
Ankündigung: Neue Arte-Doku über Srebrenica und das Leben nach dem Massaker in der ostbosnischen Stadt.
Wie lebt man mit der Erinnerung an einen Völkermord? Die Frage stellen sich die Bewohner von Srebrenica, wo vor 30 Jahren 8.400 Muslime ermordet wurden. Eine TV-Doku zeigt, wie lang der Schatten der Vergangenheit ist. Von Christoph Arens
Straßburg (KNA). Es war das größte Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg: Der Name Srebrenica ist seit 1995 untrennbar mit dem Völkermord an 8.400 bosnischen Muslimen – meist Männern und Jungen – verbunden. Der grausame Höhepunkt des Bosnienkrieges, der nach dem Zerfall Jugoslawiens 1992 begann – und gut 100.000 Opfer auf allen Seiten forderte.
Zum 30. Jahrestag, der am 11. Juli international begangen wird, führt die 31-minütige Arte-Dokumentation „Srebrenica – Leben im Schatten des Völkermords“ in die Stadt, deren Wunden noch lange nicht verheilt sind.
Srebrenica – schwieriges Zusammenleben
Dort leben Menschen, die sich nur schwerlich aus den Schatten der schrecklichen Vergangenheit lösen können. Srebrenica gehört heute ausgerechnet zum serbisch dominierten Teil Bosnien-Herzegowinas.
Von früher 30.000 Einwohnern sind nur noch 4.000 geblieben. Opfer und Täter wohnen eng zusammen – Kirche und Moschee liegen in Blickweite, die Muslime sind in der Minderheit.
Eine Stadt im Bann der Vergangenheit. Es gibt keine Cafés und keine Treffpunkte für Jugendliche. Die Kamera führt durch vernachlässigte Straßen, vorbei an leerstehenden Häusern und trifft auf Menschen, die zurückgekommen sind, weil sie nach ermordeten Angehörigen suchen oder sich um ältere Familienmitglieder kümmern, die die Stadt niemals verlassen wollten.
Foto: Adobe Stock
Erinnerungen
So wie Bekir Halilovic. Er war damals ein Baby, seine Mutter konnte ihn retten, als sein Vater von den Serben ermordet wurde. Heute, mit 31, lebt Bekir zwei Autostunden von Srebrenica entfernt, aber er kommt regelmäßig zurück, um seine Mutter zu besuchen oder am Grab seines Vaters zu beten – einer weißen Steele auf den riesigen Gräberfeldern, die sich um die Gedächtnisstätte Srebrenica Memorial Centre gruppieren.
Seine Erinnerung pflegt er nicht nur privat innerhalb der Familie: Bekir hat eine eigene Nichtregierungsorganisation gegründet, gemeinsam mit seiner serbischen Freundin Valentina. Wie kann man die Erinnerung wachhalten, ohne die Versöhnung zu blockieren? Diese Frage wollen Bekir und Valentina mit Jugendlichen aller Volksgruppen in Srebrenica erörtern.
„Warum“, bringt es einer der Jugendlichen auf den Punkt, „sollen wir dreißig Jahre später keine Freunde sein? Wir müssen halt dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert.“
Bei „Adopt Srebrenica“ treffen sie sich regelmäßig zu Alltagsaktivitäten, inspizieren leerstehende Häuser, befassen sich mit der vielfältigen Vergangenheit der Stadt, sprechen intensiv über die Geschichte von Srebrenica – vor und während des Völkermordes. Die Archivierung von historischen Dokumenten ist dabei genauso wichtig wie der Austausch mit Zeitzeugen.
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Die Probleme der Jugend
„Eine Stadt, die eine lange Vergangenheit hat, kann auch eine Zukunft haben“, sagt eine der Jugendlichen. Srebrenica habe Potenzial – auch wenn es heutzutage vor allem für Geldwäsche genutzt werde. Und ein anderer Jugendlicher ergänzt: Natürlich sei es wichtig, die Vergangenheit nicht zu vergessen, um die Erinnerung wach zu halten. „Aber Srebrenica hat andere Probleme, wie Umweltverschmutzung und Abwanderung.“
Wie schwierig das Zusammenleben heutzutage ist, wird in der Doku oft zwischen den Zeilen deutlich: Die serbische Stadtverwaltung hat keine Interesse, „Adopt Srebrenica“ zu fördern. Interviews mit serbischen Mitbewohnern kommen nicht zu Stande.
Auch für Bekirs Freund Bernis ist die Versöhnung noch weit weg. Einige seiner Angehörigen sind ebenfalls ermordet worden. Er hat ein Hotel aufgebaut, in dem die vielen internationalen Besucher der Gedenkstätte unterkommen können. „Ich habe nichts gegen die Serben“, sagt der 34-Jährige, „aber wenn ich wüsste, wer meinen Vater erschossen hat, würde ich morgen losziehen und die Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen.“
Die Doku ist online ab 25. Juni 2025 zu sehen. Die Erstausstrahlung im Fernsehen ist für Freitag, 27. Juni, um 19.40 Uhr geplant