Über Papst Leos Besuch in der Türkei: Erinnerungen an das Christlich-Muslimische Erbe.
(iz). Papst Leos Besuch in der Türkei – ein Land, das ich mein Zuhause nenne und in das ich viele christliche Studenten mitgenommen habe – bringt unsere gemeinsame religiöse Geschichte in Erinnerung. Natürlich gehört Nizäa (das heutige moderne İznik) in diesem Zusammenhang zu den wichtigsten Reisezielen. Von Dr. Zeyneb Sayılgan
Anfangs sind christliche Studierende oft etwas enttäuscht, dass dieser theologisch so bedeutende Ort so klein ist. Auch andere Aspekte überraschen sie. Im Geiste einer Vertiefung des heutigen christlich-muslimischen Verständnisses möchte ich daher einige Einsichten teilen – für all jene, die diesen wichtigen Ort noch nicht besucht haben.
Christlich-muslimisches Erbe
Die Hagia Sophia von İznik erzählt eine Geschichte, die Christen und Muslime miteinander verbindet. Ursprünglich eine byzantinische Basilika, dient sie heute als Moschee für Muslime und ehrt zugleich ihre christliche Vergangenheit. Osmanische Restauratoren schützten die Mauern, reparierten eingestürzte Teile, fügten eine Gebetsnische (mihrab) und eine Kanzel (minbar) hinzu – zwei typische Elemente einer Moschee.
Die muslimischen Baumeister ließen jedoch große Teile der früheren Architektur sichtbar. Dieses Nebeneinander architektonischer und spiritueller Schichten schafft einen natürlichen Raum für den interreligiösen Austausch und zeigt, dass dieselben Mauern über Jahrhunderte hinweg beiden Traditionen als Ort der Anbetung gedient haben.
Diese Kontinuität offenbart Respekt vor der Heiligkeit des Ortes, selbst nachdem sich die religiöse Identität der Gemeinschaft verändert hatte. Sie wird zu einem bedeutungsreichen Beispiel islamischer Fürsorge für ein christliches Kulturerbe – ein wichtiger Aspekt für das gegenseitige Verständnis von Muslimen und Christen.
Ich erkläre christlichen Studierenden hier gern, wie mich dieser Ort an das frühe Beispiel des Propheten Muhammad erinnert, der eine christliche Delegation aus Nadschrān in Südarabien in seiner Moschee in Medina willkommen hieß. Beide Gemeinschaften tauschten ihre theologischen Überzeugungen über Jesus und Maria aus und hörten einander mit Respekt und Höflichkeit zu.
Schließlich verrichteten die Christen ihre Gebete in derselben Moschee und gingen wieder – ohne eine Einigung erzielt zu haben. Dies sind Geschichten heiliger Begegnungen, die viel häufiger erzählt und bekannt sein sollten. Für mich spiegeln solche Beispiele den koranischen Auftrag wider, Kirchen, Klöster und Synagogen zu schützen, während man zugleich am eigenen Glauben festhält:
„Diejenigen, die zu Unrecht aus ihren Häusern vertrieben wurden, nur weil sie sagten: ‘Unser Herr ist Gott.’ Wenn Gott nicht einige Menschen durch andere zurückhalten würde, wären viele Klöster, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen Gottes Name häufig erwähnt wird, zerstört worden. Gott wird gewiss denen helfen, die für Seine Sache eintreten – Gott ist wahrlich Allmächtig und Allstark.“ (Al-Hajj, Sure 22, 40)
Dieser Abschnitt legt das göttliche Prinzip fest, alle Gotteshäuser zu schützen, in denen der Name Gottes erwähnt wird, und betont, dass dies eine Pflicht der Muslime ist. Die betreffende Qur’anpassage bildet die Grundlage für die islamische Rechtstradition, die die religiöse Freiheit von Nichtmuslimen in muslimisch regierten Gebieten gewährleistet.
Historisch verkörperten Persönlichkeiten wie der Kalif ‘Umar dieses Schutzprinzip, indem sie nach der Eroberung Jerusalems die Sicherheit der christlichen Kirchen und ihrer Gemeinden garantierten. Für fast 500 Jahre erlebte Jerusalem eine relative Koexistenz zwischen Juden, Christen und Muslimen.
Schutz christlicher Gotteshäuser
Die frühe osmanische Zeit war kein Paradies der Gleichheit. Der Neubau von Kirchen war eingeschränkt, jedoch nicht unmöglich. Er erforderte eine besondere Genehmigung. Im Kontext ihrer Zeit war es dennoch bemerkenswert, wie gut die bestehenden Kirchenstrukturen bewahrt wurden.
Zwar kam es zu Umwandlungen bedeutender Kirchen in Moscheen – wie der großen Hagia Sophia in Istanbul –, doch viele lokale Kirchen blieben weiterhin in Betrieb. Über 600 Jahre und drei Kontinente hinweg erlebte das Osmanische Reich den Bau oder Wiederaufbau von Tausenden von Kirchen.
Die größte Welle des Kirchenbaus fand im 18. und besonders im 19. Jahrhundert im Zuge der sogenannten Tanzimat-Reformen statt, als die christlichen Gemeinden größere Freiheit und Wohlstand genossen.

Der neue Papst Leo XIV. im März während öffentlichen Messe in Rom. (Foto: M.I. Epp, Shutterstock)
Christlich-muslimische Koexistenz
Christen und Muslime – wie Iznik zu Augen führt – haben hier über Jahrhunderte hinweg meist friedlich zusammengelebt. Das Osmanische Reich (1299–1922) entwickelte ein System, in dem religiöse Gemeinschaften im Allgemeinen mit relativer Stabilität zusammenlebten.
Christen und Juden waren in sogenannten Millets organisiert: Sie hatten eigene religiöse Führer, betrieben ihre eigenen Schulen und Gerichte für Personalangelegenheiten und unterhielten eigene Wohltätigkeitseinrichtungen. Sie konnten ihren Glauben in der Regel offen praktizieren.
Dies gab religiösen Minderheiten einen strukturierten und vorhersehbaren Platz innerhalb der osmanischen Gesellschaft. Eine wichtige muslimische Persönlichkeit dieser Epoche ist Bediüzzaman Said Nursi, der früh auf christliche Gemeinschaften zuging, um mit Muslimen zum gemeinsamen Wohl zusammenzuarbeiten und zu kooperieren.
Die Türkei ist ein Land, das die schönen Einflüsse des Ostens und des Westens, des Islams und der Moderne in sich vereint und damit hervorragend zu meinem Profil passt.
Sie ist ein Land, das mein persönliches Engagement für das Heilige und das Säkular-Weltliche ebenso widerspiegelt wie mein Interesse an christlich-muslimischen Beziehungen. Bedauerlicherweise wird diese gemeinsame – wenn auch komplexe – Geschichte in unseren Bildungseinrichtungen nicht ausreichend gelehrt. Infolgedessen leiden wir unter einer historischen Amnesie.
Eines der Ziele unseres Fortbildungsprogramms für LehrerInnen besteht darin, diese Geschichte – in der alle Stimmen und Perspektiven gehört werden – wiederzubeleben und sie im Unterricht und darüber hinaus stärker sichtbar zu machen.
Unsere reiche und heilige Vergangenheit kann unsere Gegenwart erhellen und hoffentlich eine positive Perspektive für eine gemeinsame Zukunft gestalten, in der all unsere Gemeinschaften wachsen und gemeinsam heranreifen können.
Dr. Zeyneb Sayılgan ist Islamwissenschaftlerin. Ihre Forschung beschäftigt sich mit dem theologischen Gedankengut des muslimischen Gelehrten Bediüzzaman Said Nursi (1876-1960). Hierzu moderiert sie den Podcast Begegnung mit dem Islam. Ihre Arbeit ist auf ihrem Blog zugänglich.