„Das Auffällige“, so Dr. Kellner, „ist die Dominanz der Jugendlichen in unseren Seminaren. Wir sind eine sehr junge Ummah“. Diese Konstellation der muslimischen Gemeinschaft stellt ein positives Potential dar, denn […]
Schlagwort: Bildung
Exklusiv aus der neuen Ausgabe – Schwerpunkt "Wissen": Über das entstehende Studienfach lassen sich noch keine endgültigen Urteile fällen. Von Fauzia Lewandowski & M. Özkan

(iz). Wie kaum ein anderes Vorhaben stand die Erteilung des Islamischen Religionsunterrichts (IRU) an deutschen Schulen und die einhergehende Einrichtung von Lehrstühlen der – noch im Aufbau befindlichen – „Islamischen Theologie“ im Fokus von Gesprächen zwischen Vertretern deutscher Muslime und staatlicher Einrichtungen. Zweifelsohne wurden darauf viel Aufmerksamkeit und Energie verwandt. Beide Elemente – der Religionsunterricht und die Universitäten zur Ausbildung der Lehrer – sind verbunden. Nachdem die Politik sich mit dem Gedanken eines islamischen Bekenntnisunterrichts durch muslimische Religionsgemeinschaften (ein alter Wunsch deutscher Muslime) angefreundet hatte – die Islamkonferenz sprach sich 2008 dafür aus – ergaben sich Folgefragen. Woher sollten die für den IRU notwendigen Lehrer kommen? Nach einer Schätzung des Bundesbildungsministerium würden mindestens 2.000 Lehrer für die 320.000 muslimischen Schüler benötigt.
Neues Studienfach
Offenkundig ist die Fortführung des Imports ausländischer Imame und Religionslehrer – die seit Jahrzehnten mehrheitlich gewählte Lösung für die muslimischen Gemeinden – nicht im langfristigen Interesse der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland. Verfassungsrechtliche Grundfragen außer Acht lassend, ob bisherige muslimische Organisationen den Anforderungen einer Religionsgemeinschaft entsprechen (im Zusammenhang mit Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz), setzte sich der Vorschlag des Deutschen Wissenschaftsrates zur Einrichtungen von Zentren für eine „Islamische Theologie“ durch. Bis zum heutigen Tage ungeklärt ist die Frage und die konkrete Umsetzung der Beteiligung muslimischer Organisationen beziehungsweise Religionsgemeinschaften. In Folge – und in vergleichsweise hohem Tempo – entstanden fünf Lehreinrichtungen, an denen zukünftige Religionslehrer, Imame und TheologInnen ausgebildet werden sollen.
Die bereits jetzt eingeschriebenen StudentInnen, Graduierten sowie das beteiligte akademische Personal sind so Teil einer sich noch erschaffenden Wissenschaft. Anzumerken sei, dass es in der muslimischen Gemeinschaft bisher wenig Grundsatzdebatten darüber gab, was diese „Theologie“ sein wird, noch in welchem Verhältnis sie zum bisherigen Wissenschaftskanon des Islam stehen wird oder kann. Die neuen Zentren der „Islamischen Theologie“ geben hierauf keine einheitliche Antwort.
Differenzierung
Es wird aber bereits jetzt klar, dass an den fünf Lehranstalten unterschiedliche Schwerpunkte und Perspektiven prägend sein werden. Ein Stichwort hierfür seien neue Konzepte wie “Theologie der Barmherzigkeit“ oder „Theologie der Mitte“. Zusammen mit der jeweils anders gearteten Einbindung muslimischer Organisationen und Repräsentanten dürfte dies zur ihrer weiteren Differenzierung beitragen. Errichtet wurden sie an den Universitäten Tübingen, Erlangen-Nürnberg, Frankfurt am Main (in Kooperation mit Gießen) sowie Münster und Osnabrück (Beide werden im Verwaltungsrahmen als ein „Standort“ geführt. Es gibt eine Kooperation in Form einer gemeinsamen Jahrestagung und einer gegenseitigen Anrechnung von Studienleistungen). Ungeachtet der akademischen Schwerpunktsetzung dienen sie der Lehre der Islamischen Religionslehre und – mit momentaner Ausnahme von Frankfurt und Tübingen – der „Islamischen Religionspädagogik“. Auf Nachfrage erklärte ein Dozent in einem der Standorte, dass bei ihnen ca. 2/3 aller eingeschriebenen StudentInnen sich für die Theologie eingeschrieben hätten. In Frankfurt gab es eine Stellenausschreibung für eine Professur der „Islamischen Religionspädagogik“. Tübingen will laut Webseite ab Wintersemester 2013/14 einen Lehramtsstudiengang „Islamische Religionslehre“ anbieten. Beide Fächer sind – im Gegensatz zu bisherigen Studiengängen der Islam- oder Religionswissenschaft – bekenntnisorientiert.
Auch wenn alle fünf universitären Standorte unter der Kategorie „Islamische Theologie“ firmieren, entwickeln sie sich bisher doch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Unterschiede bestehen unter anderem bei der Möglichkeit des Studiums zur Religionspädagogik sowie der darin angebotenen Schulformen.
Des Weiteren hängt das Angebot von Lehrveranstaltungen auch von der personellen Besetzung beziehungsweise der Menge der eingeschrieben Studenten im jeweiligen Standort ab. So berichtete „Die WELT“ am 16.10.2012, dass sich nur eine Handvoll StudentInnen am Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre (IZIR) in Erlangen-Nürnberg eingeschrieben hätte. Zu diesem Zeitpunkt waren dort nach Angaben des Blattes auch nur zwei von vier Lehrstühlen besetzt. Zentrumsleiter Harun Behr beispielsweise zielt allerdings auch nicht auf die Masse ab: „Wer die Islamisch-Religiösen Studien absolviert hat, ist ohnehin überqualifiziert für den Imamberuf.“
Derzeit wird jeder Standort mit bis zu vier Millionen Euro jährlich durch Bundesmittel gefördert. Hinzu kommen Stiftungen, die auf diesem Gebiet aktiv sind. Beim Osnabrücker IIT beispielsweise bereiten sich einige Doktoranden auf ihre Promotion mit Hilfe der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) vor. In diese Kategorie fällt auch die Maturidi-Studienförderung für Islamisches Denken, die der türkischen DITIB nahesteht. Das bekannteste Beispiel, die Mercator-Stiftung, ihrerseits ist seit der Einführung der „Islamischen Theologie“ mit einem standortübergreifenden Programm im Rahmen ihres Graduiertenkollegs vertreten. Ihre Stipendiaten arbeiten und forschen an den jeweiligen Standorten. Außerdem gibt es eine Kooperation bei der Organisation von Tagungen, Veranstaltungen und Studienreisen. Koordiniert wird dieses Programm von Münster aus. Die Auswahl der Nachwuchswissenschaftler nehmen die Professoren der Standorte zusammen mit einigen Professoren der Islamwissenschaft vor. Da die Graduierten auch als wissenschaftliche Mitarbeiter beziehungsweise Dozenten an der jeweiligen Fakultät eingebunden sind, gestalten sie das Profil ihrer lokalen Lehreinrichtung mit. Zum standortübergreifenden Studienprogramm des Kollegs werden regelmäßig internationale Gastwissenschaftler eingeladen.
Ungeklärte Beteiligung
Noch stellenweise unterschiedlich gehandhabt beziehungsweise auch unklar ist die Einbindung muslimischer Gemeinschaften (in ihrer bisherigen Form als Moscheenorganisationen und Dachverbände) in die Gestaltung der Lehrinhalte von „Islamischer Theologie“ und „Islamischer Religionspädagogik“. „Über die Lehrinhalte (und auch Professuren) bestimmen die Verbände aber nur insofern, dass sie ein Veto einlegen dürfen, wenn konkrete Inhalte/Personen gegen religiöse Grundsätze verstoßen. Die Lehrpläne und Einstellung der Professuren obliegen aber ausschließlich den Universitäten“, meinte ein Insider auf Anfrage der IZ. Insbesondere beim Religionsunterricht ist dies nach Meinung muslimischer Vertreter relevant, weil die Vorgaben des Grundgesetzes („Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ Art. 7 Abs. 3) natürlich die Beteiligung einer Religionsgemeinschaft vorsähen. Als Beispiel hierfür mag der nordrhein-westfälische Beirat für den Islamischen Religionsunterricht gelten. „Verfassungsrechtlich ist jedoch klar, dass die Entscheidungen zu den inhaltlichen Fragen der Theologien grundsätzlich nur den Religionsgemeinschaften zustehen. Diese gewährleisten durch ihre Mitwirkung, dass das jeweilige Bekenntnis zur Geltung kommt, sind Garant für die Authenzität der Theologie und gewährleisten die Rückkopplung mit der muslimischen Basis in den Moscheegemeinden“, schrieb Engin Karahan vor einigen Wochen. Er ist Referent für Rechtsfragen im Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland.
Karahan und andere verweisen darauf, dass an einigen Standorten diese Mitwirkung muslimischer Religionsgemeinschaften (die bisher keinen Status im Sinne einer Körperschaft des öffentlichen Rechts inne haben) zwar vorgesehen sei, „jedoch nur in einer abgestuften Version“ gehandhabt werde. Das liege unter anderem daran, da das Modell des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 2010 auch „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ als Beiratsmitglieder einschließt.
Umgesetzt wird dieses Modell (ähnlich zur Zusammensetzung der Deutschen Islamkonferenz) nur stellenweise an den Standorten Münster und Tübingen, da es hier nur eine begrenzte Beteiligung muslimischer Gemeinschaften gibt. In Tübingen gibt es einen Beirat muslimischer Vertreter, aber nur zwei kommen aus dem organisierten Islam – ein Vertreter der DITIB sowie der bosniakischen IGBD. In Fall Münster kommt hinzu, dass man bisher auf die konstituierende Sitzung des Beirates wartet. In Erlangen-Nürnberg habe man, so Karahan, die Zusammenarbeit mit organisierten Muslimen bisher verweigert. „Das Zentrum rühmt sich sogar öffentlich damit, die muslimischen Religionsgemeinschaften nicht zu berücksichtigen.“ Dort hat man einen Beirat aus 16 Einzelpersonen gebildet, und die Gemeinschaften umgangen.
Wegen seines Ursprunges als Stiftungsprofessur der staatlich-türkischen Diyanet hat sich in Frankfurt kein Beirat konstituiert. Nicht nur Engin Karahan ist der Ansicht, dass es bisher einzig der Standort Osnabrück sei, „der für eine verfassungsrechtlich saubere Gestaltung der Mitwirkung der muslimischen Religionsgemeinschaften gesorgt hat. Dem dortigen Beirat gehören nur Vertreter der muslimischen Gemeinschaften an“.
Offene Fragen
Nicht nur, weil es bisher innerhalb der muslimischen Gemeinschaft an einer inhaltlichen und terminologischen Auseinandersetzung mit dieser akademischen Neuschöpfung fehlte, bleiben Fragen offen. Wie Hermann Horstkotte in der „Süddeutschen Zeitung“ berichtete, wurde ein Kandidat für den Münsteraner Beirat von Universitätsleitung und Bundesministerium abgelehnt. Es wurde gar mit Einstellung der Finanzmittel gedroht. Pikant daran ist, dass der abgelehnte Repräsentant problemlos Mitglied des NRW-Beirates für den Islamischen Religionsunterrichtes ist.
Muslime in Deutschland stellen sich nicht nur deswegen die Frage, inwieweit sie uneingeschränkten Zugang zu einer freien Lehre haben, wie sie bei den großen christlichen Konfessionen Usus ist.
Feuilleton: In einer ungerechten Gesellschaft kann es keine wahre Zivilisation geben. Von Ahmad Gross
(iz). Nichts geschieht ohne Notwendigkeit. Im Deutschen spricht das Wort „Notwendigkeit“: Es besteht aus den beiden Worten „Not“ und „wenden“. Erst die Not wendet, verändert die Situation eines Menschen. Heidegger sprach von der „Not der Notlosigkeit“. Solange die Menschen nicht wissen, dass sie in der Not sind, solange kann sich an ihrem Zustand auch nichts ändern.
Schaikh Ad-Darqawi sagte in einem seiner berühmten Briefe über die Not: „‘Hätten die Menschen die Geheimnisse und Segnungen gekannt, die in der Not sind, so hätten sie nichts anderes als die Not gebraucht.’ Es heißt, dass sie anstelle des Größten Namens steht.“ So gesehen ist die heutige Finanzkrise, die in Wirklichkeit eine fundamentale Systemkrise ist, ein reiner Segen. Indem sie die Schleier der gescheiterten Projekte lüftet, zwingt sie uns zur Veränderung, also zum Leben selbst. Uns Muslimen sind Kreisbewegungen sehr vertraut. Mindestens einmal im Leben versammeln wir uns aus der ganzen Welt in Mekka für eine Kreisbewegung um das Haus Allahs. Zudem wird diese Kreisbewegung bekanntlich auch von den geometrischen Figuren der Linie (dem Gang zwischen Safa und Marwa) und des Punktes (dem Stehen auf einem Punkt auf der Ebene von Arafat) begleitet. Solange wir uns also auch „lineare Ziele“ setzen und damit irgendwann auch „auf den Punkt kommen“, haben wir kein Problem damit, uns im Kreis zu drehen. Ganz im Gegenteil. Entscheidend ist nur, dass wir uns um die richtigen Dinge drehen.
Dieses Kreisen um das gleiche Thema benennt Goethe einmal mit einem Begriff aus der Chemie als „cohibieren“: Durch immer höhere Konzentration zum Wesentlichen, zur Essenz einer Sache vordringen. Es erinnert an die Homöopathie: Manchen Menschen erscheint sie als Schwindel und Placebo. Anderen hilft sie, durch Allahs Befehl. Der große Sufi Sidi Ali al-Dschamal sagte sinngemäß: Das Unsichtbare beherrscht das Sichtbare. Die Ideen des unsichtbaren Ruh (arab. Geist) rufen nach der Manifestation in der sichtbaren Welt, nach Erde, nach Menschen und ihren Taten.
Woher kommt der Begriff „Kultur“? Der Begriff „Kultur” meinte ursprünglich die Kultivierung von Seele und Geist. Seine neuzeitliche Bedeutung in den Schriften deutschsprachiger Denker des 18. Jahrhunderts (Kant, Pestalozzi, Herder). Als geistiges Kind von Descartes, Erasmus und Francis Bacon bestellte ihr so genannter Rationalismus den Boden für den Atheismus des 19. und den Nihilismus des 20. Jahrhunderts. Wie konnte das geschehen? Indem sie das Kind (den kindlichen Glauben an unseren Schöpfer) mit dem Bade (die irrationale Doktrin der Kirche) ausschütteten. So wurde Gott, der Herr der Welten, der Schöpfer und Erhalter des Universums, so wurde aus Allah nach und nach eine bloße Idee des Verstandes; eine Idee, die bewiesen werden musste, damit man sie glauben konnte.
Alles geriet aus den Fugen. Allah sagt im Qur’an: „Und Ich habe die Dschinnen und die Menschen nur erschaffen, damit sie Mich anbeten.“ (Adh-Dharijat, 56) Doch nun spielte das Geschöpf Schöpfer. „Die Welt ist die Hände der Menschen gefallen“, wie Rilke schrieb. Angesichts von Inquisition und Hexenverfolgung versteht man die humanistische Begeisterung für die Freiheit und Helle der Antike. Doch wer brachte sie ins Europa der Renaissance? Die muslimischen Übersetzerschulen von Al-Andalus – so viel zur Zugehörigkeit des Islam zu Europa. Doch ohne die entscheidende Rückbindung zum Göttlichen wurde aus den Statuen des Phidias bald der frierende, nackte Mensch der Neuzeit, Agambens homo sacer der Lager. Wie anders empfand es noch Goethe. Als 1831 viele Menschen an der Cholera starben, tröstete er Louise Adele Schopenhauer: „Hier kann niemand dem andern rathen; beschließe was zu thun ist jeder bey sich. Im Islam leben wir alle, unter welcher Form wir uns auch Muth machen.“
Da wir Europäer so durch die Jahrhunderte unsere gelebte Religion verloren, machten wir unsere Kultur zur Religion. Laut Rilke will alle Kunst und Dichtung rühmen, preisen. Im 18. Jahrhundert vergaßen die Europäer jedoch, wen sie preisen sollten. Im 19. und 20. Jh. verging ihnen das Preisen überhaupt und das große Klagen begann. Wenn der Mensch glaubt das Höchste zu sein, wenn sich die Schöpfung die Eigenschaften des Schöpfers anmaßt, dann mündet die Wirklichkeit des Menschen ins Menschenunwürdige: Der „Übermensch“ impliziert den „Untermenschen“. Ohne Gott ist laut Dostojewski alles erlaubt. Ohne Ihn gibt es keine allgemein verbindlichen Regeln, keine Schranken mehr. Aber auch kein Geländer mehr am Abgrund. Und niemanden, Der einen auffängt.
Heute scheinen die bedeutendsten Köpfe Europas – Denker, Dichter und Wissenschaftler – auf ihre je eigene Art und Weise ein allgemein greifbares Gefühl zu bestätigen: Dass das Schiff sinkt. Wer kann heute sagen, er leiste mehr, als „die Verluste zu zählen“, wie es Botho Strauß nannte? Wer vermag heute mehr, als die Meditation über den „Knacks“ (Roger Willemsen) unserer Sterblichkeit?
Als ich den spanischen Historiker und Ibn-Khaldun-Experten Sidi Karim Viudes nach seinem Begriff von „Kultur“ befragte, winkte auch er eher trocken ab. Je mehr von „Kultur“ die Rede ist, desto weniger habe man vermutlich (…) Als er meine Ratlosigkeit bemerkte, schob er nach, dass dieser Begriff eigentlich erst im 18. und 19. Jahrhundert in Mode kam. Die Antike gebrauchte ihn – außer für die Kultivierung im agrarischen Sinne – nur zur Bezeichnung der Erziehung der Kinder in der Schule. Später griff ich zum „besten deutschen Buch“ (laut Nietzsche), Eckermanns „Gespräche mit Goethe“. Darin sagt Goethe zu Eckermann: „Wir bewundern die Tragödien der alten Griechen; allein recht besehen, sollten wir mehr die Zeit und die Nation bewundern, in der sie möglich waren, als die einzelnen Verfasser.“ Jede kulturelle Einzelleistung der Griechen „(haftet) nicht bloß einzelnen Personen (an), sondern (…) sie (gehört) der Nation und der ganzen Zeit an und (war) in ihr in Kurs.“ (24. April 1827) Wer sich von seinem Schöpfer abwendet und glaubt, ohne einen alltäglichen Bezug zu Ihm existieren zu können, der muss – der Mensch ist zur Anbetung geschaffen – sich seine Ersatz-Götter, seinen Pseudo-Din (Arabisch für Religion/Lebensweise) schaffen. Wer keinen Din hat, der macht sich seine Kultur zum „Din“. Im Bild des Hausbaus gesprochen: Wer die variable Ausschmückung eines Hauses mit seiner mathematischen, universalen Statik verwechselt, der hüte sich vor dem Zusammenbruch seines Hauses! Allah schütze uns davor, indem Er uns einen klaren Din (Religion, Lebensweise des Islam) und Unterscheidungskraft (Furqan) gewährt, sodass wir niemals Din und Kultur verwechseln! Wir wissen dass der Din (die Statik menschlicher Existenz) keine Kultur, sondern ein Filter für jede Kultur ist, der sie reinigt und veredelt.
Wir wissen – heute mehr denn je zuvor – dass das, was einst im Europa zwischen dem Mittelalter und dem 19 Jahrhundert den Namen „Kultur“ verdient hat, heute vom „Staub des Wuchers“ (wie es der Prophet vorausgesagt hat) bedeckt ist. In einer ungerechten Gesellschaft, einer Gesellschaft, die Wohlstand monopolisiert, kann es keine Kultur geben, die die Bezeichnung Kultur oder Zivilisation verdient. Lassen wir den Begriff der „Kultur“ auf sich beruhen und wenden wir uns der Bildung zu. Das Deutsche und die slawischen Sprachen unterscheiden zwischen „Bildung“ und „Erziehung“, während im Englischen und in den lateinisch-romanischen Sprachen das Wort „education/educación“ genügt: Lat. ēducāre „auf-, großziehen, ernähren“.
„Erziehung“ im Deutschen und Slawischen ist etwas, das den Menschen von außen kommend erzieht/aufzieht, also eher den pädagogischen Vorgang der Schul-Erziehung beschreibt. „Bildung“ steht dagegen für die weiter gefasste Erziehung, die man auch aktiv selbst unternimmt, die das Selbst auf seinem Weg zur Verfeinerung, Reinigung, Veredelung unternimmt. Bilden bedeutet „Gestalt annehmen“, das „Sich-Bilden“, die Formung von etwas. Der Begriff „Bildung“ ist mit dem griechischen Begriff der Paideia verwandt.
Das Bild, nach dem wir Muslime uns formen/bilden, ist das Bild, das uns von Allahs Propheten Muhammad, Friede und Segen seien auf ihm, als Besten der Schöpfung überliefert wird. Um den Propheten Muhammad, Friede und Segen seien auf ihm, überhaupt in einen unvoreingenommenen, freieren Blick nehmen zu können, musste Europa nach „Al-Andalus“ Jahrhunderte warten. Goethe und Thomas Carlyle sind hier zu nennen. Goethe und Schiller haben wie wenige ihrer Zeitgenossen geahnt, was Bildung im besten Sinne sein kann. Goethe schrieb die beiden Schlüsselromane, welche die literarische Gattung des Bildungsromans, begründeten: Wilhelm Meisters Lehrjahre und Wilhelm Meisters Wanderjahre.
Ein wiederkehrendes und zentrales Motiv des Romans ist die Entsagung, der Abwendung von der diesseitigen Welt. Die berühmteste Abschnitt ist wohl jene Episode, in der Wilhelm und sein Sohn Felix die so genannte „Pädagogische Provinz“ aufsuchen. Dies ist ein landschaftliches Areal der Lehre und des Lernens, in dem ungewöhnliche Sitten herrschen und eine eigene pädagogische Philosophie und Methode angewandt werden: Musik, insbesondere Gesang ist wesentliches Element der dort praktizierten Pädagogik; Fremdsprachen, Poesie, ein ausgeprägter Sinn für Respekt, Bescheidenheit und Ehrfurcht bilden den Kern dieser Weltsicht. Es wird vermutlich immer Leute geben, denen die Künste und alle Dinge, die wir traditionell unter Kultur verstanden haben – Literatur, Malerei, Musik, Theater – ein Herzensanliegen sind. Was ist die Rolle von Kultur, von Dichtern, Künstlern? Für Roger Willemsen ist Kultur „im Kern (…) eine Überbrückung von Einsamkeit“. Für Heidegger ist es das dichterische Denken, für Rilke das denkende Dichten. Vielleicht braucht es, bevor wir wieder zu einem gerechten Austausch kommen, auch Künstler, die sich des unhaltbaren Status quo des Wuchers auf ihre je eigene Art und Weise annehmen.
Welcher Schiller ruft uns heute zum Kampf gegen die Tyrannei der „Märkte“ und für unsere Freiheit auf? Welcher Regisseur dreht heute einen Film wie Truffauts „Fahrenheit 451“, in dem die Gefahren eines sorglosen Gebrauchs der Technik geschildert werden? Ein Zeitgenosse Goethes, Johann Peter Hebel, (1760-1826) schrieb: „Wir sind Pflanzen, die, – wir mögens uns gerne gestehen oder nicht, – mit den Wurzeln aus der Erde steigen müssen, um im Aether blühen und Früchte tragen zu können.“
Der Text ist die gekürzte Variante eines längeren Vortrags zum Thema Erziehung.
Ein Debattenbeitrag von Wolf D. Ahmed Aries zur öffentlichen Bewertung der aktuellen Studie über muslimische Jugendliche
Hannover (iz). Wer den Blog von Serdar Günes aufruft, entdeckt eine Seite, auf der die wohl meisten – wenn nicht fast alle – Untersuchungen zu Fragen des Islam in diesem Land aufgeführt sind. So wurden „die“ Muslime in ihren unterschiedlichsten gesellschaftlichen Vorkommen analysiert (um nicht seziert zu schreiben).
Es sind in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten 197, das heißt in der Zeit von 1994 bis 2012, Befragungen von Muslimen rund 200 Mal durchgeführt; wer sie denn seien, was sie tun, denken oder was sie über ein gegebenes Thema denken. Die veröffentlichten Berichte umfassten nicht nur eine überschaubare Anzahl von Seiten, sondern waren teilweise hoch differenzierte Arbeitsberichte von mehreren hundert Seiten.
Man befragt Muslime, aber redet nicht mit ihnen. Die Muslime reagieren ihrerseits mit Stellungnahmen, in denen Missverständnisse in den Untersuchungen, die Fehlinterpretationen ihres Glaubens und christlichen beziehungsweise säkularen Unterstellungen aufgegriffen werden. Leider fehlt den muslimischen Verbänden bisher das Geld, um eigene Feldforschung dagegen zu setzen; zugleich machte sich eine soziale Aufsteigerproblematik der ersten und zweiten Genration bemerkbar: Man hatte nämlich nur jene Fächer studiert, von denen man hoffen konnte, möglichst rasch (viel) Geld zu verdienen: Medizin, Jura, Ingenieurwissenschaften u.a.m.
Die Diskurse zur Integration beziehungsweise zum Islam wurden und werden aber in Sozialwissenschaften geführt. Sie stellen ihren Methodenapparat zur Verfügung, das heißt Fragebogen, strukturierte und nicht strukturierte Interviewformen, statistische Methoden, Verhaltensbeobachtungen u.a.m.
Politiker, Journalisten und andere Laien übersetzen die Ergebnisse anschließend, sodass Schlagzeilen entstehen, mit denen man hausieren kann. Die Wissenschaftler protestieren dagegen, aber was kümmert es jene, die ihre politischen Botschaften schon unter die Leute gebracht haben.
Dies der Fall in der neuesten Studie zu den „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“. Zwar warnten ihre Autoren davor, dass „diese und die folgenden Prozentangaben keinesfalls weder auf alle in Deutschland lebenden Muslime im Allgemeinen, noch auf alle in Deutschland lebenden jungen Muslime im Alter von 14 bis 32 Jahren hochgerechnet werden dürfen“, doch welcher Journalist oder Politiker kümmert sich um solche wissenschaftlichen Bedenken. Sie gebrauchen das, was ihnen dient. Man könnte auch sagen, dass sie die Wissenschaft missbrauchen, um mit ihrem Renommee Tagespolitik zu betreiben.
Hinzu kommt, dass Laien zuerst und häufig nur die Zusammenfassungen lesen und nicht die Untersuchungen selbst, weil sie deren Fachbegriffe ebenso wenig verstehen wie die Statistiken, mit denen die Forscher ihre Ergebnisse erarbeiten. Das gilt auch für Annahmen, auf denen Untersuchungen beruhen. Darauf hat vor allem Naika Foroutan (FU Berlin) aufmerksam gemacht.
Sie belegen, dass entgegen der bisherigen Kriterien der Struktur (Bildung, Arbeitsmarkt), soziale Integration (Freundschaft, Vereine) und kulturelle Aspekte wie Sprache in dieser Untersuchung zum (ersten Mal) der Schwerpunkt auf Gefühlen liegt. Allerdings erfasst man sie nur mit wenigen Fragen, unter denen es unter anderem um den Kontakt mit Muslimen und Deutschen ging. Das heißt, man vergleicht die Nationalität der einen mit der Religion der anderen. Für einen säkularen Staat ist dies eine erstaunliche Mixtur.
Dazu wurden vor allem Schüler angesprochen und nicht muslimische Wehrpflichtige, Polizisten, Universitätsdozenten oder Beamtenanwärter beispielsweise im Auswärtigen Dienst. Ihre wachsende Zahl bestätigt die Ergebnisse anderer Befragungen, die von einer zunehmenden Integration sprechen.
Und so kann man Dr. Foroutan nur zustimmen, wenn sie den Verdacht äußert, es ginge den Auftraggebern im Bundesinnenministerium darum, die bisherigen Integrationsfortschritte durch eine neue Spiraldrehung – von den Sachfragen zu den Gefühlen – zu forcieren, in dem man die Messlatte weiter nach oben legt. Dieser Gestus erinnert an die Integration der Hugenotten beziehungsweise der Flüchtlinge nach 1945.
Leider gibt es eine weitere und zu meist übersehene Entwicklung. Die Populismusforschung zeigt, dass sich die religiöse Minderheit der Muslime ähnlich verhält wie die Gesamtbevölkerung. Auch hier gibt es extreme Positionen. Während sich das eine Extrem verharmlosen lässt, kann man das andere gebrauchen oder missbrauchen. So wird es Zeit, dass die Verbände anfangen, ihre Hausaufgaben zu machen, indem sie selber Forschungskapazitäten aufbauen, um eigenes vorzulegen. Wer in einer Mehrheitsgesellschaft ankommen will, darf sich nicht auf öffentliche Symbole wie dem Moscheebau beschränken, sondern muss sich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs mit eigenen Beiträgen beteiligen.
Es ist die Frage, ob sich diese Situation mit der Entwicklung in den neuen Islamzentren verändert. Der Vergleich in Sache Integration mit der Heidelberger jüdischen Hochschule macht bewusst, wie lange so etwas dauert. Aber haben wir Muslime so viel Zeit, um nicht zu einem neuen Woyzeck zu werden? Allein Allah ta’ala weiß es.
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