Grundlagen der Hadsch wurden schon vom Propheten Ibrahim festgelegt

(iz). Die Hadsch, die Pilgerfahrt zum Hause Allahs nach ­Mekka, findet an verschiedenen Stellen im Qur’an umfangreiche ­Erwähnung: „Und als Wir für Abraham die Stätte des Hauses bestimmten (sprachen Wir): ‘Setze Mir nichts zur Seite und halte Mein Haus rein für die (es) Umkreisenden, ­Betenden und Sich-Niederwerfenden. Und rufe die Menschen zur Pilgerfahrt auf.’ Sie werden zu Fuß und auf jedem mageren ­­Kamel aus allen fernen Gegenden zu dir kommen, auf dass sie allerlei Vorteile ­wahr­nehmen und während einer bestimmten Anzahl von Tagen des Namens Allahs für das gedenken mögen, was Er ­ihnen an Vieh gegeben hat. Darum esset davon und speist den Notleidenden, den ­Bedürftigen. Dann sollen sie ihre persönliche Reinigung vollziehen und ihre Gelübde erfüllen und um das Altehrwürdige Haus wandeln.“ (Al-Hadsch, 25-29)

Die Hadsch ist einzigartig. Es gibt nichts, das ihr vergleichbar wäre. Sie ist das einzig wahre global-soziale Verhaltensmuster der Menschheit. Von unserer notwendigerweise beschränkten, erdgebundenen Perspektive ist es nur zu leicht, den universalen Charakter dieser großartigen Institution aus den Augen zu verlieren und zu vergessen, was für eine wahrhaft herrliche Sache die Hadsch ist.

Ein weiterer Aspekt, den wir nur zu leicht vergessen, ist der alte Charakter der Hadsch. Dazu zählt die Tatsache, dass die Muslime durch ihre Teilnahme an der Pilgerfahrt eine Tradition fortsetzen, die es seit Anbruch der Menschheit gibt. Es ist mindestens 6.000 Jahre her, seit der Prophet Ibrahim die Riten der Hadsch begründet hatte. Wenn die Muslime sich auf diese schwere Reise machen, dann haben sie Anteil an einer Serie von Ritualen, die untrennbarer Bestandteil der menschlichen Existenz schon vor Beginn der aufgezeichneten Geschichte sind.

Die Hadsch ist der Beleg für die Wirklichkeit, wonach im Islam alle Wege zum Hause Allahs führen – an dem Nationalität, Rasse und die unterschiedlichen Lehrmeinungen hinfort gefegt werden. Wo immer die Reisenden herkommen, und was immer ihr sozialer Status sein mag, sie werden von einer einzigen Sache an einen einzigen Punkt angezogen – das Verlangen, Allah an Seinem Hause anzubeten und die Riten der Hadsch zu vollziehen. Der Pilgernde wird zu einem von vielen Elementen für den Schmelztiegel von Mekka, wo die große Vereinigung der muslimischen Gemeinschaft ihren Ort findet. Beinahe niemand kommt unverändert von der Hadsch zurück. Bei einigen heimkehrenden Pilgerreisenden war der Wechsel nur oberflächlich und sie sind – nach einer kurzen Zeit – die gleichen Menschen, die sie vorher waren. Andere jedoch kommen vollkommen verändert zurück. Ihr Leben erhält eine neue und bedeutungsvollere Qualität. Sie sind diejenigen, über welche der Prophet sagte, dass sie wie neugeboren seien. Für sie hat die Reise zum Hause Allahs wirklich die Funktion eines Neuanfangs in ihrem Leben. Es ist nicht ausreichend, nur passiv an den Ritualen der Hadsch Anteil zu haben und sich von der Masse wie ein Stück Treibholz mitreißen zu lassen. Wir müssen etwas von uns selbst mitbringen; und dieses „Etwas“ ist Taqwa, das furchtsame Bewusstsein von Allah. Die Rituale sind nicht magisch, das heißt, sie haben keinen automatischen Nutzen für den, der sie durchläuft. Der Nutzen, den die Pilger aus ihrer Hadsch ziehen, steht in direktem Verhältnis zur Menge ihrer Taqwa, die sie einbringen.

Wie jede unserer Handlungen der Anbetung haben die Akte der Hadsch eine korrespondierende innere Wirklichkeit, ohne die sie nicht als erfüllt gelten kann. Die notwendige innere Dimension der Handlung des Ihrams [der Beginn der Riten der Hadsch; auch das Anlegen der Pilgerkleidung am Miqat] nimmt die Form der Absicht ein, von der die Gültigkeit der Pilgerfahrt einer Person abhängig ist. Diese Absicht, um nur ein Beispiel zu nennen, muss auf alle Riten projiziert werden, sodass die Hadsch in Gänze von ihr inspiriert ist.

Es heißt, dass die Bittgebete, die am Hause Allahs gesprochen werden, beantwortet werden. Jeder, der die Masdschid Al-Haram besucht, sollte während seines Besuchs diese Gelegenheit nutzen, Allahs Hilfe und Segen zu erflehen; und nicht nur für sich selbst, sondern für alle, die zurückgelassen wurden.

Am Ende können alle Hinweise nur ein oder zwei Türen für ein tieferes Verständnis der Hadsch öffnen. Es ist nur die direkte Erfahrung der Rituale der Hadsch, welche die jeweils eigene Pilgerfahrt ausmachen. Die eigene Hadsch wird immer anders sein als die eines anderen, selbst wenn man mit einer Person die gesamte Zeit der Reise verbringt.

„O ihr, die ihr glaubt, verneigt euch und werft euch in Anbetung nieder und verehrt euren Herrn und tut das Gute, auf dass ihr Erfolg haben möget. Und eifert in Allahs Sache, wie dafür geeifert werden soll. Er hat euch erwählt und hat euch nichts auferlegt, was euch in der Religion bedrücken könnte, der Religion eures Vaters Abraham. Er (Allah) ist es, Der euch vordem schon Muslime nannte und (nun) in diesem (Buch), damit der Gesandte Zeuge über euch sei und damit ihr Zeugen über die Menschen sein möget. Also verrichtet das Gebet und entrichtet die Zakat und haltet an Allah fest. Er ist euer Beschützer, ein vortrefflicher Beschützer und ein vortrefflicher Helfer!“ (Al-Hadsch, 77-78)

Kommentar: Nur Jürgen Todenhöfer stellt unangenehme Fragen in Sachen Afghanistan. Von Khalil Breuer

(iz). Es ist der wohl der langwierigste und sogleich umstrittenste Einsatz der Bundeswehr seit dem 2. Weltkrieg: Afghanistan. Der Krieg am Hindukusch und seine geopolitischen Implikationen waren ein Mittwoch-Abend lang Thema bei der ARD. In einem schlichten „Kriegsfilm“ sollte zunächst das Dilemma der Soldaten, zwischen den humanistischen Zielen des Einsatzes und der üblichen Trübsal des militärischen Alltags, verdeutlicht werden.

Auch Muslime gab es in dem Film, in zwei groben Varianten, sie waren anwesend als blutrünstig-grausame Schar der Taliban oder als das ansehnlich integrierte Individuum, dem muslimischen Helden der Bundeswehr. Der Rest der Afghanen: Arme Rückständige, die endlich aus dem Mittelalter abgeholt werden müssen, modernisiert und durch uns schnell in einem Nationalstaat zusammengefasst werden wollen.

Die Moderatorin Anne Will stellte am Schluss des Themenabends der ARD die eigentliche Grundsatzfrage: „War es den Einsatz bisher wert?“ In erster Linie ging es ihr dabei „theoretisch“ um eine mehr oder wenige schonungslose Kriegsbilanz. Schlimm genug: Der Einsatz hat bereits einige Dutzenden Männer der Bundeswehr das Leben gekostet. Die Frage, welche Firmen von dem langjährigen Krieg unter Anderem ökonomisch profitieren, wurde bei der Bilanz mehr oder weniger ausgespart. Natürlich gab es auch so Grund genug für eine harte „moralische“ Auseinandersetzung zwischen den Männern zu Hause: Bürger, mit und ohne Uniform, Pfarrer, Moralisten, Politiker.

Vor allem in der Person des bedächtigen Verteidigungsminister, de Maiziere, und des streitbaren Experten Todenhöfer wäre bei Anne Will so die Anlage für ein ernstes, notwendiges Wortgefecht, gegeben gewesen; dachte man zumindest zu Beginn der Sendung. Allerdings – wie immer bei dieser Art Talkshow – die Runde wurde durch die Regie bewusst „entschärft“, im Grunde verwässert, – durch ein paar Gäste zuviel und einigem planlosen Gerede. Die wesentlichen Fragen wurden so geschickt an den Rand gedrängt.

Im Kern war die Runde sich dabei ohne Ausnahme einig, dass, der im Einspieler des Reformkatholiken Drewermann geäußerte polemische Vorwurf, die Soldaten seien „bezahlte Auftragsmörder“ falsch sei. Die eigentliche Verantwortung, so war man sich einig, tragen weniger die Soldaten vor Ort, die ihren Kopf hinhalten, als die über die Ideale des Krieges schwadronierenden Politiker an der Heimatfront. Ja auch dies wurde an dem Abend klar: Der Einsatz der Bundeswehr – fern von den Schreibtischen in Berlin – ist noch immer sehr ernst. Die anwesende Frau eines Soldaten schilderte durchaus eindrucksvoll die traumatischen Folgen des Einsatzes für viele Soldaten der deutschen Armee.

Aber, die Grundfrage an den Verteidigungsminister nach der wirklichen Bilanz des Krieges und – nebenbei erwähnt – des Sinns der Traumatisierung der afghanischen Zivilbevölkerung im Namen der Terrorbekämpfung – sei es durch jahrelanges Flächenbombardement oder des Einsatzes von, per Kopfdruck gesteuerter High Tech-Drohnen, die aber, menschlich gesehen, eher an eine mittelalterlich anmutenden brutalen Strategie erinnern – stellte schlussendlich und gewohnt hartnäckig nur Jürgen Jürgen Todenhöfer. Also kein aktiver Politiker.

Eindrücklich sprach er nicht nur den Parteisoldaten und Bündnispolitiker, sondern den Verantwortung tragenden Menschen de Maiziere an. Warum wurden praktisch alle Kriegsfolgen verfehlt? Warum geht und ging es wirklich? Wie kann ein führender Bundeswehrsoldat nach seinem Befehl, der trotz evidenter Fehler durchgeführt wurde und über 100 unschuldiger Afghanen das Leben gekostet hat, sogar durch den Minister befördert werden? Unangenehme Fragen, die den Minister weiter gehörig ins Schwitzen gebracht hätten, wäre da nicht Anne Will. Immerhin es blieb noch Zeit für eine kluge Nachfrage in Sachen „Beförderung“, die de Maiziere mit einer  „so ist das eben, Basta“-Position kühl abprallen lies. 

Die von Jürgen Todenhöfer geforderte Wahrheitskommission nahm die Runde kaum ernst. Warum auch die Wahrheit ergründen? Es muss einfach weitergehen! De Maziere relativierte bereits wortkarg in Nebensätzen die Abzugspläne für das Jahr 2014, denn – ohne dass dies ausdrücklich problematisiert wurde – die profanen geopolitischen Interessen des Westens in der Region sollen langfristig bestehen bleiben.

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Eine deutsche Tradition: Muslime laden zum „Tag der offenen Moschee“. Von Christoph Schmidt

(KNA). Für Ali Kizilkaya geben sich unerfreuliche Themen derzeit die Klinke in die Hand. Die Beschneidungsdebatte, die Krawalle um ein provozierendes, antimuslimisches Video oder die Plakataktion des Bundesinnenministers gegen „Islamismus“ erzeugen täglich Schlagzeilen, die der Sprecher des Koordinationsrats der Muslime in Deutschland (KRM) lieber nicht lesen würde.
„Der Islam wird immer noch von zu vielen Menschen als Problem wahrgenommen, nicht als Teil dieser Gesellschaft“, meint er. Wenigstens am „Tag der offenen Moschee“ (TOM) an diesem Mittwoch soll das anders sein. Mehr als 600 Moscheegemeinden der vier im KRM zusammengeschlossenen Verbände öffnen ihre Pforten, um mit nichtmuslimischen Nachbarn ins Gespräch zu kommen. „Wir wollen informieren und diskutieren“, sagt Kizilkaya.
Schon zum 16. Mal laden die Muslime in ihre Gebetshäuser ein – stets hochsymbolisch am Tag der deutschen Einheit. Darin stecken wohl zwei Botschaften: Wir identifizieren uns mit diesem Land, ist die eine. Wir fordern einen gleichberechtigten Platz in dieser Gesellschaft, die andere. Die Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft vergleichbar den Kirchen scheiterte bisher an formalen Kriterien des deutschen Religionsverfassungsrechts.
Mehr als 2.800 Moscheen stehen in Deutschland, oft kaum als solche erkennbar in Wohn- oder Lagerhäusern gelegen. Doch schon beinahe jede zehnte trägt ein klassisch-islamisches Antlitz, häufig in osmanischer Bauweise mit Kuppel und einem oder mehreren – in der Regel gestutzten – Minaretten. Seit die Bauwelle in den 1990er Jahren begann, erzeugen die repräsentativen Gotteshäuser wie die Religion, für die sie stehen, bei vielen Ängste und Widerstand. Daran konnte „TOM“ als „Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit“ offenbar nur wenig ändern. Umfragen zeigen: Über die Hälfte der Deutschen empfindet Vorbehalte oder gar Abneigung gegen den Islam. „Wir befinden uns in einem sehr langsamen Prozess hin zu einem echten Miteinander“, so Kizilkaya.
Moscheen als Brücken zwischen den Kulturen, der Koran als ewig gültiges Buch und Mohammed als barmherziger Prophet waren Mottos der vergangenen „TOMs“. In diesem Jahr geht es um „Islamische Kunst und Kultur“. Ihr Reichtum sei den wenigsten Nichtmuslimen bekannt, sagt der KRM-Sprecher. Vorträge über arabische Literatur und Wissenschaft, türkische und arabische Musikvorführungen und Ausstellungen zu islamischer Kalligraphie und Ornamentik stehen bundesweit auf dem Programm. Dabei geht es den Veranstaltern um mehr als unpolitische Folklore.
Die Fülle und Lebensbejahung islamischer Kultur soll das Klischee vom strengen, weltabgewandten Islam widerlegen. Gleichzeitig betonen die Veranstalter, dass der Koran und das Leben des Propheten Mohammed die Inspirationsquellen der islamischen Kunst und Wissenschaft sind. Wer nur „Tausendundeine Nacht“ sucht, wird also nicht viel verstehen, denn ohne ein bisschen theologisches Interesse bleibt einem die „Welt des Orient“ verschlossen. Diskussionen über die Freiheit der Kunst seien aber willkommen, verspricht Ali Kizilkaya.
Die Gemeinden erwarten auch in diesem Jahr wieder rund 100.000 Besucher. Bei Führungen erklären sie die Grundlagen des Islam und die Funktion der einzelnen Moscheeelemente. Das ehrfürchtige Flüstern, wie man es aus Kirchen kennt, wird die Akustik dabei nicht erschweren: Moscheen sind keine sakralen Dunkelkammern, sondern waren immer auch Treffpunkte des sozialen Lebens, von dem Gebet und Gottesdienst nur ein Teil sind. „Unsere Gäste sollten nur geziemende Kleidung tragen und die Betenden nicht stören“, bitte Kizilkaya. „Ansonsten brauchen sie nichts zu beachten.“

Das Internet kann einen verheerende Auswirkung auf die innermuslimische Kommunikation haben. Kommentar von Sulaiman Wilms

(iz). „Ein Wort ist“, so die alten Araber, „wie ein Pfeil. Einmal abgeschossen, kann es nicht mehr zurückgenommen werden“. Wohl auch aus diesem Grunde räumt das islamische Recht der Sprache den Stellenwert einer Handlung ein. Was im normalen, ­zwischenmenschlichen Alltag sich noch auf der Ebene des guten Umgangs bewegt, wird in vermeintlichen ­sozialen Medien – die oft einen asozialen Cha­rak­­ter haben – schnell zu einem ­notwen­digen Krite­rium für die Aufrechterhaltung einer nor­ma­len Kommunikation.

Ein prägnantes, und passendes Beispiel, ist der augenblickliche Marktführer auf dem Markt elektronischer Kommunikation: der bisherige Spitzenreiter Facebook. Während man im Gespräch – und sei es am ­Telefon – noch auf den bekannten Ablauf von Empfan­gen, Verarbeiten und Replik auf eine Informa­tion vertrauen kann, hebelt das ­vermeintliche soziale Medium bisherige Kommunikationsformen auf. Der Zwang zum sofor­tigen Versenden von – aus dem Kontext gerissenen oder subjektiven Meinun­gen – führt nicht selten zu Irrtümern und Verstimmungen. Bei einer direkten menschlichen Begegnung ist die Mimik des Gegenübers ein Indikator für den Zustand der Diskussion. Und selbst das ­unbesonnene Wort des Anderen wird rela­tiviert, weil man seinen Gemütszustand einschätzen kann.

Nirgendwo sonst – soweit es die ­inner­muslimische Debatte betrifft ­– lässt sich dies an der Diskus­sion um den Organisa­tionsgrad der Community ­ablesen. Bei Facebook wird – nicht selten unter dem Druck der vermeintlichen Kommunikation in „Echtzeit“ ­– mit Argumenten und Unterstellungen operiert, die sich mehr aus der Form des Mediums ergeben als aus den Absichten der Diskutan­ten. Hier greifen – ironischerweise auch auf muslimischer Seite – die gleichen Diskussionssche­mata, wie man sie im Internet von einer zumeist radikalen Islamkritik kennt.

Oft wird ohne Kenntnis über Beteilig­te, ­ihre Umstände und die Bedingtheiten ihrer Situ­a­­­­­tion debattiert – von platten Behauptungen über angeblich niederträchtige Absichten einmal ganz zu schweigen. Der ganzheitlichen Problematik des Islam in Deutschland aber kann Facebook – wenn überhaupt – nur bedingt gerecht werden. Weil aber das Wort im islamischen Recht eine Handlung ist, ist es wohl so, dass die meisten Muslime ihr Publizieren in sozialen ­­Medi­en schon als Ersatz für eine echte Tat ­­­betrach­ten, anstatt wirklich zu handeln.

Eine Fundamentalfrage erreicht die Gesellschaft. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Wie die Zeiten sich ändern: Noch vor Jahren war die Is­lamische Zeitung mit der Frage nach der Legitimität einer „Geldschöpfung aus dem Nichts“ ein ziemlich einsamer Rufer in der deutschen Medi­enlandschaft. Seit Gründung gehörte für uns die islamische Lehre und ihre dezidierte Antwort auf unsere aktuellen ökonomischen Fragen, zu den s­pannendsten der möglichen Debatten rund um die Rolle der Muslime in dieser Zeit.

Erst langsam erinnern sich Muslime heute, dass sie – neben dem bekannten kategorischen Zinsverbot – auch über weitere Quellen und somit über eine eigenständige ökonomische Lehre verfügen. Heute ist die wirtschaftliche Funda­mentalfrage nach dem „Wesen des Geldes“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Viele besorgte Bürger fragen sich derzeit: Darf man einfach immer mehr ungedecktes Geld drucken und ist es nicht sehr naiv zu glauben, dies ­bliebe zudem völlig folgenlos?

Auch die Vertreter des muslimischen Bankwesens bleiben in dieser Frage auffällig stumm. Das ist kein Zufall: Ist doch das Islamic Banking, wie die Geldpolitik aller muslimischen Länder heute belegt, ein integrierter Teil des internationa­len Bankensystems. Inzwischen ist der Ruf nach einer Verankerung der Geldpo­litik in rationale Überlegungen aber nicht mehr zu überhören. Der ehemalige Volkswirt und Berater der Deutschen Bank Thomas Mayer stellte in der „Wirtschaftswoche“ trocken fest: „Geldsystem wird Krise mit 50 Prozent Prozent nicht überleben.“ Aber auch auf höchster Ebene, zum Beispiel in der Person des Bundesbankchefs Jens Weidmann, regen sich ernste Zweifel. Auf einem Kolloquium erinnerte Weidmann an die frühe Sicht Johann Wolfgang von Goethes im Faust II auf die „wundersame Geldvermehrung“.

Der Bundesbanker klärte das staunen­de Publikum in Frankfurt über den potenziell gefährlichen Zusammenhang von Papiergeldschöpfung, Staatsfinanzierung und Inflation auf. Das „Handelsblatt“ titelte auf diesen Vortrag hin: „Die ­Frage nach unserer künftigen Geldordnung ist daher ab heute offiziell gestellt.“

So schließt sich der Kreis. Immerhin, das Problem ist endlich mit den ­Mitteln der Vernunft erkannt. Aber, was ist die Lösung? Nach einem Bericht der „New York Sun“ soll sogar die Deutsche Bank in einem internen Bericht über die Wiedereinführung eines „Goldstandards“ spekulieren. Aus islamischer Sicht geht auch dies nicht weit genug: Für eine maßvolle Wirtschaft sind Leitwährungen nötig, die ihren Eigenwert vollständig selbst verkörpern. Seit Jahrhunderten ist dies unter normalen Umständen Gold.

Grundlegende Betrachtungen zur Bedeutung der Muslime für die Zukunft des Landes. Von Parvez Asad Shaikh

(iz). Während Bemühungen der UN – den Rahmen für eine Reaktion auf die Lage in Syrien zu finden – dem unendlichen Treppenhaus von M.C. Escher ähneln, hielt jüngst das ähnlich überholte Forum der Blockfreienbewegung seinen Gipfel in Teheran ab. Der Vertreter Ägyptens begann mit einer Kritik an der Gewalt, die von Assad in Syrien eingesetzt wird. Im Versuch Syrien auszublende, ersetzten die Dolmetscher „Syrien“ durch das verdaulichere „Bahrain“.

Ob dies eine Lektion in schneller Auffassungsgabe, eine komödiantische Darstellung rhetorischer Politik oder eine Beleidigung der Männer, Frauen und Kinder war, die von einem skrupellosen Regime getötet wurden: Es offenbarts, dass es hier zwei drastisch verschiedene Erzählungstränge über das Blutvergießen gibt. Was beide trennt, ist die Anerkennung des Lebens schutzloser Menschen, die zu Zehntausenden sterben. Die Ehre trennt Wahrheit von Realität.

Aktuelle Fragen
Trotz diplomatischer Versuche die Phantastereien mit der Realität zu versöhnen, gibt es kein Szenario, in dem das Assad-Regime diesen de facto Bürgerkrieg überleben kann. Es wird deutlich, dass jeder Versuch einer auswärtigen Intervention zum Zusammenbruch von schwer beanspruchten Allianzen führen würde.

Scheinbar haben die USA die Tatsachen anerkannt und betreiben – gemeinsam mit betroffenen muslimischen Ländern der Region –eine Politik der Förderung des zersplitterten Syrischen Nationalrates (SNC). Effektivität und materieller Wert der nötigen Unterstützung bleiben umstritten und sind Thema widersprüchlicher Berichte. Obwohl sich Hinweise auf eine, jetzt besser koordinierte und ausgerüstete Freie Syrische Armee (FSA) häufen, gibt es echten Bedarf für Waffen, die die Achillesferse der Luftwaffe treffen könnten.

Ausländische Milizen wurden von westlichen Mächten als Entschuldigung benutzt, die Oppositionskräfte militärisch voll zu unterstützen. Die Präsenz von Söldnern mag der scheinbare Grund für das Zögern sein, aber dies ist es, das die Präsenz ausländischer Gruppierungen ermöglicht. Insgesamt sind beide die Manifestation des Wunsches nach indirekter Kontrolle durch Dritte.

Libysche Söldner sowie wohlmeinende Kämpfer und Ausbilder werden von dem Konflikt angezogen. Gleichzeitig führt die wichtige Rolle iranischer Revolutionsgarden in der brutalen Unterdrückungspolitik durch die Regierung nicht zur gleichen Besorgnis über diese Söldner oder Freiwillige, die mit dem abgenutzten Etikett „Al Qaida“ versehen wurden. Die Präsenz ausländischer Elemente – auf Seiten der Opposition und auf der iranischen – ist ein Faktor, der realistisch bedacht werden muss.

In der komplexen Arena Syriens ist es wichtig, dass der Aberglauben der veralteten Terror-Dialektik abgelegt wird und dass ein klinischer Realismus die Ideologie ablöst. Während die internationalen Versuche für einen Kompromiss wie Kugeln eines Flipperautomaten umher prallen, hat die Hilfe ausländischer Mächte gezeigt, dass die Verschiebung in Richtung eines pragmatischeren Vorgehens der Notwendigkeit folgt, dass die strategischen Interessen nach Assad erhalten bleiben. Politisch gesehen ist das Scheitern des SNC, eine solide Legitimität und Kontrolle vor Ort ein echtes Hindernis dafür, dass politische Kräfte Garantien bekommen, um die Entstehung eines Konzepts zu ermöglichen, wie das Nachkriegssyrien aussehen soll. Zu den wichtigsten politischen Kräften gehören Mitglieder der syrischen Armee (Muslime und Minderheiten, die kein Teil des alawitisch dominierten Kommandos sind), muslimische Händlereliten und die Minderheiten insgesamt.

Diese Gruppen zögern, den eher unzuverlässigen Formationen ideologischer „Islamisten“ ihr Vertrauen auszusprechen. Daher müssen ausländische Unter­stützer der Opposition gewährleisten, dass ihre Aktivitäten mit einer ­kollektiven Anstrengung verbunden sind, die Führungselemente zu finden. Sie besitzen eine innere Legitimität, die notwendig sein wird, um eine aktive Rolle in der Lösung zu spielen.

Der Staat, der Assad ist
Nun sind wir bei der Hinterfragung dessen, was sich in Syrien in ein Meer der Gewalt ergießt. Was der Staat unter den Assads ist, erlaubt die Identifizierung der Schlüsselfaktoren. Im Kern zerbrechen – nun an den Rändern – der komplexe und personalisierte Staat und die Ideologie, die es einer Fraktion – selbst eine Minderheit – erlaubte, über die Mehrheit zu herrschen. Ein angeblich säkularer ismus – auf dem Mythos des arabischen Nationalismus basierend und in seinen Lehren sozialistisch – war der ideologische Diskurs von Minderheiten wie maronitischen Christen, Drusen und Alawiten, zur Rechtfertigung dieser Machtverschiebung. Dieser Arabismus-Diskus war ein Blickwechsel weg von muslimisch dominierten Dynamiken, wie sie vor – dem ersten Baath-Coup – 1963 dominierten und schützte die Interessen nichtmus­li­mi­scher Kader in Militär, Bürokratie und Universitäten. 2004 schrieb die International Crisis Group in einem Bericht über das Regime: „Die Baath-Partei rekrutierte alle, die sich außerhalb des Systems von Verbindungen, Patronage und Verwandtschaft befande, auf denen das alte Regime beruhte.“ Während es falsch wäre, Baath-Partei oder Militär auf eine Gruppe zu reduzieren, führte das Rekru­tierungssystem dazu, dass alawitische Parteimitglieder überproportional im oberen Offizierskorps vertreten waren.

Der Einfluss des Militärs bei der Übertragung der Baath- Ideologie wurde zuerst nach dem Putsch von 1963 spürbar. Es war die entscheidende Rolle der Mili­tärs bei der Ausschaltung von Rivalen der Partei, die zu einer Abhängigkeit von ihm führte. Die Machtkonzentration ­eines alawitisch dominierten Militärn erfuhr ihre erste Veränderung, als der neo-Baathistische Militärputsch 1966 unter Salah Jedid und Hafez al-Assad die Baathistischen Ideologen Michel Aflaq und Salah al-Din Bader von der Macht ­ver­trieb. 1970 drängte al-Assads „korrigierende Bewegung“ Jedid aus dem Amt. Damit war das letzte Stadium in der Definition des Baath-Staates erreicht. ­Dieser Coup brachte das Militär ins Zentrum der Macht, wobei Hafez al-Assad und sein Clan an der Spitze standen. Mit ­einem alawitisch dominierten Militär als wichtigstem Vermittler und Hafez al-Assad an der Spitze des Landes, das traditio­nell von einer muslimischen Mehrheit dominiert wurde, begann der Prozess der Machtkonsolidierung. Wegen dieser unnatürlichen Position der Alawiten war das Regime vom Militär und dem alles durchdringenden Sicherheitsapparat abhängig. Syrien befindet sich seit dem Baath-Coup 1963 im Ausnahmezustand. Dies gewährleistet, dass der Staatschef und der Sicherheitsapparat straflos und unter dem Schutz repressiver Gesetze agieren konnten.

Nach Angaben von Eyal Zisser „sind schätzungsweise 60 Prozent der ­Minister, Mitglieder der Volksversammlung und Deputierten zum Parteikongress Sunni­ten. Dies entspricht ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die informellen Herrschaftskader stehen – im Gegensatz – für die wirkliche Macht und Vorherrschaft der ‘Alawiten’: Rund 90 Prozent der Offiziere sind Alawiten. Das gleiche gilt für die Sicherheitsdienste.“

Gleichzeitig wurden Mitglieder ande­rer Minderheiten übernommen und eine Dialektik eingeführt: Man müsse sich vor der Masse von Muslimen schützen, die das Land bevölkern. Mitglieder der mächtigen Familien aus der traditionell muslimischen Oberschicht und die neue Klasse wohlhabender muslimischer Händ­­ler wurden in das System der Gönnerschaft eingeführt, das vom Assad-Clan kontrolliert wurde.

Die Ideologie wurde als Beruhigungsmittel benutzt, um die immanenten Herausforderungen für den Staat zurückzudrängen. Der arabische Nationalismus und die anti-israelische Rhetorik halfen bei der Schaffung eines Gefühls der ­nationalen Identität, die den Baathistischen Irak und andere arabische Staaten nachahmte. Der Islam diente zur Imageverbesserung der alawitischen Herrschaft in den Augen der Muslime. Sie wurden von den Ayatollahs Teherans in den Schoß der Schia aufgenommen und – in der politischen Atmosphäre des Nationalismus mit dem Versuch zur „Modernisierung“ des Islam – die Schia wurde – von ­einigen nur schwächlich – als gleichwertig anerkannt. „Alawiten stellen den inneren Kern des Regimes. Syrer aus anderen Gemeinschaften umgeben es. Arabisches Ressentiment und Identität verleihen ihm seine Seele, Zweck und Rechtmäßigkeit.“ (Zisser)

Das assadistische Regime basierte auf der Fähigkeit, Gewalt gegen jede wahrgenommene Drohung durch die muslimische Mehrheit einzusetzen. Die Unter­drückung der Bevölkerung durch den Staat führte dazu, dass Syrer – und Musli­me insbesondere –, die einen Wechsel anstrebten, nicht die Macht für Veränderungen hatten. Vor dem jetzigen Aufstand gipfelte die Bewegung der späten 1970er und frühen 1980er Jahre 1982 im Massaker von Hama. Es war der deutlichste Versuch der syrischen Mehrheit, eine Veränderung herbeizuführen. Die Taktik und das ultimative Scheitern der syrischen Muslimbruderschaft, ihre Mitkämpfer zu beschützen, führte zu tausen­den Toten und zu einer gespaltenen, demoralisierten Opposition.

Drang zum Zusammenbruch
Hafez al-Assad starb 2000. Während die Staatsmedien im Sinne Orwells deklarierten „Assad ist von uns gegangen. Lang lebe Assad!“, nahm der zweitgeborene Bashar al-Assad den Platz des Vaters ein. Nach Angaben seines früheren Beraters und Jugendfreundes von Ayman Abdelnour „verschwand Bashar aus dem Blickfeld. Wir sahen ihn erst 1996 wieder und er hatte sich verändert. Sogar seine Stimme war anders.“ Und trotz des Versuches, wonach der Erbe seinen ­Vater ersetzt, passt der Anzug – den Hafez so vorsichtig anlegte – seinem Sohn nicht gut genug. So beschrieb die ICG ­Bashars Herrschaft 2004: „Am Ende schien Bashar ein zögerlicher, aber trotzdem gewillter und aufstrebender Reformer, der erkennen musste, dass seine Langlebigkeit an die Stabilität des Baathistischen Regimes gekoppelt war. Dies aber ist an die Dauerhaftigkeit inländischer und regionaler Politiken gebunden.“

Perfide Reformversprechen, die von getäuschten westlichen Kommentatoren als „Damaszener Frühling“ etikettiert wurden, waren keime Wirklichkeit. Das Regime betrieb sein übliches Geschäft. Bashar glich den Mangel an Erfahrung dadurch aus, dass er noch autoritärer als der Vater auftrat. Nach Angaben von Roula Khalaf verschreckte er die Mitglieder der Alten Garde und „verkleinerte die inneren Kreise der Familie „ – zum Schaden der wichtigen muslimischen Unterstützung und seiner fabrizierten Rechtmäßigkeit.

Seine bemerkenswerteste Handlung war, ausschließlich auf den Iran zu setzen. Der schnelle Fall des Baath-Regimes in Bagdad 2003 (und die strategische Tiefe, die der Iran danach erlangte) erschütterte sichtlich das Vertrauen in die heilsame Wirkung Baathistischer Ideologie. Hafez, der die syrische Position als Kanal zur Hisbollah pflegte, spielte den Iran gegen andere Dynamiken wie die US-Interessen und israelische Versuche der Einflussnahme während der Oslo-Verträge aus. Die ungeschickte Neuausrichtung durch Bashar hatte zur Folge, dass Syrien an der iranischen Nabelschnur zu einer Radikalisierung anti-­israelischer und anti-westlicher Rhetorik – zum Schaden einer politischen ­Option.

Am 15. März 2011 wagten es muslimische Stämme der südlichen Provinz Dera’a, gegen die willkürliche Verhaftung von 15 Kindern zu protestieren. Bashars Cousin, und Kopf des Sicherheitsdirektoriums Atif Najif befahl, auf die schutzlose Menge zu schießen. Der vorsichtig geschneiderte Anzug des Vaters platzte dank der Unfähigkeit des Sohnes aus den Nähten und der syrische Aufstand begann. Wichtigkeit der Muslime im Syrien nach Assad

Wir haben die Natur des Assad-Regimes als unnatürliche und daher autoritäre Herrschaft einer Minderheit über eine muslimische Mehrheit definiert, auf der vierzig Jahre lang herumgetrampelt wurde. Die fundamentale Handlung, die die politischen Zurechnungsfähigkeit in Form einer Regierung ermöglichen kann, ist die Anerkennung der Muslime als die wichtigste Gruppe Syriens. Sie sind die natürliche Mehrheit und werden unaus­weichlich die größte Quelle für die Legiti­mität einer kommenden Führung ­stellen. Das verabscheuungswürdige Zögern des Auslands, das einer angeblichen, unmenschlichen Vergeltung durch ­Muslime gegen Minderheiten zugeschrieben wird, ist unbegründet.

Andere, nicht-alawitische Minderheiten haben den von Muslimen geführten Aufstand zögerlich im großen Stil und offen unterstützt. Selbst im Nebel des Bürgerkrieges werden die Kampflinien vorwiegend von der von Muslimen geführten Opposition und dem alawitisch geführten Regime gezogen. Nach Angaben des ICG-Berichts „Syria’s Mutating Conflict“ waren regierungsfreundliche Reports über Gewalt muslimischer Oppositionsmitgliedern Minderheiten stark übertrieben. Zur Opposition gehören tatsächlich Angehörige dieser Minderheiten und – in selteneren Fällen – sogar Alawiten. So wurde ein oppositioneller christlicher Priester in dem Bericht zitiert: „Einige Christen wurden vom Regime bewaffnet, was Teil des Problems ist. Aber dies bleibt eine keine Minderheit. Die meisten Christen haben Angst, halten still oder machen sich aus dem Staub.“ Regierungsgegner ­haben den Angriff auf Christen durch bewaffnete Gruppierungen abgestritten: „Die Christen sind aus Homs geflohen, weil ihre Nachbarschaften durch das Regime beschossen wurden, nicht weil sie von der Opposition vertrieben wurden.“

Ein integraler Teil der Anerkennung der natürlichen Bedeutung der Muslime für die Zukunft Syriens ist die Anerkennung der Kurden, die den Nordosten des Landes bewohnen. Ironischerweise wurde die Region sich selbst überlassen, nachdem das Regime seine Kräfte einsetzte, um die unruhigen Provinzen im Süden zu befrieden. Das jetzige Scheitern des SNC, sich von den überholten arabistischen Umständen (die zur Krise führten) zu befreien und grundlegenden Forderungen der Kurdischen zuzustimmen und die syrischen Kurden politisch anzuerkennen, ist ein ernstes Problem.

Ein anderer Faktor ist die Notwendigkeit der Auflösung repressiver Staats-strukturen und dass die bloße Auswechslung des Staatschefs nicht als Lösung für die akute politische Krise ­gelten darf. Hier wird nicht um die Kontrolle des Staates gekämpft. Der Staat ist im Wesentlichen zusammengebrochen.

Das Ausmaß dieser staatlichen Umgestaltung muss groß genug sein, um den Willen der Syrer zu reflektieren. Versuche für einen Kompromiss auf Grundlage der Machtteilung im Libanon, die dort nach dem Ende des Bürgerkrieges in Kraft trat, wird nichts erreichen. Die Teilung von parlamentarischer Gewalt entlang sektiererischer Grenzen hinterlässt einen zersplitterten Staat. Der Iran könnte einen solchen Deal als Garanten ansehen, Syrien auch weiterhin als Durchzugsgebiet zur Hisbollah anzusehen. Das würde Libanons Instabilität nur auf Syrien ausweiten. Im Kontrast zu momentanen Versuchen in Libyen, die Verfassung aus der Zeit Gaddafis umzuschreiben, ist das Assad-Regime in die rechtsstaatliche DNS des Landes eingebrannt. Dies macht fundamentale Änderungen des Staates nötig.

Eine Balance zwischen einer starken Zentralregierung und ein föderalem Modell könnte sich als der beste Weg erwei­sen, die unterschiedlichen Elemente auszugleichen. Nach Ansicht von Bill Park vom King’s College habe der türkische Außenminister bereits „angedeutet, dass Ankara der Entstehung einer autonomen kurdischen Region in einem föderalen Syrien nicht notwendigerweise widersprechen würde“.

Jeder Versuch, ein Ende der Gewalt voranzutreiben, muss sicherstellen, dass ein syrischer Führer eine Legitimität hat, die das Assad-Regime niemals hatte. Dies ist entscheidend, um die Freiheit der Menschen zu gewährleisten. Außerdem muss die Präsenz von Ausländern innerhalb Syriens – insbesondere der liby­schen Kräfte mit Bindungen zur Muslim­bruderschaft – vorsichtig gehandhabt werden. Sie müssten entwaffnet werden, sobald das Regime gefallen ist. Solche Kräfte – auch wenn sie nur eine geringe Größe haben – können eine ernsthaft destabilisierende Kraft darstellen.

Spiegel für unsere Zeit
Syrien liegt im Herzen des sich dramatisch wandelnden Nahen Ostens. Der Zusammenbruch verrosteter Staatsstrukturen, die mit der Hilfe alter Ideologien erhalten wurden, führte in der Region zu volkstümlichen Aufständen. Der endgültige Erfolg des jetzigen Trends, alte Diktatoren durch alte „Islamisten“ zu ersetzen, muss von jenen Leuten bewertet werden, welche als erste einen Wandel forderten. Was wir in Syrien – in sich ein regionaler Mikrokosmos–, beo­bachten, ist eine Rückkehr der regionalen Geopolitik auf die realen Widersprüche, die der arabische Nationalismus zu ignorieren versuchte und so verschlimmerte.

Die Geopolitik des Nahen Ostens basiert auf Gräben. Von Kurdistan, über die Halbinsel bis Palästina erstreckt sich die Arena des Wettbewerbs; ein Zerrüttungsstreifen, der die moderne nahöstliche Geschichte definiert hat. Dieser Wettbewerb kann nicht länger als Frage von Herkunft – Türke, Kurde, Perser und Araber – verstanden werden. Die regionale Stabilität muss unter der ­realistischen Anerkennung natürlicher Dynamiken vor sich gehen. Eine freie und ermächtigte Bevölkerung ist der Schlüssel, um das regionale Gleichgewicht zu gewährleisten.

Libyen: Bevölkerung wehrt sich mittlerweile gegen radikalen Extremismus

Der gewaltsame Aufstand gegen das Gaddafi-Regime hat zur Entstehung vieler, unkontrollierter Milizen geführt. Einige davon orientieren sich an ­radikalen Elementen der salafistischen Ideologie. Bevölkerung und Politik wollen derengewaltsamen Treiben nun nicht mehr tatenlosen zusehen.

(RT.com). Die libyschen Behörden haben am 23. September den bewaffneten Milizen des Landes, die nicht unter Kontrolle der Regierung stehen, 48 Stunden gegeben, die Hauptstadt Tripolis zu räumen. Ansons­ten würden sie gewaltsam entfernt. Die Entscheidung wurde getroffen, nachdem regierungsnahe Aktivisten das Hauptquartier einer radikal-salafistischen Gruppierung in Benghasi gestürmt hatten.

Die Armee wurde aufgefordert, ihre Autorität durchzusetzen. Reguläre Offi­zieren sollen ab sofort an der Spitze ­jener bewaffneten Freischärler stehen, die im letzten Jahr während des Aufstands ­gegen die Herrschaft von Muammar Gaddafi entstanden. „Armeechef Yussuf al-Mangoush und der Chef der Nationalversammlung Magarief ordneten an, alle unrechtmäßigen Milizen aus deren Gebäu­den zu entfernen und zur Übergabe ­ihrer Waffen an die Armee zu zwingen“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Die gewaltsame Erstürmung des Benghasi-Hauptquartiers der Ansar al-Sharia-Milizen durch die dortige Bevölkerung am 21. September forderte mindestens elf Leben und ca. 70 Verwundete. An der Operationen in der ostlibyschen Stadt nahmen Einheiten der Armee, der Polizei und Brigaden ehemaliger Rebellen teil. In Folge kündigten in zwei weiteren Milizen in einer anderen Stadt ihre Auflösung an. Die Abu Slim und Ansar al-Sharia Milizen in Derna, ebenfalls im Osten gelegen, kündigten ihre Auflösung an.

Stimmen aus der Zivilbevölkerung ­gehen davon aus, dass die Ankündigung dieser Milizen durch die vorangegangene Gewalt in Benghasi verursacht ­wurde. „Die Miliz in Derna beobachtete, was letzte Nacht geschah und entschied sich dafür, ihre Brüder nicht zu töten“, berichtete der 29-jährige Linguistikdozent Siraj Shennib. Er nahm an den Protesten gegen die Milizen teil. „Sie werden nach Hause gehen und die Sicherheit dem Innenministerium und der Armee übergeben.“

Nachdem gewalttätige Salafisten in den letzten Monaten spirituelle Zentren in Libyen angriffen, Moscheen ­zerstörten und diejenigen töteten, die ihren Wandalismus verhindern wollten, brachten die jüngsten gewaltsamen Proteste gegen ein Internetvideos das Fass zum Überlau­fen. Bei den Übergriffen starb unter anderem der US-amerikanische Botschaft in Libyen.

Seit dem Ende Gaddafis kämpft die Regierung um die Kontrolle der vielen, aber nicht immer verbündeten Milizen und anderer Gruppen, die am Sturz des Diktators 2011 beteiligt waren. Die ­große Anzahl an Waffen ist zu einem der größten Probleme in der ganzen Region geworden.

Die Türkei hat ein neues, interessantes ­Betätigungsfeld auf dem afrikanischen Kontinent gefunden. Von Mohammed Dockrat

(iz). Das Beispiel des türkischen Einflusses – der sich finanziell und politisch ausbreitet – zeigt sich in aller Welt. Ihr ­finanzieller Sektor verfügte in den letzten Jahren über stetig steigende Wachstumsraten. Jetzt unternimmt das Land einen weiteren, interessanten Schritt in Afrika.

Heute hat die Türkei mehr Millionäre als die meisten westeuropäischen Länder und die Türken helfen – dank ihres großartigen muslimischen Erbes – in verschiedenen Regionen in aller Welt. Südafrika ist eines dieser Länder, das einen Zufluss von Geschäftsleuten, Lehrern, Studenten und ‘Ulama erlebt. Der jüngste und bemerkenswerteste Beitrag ist ein Imaret (Külliye), das vom Geschäftsmann Ali Katircioglu im Herzen der Provinz Gauteng gebaut wurde.

Die Nizamiye Moschee wurde im Bezirk Midrand gebaut, der zwischen Johannesburg, dem wirtschaftlichen Zentrum Afrikas, und der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria liegt. Das Land hat eine relativ junge Geschichte. Erst im späten 19. Jahrhundert entwickelte es sich nach der Entdeckung von Gold und Diamanten im Landesinneren zu einem modernen Staat. Die türkischen Beziehungen zum Kap gehen auf die osmani­schen Zeiten zurück. Damals entsandte die Hohe Pforte religiöse Vertreter, welche die Interessen der muslimischen Kapmalaien gegenüber den britischen Kolonialherren wahrnahmen.

Der Islam erreichte die Küsten Südaf­rikas in zwei unterschiedlichen Wellen: Die erste bestand aus politischen Sträflingen, die von holländischen Kolonisatoren von Indonesien ans Kap vertrieben wurden und die zweite Gruppe waren – ein Jahrhundert später – Händler vom Indischen Subkontinent. Heute verfügt Südafrika über eine geschäftige türkische Gemeinde, die auf in den Gebieten des Handels, der gesellschaftlichen Entwick­lung und der akademischen Lehre aktiv ist. Dank des augenblicklichen Zustroms von Muslimen aus Nordafrika und Asien entwickelt sich in den Städten eine bunte Mischung.

Die wachsende Partnerschaft zwischen Südafrika und der Türkei ermöglichte das Entstehen einer starken türkischen Gemeinde vor Ort. Obwohl die Community noch sehr klein ist, gründeten Türken überall an der Südspitze Afrikas Schulen. Auch ihr wirtschaftlicher Einfluss wächst ständig. In den letzten zehn Jahren baute die Stiftung Fountain Education Trust Schulen in Port Elizabeth, Jo­hannesburg, Tshwane, Kapstadt und Kwazulu Natal. In Afrika wird diese Neuorientierung der türkischen Außenpolitik durchaus wahrgenommen. So schrieb die südafrikanische South African Foreign Police Initiative in einem Artikel dazu: „Im letzten Jahr überraschte der türkische Minis­terpräsident Recep Tayyip Erdogan mit seiner schnellen Reaktion auf den Hunger. (…) nach der Einschätzung der Hungerfolgen traf Erdogan Vereinbarun­gen mit der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), die zu einer Bereitstellung von 350 Millionen US-Dollar für Hilfsmaßnahmen in Somalia führten. (…) Somalier waren überwältigt vom türkischen Eingreifen und viele bete­ten für den Erfolg des Landes. Aber dies sollte nur der Beginn einer neuen Beziehung werden.“

Die türkische Außenpolitik gegenüber Afrika verfolgt nicht nur wirtschaftliche und kommerzielle Absichten, sondern beinhaltet auch einen flächendeckenden Ansatz, zu dem Entwicklungshilfe – auf den Bereichen der technischen und projektorientierten Hilfe – zählt. Hinzu kommen Erziehung, der Kampf gegen Krankheiten, landwirtschaftliche Entwicklung, Bewässerung, Energie und ein steter Strom an humanitärer Hilfe. Außerdem haben türkische Geschäftsleute und religiöse Organisationen ihrerseits ebenfalls mit dem Bau von Moscheen begonnen haben.

Ali Katircioglu lebt in einem Wohnwagen neben der Baustelle, um den Baufortschritt zu kontrollieren. Er war ins­pi­riert, ein Erbe zu hinterlassen: „Jeder möchte etwas Großes zurücklassen, bevor er stirbt. Schauen wir auf die ­reichsten Männer der Geschichte, dann geraten diese oft in Vergessenheit. Aber wenn man reich ist und etwas schafft, das ande­ren Leuten hilft, dann fühlt man ihre Gebete lange nach seinem Tod.“

Mit diesem Gedanken entwarf der Geschäftsmann die Nizamiye Moschee als Ort, der mehr ist, als nur ein Platz der Anbetung zu sein. Vielmehr wollte er eine soziale Struktur schaffen, die der Gemeinschaft in den kommenden Jahrzehnten dienen sollte – wie dies die Tradition von Moscheen in Istanbul und anderen Gebieten unter den Osmanen war. Dieser soziale Aspekt kann an den ­Seiten der großen Moschee beobachtet werden. Zur Recht befindet sich eine Schule, die 850 Studenten beherbergt, sowie Einrichtungen für Sport. Nach Angaben des Rektors Turan soll die Grundschule eine Bibliothek, einen Computerraum und ein Programm zum Erlernen des Qur’an bekommen. Zur Linken der Moschee befindet sich ein großer Bazar, welcher der traditionellen türkischen Architektur nachempfunden ist. Dort werden türki­sche Produkte gehandelt und es gibt eine Kantine mit türkischer Küche.

„Onkel Ali“, wie er bei den Südafrikanern genannt wird, hat jede Spende für den Bau der Moschee zurückgewiesen, aber zur Finanzierung für ihren Unterhalt und Stipendien für die Schüler eingeladen.

Kommentar: Khalil Breuer fällt zum Videoskandal nichts ein

(iz). Manchmal ist es schwer, ein IZ-Journalist zu sein. Heute müsste ich eigentlich den „Videoskandal“ kommentieren und der Beitrag sollte auch noch bis heute Abend fertig sein. Jetzt ist es beinahe 20 Uhr und mir fällt einfach nichts dazu ein.

Es tut mir leid, aber – auch wenn der Ring nun seit Tagen frei ist für den dramatischsten, größten Kulturendkampf aller Zeiten – zwischen wutschnaubenden Bärtigen und den Herren der deutschen Abendlandsbewegung. Es also wie verrückt köchelt und die emsigen, besser bezahlten Kollegen (und Kolleginnen – Frauen dürfen auch arbeiten und sich selbst verwirklichen!) der Mainstreammedien praktisch am laufenden Band pfiffige Kommentare produzieren, bei mir tut sich im oberen Stübchen einfach nichts.

Natürlich stehe ich unter enormen Druck. Denn, wenn die größte Zeitung des deutschen Islam – die IZ mit Sitz in Berlin – heute nichts schreibt dann sind alle – ich wiederhole, alle negativen Assoziationen –unwidersprochen geblieben. So trommele ich es mir zumindest ein, aber der Geist ist ja willig. Aber es gibt, wie gesagt, oben keine Regung. Kein Zwang hilft da. Nichts geht.

Stattdessen habe ich heute Mittag, als das Wetter noch gut war, meinem Hund beim „über das Stöckchen springen“ zugeschaut. Dann habe ich ihm auch einige Minuten das Stöckchen so weit geworfen wie ich eben konnte. Wenigstens dem Hund war es nicht langweilig.

So verging der Tag, an dem ich eigentlich etwas über den Videoskandal schreiben musste. Jetzt prasselt der Regen gegen das Dach. Wie aus Protest. Aber, wir waren nicht alle still. Natürlich: Unsere zuverlässigen Kölner Islamvertreter waren so gut organisiert wie empört, haben, für uns alle – so lese ich – prompt nicht nur Qualitätssendezeit in der ARD bekommen, sondern sie haben alles klar gestellt und so sind sie jetzt sehr, sehr stolz, dass sie prompt reagiert haben. Danke Islamvertreter!

Morgen schreibe ich auch wieder was Sinnvolles. Versprochen. Euer Khalil Breuer

Interview mit Dr. Sadiqu al-Mousllie über die Lage in Syrien

(iz). Mehr als 18 Monate nach Ausbruch der – anfänglich friedlich verlaufenden – Proteste gegen die Regierungspolitik in Syrien sind die Konfliktparteien in einem tödlichen Kampf verwickelt, an dem viele Akteuren teilnehmen. Nicht nur stehen sich in dem nahöstlichen Staat die – mittlerweile mit der Freien Syrischen Armee versehene – Opposition und das alte Regime des Assad-Clans und dem Staatsapparat unerbittlich gegenüber. Es brachen auch Spannungen entlang religiöser und ethnischer Trennlinien aus.

Die verschiedenen Formen der Gewalt insbesondere vom Regime haben erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung geführt, die in dem bunt gemischten Land an vielen Stellen zwischen die Fronten geraten ist.

Darüber hinaus beteiligen sich Russland, der Iran, arabische Staaten, die Türkei und der Westen direkt wie indirekt an diesem Konflikt mit. Entscheidet sich doch in Syrien, so die mehrheitliche Meinung vieler Beobachter, ob der Iran auch weiterhin sein Netzwerk des Einfluss im Nahen Osten (der so genannte „schiitische Halbmond“) wird aufrechterhalten können. Die USA und Israel sehen im Kampf der Syrer gegeneinander die – unerwartete – Chance, Teheran zu schwächen, ohne den Iran direkt anzugreifen.

Über Chancen und Aussichten des bewaffneten Konfliktes, mögliche Einflussnahmen radikaler Gruppierungen aus dem Ausland und die Möglichkeiten einer Verhandlungslösung sprach die IZ mit Dr. Sadiqu al-Mousllie. Dr. Sadiqu al-Mousliie ist gebürtiger Syrer, 42 Jahre alt und Spezialist für Implantologie und Ästhetische Zahnheilkunde und Wohnhaft in Braunschweig. Er fungiert Mitglied des syrischen Nationalrats und des Revolutionsrat von Damaskus. Außerdem ist er ZMD-Beauftragter für das Land Niedersachsen und Sprecher der Islamischen Gemeinschaft Braunschweig. Für den Arzt sind die Chancen gering, dass es zu einem ethnischen Auseinanderbrechen – vorangetrieben durch Assad und die syrischen Kurden – des syrischen Nationalstaates kommen könnte. Er fordert aber die internationale Gemeinschaft auf, durch die Errichtung einer Flugverbotszone direkt einzugreifen.

Islamische Zeitung: Lieber Dr. Sadiqu al-Mousllie, was war der Anlass für den Ausbruch der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Syrien? Warum waren die Syrer so unzufrieden in ihrem Alltag?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Man muss sich nur vorstellen, wir dieses Regime an die Macht kam: insbesondere der jetzige Machtinhaber Bashar al-Assad, der die Republik Syrien mehr oder weniger von seinem Vater „erbte“. Jener Hafiz al-Assad kam durch einen Putsch an die Macht und schaltete alles aus, was sich ihm in den Weg stellte. Oppositionelle wurden ins Gefängnis gesteckt, kamen dabei ums Leben oder bleiben bis heute „verschwunden“.

Das sind vierzig bis fünfzig Jahre Diktatur pur. Man konnte auch nicht darüber reden, denn alles musste im Sinne des Regimes dargestellt werden. Andernfalls hätte man als Oppositioneller gegolten und wäre auf den Schwarzen Listen des Regimes gelandet. Ganz abgesehen davon, was in Hama im Februar 1982 geschah, als zehntausende von Menschen getötet wurden. Damals wurde eine ganze Stadt zerstört, wobei die Schwäche der Medien verhinderte, dass dies weltweit öffentlich gemacht wurde. Nichtsdestotrotz wussten einige internationale Akteure von den Aktionen in Hama. Allerdings verkaufte das Regime seine Maßnahmen als Vorgehen gegen Extremisten und diese Tat somit stillschweigend geduldet.

Man kann nicht sagen, dass in Syrien Unzufriedenheit herrschte. Dort herrschte vielmehr Unterdrückung und Brutalität ohnegleichen, wie wir sie auch heute tagtäglich erleben können.

Islamische Zeitung: Zu Beginn seiner Amtszeit galt Bashar al-Assad als „Hoffnungsträger“ für mehr Demokratie …

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Die Leute haben gedacht, dass er – als Akademiker und als Mensch, der im Ausland gelebt hat – vielleicht besser agieren würde. Die Hoffnung bestand durchaus – sowohl im Inland wie im Ausland. Allerdings hat sich gezeigt, dass sich in Sachen Regime nichts geändert hat, sondern alles blieb wie bisher. Nur das Gesicht wurde ausgetauscht. Die Aktionen blieben die gleichen.

Selbst in den 12 Jahren, seitdem Bashar al-Assad an der Macht ist, konnte man nichts Spürbares erkennen. Man dachte während des „Damaszener Frühlings“, dass sich vielleicht etwas bewegt. Kurz darauf landeten viele seiner Teilnehmer, darunter oppositionelle Politiker, erneut im Gefängnis. Insgesamt hat Bashar al-Assad nichts gemacht, außer die Wirtschaft zu liberalisieren. Profitiert haben davon aber lediglich die enge Clique wie sein Cousin. Für die Bevölkerung hingegen wurde nichts getan.

Islamische Zeitung: Hat die Opposition nicht doch einen Fehler gemacht und zu früh auf Gewalt gesetzt?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Die Bevölkerung hat keineswegs mit der Gewalt angefangen. Betrachten wir die Geschichte der Protest: Die Menschen gingen in den ersten beiden Wochen auf die Straße, um gegen die Regierungspolitik zu demonstrieren, aber sie forderten nicht dessen Absetzung oder den Rücktritt Assads. Sie verlangten Reformen. Erst später entwickelte es sich derart, als das Regime mit Panzern und Schüssen auf Zivilisten und die Protestierenden reagierte. Daraufhin wurde der Rücktritt des Präsidenten und der Sturz des Regimes gefordert.

Spricht man jetzt von „Waffen“ und „Militanz“, muss man ganz genau hinsehen und hinhören. Erst sechs oder sieben Monate nach Beginn der Proteste – sprich: im Oktober 2011 – kam es erstmals langsam zu einem bewaffneten Widerstand. Beziehungsweise, es kam immer mehr zu einem Anwachsen der „Freien Syrischen Armee“ durch desertierte Soldaten. Es waren ja keine Zivilisten, die sich bewaffneten, sondern Soldaten, die sich vom Regime distanzierten. Sie waren leicht bewaffnet. So kamen in lokalen Koordinationskomitees zusammen und diese natürlich irgendwann einmal auch notwendig. Wenn man auf die Menschen schießt, müssen sie sich halt verteidigen.

Übrigens, selbst Bashar al-Assad hat diese Tatsache eingeräumt. In seiner vorletzten Rede sagte er selbst, dass die Proteste der ersten sieben Monate in Syrien völlig friedlich waren.

Islamische Zeitung: Was ist die politische Vision der Opposition und was für einen Zusammenhalt hat sie?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Wir wollen ein Syrien, das demokratisch und frei ist. Einen zivilen Staat, und keinen religiösen, wie manche behaupten. Wir wollen ein Syrien für alle – ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit. Einen Rechtsstaat mit einer Verfassung, mit der sich alle Syrer identifizieren und heimisch fühlen können. Wir möchten die gleichen Rechte und gleichen Pflichten für alle Syrer auf dem Boden Syriens.

Islamische Zeitung: Wie läset sich das damit in Einklang bringen, dass es mittlerweile einige radikale Elemente innerhalb Syriens gibt? Ist die Opposition nicht längst – wie auch manche Journalisten vor Ort meinen – von Salafisten instrumentalisiert wurden? Und führt dies nicht dazu, dass diese Extremisten andere davon abschrecken, mit der Opposition zu kooperieren?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Syrien ist ein Land mit 23 Millionen Menschen, die natürlich nicht alle die gleiche Meinung haben. Wir können aber nicht sagen, dass die Wahhabiten oder irgendwelche Gruppierungen die syrische Bevölkerung instrumentalisieren würden. Wenn die Oppositionellen vor Ort agieren – sei es bei friedlichen Protesten, die es immer noch gibt oder bei militärischen Aktionen durch die Freie Syrische Armee –, fragen wir die Menschen nicht nach ihrer Ausrichtung, wenn sie gegen das Regime arbeiten. Sie wollen ihre Freiheit und jeder soll in Syrien das Recht haben, seine Meinung kund zu tun. Wir wollen auch nicht jedes Mal, wenn wir eine Aktion machen, die Gesinnung der Leute überprüfen. Es gilt Syrien ist für alle Syrer.

Islamische Zeitung: Journalisten, die nicht im Verdacht stehen, mit dem Regime zu sympathisieren und die sich illegal in Syrien aufhalten, berichten von Übergriffen auf Zivilisten durch solche Gruppen … Es wird ja wohl kaum sein, dass diese alle lügen.

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Wissen Sie, in solchen Momenten ist es so, dass Leute schlecht beziehungsweise falsch vorgehen. So etwas kann man nicht gutheißen. Wir haben auch als Opposition verurteilt, wenn gegen Zivilisten vorgegangen oder gegen demokratischen Prinzipien verstoßen wird. Man muss aber auch auf der anderen Seite sehen, dass das Regime gezielt gegen die Proteste und Opposition arbeitet, um deren Ruf schlecht zu machen.

Wir wissen auch, dass Gruppierungen im Namen der Freien Syrischen Armee, aber tatsächlich im Auftrage des Regimes handeln. Sie agieren mit Hilfe der Geheimdienste. Dazu kam es in mehreren Städten; nicht zuletzt in Aleppo, wo sich diese Formationen den Kämpfen gegen das Regime angeschlossen und dort plünderten beziehungsweise die Menschen bestohlen haben. Sie haben gesagt, dass dies im Namen der Freien Syrischen Armee geschieht, um die Bevölkerung gegen diese aufzuhetzen.

Ich sage nicht, dass die Opposition alles richtig macht, aber ich weiß auch, dass sie einen Korrekturmechanismus entwickelt hat. Die Freie Syrische Armee hat solche Taten verurteilt. Wo es zu diesen kommt, wird nachgeprüft, wer sie begangen hat. Das kann von keiner oppositionellen Gruppierung gutgeheißen werden.

Islamische Zeitung: Ihre Heimat hat eine sehr lange Tradition der Duldsamkeit gegenüber religiösen Minderheit. Sie glauben also nicht, dass die Existenz radikaler Gruppen diese Toleranz in Syrien gefährden könnte?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Diese Gruppierungen werden auf die eine oder andere Art und Weise vom Ausland bestärkt. Man sollte diese Wege der Unterstützung ebenfalls betrachten. Deswegen sollte die internationale Gemeinschaft agieren. Leider schweigt sie seit langer Zeit! Wir haben bereits vor einigen Monaten gewarnt – bereits 2011 –, dass die internationale Gemeinschaft schneller reagieren müsse, um solche Tendenzen zu unterbinden.

Trotzdem bin ich auch zuversichtlich, dass unsere syrische Bevölkerung so ein hohes Bewusstsein hat, dass sie dergleichen nicht zulassen wird. Die gelebte Toleranz wird von Syrern seit Jahrhunderten praktiziert – Haus an Haus – und es gab nie Probleme. Mit Sicherheit muss das eine oder andere auf den richtigen Weg gebracht werden, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass die Syrer dies handhaben können.

Islamische Zeitung: Wie bewerten Sie eine Intervention seitens Frankreichs, der Türkei oder der USA?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Wir, im Syrischen Nationalrat und auch die Kräfte der oppositionellen Gruppierungen, verlangen eine Intervention seitens der Weltgemeinschaft. Nicht in Form von Bodentruppen. Das brauchen wir nicht, da es genug Soldaten gibt, die sich von der Armee getrennt haben. Es gibt auch die syrischen Oppositionellen, die das in die Hand nehmen können.

Wir brauchen akut eigentlich eine Flugverbots- und eine Sicherheitszone; an der syrisch-türkischen, aber auch an der jordanischen Grenze. Hier können die Menschen einen sicheren Raum finden, sodass sie weit weg von den Bombardierungen durch das Regime ist.

Islamische Zeitung: Was ist für die Zukunft Syriens? Befürchten Sie einen endlosen Bürgerkrieg, bei dem jeder gegen jeden kämpft?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Das sind zwei Fragen. Das Regime hat seit Monaten immer wieder versucht, die Einheit der syrischen Gesellschaftsstruktur zu zerschlagen, was ihm nicht gelang. Man hat in der Vergangenheit immer wieder Massaker in bestimmten Orten mit der Hoffnung verübt, dass so die Leute durch die Spannung gegeneinander aufgehetzt werden. Dergleichen geschieht beispielsweise in einem Dorf mit einer sunnitischen Bevölkerung, das von einem alawitischen benachbart ist. Es wird dann versucht, beide Seiten gegeneinander aufzuhetzen. Die Syrer haben immer wieder ein sehr aufgeklärtes Kollektivbewusstsein. Und wir haben bei solchen Versuchen immer versöhnend eingegriffen. Es gab mittlerweile acht oder neun Massaker, die das Regime mit solch einer Stoßrichtung durchgeführt hat.

Natürlich führt das Vorhandensein von Waffen dazu, dass verschiedene Gruppierungen gegen einander kämpfen, aber wir wissen, dass die Opposition, auch die Freie Syrische Armee, organisiert ist. Natürlich mache ich mir als Syrer auch Sorgen um die Zukunft. Wir müssen daran arbeiten, ein solches Szenario zu vermeiden. Dafür brauchen wir unsere Freunde in der internationalen Gemeinschaft, die eigentlich schnell agieren müssten. Leider hat die Welt bisher im Wesentlichen versagt. Es wurde viel geredet, aber wenig getan.

Islamische Zeitung: Wäre ein sofortiger Waffenstillstand nicht das Beste für Syrien?

Dr. Sadiqu al-Mousllie: Man muss sich fragen, wer denn die Waffen niederlegen sollte. Die Freie Syrische Armee hat bisher nur auf Angriffe durch das Regime reagiert. Das Regime macht aber keinen Unterschied zwischen Zivilisten oder Bewaffneten Menschen und beschießt Häuser auch. Wer hat denn die Feuermacht in Syrien? Wer hat die Waffen, Panzer und Raketen? Das Regime, das mit aller Kraft von Russland und vom Iran unterstützt wird, hat sie. Bis heute kommt es noch zu Waffenlieferungen.

Die Freie Syrische Armee und die Opposition haben in den ganzen Monaten – während der Annan-Mission – eine Feuerpause akzeptiert. Das Regime hat diese nicht getan und weitergemacht. Seine bewaffneten Einheiten und Panzer waren auf den Straßen. Manche Ortschaft wurde in dieser Zeit komplett zerstört. Wir haben in diesem Fall beobachten können, was das Regime will. Es kümmert sich überhaupt nicht um die ganzen Verhandlungsangebote.

Wir müssen nur einen Blick auf die Chronik der Ereignisse werfen. Assad kümmert sich überhaupt nicht um die internationale Gemeinschaft. Am Anfang der Auseinandersetzungen wurden täglich 10-20 Menschen getötet. Dann steigerte es Sicht auf 30-40 erhöht. Zum Zeitpunkt der Mission der Arabischen Liga waren wir bei täglichen Opferzahlen von 50-60 Menschen. Als die Annan-Mission anfing, lag der Blutzoll bei 80-100. Nach deren Ende sprechen wir von 200-300 Menschen, die pro Tag ums Leben kommen. Assad hat gesehen, dass die Weltgemeinschaft über die letzten 18 Monate nichts Entscheidendes gemacht hat, und daher die Zahl seiner Opfer kontinuierlich gesteigert.

Das Regime wird überhaupt keine Lösung mehr annehmen. Und es macht auch keinen Sinn, mit einer Regierung, die so viel Blut vergossen hat, politisch zu sprechen.

Islamische Zeitung: Lieber Dr. al-Mousllie, vielen Dank für das Gespräch.