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Sarah Reinke von der GfbV über den Sudankrieg: „Geld, Macht und Einfluss“

Ausgabe 366

reinke sudan
Foto: luzitanija/Adobe Stock

Sarah Reinke (GfbV) erklärt, wie der Sudankrieg zur weltgrößten humanitären Katastrophe wurde und wieso wir mehr Empathie brauchen. Lies das Interview exklusiv bei uns!

(iz). Nach Monaten globaler Anteilslosigkeit am Krieg im Sudan – der inzwischen zur größten humanitären Katastrophe der Welt geworden ist – rückte das Thema mit der Einnahme der lange umkämpften Stadt El Faschir wieder in den Fokus der internationalen Politik. Erstmals seit Kriegsbeginn im April 2023 äußerten sich Politikerinnen und Politiker von den USA bis Malaysia und forderten eine sofortige Waffenruhe.

Sudanesen, Hilfsorganisationen und Beobachter kritisieren jedoch nicht erst seit Ende Oktober, dass das weltweite Interesse an Afrikas Konflikten – nicht nur im Westen – viel zu gering sei. Zudem wüssten viele Menschen zu wenig über die betroffenen Länder oder hielten an stereotypen Bildern fest.

Darüber sprachen wir mit Sarah Reinke, die zwischen 2000 und 2017 und erneut seit 2022 bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aktiv ist. Dort leitet sie die Menschenrechtsreferate. Im Interview erklärt Reinke die Ursachen des Sudankriegs, beleuchtet die Verantwortung externer Akteure und plädiert für mehr Empathie im internationalen Diskurs.

Foto: Miros/Adobe Stock

„Es ist ein Krieg, der gegen die zivile Bevölkerung geführt wird.“

Islamische Zeitung: Liebe Frau Reinke, durch die Eroberung der sudanesischen Stadt El Faschir und den dortigen Massakern ist der Krieg ins internationale Augenmerk gerückt, hat aber eine längere Vorgeschichte. 2019 wurde der Diktator Al Baschir gestürzt, 2021 die Übergangsregierung und die Demokratiebewegung von Armee (SAF) sowie RSF-Milizen weggeputscht. Seit 2023 kämpfen die beiden um die Macht. Könnten Sie uns den Rahmen beschreiben, in dem die aktuelle Gewalt stattfindet?

Sarah Reinke: Die grundlegenden Daten hatten Sie schon genannt. Viele Sudanesen sagen mir, dass derzeit ein Krieg gegen die demokratische Revolution [von 2019, Anm.d.Red.] geführt wird. Das heißt, die junge Generation, die Frauen, die damals aufgestanden sind, und die Menschen, die ihr Land zu einem Wandel bringen wollen. Mit anderen Worten: Die Jugend soll für sie bestraft werden.

Das mag auf den ersten Blick nicht die naheliegendste Erklärung sein, für viele Sudanesen stellt sich die Situation jedoch genau so dar. Eine ganze Reihe von Personen, die für sie wichtig waren, wurden getötet, mussten fliehen oder ihre Lebensplanung aufgeben. Viele engagieren sich bspw. in den Emergency Response Rooms, die 2024 und 2025 für den Nobelpreis nominiert waren und dieses Jahr den „alternativen Nobelpreis“ erhielten.

Es ist ein Krieg, der gegen die zivile Bevölkerung geführt wird. Deshalb greift die Erklärung, wonach sich zwei Kriegstreiber bekämpfen, meiner Meinung nach zu kurz. Ein Grundthema im heutigen Sudan ist, dass nur der eine Chance auf politischen Einfluss hat, der hochmilitarisiert ist. Demnach führt nur Gewalt zu Macht.

Die Kriegsursachen sind ansonsten komplex. Im Land bleiben viele ungelöste Fragen. Dazu gehört die ungleiche Verteilung von Reichtum und Ressourcen zwischen dem Zentrum und dem Umland. Zusätzlich gibt es Bodenschätze wie Gold. Wer hat Zugriff darauf und profitiert von ihrem Verkauf?

Ein weiteres Problem ist Rassismus gegen die nichtarabische Bevölkerung. Das spielt gerade in El Faschir eine große Rolle. Hier werden spezifische Gemeinschaften massiv angegriffen.

Foto: kremlin.ru, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 4.0

„Geld, Macht und Einfluss. Sie haben kein Interesse an den Menschen, ebenso wenig an Demokratie und Frieden.“

Islamische Zeitung: Um was geht es beiden Seiten in dem Krieg?

Sarah Reinke: Geld, Macht und Einfluss. Sie haben kein Interesse an den Menschen, ebenso wenig an Demokratie und Frieden. Und sind überzeugt, diese Auseinandersetzung militärisch gewinnen zu können. Die RSF (Rapid Support Forces) sind Nachfolger der berüchtigten Janjaweed-Milizen, die für den Völkermord 2003 verantwortlich waren.

Auch die offiziellen Streitkräfte (SAF) üben brutale Gewalt aus. Bei der Rückeroberung von Khartum konnte man beobachten, wie sie sich an jenen rächten, denen sie eine Zusammenarbeit mit ihren Feinden unterstellte.

Ebenso wichtig ist es, zu betonen, wie sehr wir es mit einem kompletten Scheitern der internationalen Gemeinschaft zu tun haben – falls es diese überhaupt noch gibt. Es gibt kaum humanitäre Hilfe, insbesondere seitdem die USA ihre Hilfsagentur USAID eingestellt haben. Dadurch eskalierte die Katastrophe weiter. Hinzu kommt der fehlende politische Wille für eine Lösung.

„So schlimme Zeugenberichte wie aus dem Sudan habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Insgesamt ist die Lage kaum zu erfassen.“

Islamische Zeitung: Seit April 2023 tobt zwischen beiden Kriegsparteien ein blutiger Konflikt. Er stellt nach Angaben von Organisationen die größte humanitäre Katastrophe dieser Zeit dar. Welches Ausmaß hat das Leid der Zivilbevölkerung mittlerweile angenommen?

Sarah Reinke: Die Zahlen sind erschreckend. Unsere Zahlen decken sich praktisch mit denen vom UNHCR. Rund 12 Mio. Menschen wurden durch den Krieg vertrieben – ca. 7,5 Mio. flohen in andere Landesteile, der Rest über die Grenzen in Nachbarländer. Unter den Flüchtlingen gibt es viele Sudanesen, die schon zum zweiten oder dritten Mal seit Beginn des Konflikts fliehen mussten.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Vielen davon leiden an akuter Hungersnot.

Was die Zahl der zivilen Kriegstoten betrifft, so ist die Rede von ca. 150.000 Menschen. Allerdings steht diese Angabe seit Monaten im Raum. Es gibt niemanden, der ihr Ausmaß erfassen könnte.

Des Weiteren haben sich Krankheiten wie Denguefieber, Cholera u.a. ausgebreitet. Das liegt daran, dass das Gesundheitssystem zusammengebrochen bzw. absichtlich zerstört wurde; insbesondere von Seiten der RSF.

Ehrlich gesagt würde ich mich den KollegInnen aus allen Organisationen anschließen: So schlimme Zeugenberichte wie aus dem Sudan habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Insgesamt ist die Lage kaum zu erfassen.

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Foto: UNICEF | UN Photos

„In diesem Krieg wird Vergewaltigung zur Waffe.“

Islamische Zeitung: Inwiefern sind die Opfer, Tote wie Verletzte, die Folge „normaler“ Kriegshandlungen. Und wie stark Ergebnis eines gezielten Handelns der Kriegsparteien?

Sarah Reinke: Mir fällt der Vergleich schwer. Beim Hunger kann man das beobachten. Hier werden Menschen bewusst von Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Ich würde sagen, dass im Sudan Hungersnot als Waffe eingesetzt wird.

Ebenso werden Krankenhäuser gezielt bombardiert. Und Flüchtlingsströme werden dorthin dirigiert, wo sie keine Hilfe finden. Das sehen wir im Sudan deutlich.

Hinzu kommt die Militarisierung sexueller Gewalt. In diesem Krieg wird Vergewaltigung zur Waffe. Es gibt Berichte von Frauenrechtsorganisationen, denen zufolge dieser Konflikt praktisch auf dem Körper von Frauen ausgetragen wird.

„Die ausländische Mitwirkung heizt den Krieg an. Sie verlängert das Leid der Zivilbevölkerung.“

Islamische Zeitung: Sowohl SAF wie RSF werden von einer Reihe staatlicher Akteure aus dem Ausland unterstützt. Hinzu kommen weitere Staaten, die Interessen im Sudan haben und nichtstaatliche Beteiligte wie Söldnergruppen sowie ethnische Verbündete bspw. aus dem Tschad. Welchen Einfluss hat die auswärtige Beteiligung auf den Sudankrieg?

Sarah Reinke: Die ausländische Mitwirkung heizt den Krieg an. Sie verlängert das Leid der Zivilbevölkerung. Ich kenne Sudanesen, die sagen, man müsse die Grenzen schließen, um zu verhindern, dass Waffen und Söldner ins Land kommen. Das ist allerdings nicht möglich, da die Nachbarländer bereits sehr viele Flüchtlinge aufgenommen haben.

Als Gesellschaft für bedrohte Völker fordern wir seit Jahren, dass genau diese Unterstützer – die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten usw. –, die den Krieg mit Waffen, Gerät und Milizen verlängern und anheizen, mit Sanktionen belegt werden. Da beißen wir beim Auswärtigen Amt jedoch auf Granit. Europa und Deutschland scheitern daran, auch mal unbequeme Entscheidungen zu treffen.

Wir müssen die VAE unter Druck setzen, dass dieser Krieg nicht durch weitere Waffen angeheizt wird. Nach Berichten soll in El Faschir die VAE-Flagge gehisst worden sein.

UN Vereinte Nationen

Foto: UN Photo, Evan Schneider

„Da erkenne ich momentan keinen politischen Willen.“

Islamische Zeitung: Es gab in der Vergangenheit – mit unterschiedlichem Erfolg – internationale Versuche, die schlimmsten Formen von Gewalt in Konflikten durch multinationale Interventionen zu unterbinden bzw. zu beenden. Sehen Sie hierfür derzeit Entschlossenheit bei der Politik?

Sarah Reinke: Nein, da erkenne ich momentan keinen politischen Willen. Staatliches Handeln kann jedoch auch unterhalb einer solchen Maßnahme aktiv werden. Das sind bspw. kleinteilige Schritte: Zugänge für humanitäre Unterstützung verhandeln. Diese gibt es, sie stauen sich jedoch in Port Sudan, weil die Regierung sie nicht ins Land lässt. Dadurch wird die Hilfe gestohlen und dann teuer auf den Märkten verkauft.

Ein anderes Thema wäre die Einrichtung von Fluchtkorridoren. Diplomaten u.a. haben Kontakte und Zugang zu den Konfliktparteien. Das wird einfach nicht genutzt.

Diese Art des Engagements ist deutlich kostengünstiger und wäre leichter zu bewerkstelligen. Leider sehen wir viel zu wenig davon.

„Es darf keine Konkurrenz zwischen den Opfern geben.“

Islamische Zeitung: Seit 2017 veröffentlicht CARE International seinen Jahresbericht „Breaking the Silence“ (dt. „Gegen das Vergessen“). Über Jahre dominiert Afrika in der Aufzählung vergessener Kriege. Woher kommt das globale Desinteresse an dem Kontinent?

Sarah Reinke: Ich denke, das hat im Kern mit Rassismus zu tun. Viele Menschen fühlen sich überfordert, wissen zu wenig und haben zu wenig Interesse. Dann entsteht solch eine Haltung: wieder ein Krieg in Afrika. Das liegt allerdings auch an den Medien und den Menschenrechtsorganisationen, die hierzu kommunizieren.

Betrachten wir das Beispiel Sudan. Hier wurden für die Menschheit einzigartige Kulturgüter zerstört, die mehr als 2.000 Jahre alt sind. In diesem Land gibt es eine spannende Kultur mit Musik, Filmen und Literatur. Das heißt, wir müssen anders über diese Länder sprechen.

Allerdings habe ich das Gefühl, dass die Empathie nicht ausreicht. Das finde ich bestürzend. Es darf keine Konkurrenz zwischen den Opfern geben. Es ist ungemein wichtig, dass alle ungeachtet ihres Ortes die gleichen Rechte haben und geschützt werden müssen.

Foto: yiannisscheidt, Shutterstock

„Wichtig wäre es, Möglichkeiten für eine Begegnung zu schaffen. Auch hier leben Sudanesinnen und Sudanesen, die über ihr Land sprechen könnten.“

Islamische Zeitung: Bei Kriegen, über die allgemein wenig bekannt ist bzw. die keine starken Emotionen beim Publikum auslösen, werden oftmals stereotype Erklärungen wie „die sind immer schon so“ bzw. ethnische, kulturelle oder religiöse Motive genommen. Und zeitgleich auf komplexe Ursachenforschung verzichtet. Woran liegt das und lässt sich etwas dagegen unternehmen?

Sarah Reinke: Inzwischen sind die deutschen Medien stark ausdifferenziert. Hinzu kommt, dass soziale Plattformen eine größere Reichweite haben. Was die vereinfachte Darstellung betrifft, stimme ich einerseits zu. Dabei handelt es sich um Themen, die keine Mehrheiten erreichen.

Trotzdem ist es wichtig, dass wir das volle Spektrum zeigen. Und Geschichten erzählen, wie die sudanesische Revolution entstanden ist, wie mutig die Leute in den Emergency Response Rooms arbeiten oder wie sich Flüchtlinge täglich um ihre Versorgung sorgen müssen.

Wichtig wäre es, Möglichkeiten für eine Begegnung zu schaffen. Auch hier leben Sudanesinnen und Sudanesen, die über ihr Land sprechen könnten.

Wir müssen uns fragen, was dieser Krieg mit uns zu tun hat – jenseits des Motivs, keine Flüchtlinge aus dem Sudan aufnehmen zu wollen. Das war bisher ein starkes Motiv der europäischen Politik. Wir sollten beleuchten, welchen Einfluss die hiesige Politik und Wirtschaft auf den Sudankrieg haben.

Und müssen fragen, wie wir praktisch mit den Sudanesen verknüpft sind; das gilt ebenfalls für die hier lebenden Menschen aus dem Sudan. Durch direkte Begegnungen kann sich die Haltung zu Kriegen wie diesem verändern. 

Islamische Zeitung: Liebe Frau Reinke, wir bedanken uns für das Gespräch.

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