„Sexualität als Schlüssel zur ehelichen Zufriedenheit“ – eine Kolumne von Magdalena Zidi, Sexualtherapeutin & Sexualpädagogin
(iz). Magdalena, ich bin noch nicht lange verheiratet, aber wenn ich mich so bei den Schwestern umhöre, sagen sie meist, dass Sexualität schmerzhaft und unangenehm ist und ich mich noch mehr auf meine Periode freuen werde, weil ich dann „nicht muss“.
Es ist irgendwie traurig so etwas zu hören. Ich merke, bei mir ist es anders. Ich habe Lust auf Sexualität mit meinem Partner, aber mir wurde gesagt, dass ich als Frau warten soll, bis der Mann den ersten Schritt macht. Aber eigentlich würde ich schon gerne auch mal zeigen, dass ich Lust habe.
Aber das ist doch verpönt. Ich will nicht „billig“ wirken. Und überhaupt – ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wie ich das besprechen oder angehen soll. Hast du einen Rat?
Sexualität ist eines der schönsten Geschenke, die Allah den Menschen gegeben hat. Und doch ist sie für viele Muslime ein Thema, das von Scham, Unsicherheit oder Schweigen geprägt ist.
Das erlebe ich in meiner Praxis als Sexualtherapeutin täglich. Dabei spricht der Qur’an offen über Nähe, Zärtlichkeit und Lust. In der Ehe ist Intimität nicht nur erlaubt, sondern empfohlen – ja sogar belohnt.
Der Prophet Muhammad sagte, dass selbst der Geschlechtsverkehr zwischen Ehepartnern eine Form der Ṣadaqa ist. Die Gefährten waren überrascht: „O Gesandter Allahs, einer von uns stillt sein Verlangen und bekommt dafür Lohn?“ Der Prophet antwortete: „Seht ihr nicht, dass er, wenn er es auf verbotene Weise tun würde, Sünde bekäme? Ebenso bekommt er, wenn er es auf erlaubte Weise tut, Lohn.“ (Muslim)
Das zeigt uns: Sexualität im Islam ist nicht nur ein körperlicher Akt, sondern auch ein spiritueller. Sie ist Ausdruck von Liebe, Barmherzigkeit und Fürsorge. Allah beschreibt Ehepartner im Qur’an als Kleidung füreinander:
„Sie sind euch ein Kleid, und ihr seid ihnen ein Kleid.“ (Al-Baqara, Sure 2, 187) Kleidung schützt, schmückt, wärmt und gibt Geborgenheit. Genau so soll Intimität sein: ein Raum der Sicherheit und Zärtlichkeit.

Foto: Freepik.com
Sexualität im Islam: Gegenseitigkeit statt Pflichtdenken
Leider sind viele Vorstellungen über Sexualität in unserer Umma von kulturellen Mustern geprägt, die mit Islam wenig zu tun haben. Manchmal wird Sexualität als Pflicht der Frau dargestellt, während die Bedürfnisse der Frau unsichtbar bleiben. Doch der Prophet lehrte uns etwas anderes. Er betonte, dass auch die Frau ein Recht auf Lust, Zuwendung und Erfüllung hat.
Ein oft vergessener, aber entscheidender Teil dieser Lehre ist das Vorspiel. Der Prophet Muhammad, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, sagte: „Keiner von euch soll über seine Frau herfallen wie ein Tier, sondern zwischen ihnen soll ein Bote sein.“ Man fragte: „Und was ist dieser Bote?“ Er antwortete: „Der Kuss und die Worte.“ (Al-Bayhaqi, Shu‘ab Al-Iman, von den Gelehrten als hasan eingestuft)
Diese Worte sind zeitlos: Sie erinnern uns daran, dass viele Frauen „länger“ brauchen, um Lust zu empfinden oder sich wirklich fallen lassen zu können.
Der weibliche Körper reagiert oft langsamer, und das ist keine „Schwierigkeit“, sondern schlicht Natur. Sexualität darf daher kein Wettlauf sein, sondern ist ein Raum, in dem beide Partner aufeinander eingehen.
Auch im Sahih Muslim finden wir einen Hinweis, dass Männer angehalten sind, nach der Intimität bei ihren Frauen zu verweilen und nicht einfach aufzustehen und zu gehen. Das zeigt: Zärtlichkeit und Fürsorge sind nicht nur Vorbereitung, sondern auch Teil des Nachklangs der Intimität.
Islam unterstreicht damit etwas, was wir aus der Sexualtherapie ebenfalls kennen: Vorspiel und Nachsorge sind kein „Extra“ – sie sind zentral. Sie schaffen Vertrauen, öffnen den Körper für Lust und den Geist für Nähe. Wenn Männer dies verstehen und praktizieren, wird Sexualität für beide Seiten zu einer Quelle von Freude, Geborgenheit und Barmherzigkeit.
Sex worth wanting
In meiner Praxis sind Paare, die ein unterschiedliches Bedürfnis nach Sexualität aufweisen der Klassiker. Eine spannende Frage, die ich dann gerne mit dem Paar analysiere, ist: „Hast du den Sex, den du dir wirklich wünschst?“ und da fängt das Problem meist schon an.
Viele wissen gar nicht, was sie wollen, was sich für ihren Körper lustvoll oder erregend anfühlt. Oft sind auch Skripte oder Ideen aus Filmen (nicht nur Pornos, ich rede auch von Hollywood-Filmen) im Kopf, die uns ein stark verzerrtes Bild von Intimität und Lust zeigen.
In Filmen ist es meist so, dass beide plötzlich die Lust überkommt. Nur mit einem Blick weiß Person A was Person B will – quasi Gedankenübertragung. Und natürlich haben beide auf dasselbe Lust und nach dem gemeinsamen Höhepunkt fallen beide zufrieden ins Bett.
Diese Bilder suggerieren uns: Wenn die Liebe groß genug und die Beziehung gesund ist, dann fällt guter Sex sprichwörtlich vom Himmel. – Aus meiner Praxis kann ich aber sagen, dass das die absoluten Ausnahmen sind. Guter Sex in der Ehe ist lernbar – hat viel mit Vertrauen und vor allem Kommunikation zu tun.
Ich vergleiche Sex gerne mit Essen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir und unser Ehepartner nicht immer zur gleichen Zeit auf das gleiche Gericht und die gleiche Portionsgröße „Lust“ haben. Na klar – beim Essen muss man sich aber weniger rechtfertigen als bei sexueller Intimität. Dabei können wir von diesem Beispiel vieles lernen.
• Niemand kann wissen, worauf du heute Lust hast – du musst es dem „Kellner“ schon sagen. Auch in der Beziehung ist es nötig, darüber zu sprechen.
• Auch weiß niemand, ob der Zeitpunkt, um zu essen gerade für dich passt. Und oft ist es auch kein reines Ja oder Nein, sondern ein nicht jetzt, oder nur ein bisschen hungrig, aber du hältst es noch aus.
Ein Gamechanger für viele ist nicht die Frage zu stellen: „Hast du jetzt Lust auf Sex?“ sondern zu fragen: „Auf einer Skala von 1-10, wie offen bist du dafür, dass ich versuche dich „in Stimmung zu bringen“?“ Das hat schon vielen Paaren geholfen.
• Nicht jede Position oder Handlung im sexuellen Akt muss bei euch beiden gleichermaßen „Entzücken“ hervorrufen. Oft genügt es, dass es auch okay ist – wie bei Pizza. Am liebsten würde ich Margherita essen, aber Fungi ist auch okay.
Die Frage: „Kann ich dir das gerade aus vollem Herzen geben?“ ist oft sehr hilfreich. Es geht dabei aber nicht darum, über seine Grenzen zu gehen. Bei Schmerzen, Ekel oder verbotenen Handlungen ist klar eine Grenze zu ziehen.

Foto: Azee/peopleimages.com/Adobe
Eine praktische Übung für Paare
Viele Paare merken, dass sich ihre Intimität im Alltagstrott verändert. Nähe geschieht dann oft schnell, zweckmäßig oder gar nicht mehr. Eine einfache Übung kann helfen, wieder Bewusstsein und Zärtlichkeit zurückzubringen und spielerisch zu üben, die eigenen Wünsche zu kommunizieren.
Nehmt euch mindestens eine halbe Stunde Zeit, ohne Ablenkung, ohne Handy. Setzt euch einander gegenüber. Eine Person darf nun der „Boss“ sein und sich Berührung wünschen. Die andere Person spürt nach, ob sie das gerade aus vollem Herzen geben kann und führt die gewünschten Berührungen aus, oder es geht in einen Aushandlungsprozess, was sich für beide gut anfühlen würde.
Die Person, die nicht „Boss“ ist, führt die gewünschten Berührungen genauso aus ohne selbst etwas hinzuzufügen und hört auch auf, wenn keine weiteren Anweisungen kommen.
Anfangs mag das vielleicht komisch wirken – es lehrt uns aber einiges. Wünsche und Bedürfnisse klar zu äußern, darauf zu vertrauen, dass mein Gegenüber nichts macht, was er oder sie selbst nicht will und auch nichts hinzugefügt wird, was nicht ausdrücklich „erwünscht“ wurde.
Oftmals ist die innere erlernte falsche Scham das, was uns daran hindert unseren Ehepartnern zu sagen, was wir uns sexuell wünschen. Dabei ist dies der einzige Rahmen, wo wir genau diese Wünsche äußern sollen. Ohne dass unser Gegenüber über die eigenen Grenzen geht und Dinge macht, mit denen er oder sie sich selbst unwohl fühlt.
Intimität in einer Ehe muss auf Augenhöhe passieren – und das geht nur, wenn jede und jeder die Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse und Handlungen übernimmt. Diese Übung wirkt oft befreiend. Sie nimmt den Druck heraus und schafft einen Raum, in dem man sich wieder spürt – körperlich und emotional.
Reflexionsfragen für Paare
– Wann haben wir uns das letzte Mal Zeit für Zärtlichkeit genommen, ohne dass es sofort zu Geschlechtsverkehr führen musste?
– Weiß ich, was meinem Partner oder meiner Partnerin wirklich Freude bereitet? Habe ich danach gefragt?
– Fühle ich mich in unserer Intimität gleichwertig gesehen – oder gibt es unausgesprochene Erwartungen und Rollenbilder?
– Erlebe ich Sexualität als Verbindung zu Allah – oder habe ich das bisher nie so betrachtet?
– Solche Fragen können im Gespräch zu zweit erstaunlich viel Nähe schaffen.
Sexualität als Gottesdienst
– Ein letzter, oft vergessener Aspekt sei noch erwähnt: Intimität ist nicht nur etwas Zwischenmenschliches, sondern auch ein Raum, in dem wir Allahs Nähe suchen können.
Der Prophet lehrte ein Du‘a, das Muslime vor dem Geschlechtsverkehr sprechen sollen: „Im Namen Allahs. O Allah, halte den Satan von uns fern und halte den Satan fern von dem, was Du uns gewährst.“ (Bukhari und Muslim)
Der Prophet versprach, dass wenn ein Kind aus dieser Intimität entsteht, der Satan ihm keinen Schaden zufügen kann. Ebenso erbitten wir noch mehr Segen für unsere Ehe und das ist nie verkehrt.
Dieses Bittgebet erinnert uns daran: Sexualität im Islam ist nicht bloß privat oder körperlich. Sie ist eingebettet in unsere Beziehung zu Allah. Jedes Mal, wenn Ehepartner sich einander zuwenden, dürfen sie es tun mit dem Bewusstsein: Wir handeln in Seinem Namen, wir bitten um Seinen Schutz, wir vertrauen auf Seine Barmherzigkeit.
Schlussgedanken
Sexualität im Islam ist kein Tabu, kein bloßer Pflichtakt, sondern ein Geschenk. Sie ist Teil von Sakina, Mawadda, Rahma. Sie ist Gottesdienst, Nähe, Freude, Schutz.
Wenn wir lernen, sie als solches zu leben – ohne falsche Scham, ohne Leistungsdruck, ohne Tabuisierung –, dann wird unsere Ehe nicht nur stabiler, sondern auch liebevoller und spirituell erfüllter.
Denn Allah sagt: „Und zu Seinen Zeichen gehört, dass Er für euch aus euch selbst Gattinnen erschuf, damit ihr bei ihnen Ruhe findet, und Er hat zwischen euch Zuneigung und Barmherzigkeit gesetzt. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken.“ (Ar-Rum, Sure 30, 21)
Über die Autorin: Magdalena Zidi ist Sexual- und Traumapädagogin sowie Sexualtherapeutin. Unter dem Namen „sexOlogisch“ begleitet sie Jugendliche, Eltern und Paare in sensiblen Fragen rund um Körper, Intimität und Beziehung einfühlsam und fachlich fundiert – online wie offline. Mehr zu ihrer Arbeit, ihrem Podcast, Instagram-Kanal und Beratungsangebot unter: www.sexologisch.com