De Maiziere trifft sich ab Montag mit muslimischen Verbänden

Berlin (KNA). Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) will sich bereits am Montag mit  muslimischen Verbänden treffen. Dann soll über die Zukunft der Deutschen Islamkonferenz (DIK) beraten werden, wie der Berliner „Tagesspiegel“ (Samstag) berichtete. De Maiziere hatte vor wenigen Tagen angekündigt, er wolle die Islamkonferenz nicht in der bisherigen Form fortsetzen.

Nach Informationen der Zeitung wurde auch der Islamrat zu den Gesprächen eingeladen. De Maiziere hatte ihn während seiner ersten Amtszeit als Minister von der Konferenz mit der Begründung ausgeschlossen, dass gegen hohe Mitglieder der Vereinigung Milli Görüs, die dem Islamrat angehören, ermittelt werde.

Das Ministerium hatte auf Anfrage der Zeitung aber nur die Einladung an die aktuell vertretenen Organisationen bestätigt. Dazu gehören die türkisch-islamische DITIB, die Alevitische Gemeinde, der Verband der islamischen Kulturzentren VIKZ, die Türkische Gemeinde, die Vertretungen von bosnischen und marokkanischen Muslimen und der Zentralrat der Muslime (ZMD). Der Islamrat sei für Gespräche am Mittwoch eingeladen, so die Zeitung weiter.

Sawsan Chebli – Steinmeier holt sich Muslimin als Sprecherin ins Auswärtige Ammt

Das Auswärtige Amt bekommt zum ersten Mal eine Sprecherin von außerhalb. Und nicht nur das: Sawsan Chebli ist außerdem noch Deutsch-Palästinenserin und gläubige Muslimin.

Berlin (dpa) – Das Auswärtige Amt ist ein gutes Beispiel dafür, wie man mit dem richtigen Namen Karriere machen kann. In den höheren Rängen findet man Adelstitel auch heute noch häufiger als anderswo. Ausländische Namen dagegen gibt es in der vermeintlich so weltoffenen deutschen Diplomatie eher selten. Insofern ist die Frau, die Frank-Walter Steinmeier jetzt zur Ministeriumssprecherin macht, eine ziemliche Ausnahme: Sawsan Chebli kommt von außerhalb, stammt aus einer Palästinenserfamilie und ist Muslimin dazu.

Als Vize von Chefsprecher Martin Schäfer (46), den Steinmeier von FDP-Vorgänger Guido Westerwelle übernimmt, wird die 35-jährige künftig eines der Gesichter der deutschen Außenpolitik sein. Das ist auch 2014 noch eine Besonderheit. Und zwar längst nicht nur, weil AA-Sprecher bislang immer Berufsdiplomaten waren.

Sawsan Chebli wurde zwar in Deutschland geboren, als zweitjüngstes von 13 Kindern. Ihre Familie kommt jedoch aus Palästina. Die Eltern lernten sich in einem Flüchtlingslager im Libanon kennen. Der Vater kam 1970 über Ost-Berlin ins Land. Die deutsche Staatsbürgerschaft bekam sie erst mit 15 Jahre. Bis dahin lebte sie als staatenloses Flüchtlingskind in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin-Moabit. «Kettenduldung» nannte man das damals.

Zuhause sprach man arabisch. Richtig deutsch lernte die künftige AA-Sprecherin erst in der Schule. Als erste der Familie machte sie Abitur, studierte dann Politik, arbeitete für die Bundestags-SPD. Hier wurde auch Steinmeier auf sie aufmerksam. 2010 ging sie als «Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten» zum Berliner Innen-Senator.

Chebli ist praktizierende Muslimin. «Man sieht mir das nicht an, weil ich kein Kopftuch trage. Aber ich bete, ich faste, ich esse kein Schweinefleisch und trinke keinen Alkohol.» Das Beten im Büro lässt sie allerdings sein, holt das abends nach. Den Verzicht aufs Kopftuch begründet sie so: «Es gibt wichtigere Gebote. Zudem sehe ich heute kaum eine Möglichkeit, in Deutschland damit Karriere zu machen.»

Ihr Ziel? «Ich will zeigen, dass jemand, der keine deutschen, keine reichen, keine gebildeten Eltern hat, in diesem Land etwas erreichen kann.» Dem «Zeit-Magazin» verriet sie vor einer Weile auch: «Mein Traum ist, dass jeder in diesem Land beurteilt wird nach dem, was er kann – nicht nach seinem Hintergrund.»

Bundesinnenminister sucht nach Alternativen für Islamkonferenz

Frankfurt (KNA). Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) will laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Deutsche Islamkonferenz in ihrer alten Form nicht wiederaufleben lassen. „Eine reine Wiederholung angesichts der Debatten in den vergangenen Jahren halte ich nicht für sinnvoll“, zitiert das Blatt in seiner Mittwochsausgabe den Minister. Er wolle, so de Maiziere, die muslimischen Verbände in Deutschland zu einem Gespräch einladen, „um ihre Meinung zu hören“. Noch im Januar werde ein solches Treffen stattfinden.

Bei der Gelegenheit will de Maiziere die Verbände darum bitten, ihre Vorstellungen darüber zu präsentieren, was sie sich von einer Fortsetzung der Konferenz erwarten und welche Themen sie dabei im Auge haben. Wenn es eine neue Konferenz geben sollte, müsse sie nicht unbedingt Islamkonferenz heißen. „Wie wir das nennen, müssen wir dann sehen.“

Die erste Sitzung der Deutschen Islamkonferenz fand im September 2006 unter dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) statt. Im Mai vergangenen Jahres war die Konferenz unter de Mazieres Amtsvorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) auf ihrer letzten Sitzung im Streit darüber auseinandergegangen, ob die Konferenz weiter vom Innenministerium geführt werden solle und ob Sicherheitsfragen und Extremismus im Vordergrund stehen dürften.

„Die IZ-Blogger“ – wieso die Türkei wieder in Turbulenzen steckt

(iz). Der bekannte Strategiefachmann und Geheimdienstexperte Prof. Mahir Kaynak vermutet hinter den turbulenten Vorkommnissen in der Türkei vor allem außenpolitische Gründe. Seiner Meinung nach hätten US-Neokonservative, Teile der Europäer und „die globale Finanzelite“ aufgrund des außenpolitischen Richtungswandels der Türkei ein großes Interesse am Sturz von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan; das berichten die „deutsch-tuerkisch-nachrichten“.

Ministerpräsident Erdoğan, der am 4. Februar zu Regierungskonsultationen in Berlin erwartet wird, hat das Land im letzten Jahrzehnt wirtschaftlich, politisch und sozio-kulturell verändert: Für die Einen zum Positiven, für die Anderen zum Negativen.

Wirtschaftliche Turbulenzen bis zu den Kommunalwahlen
Die Türkei hat derzeit unter den größten Wirtschaftsmächten den 17. Rang inne. Zum 100-jährigen Bestehen der Republik, also bis zum Jahr 2023, hat die Regierung sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, zu den zehn größten Ökonomien der Welt zu gehören.

In den letzen Wochen herrschte jedoch Panik an den türkischen Börsen. Ausländische Investoren ziehen ihr Kapital aus den Märkten ab. Dollar und Euro klettern auf ihre historischen Höchststände. Wirtschaft hat gleichwohl sehr viel mit Psychologie zu tun. Und diese Psychologie wird sich ehestens nach den Kommunalwahlen im März wieder normalisieren.

Eine sagenhafte Entwicklung in der letzten Dekade
Die Türkei entwickelt seit einigen Jahren zahlreiche eigenständige Projekte, so in den Sektoren Rüstung, Wissenschaft, Raumfahrt und Energie. Der Bauboom der Türkei nimmt atemberaubende Züge an. Wer nach längerer Zeit wieder dort war, berichtet, dass das Land und die Städte kaum noch wieder zu erkennen sind. Außerdem scheinen die Menschen vom Bau der Straßen und der, die Berge durchziehenden Tunnelanlagen beeindruckt zu sein. In den letzten zehn Jahren wurden 500.000 staatlich geförderte neue Wohnungen (TOKİ) gebaut. Die 19 Jahre davor seien indes 43.000 neue Quartiere errichtet worden sein.

Angemerkt seien jedoch auch die protzig-glänzenden Einkaufszentren, von denen es mehrere in fast jeder Stadt gibt, und die den mittelständigen Unternehmen großen Schaden zufügen. Aber dennoch: Bis zum Jahr 2002 beschränkte sich die Länge von mehrspurigen Straßen (Schnellstraßen, die den deutschen Autobahnen ähneln) in der Türkei auf gerade mal 6.000 km. Zwischen 2002 und 2012 wurde dieses Netz, das bis dato lediglich sechs große Städte miteinander verbunden hatte, auf über 21.227 km erweitert und führt seit dem 74 Städte zusammen.

Noch vor zwölf Jahren konnten Studenten nur an 70 Universitäten im Land studieren. Im Jahre 2012 wurden hingegen schon 172 errichtet. Heute gibt es keine Provinz mehr ohne Universität. Die Türkei, die knapp 80 Jahre lang auf vielen Gebieten stagnierte, übersprang in kürzester Zeit mehrere Klassen und sorgte bei vielen Menschen für unglaubliche Blicke sowie neidvolles Erstaunen.

Von den Riesenprojekten wie dem Bau des dritten Flughafens in Istanbul, der als der größte der Welt in Planung ist und damit das globale Flugverkehrssystem auf den Kopf stellen wird, einer neuen Meerenge (ein neuer Bosporus), gigantischen Schienen- und Transportwegen durch die Meere ganz zu schweigen. Auch kolossale Staudammprojekte werden zweifellos einige neidische Blicke auf sich gezogen haben. Was aber das Fass zum überlaufen bringen könnte, sind die seit 200 Jahren außerordentlich bedeutsamen Energieressourcen und Energierouten, die Erdöl und Erdgas aus den Nachbarländern in die Türkei bringen werden.

Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft für den Nahen- und Mittleren Osten
Daher ist es enorm wichtig, für eine dauerhafte und friedvolle Lösung der Konflikte in der Region. Eine Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, ähnlich wie die Europäische Union, mit eigenständiger Entscheidungsgewalt und Ressourcenmacht könnte die Region zu der reichsten und prosperierendsten der Welt machen. Es ist erstaunlich, dass gerade die rohstoffreichen Staaten in der Region kaum zur Ruhe kommen.

Die Türkei scheint seit einigen Jahren in ihrer unmittelbaren Umgebung selbst Regie führen zu wollen. Das wiederum führt nach Expertenmeinungen dazu, dass das Land diszipliniert und eingefangen werden muss. Immer öfter wird vom „Neo-Osmanismus“ geschwafelt und ein Bedrohungsszenario gemalt. Die Türkei hat sich von einem „Osmanismus“ vor fast 100 Jahren verabschiedet und wird sich auf so ein Abenteuer nicht einlassen.

Konfliktlinien, deren Lösung nicht mehr in der Ferne liegen
Um jedoch außenpolitisch im Konzert der Mächte gleichberechtigt und eigenständig agieren zu können, gilt, – wenn man es mit den Worten des Historikers Eckart Kehr sagen möchte – das „Primat der Innenpolitik“. Der Fortbestand der gesellschaftlich-politischen Entwicklung der letzten Jahre hängt u.a. auch von der Lösung des jahrzehntelang andauernden so genannten Kurdenkonflikts ab. Ein lang ersehnter Frieden unter den verfeindeten Ethnien sorgte kürzlich auf der einen Seite für Erleichterung. Seit vielen Monaten sterben keine Menschen mehr. Das Blutvergießen ist vorerst gestoppt. Das ist ein wichtiger Schritt.

Für andere wiederum erweiterten sich die Sorgenfalten in den Gesichtern. Die gesamtgesellschaftliche Entschlossenheit zur konfessionellen Eintracht zwischen Sunniten und Aleviten sollte der nächste Punkt für eine dauerhaft stabile Türkei sein. Auch in diesem Punkt gab es in den letzten Monaten gute Entwicklungen.

Ein weiterer Punkt wird nach Einschätzungen die verständnisvolle Partnerschaft mit den nicht-muslimischen Minderheiten sein. Die Türkei unternimmt große Anstrengungen, die Herzen der Armenier, die in der Vergangenheit als „Millet-i Sadıka“ („Das treue Volk“) bezeichnet wurden, der jüdischen, yezidischen, zoroastrischen und christlichen Geschwister zu gewinnen. Christliche Kirchen, jüdische Synagogen, yezidische Glaubenszeremonien werden nicht mehr als Bedrohung angesehen, wie es zu dunklen Zeiten der Republikgeschichte teilweise der Fall war.

Gezi 2.0?
Was diese Tage in der Türkei politisch abläuft, schätzen einige Beobachter als Fortsetzung der Gezi-Proteste ein. Experten wie Prof. Mahir Kaynak gehen davon aus, dass Erdoğan bis zu einem möglichen Rückzug aus der Politik damit zu rechnen hat, dass solche – scheinbar innenpolitischen – Turbulenzen fortbestehen werden.

Eine neue und unabhängige Türkei scheint derzeit nicht gewollt, sodass Erdoğan noch lange mit den Wölfen tanzen muss.

Informationen zum Autor: Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?“ sowie „nach-richten: Muslime in den Medien“. Die Themenschwerpunkte von Yasin Baş sind: Türkisch-Deutsche Beziehungen, Ethnomarketing, Integrations-, Migrations- und Sicherheitspolitik und Deutsche Geschichte (nach 1871).

Ein europäischer Selbstmord

„Wer spricht von Siegen, Überstehn ist ­alles!“ (Rilke)
„Es ist eine schmerzhafte und schreckliche Sache, zu erkennen, wie einfach eine Nation zum Krieg angetrieben werden kann (…) und Sie werden feststellen, dass Kriege immer durch eine Kategorie von Argumenten unterstützt werden, über die die Leute – nachdem der Krieg vorüber ist – sagen werden, dass man ihnen nicht hätte folgen dürfen.“ (John Bright, 31.3.1854 vor dem britischen Unterhaus)
(iz). Als die CDU-Politiker Friedrich Merz und Norbert Lammert das Reizwort „Leitkultur“ prägten, entstand ein Begriff, über dessen Wahrheitsgehalt selbst nicht immer diskutiert wurde. Gegner wie Bassam Tibi mögen in Anlehnung eine europäische Leitkultur oder einen so genannten „Ver­fassungspatriotismus“ favorisiert haben. Über die Frage, wie diese „Kultur“ eigentlich aussieht, wurde oft geschwiegen.
Abgesehen davon, dass ein solcher Kultur- oder Wertebegriff die Augen vor der aktuellen Wirklichkeit unserer „Kultur“ verschließt, ignorieren die meisten unsere hausgemachten Jahrhundertkatastrophen. Diese erwuchsen auch aus der Mitte dieser „Kultur“ und wurden bis zu ihrem tragischen Ende auch dort ausagiert. Da hilft es auch nicht, wenn der Ungeist der letzten einhundert Jahre – aus verständlichen Gründen – mit dem Etikett „barbarisch“ versehen wird, um ­wesensmäßige Unterschiede zu markieren.
Der „Große Krieg“
Lässt sich das aufrechterhalten, wenn wir einen Blick auf die materielle Geschichte unserer Kultur werfen, die hier verteidigt werden sollen? Eine, wenn vielleicht sogar DIE Katastrophe war der Erste Weltkrieg, der den Auftakt zu weitaus größeren humanitären Dramen und ideologischen Weltbränden bilde­te. Dieser globale Konflikt, dessen Beginn sich 2014 zum hundertsten Mal jährt, wurde von Zeitgenossen auch als der „Große Krieg“ bezeichnet.
Für unzählige Dichter und Maler – von Ernest Hemingway, über Franz Marc, bis zu Remarque und Arnold Zweig –, sollten die Kriegsjahre die prägendste Ereignisse werden. Auf die eine oder andere Weise überlebten sie der Knochenmühle des Grabenkrieges im Westen, die Nahkämpfe der Isonzo­schlach­ten im Süden sowie die eisigen ­Weiten Osteuropas. Viele sahen sich gezwungen, diese existenziellen Erfahrun­gen, auf die eine oder andere Art und Weise in ihrer Kunst – aber auch in ­ihrer Weltanschauung – zu verarbeiten.
Dies führte nicht zu einheitlichen Schlussfolgerungen. Ihre Verarbeitung reichte von einem heroischen Realismus, über kategorischen Pazifismus bis hin zu glühendem Nationalismus. Neben den heute noch bekannten Schriften Tucholskys und Remarques („Im Westen nichts Neues“) steht insbesondere die vierteilige Buchreihe „Der Große Krieg der Weißen Männer“ des Kriegsteilnehmers Arnold Zweig für eine Absage an den Krieg. Gerade Zweigs „Erziehung vor Verdun“ ist ein einschneidender Roman, der die sinnlosen Bemühungen einer deutschen Einheit um eine Festung vor Verdun beschreibt.
Einen gegenteiligen Blickwinkel nehmen Romane und literarische Tagebü­cher wie Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ ein. Seine Beschreibungen – die bekanntesten dieser Art – stützten sich auf Aufzeichnungen, die der hochdeko­rierte Kriegsfreiwillige während des Kriegses anfertigte. Was die „Stahlgewit­ter“ für viele heute noch so unbequem sein lässt, ist der Fakt, dass sich keine ausdrücklich politischen Bekenntnisse – gar eine Antikriegsprosa – finden lassen. Von späteren Vorworten ­abgesehen lässt sich der Text als bejahend, neutral oder kriegskritisch lesen. Neben den Materialschlachten zählte für Jünger auch die Tatkraft des Einzelnen. Für den mehrfach verwundeten und ausge­zeichneten Stoßtruppführer war der Kampf eine Frage des „inneren Erlebnis“ und der „schärfenden Erfahrung“. Anders als andere, zweit- oder drittklassige Beispiele der positiven Kriegserfahrung enthält sich Jüngers Text aber jeglichem Nationalismus oder Hass auf den Feind.
Nicht alle überlebten den „Großen Krieg“. Viele, vielleicht sogar die besten in Europa gingen unter. Einige, wie der Dichter Trakl, zerbrachen an ­ihren Erfahrungen. Andere – insbesondere in den Freiwilligenjahrgängen – meldeten sich vor den Wehrpflichtigen. Gerade sie wurden in den Attacken der ersten Monate (als es noch die Illusion einer „Bewegung“ gab) verheizt. Ihre überschwängliche Begeisterung (die ganz Europa im Wahn ergriff) ergab zusammen mit antiquierter Gefechtsführung und dem maschinellen Overkill eine tödliche Mischung. Ein Blick in die Gedenkwände von Eton oder Oxford zeigt, wie viele sich aus den entsprechenden Jahrgängen freiwillig meldeten – und fielen. Schriftsteller wie D.H. Lawrence, die sich der zeitgemäßen Kriegsbegeisterung verweigerten, und überzeugte Pazifisten blieben, hatten einen schweren Stand.
In SPIEGEL (9/1999) beschrieb der bekannte britische Militärwissenschaft­ler John Keegan die Wirklichkeit in der Todeszone der Grabenkämpfe: „Über diesen wüsten Raum hinweg wurden die täglichen Aggressionen des Lebens im Schützengraben ausgetauscht – das Routinebombardement, das Sperrfeuer der Mörser, die dauernd über die ­Stellung hinwegfegenden Maschinengewehrgarben, das gezielte Feuer von Scharfschützen, die periodisch wiederkehrende Angriffe von Stoßtrupps in die gegnerischen Gräben, der blutige Nahkampf mit Messern und Totschlägern und zweimal jährlich oder öfter großangelegte Offensiven, zu denen hunderttausende von Männern antraten, unterstützt durch tausende von ­Kanonen, die millionenfach Granaten abfeuerten.“
 
Weltbürgerkrieg?
Mittlerweile sind viele Historiker überzeugt, dass es sich beim „Großen Krieg“ nicht um einen isolierten Konflikt handelt, der 1918/1919 mit der deutschen Niederlage endete. Vielmehr sei er der Anfang eines „Weltbürgerkriegs“ gewesen, der in den bedingungs­losen Kapitulationen von 1945 (und aller unzähligen Grausamkeiten und Opfer dazwischen) seinen Abschluss fand. Angesichts der unzähligen Folgeereignisse, die aus den Kriegswirren, aber auch aus den irrealen politischen Ideen – wie denen des US-Präsidenten Wilson mit ihrem destruktiven „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ – erwuch­sen, ist diese Hypothese durchaus überzeugend. Erwähnt sei auch der Entschluss des deutschen Oberkommandos, eine Gruppe russischer Revolutionäre unter Leitung von Lenin in das Zarenreich einzuschleusen. Die Folgen sind bekannt.
Insbesondere die Geschichte des Nahen Ostens und der Türkei (auch nach den Verträgen von Versailles, ­Lausanne und Sevres) belegt, dass der Krieg mit der Kapitulation der Achsenmächte nicht beendet war. In dieser sensiblen Region sind die Konsequenzen auch heute noch zu spüren. Der „Große Krieg“ führte nicht nur zu ungerechten Grenzziehungen und künstlichen Nationalstaaten, er injizierte auch einen ideologischen Vernichtungswillen in einige Gesellschaften des Orients, die früher unbekannt waren.
In der modernen Wahrnehmung wird regelmäßig unterschlagen, dass nicht nur die Armenier einen hohen Blutzoll zu zahlen hatten. Auch mehrere muslimische Völker auf dem Balkan, in Anatolien und im Kaukasus hatten Millionen Tote, Verletzte und Vertriebene zu beklagen. Für ihre Opfer gibt es weder Denkmäler, noch rituali­sierte Schweigeminuten.
Die ewige Frage nach dem „Warum?“
„In der blutigen Auseinandersetzung zwischen den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn sowie der Entente aus Großbritannien, Frankreich und Russland zeigte die Moderne ihr anderes Gesicht – es war eine hässliche Fratze.“ (Klaus Wegrefe, SPIEGEL 8/2004)
Die bleibende Frage ist die nach ­Ursachen. Was hat einen ganzen Kontinent, eine verwandte Kultur, deren Angehörige im Großen und Ganzen die gleichen Ideale und Aspirationen gemeinsam hatten, dazu veranlasst, sich millionenfach umzubringen? Woraus speiste sich der kollektive Suizid Europas?
Die Frage wird dadurch kompliziert, dass die Mitte Europas – trotz Ausnah­men – seit Napoleon eine relativ lange Friedensperiode erlebte. Trotz zyklischer Krisen florierte die Wirtschaft in mittelfristiger Hinsicht. Die meisten ­regierenden Königshäuser waren familiär verbunden und die Menschen glaubten an die evolutionäre Doktrin des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts.
Der oben zitierte Keegan tut sich schwer, einen Grund zu finden. Für ihn, den Sohn eines Kriegsteilnehmers, bleibe er ein „Mysterium“. Daher lautete auch die Einleitung seines Buches über den Ersten Weltkrieg: „Der Erste Weltkrieg war ein tragischer und unnötiger Konflikt.“ Und Neill ­Fergusson, Theoretiker des Imperiums, nannte sein Buch zum gleichnamigen Thema „Der falsche Krieg“.
Gewiss, es gab widerstreitende impe­riale Ambitionen, Neuankömmlinge wie Deutschland (das Großbritannien schnell als aufstrebende ­Industrienation ablöste) oder Italien wollten „Weltpolitik“ betreiben und rieben sich mit den etablierten „Großmächten“. Und durch die gezielte – aber nicht unausweichliche – Zerschlagung des Osmanischen Devlets in Südosteuropa entstand ein gefährliches Vakuum, an dem sich nationalistischen Leidenschaften junger Staaten mit nationalem Sendungsbewusstsein entzündeten.
Christopher Clark hat in seinem wegweisen Werk „Die Schlafwandler“ (siehe S. 16) einen Beitrag zur Geschichte des „Großen Krieges“ geleistet. Sein Buch ist wichtig, weil er sich nicht mit großen Theorien oder Schuldzuschreibungen aufhält, sondern vor allem eine Chronik der Ereignisse nachzeichnet. Die simple These, der „Kaiser“, der preußische Militarismus oder Serbiens Nationalismus seien schuld, ist nach der Lektüre von Clarks Buch nicht mehr haltbar.
Die Ursachen waren – und bleiben – vielfältig: Eine veränderte politische Großwetterlage in Europa, die durch das frühere Bündnissystem nicht mehr einzugrenzen war. Eine politische ­Klasse – von Poincaré, über Edward Grey bis Reichskanzler Bethman Hollweg –, die den Anforderungen ihrer Zeit nicht gerecht werden konnte und die sich charakterlich deklassierte. Und ein „militärisch-industrieller Komplex“ (Eisenhower) mit sagenumwobenen Gestalten wie dem Waffenhändler Basil Zaharoff („Während der Balkankriege bewaffnete Zaharoff beide Parteien. Er unterstützte Griechenland gegen die Türkei. Die Türkei gegen Serbien und, ein Jahr später, Serbien gegen Österreich.“), sowie ein expandierendes Finanzsystem (die einflussreichen franzö­sischen Banken finanzierten im Wesent­lichen die massive Aufrüstung Serbiens und Russlands). Sie alle zündelten am Pulverfass mit.
Vielleicht lagen die Ursachen der europäischen Selbstentleibung aber doch tiefer und waren tektonischen Verschie­bungen geschuldet. Erkannte doch der hellsichtige Philosoph Nietzsche Jahrzehnte vor dem Kriegsausbruch: „Die Zeit für kleine Politik ist vorbei. Schon das nächste Jahrhundert bringt den Kampf um die Erdherrschaft.“
Dieser Artikel erschien (01/14) in der Printausgabe der Islamischen Zeitung.

Die türkische Tageszeitung „Takvim“ spekuliert über eine mutmaßliche Beteiligung des Investmentfonds KKR

(iz). Nach einem Bericht der türkischen Tageszeitung „Takvim“ belegen Dokumente des türkischen Geheimdienst MIT, dass der amerikanische Investmentfonds KKR 25 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt habe, um die Regierung Erdogan zu stürzen und somit den wirtschaftlichen Aufschwung der Türkei zu torpedieren.

Mit dieser Aufgabe solle nach Darstellung des, dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan nahestehenden Organs der ehemalige CIA-Chef und General David Petraeus beauftragt worden sein. Seit Mai leitet Petraeus das KKR Global Institute, die Analyseabteilung der Investmentfirma KKR (Der „Spiegel“ berichtete am 31.05.2013 über die Anstellung des Ex-Militärs).

Seit Mai letzten Jahre sei laut „Takvim“ über internationale Medien wie der „Financial Times“, dem „Guardian“, dem „Worldstreet Journal“, dem „Spiegel“ und „Today's Zaman“ (Türkei/Deutschland) der Ruf von Erdogan systematisch beschädigt worden – „mit Vorwürfen, wonach er wie ein Diktator handeln würde“.

„Im nächsten Schritt wurden die Unruhen rund um den Gezi-Park provoziert, sodass auch innerhalb der Türkei versucht wurde, Erdogan als Diktator dastehen zu lassen“, hieß es in dem Text. Als dritten Schritt habe „die Finanzoligarchie die Parallelstrukturen innerhalb des Staatsapparates aktiviert“. Mit Durchsuchungen bei Angehörigen von Ministern werde mit einer Schockstrategie versucht, die AKP-Regierung entscheidend zu schwächen. „KKR transferierte während der letzten Monate Geld an verschiedene NGOs, um die Unruhen vorzubereiten.“

Laut der türkischen Zeitung wolle der Investmentfonds damit das Land in eine politische Krise treiben und „die Ökonomie, die in den letzten Jahren immer stärker wurde, schwächen, um dadurch lukrative Unternehmen in der Türkei unter Wert zu übernehmen. Die KKR agiere dabei „Hand in Hand mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF)“, denn der IWF wolle die Türkei „wieder durch Schulden unter seine Kontrolle bringen“.

Diese Methode des „leverage buyout“ habe das Unternehmen bereits in vielen Ländern erfolgreich angewandt. „Zunächst werden durch politische und ökonomische Operationen die Grundlage für eine tiefe Krise gelegt. Die Konzerne, die vor der Krise aufblühten, verlieren danach stark an Wert, sodass diese für eine lächerliche Summe von ausländischen Fonds aufgekaut werden.“ Danach schalte sich der IWF ein und sorgt mit Krediten, „die im Endeffekt in diesen aufgekauften Konzernen landen“, dafür, dass sie wieder aufblühen. Der betroffene Staat gerate in Abhängigkeit und müsse die Milliardenkredite an den IWF zurückzahlen.

Münsteraner Studenten ist an einer Fortführung der Arbeit des Zentrums für Islamische Theologie gelegen

Münster (iz). In einer Stellungnahme hat die Fachschaft des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) Münster die Debatte um die „theologischen Positionen“ des ZIT-Leiters, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, sowie des gerade veröffentlichten Gutachtens des Koordinationrates der Muslime (KRM) um eine studentische Perspektive erweitert. Vor allem wolle man „einer wachsenden Unsicherheit unter Studierenden des ZIT“ Rechnung tragen.

Den rund 400 Studierenden am ZIT Münster sei an einer zukünftigen Fortführung der Arbeit am besagten Institut gelegen. „Mit Nachdruck wollen wir darauf aufmerksam machen, dass den Studierenden die Anerkennung ihrer anvisierten Abschlüsse und das Vertrauen in den zukünftigen islamischen Religionsunterricht insbesondere von der muslimischen Basis besonders wichtig sind“, heißt es hierzu in der Stellungnahme.

Weil der KRM die Interessen des überwiegenden Teils der (heterogenen) Muslime in der Bundesrepublik vertrete und die gemeinschaftliche muslimische Glaubenspraxis weitestgehend in den Moscheegemeinden stattfinde, empfänden die Studierenden die Zusammenarbeit der Universität und insbesondere des ZIT mit den islamischen Religionsgemeinschaften als unerlässlich. „Nur so lässt sich gewährleisten, dass muslimische Eltern die religiöse Erziehung ihrer Kinder ruhigen Gewissens diesen zukünftigen Absolventen anvertrauen.“

Die Fachschaft wendet sich gegen das Missverständnis innerhalb der „öffentlich geführten Auseinandersetzung um den gegenwärtigen Leiter des ZIT“ und seine theologische Ausrichtung wäre identisch mit dem gesamten Zentrum für Islamische Theologie. Studierende wie Lehrende seien pluralistisch geprägt, weshalb das ZIT nicht an einer Person festgemacht werden dürfe.

„Wir appellieren an alle Verantwortlichen, die öffentlichen Diskussionen insgesamt differenziert sowie verantwortungsvoll zu führen und bei etwaigen Entscheidungen dem Allgemeininteresse des ZIT Rechnung zu tragen und persönliche Interessen zurückzustellen.“

Kommentar: Was sind die Folgen der Ablehnung von Mouhanad Khorchide?

(iz). Die Ablehnung des Münsteraner Professors Mouhanad Khorchide ist nach dem Gutachten des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland (KRM) nun offensichtlich. Nicht klar ist aber die weitere Strategie des Rates, der ja seinem Namen nach koordinieren will.

Wieder einmal blockiert sich das Gremium selbst, das mit einem Vetorecht des größten Verbandes von Beginn an nicht demokratisch verfasst war. Bis heute fehlt auch wegen dem Konkurrenzkampf der Organisationen untereinander eine eindrückliche und auch notwendig starke Präsenz des organisierten Islam in Berlin. Wenn der KRM weiter ernst genommen werden will, darf er sich nicht nur zur Theologie äußern. Eine Rolle, die der Rat ja deswegen aktiv annimmt, da er diese Aufgabe als Vorstufe zur Anerkennung als Körperschaft sieht.

Wichtig wäre nun, dass der Koordinationsrat im Zentrum positiv definiert, was der Islam seiner Sicht nach ist. Das ist keine Aufgabe für Politiker. Es ist mehr als politische Theologie und muss in den Händen der dafür qualifizierten Gelehrten aus dem Raum der anerkannten Rechtsschulen liegen.

Auf dieser gesicherten Basis kann dann auch in den deutschen Universitäten eine freie Debatte und eine freie Lehre nicht gegen den Willen der Muslime sein. Intellektuelle Vielfalt hat noch keinem geschadet; zumindest solange mit einer klaren Lehre in der Mitte, die Extreme abgegrenzt, unhaltbare Positionen im Vergleich für alle Studierenden sichtbar bleiben.

Nur so können die Verbände klare Orientierung geben, ohne aber in den Verdacht zu geraten, die freie Debatte über Glaubensinhalte beschweren zu wollen. Verfügt der KRM über einen Gelehrtenrat und eine klares inhaltliches Profil, ist die Balance hergestellt.

Einfacher gesagt, wir wissen nun, dass der Koordinationsrat gegen etwas ist. Jetzt muss deutlich werden, wofür er steht. Viele Muslime wollen von ihrer Interessenvertretung wissen, was es mit den Fragen der Aqida, aber auch der Zakat oder dem Wirtschaftsrecht in unserer Zeit auf sich hat.

Wo man helfen muss“– „Wir sehen uns im Paradies“: Die Geschichte von Mohannad und Hind. Von Tasnim El-Naggar

(IRD). Im November 2013 bin ich für Islamic Relief nach Jordanien geflo­gen. Dort habe ich Mitarbeiter von Islamic Relief Jordanien getroffen und mit palästinensischen und syrischen Waisenkindern gesprochen, um mehr über ihr Leben zu erfahren. Hier möchte ich von den beiden Waisen Hind und Mohannad aus Syrien erzählen. Mit dem Auto fahren wir am Morgen von Amman nach Irbid. Wir – das sind Hadeel und Olivia von Islamic Relief Jordanien. Und ich. Erst einmal besuchen wir das Feldbüro, das für die vielen syrischen Flüchtlinge errichtet ­wurde. Die meisten von ihnen sind glücklicherweise in Wohnungen untergekommen und werden dort von Sozial­arbeitern von Islamic Relief betreut.

Eine von ihnen ist Hala Al-Thalji, die uns auf unserem weiteren Weg ­begleitet. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie mit ihrer lustigen und quirligen Art die Waisenkinder zum Lachen bringt.

Erst einmal besuchen wir zwei syrische Familien, die uns die bewegenden und auch traurigen Geschichten ihrer Flucht erzählen. Ein paar kurze Augen­blicke dürfen wir ihr Schicksal mit ­ihnen teilen, Anteil nehmen, unser Mitgefühl ausdrücken, ihre Hände halten, ihre Tränen wegwischen.

Wir begeben uns auf den Weg zu den syrischen Waisenkindern, die wir nun besuchen möchten. Da kommt uns ein kleiner Junge entgegen, ruft uns etwas zu, wirft sich uns stürmisch und unerschrocken in die Arme, freut sich. Wir sind entzückt, drücken ihn feste. Er nimmt eifrig meine Hand und führt uns zu seinem Haus, das sein neues Zuhause ist. Mohannad heißt der Kleine, dreijährige Junge, erfahren wir von seiner Oma. Und da ist Hind, seine große und ebenso herzliche Schwester. Sie ist fünf Jahre alt. Hind wurde nach ihrer Oma benannt, die mit ihren beiden Enkelkindern und ihrem behinderten Sohn nach Jordanien geflohen ist. Die 52-Jährige ist nun für diesen kleinen Rest der Familie, der noch übrig ist, verantwortlich. Schwer schluckt sie, als sie davon erzählt, wie erst ihr Mann unter Folter und dann ihr Sohn, der Vater von Hind und Mohannad, gestorben ist. „Er war einfach nur ein normaler Taxifahrer. Aber sie haben ihn entführt, und als wir das Lösegeld nicht bezahlen konnten, haben sie ihn getötet. Mit 26 Jahren.“ Nur drei Monate später starb die junge Mutter der Kinder. „Ich bin mit Hind und Mohannad zur Impfung gegangen. Als wir zurückkehrten war das Haus zerstört. Meine Schwiegertochter wurde unter den Trümmern begraben.“ Da packten sie ein paar Sachen und flohen so schnell sie konnten von Homs über Daraa nach Irbid. „Mein behinderter Sohn war in unserem Haus, als es zerstört wurde. Er hat ein Trauma ­erlitten und hat nun panische Angst vor ­Donner oder dem Zerplatzen eines Luftballons.“

Während die Kinder gerade noch ausgelassen spielten, sitzen sie im ­nächsten Moment auf dem Schoß ihrer Oma und fragen nach Mama und Papa. Fotos von ihren Eltern liegen vor ihnen, Erinnerungen kommen hoch. „Ihr werdet sie im Paradies treffen“, lächelt sie ihnen hoffnungsvoll zu, während ihr Herz schwer wird. Dann spielen die Kinder weiter, voller Freude stürzen sie sich auf die Geschenke, die wir ihnen mitgebracht haben, begeben sich für eine Zeit ganz und gar in ihre sorgenfreie Welt. Eine beim Anblick von Oma Hind übers ganze Gesicht strahlende Frau betritt den Raum. Es ist Najah, die Vermieterin. Täglich sehen sich die ­beiden Frauen, haben innige Freundschaft geschlossen. Dass Einheimische und syri­sche Flüchtlinge sich mögen ist nicht selbstverständlich; es herrscht viel Neid, viel Missgunst. Umso schöner zu sehen, wie sich die beiden Frauen drücken. „Ich bin so froh, dass sie da ist! Durch sie habe ich eine neue Familie gewonnen, als ich meine alte zurücklassen musste.“

Ich bewundere die Mütter und Großmütter, die wir bei unseren Besuchen getroffen haben, für ihre innere Stärke, ihre Geduld, ihre Ausdauer, mit der sie ihrem harten Los trotzen und versuchen einen Alltag zu leben, der seit ihrer Flucht fast unmöglich ist. Ich bewunde­re sie für jedes Lächeln, das ihr Gesicht erhellt, und den Dank, den sie an ­Allah richten, voller Bescheidenheit und Demut. Und ich bewundere sie für ihre Hoffnung, die sie auch jetzt nicht verloren haben. Ich weiß, dass ich mich noch lange an sie und das, was sie uns erzählt haben, erinnern werde, für sie beten werde. Aber auch, dass unser Besuch nur ein kurzer Einblick in das war, was diese Familien tagtäglich an Prüfungen erleben. Ich bin froh, dass wir von Islamic Relief ihnen durch die Mietbeihilfe, die Lebensmittelmarken und den seelischen Beistand ihre Last zumindest ein wenig erleichtern und ihre Not lindern können. (IRD).

Mehr zur Nothilfe Syrien von Islamic ­Relief unter: islamicrelief.de/notfall/syrien-nothilfe
Mehr zu meiner Reise nach Jordanien ­unter jordanienreise-islamicrelief.blogspot.de

„Somewhere in America” hat Debatten ausgelöst

„Der Prozess der Schaffung des ‘Normalen’ entzieht uns – gerade Frauen – zentrale Elemente unseres Glaubens. Das Mipsterz-Video ist deshalb für viele nur schwer verdaulich, weil es einem die wachsende Kultur eines Lyfe-Style-Islam direkt unter die Nase hält. Laufstegtauglich, auf dem Catwalk stolzierend und mit der passend trotzigen Haltung scheinen sie das Gegenteil von dem zu repräsentieren, was wir als islamische Bescheidenheit kennen und – manchmal übereilt – erwarten. (…) Heute sind wir das Bild, das wir schaffen und an den Tag legen. Also, welches geben wir individuell und kollektiv ab?“ (Sanaa Saeed, The Islamic Monthly)

(iz). Unter US-Muslimen ist ein aufschlussreicher und hochspannender Streit darüber entstan­den, wie das Kurzvideo „Somewhere in America“ (unter Mitwirkung junger Musliminnen mit verschiedensten Hintergründen) zu verstehen sei. Die Protagonistinnen des Trends – manche KritikerInnen weigern sich, von einer echten Bewegung zu sprechen – nennen sich in Anlehnung an die allgemeinen Hips­ter auch „Mipsterz“.

Worüber gerieten sich Musliminnen – sowie vereinzelte männliche Muslime – die wie „Konservative“ klingen mögen, aber feministisch und „liberal“ argumen­tieren, und die Darstellerinnen der Szene in die Haare? Unterlegt mit einer jugendschutztauglichen Version von Jay-Z’s Song „Somewhere in America“ tummeln sich in einem erstaunlich professionell produzierten (mehrheitlich von muslimi­schen Männern!), 2:28 Minuten langen Video.

//1// Der Stein des Anstoßes. Framegrab von „Somewhere in America“.

Eine bunt gemischte Gruppe junger Fräuleins in allen Facetten der Aufmachung agiert mit laufstegkompatiblen Posen und Gesten in der urbanen Landschaft verschiedener US-amerikanischer Städte. Während die modeindustrie­tauglichen Jungmodels durch ihre diversen Stylez und Formen der Selbstdarstellung Individualität verkörpern (wollen), wirken sie seltsam identitätslos. Nichts in dem Clip steht für einen tiefe­ren persönlichen Inhalt. Beim mehrfachen Anschauen beschleicht mich das Gefühl, sie hätten nicht viel mehr als ihre Moves, Stylez und Tücher. Gelegentlich schwingt aber postmoderne Ironie mit, wenn eine Handvoll junger Frauen auf einem Skateboard durchs Bild fährt oder eine einzelne Protagonistin mit der Axt am Baum scheitert.

Amina Sheikh, eine der Darstellerinnen hat ihren Beitrag deutlich ­gegenüber Kritikerinnen wie Sanaa Saeed gerechtfertigt. „Meine Schwierigkeit mit allen Kritiken, die ich lese, ist, dass sie mir die Handlungsfähigkeit und Macht absprechen wollen“, widersprach Sheikh den Kritikerinnen. Gerade weil sie aus der Hijabi-Bewegung komme, aber mit einigen ihrer Aspekte Probleme habe, sei sie mit den Darstellerinnen überhaupt zusammengekommen „Ich habe diese Wahl getroffen“, schreibt die studierte kanadische Orientalistin. Das Video sei eine Reflexion von ihr und vielen musli­mischen Frauen. „Euch mag es nicht gefallen, was OK ist. Es mag euch nicht repräsentieren, was sogar besser ist. Und ihr kennt wahrscheinlich niemanden, der wie wir ist – das ist um so vieles besser!“

Undenkbar für uns Hiesige hat der Streit darüber, was eine zulässige und für andere Frauen verbindliche Präsentation sei, längst Blogs und soziale Medien verlassen. Von muslimischen Community-Medien, über das hippe Frauenmagazin „Jezebel“ bis zur längst etablierten „Huffington Post“ hat er Wellen geschlagen. Geht es doch – vielleicht für die meisten unbewusst – um Fragen wie Selbstverständnis und -ermächtigung amerikanischer Musliminnen.

Die eingangs zitierte Sanaa Saeed hat mit dem ganzen Ansatz so ihre ­Probleme. Ja klar, das Video sei cool, schrieb sie in „Islamic Monthly“, aber das war’s dann halt auch. Sie sei daran gescheitert, eine Absicht in dem Video zu erkennen. Darüber hinaus tue es wenig dafür, Vorurtei­le zu bekämpfen. „Es sind im sprichwört­lichen Sinne junge muslimische Frauen mit einem beeindruckenden Modegeschmack, während in der Kulisse Jay-Z darüber singt, wie Miley Cirus mit ihrem Hinterteil wackelt.“

Unabhängig davon, ob wir uns für eines der beiden Argumente entscheiden wollen oder nicht, es lohnt sich über den Großen Teich zu schauen. Die US-DiskutantInnen machen sich die Mühe, den Streitgegenstand nicht nur nach „verboten“ oder „erlaubt“ zu beurteilen. Sie reflektieren darüber, was den ästhetischen Gehalt dieser Sache ausmacht. Eine Prise davon könnte uns guttun, nachdem wir jahrelang die – ästhetisch gelegentlich fragwürdige – „muslimische Popkultur“ durchgewunken haben.