben, dass die Islam-Politik des chinesischen Staates keineswegs einheitlich ist: „Während die muslimische Gruppe der meist chinesisch-sprachigen Hui aus rein wirtschaftlichem Kalkül bevorzugt wird, werden die türkisch-sprachigen Uiguren, die nicht chinesisch-stämmig sind, aber ebenfalls muslimisch, massiv benachteiligt“, so Drewes.
„Einerseits wird die Provinz Ningxia, in der die Hui-Chinesen leben, gegenüber internationalen Partnern als ‘muslimische Region’ vermarktet und zum Ausgangspunkt für den Handel mit arabischen Staaten gemacht. Andererseits werden die Uiguren in Xinjiang kriminalisiert und in der Ausübung der Religion behindert, etwa bei Pilgerfahrten nach Mekka und Medina.“ So sei in Xinjiang ein Kreislauf aus Protesten und Repression entstanden – aus Angst des Staates vor Extremismus und Separatismus, die das Land destabilisieren könnten.
Der Widerspruch im staatlichen Umgang mit den beiden Gruppen findet sich in der Haltung der Mehrheitsbevölkerung der Han-Chinesen wieder, wie die Befragungen ergaben. „Dass die Hui-Chinesen und die Uiguren gleichermaßen muslimisch geprägt sind, schützt letztere nicht vor Diskriminierungen.“
Ausschließlich die Hui dienen China in internationalen Kontakten dazu, das Wohlergehen der Muslime im eigenen Land und die Religionsfreiheit herauszustellen, um sich als Freund der Muslime weltweit zu zeigen.
Die Strategie, in internationalen Beziehungen die „islamische Karte“ zu spielen, geht der Studie zufolge auf. „Investoren, Handelspartner und Ölexporteure aus islamischen Staaten lassen sich auf die Show ein und besuchen ,islamische Projekte‘ in der Vorzeigeregion Ningxia“, so die Sinologin. „Hier entstehen gigantische Projekte: eine komplette ,islamische Stadt‘ sowie für muslimische Länder interessante Wirtschaftszweige, wie der Handel mit halal-Lebensmitteln oder mit islamischen Gebrauchsgegenständen“. Selbst die Olympischen Spiele 2008 seien genutzt worden, um das Bild des Muslim-freundlichen Chinas zu propagieren.
Ungewolltes Ergebnis: Religiosität wächst
„Ein ungewolltes Ergebnis dieser politisch und wirtschaftlich motivierten Aktivitäten ist das wachsende Interesse am Islam in der Region und eine ansteigende Religiosität“, erläutert die Autorin. „Das geht nicht nur auf die staatliche Unterstützung des Islams zurück, sondern auch darauf, dass neue arabische Geschäftspartner nicht selten Spenden für religiöse Einrichtungen mitbringen, etwa für Moscheen. China nimmt diesen Kontrollverlust angesichts der wirtschaftlichen und politischen Vorteile in Kauf.“
Die Studie mit dem Untertitel „Die Position von Muslimen in Gesellschaft und Politik der Volksrepublik China heute“ ist in der Ergon-Reihe „Religion und Politik“ erschienen, die der Exzellenzcluster herausgibt. Die Autorin verknüpft mit der Befragung von Muslimen und Nicht-Muslimen sowie der Analyse staatlicher Medien die Insider-Perspektiven verschiedener Mehrheits- und Minderheitengruppen mit der politisch beeinflussten Mediendarstellung. Diese sei oftmals von einer „islam-freundlichen Rhetorik“ geprägt. „Die ‘Volkszeitung’ in China vermeidet regelrecht, den Islam oder Muslime mit dem Terrorismus oder anderen negativ besetzten Begriffen in Verbindung zu bringen.“
Frauke Drewes war von April 2010 bis Januar 2014 Doktorandin an der Graduiertenschule des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Seit November 2015 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK). (mit/ska/vvm)

Ein Kommentar zu “Ökonomie: Peking spielt die „islamische Karte“

  1. Ich erforschte u. a. vor einigen Jahren das Problemfeld China und dessen Muslime im akademischen Bereich. Anhand zahlreicher amtlicher und nichtamticher sowie Forschungen deutscher und amerikanischer u. a. Autoren vom Anfang des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts stellten die Muslime Chinas als Minderheit mit allen Ethnien ca. ein Zehntel der Bewohner Chinas dar, in den 1980er Jahren lagen sie um die 100-Millionen-Marke. Aber was hier gesagt wird: 20 Millionen, dürfte wohl etwas inkorrekt sein! Selbst wenn sie allerlei Schikanen,und Ausrottung der “Kulturrevolution” und der “Chinesierung” ausgesetzt waren und sind. Über 100 Millionen Seelen dürften sie heute wohl umfassen!!!

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