(iz). „Muslime in Deutschland – Leben wir in Parallelgesellschaften?“, „Die Scharia hebelt das deutsche Recht aus“, „Muslime in Deutschland – Mahnwachen gegen Hass“, „Muslimin über Salafisten in Deutschland: ‘Herr Augstein, Sie irren’“, „Muslime in Deutschland – Anzeichen einer Parallelgesellschaft“ – Schlagzeilen deutscher Zeitungen und Online-Magazine eines einzigen Tages, wobei die regionalen Blätter noch gar nicht aufgezählt sind. Selbst Meldungen über die schottische Volksabstimmung, die nichts mit dem Islam zu tun hat, werden betitelt mit „Wie die 72 Jungfrauen im Paradies“.
Von Abraham Goldstein
Man könnte meinen, die – nur geschätzten – vier Millionen Muslime bestimmten das Tagesgeschehen in Deutschland und gar weltweit. Noch schlimmer wird es, wenn man Online die Suchfunktionen der Nachrichtenmedien mit dem Wort „Muslime“ nutzt: Es werden überwiegend Artikel über die Kämpfe im Irak, Gaza und anderorts angezeigt, dazwischen Artikel über Terrorismus.
Kein Zweifel, die deutschen Medien haben Muslime und den Islam zu einem gewichtigen Faktor in ihrer Berichterstattung auserkoren, überwiegend in negativer Hinsicht.
Es ist eine bizarre Umkehrung der Realität, denn die Berichterstattung spiegelt eine Wahrnehmung wider, als ob ein knapp 5 Prozent umfassender Bevölkerungsanteil tatsächlich 50 Prozent stellen würde, als ob die Mehrheit der Muslime in Deutschland von den negativen Berichten betroffen, oder gar involviert wäre. In allen Artikeln und Meldungen wird der Bezug zum Islam in der einen oder anderen Weise hergestellt und selbst Terroristen, die ihren krankhaften Blutdurst mit Opfern stillen, eine Gottgläubigkeit unterstellt, die der unterlegten Religion jedoch laut deren vielen religiösen Organisationen widerspricht. Und sollte der Mörder und Terrorist tatsächlich „Allahu akbar!“ bei seinen Taten rufen, wird ihm, im Gegensatz zu sonstigen Mördern, Glaubwürdigkeit und Wahrheit unterstellt.
Es herrscht das Bild des wilden, gewalttätigen Muslims – ein Bild, das sich in der deutschen Bevölkerung offenbar etabliert hat, wie der Zwischenbericht der Studie „ZuGleich“ der Universität Bielefeld und der Stiftung Mercator nachweist. Danach sind, grob geschätzt und genauso grob formuliert, etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung antimuslimisch, aber auch antisemitisch eingestellt.
Interessant dabei auch die Feststellung von immerhin fast 5 Prozent der Befragten, dass Juden durch ihr Verhalten an ihrer Verfolgung mitschuldig seien – ein Attribut, das mit Sicherheit auch auf Muslime übertragen würde, wenn man nach ihrer Beliebtheit fragte. Was für ein Verhalten Juden im 3. Reich angeblich an den Tag gelegt haben mögen, bleibt uns verborgen. Vermutlich wüsste auch niemand der Befragten dazu näheres zu sagen.
Die gleiche diffuse Meinung kann man wohl getrost auch über das Verhalten „der“ Muslime vermuten, fußend auf Meldungen über kriminelles Verhalten asozialer Jugendbanden – die es auf der ganzen Welt in jeglicher Ethnie und/oder Religion gibt. Außer vielleicht im totalitär überwachten Nord-Korea.
Antimuslimismus und Antisemitismus sind zwei Seiten der gleichen Medaille – sie gründen sich auf Vorurteile, Stigmatisierungen und bequemen Generalisierungen. Diese Bedingungen nutzen die extreme Rechte, wie auch die so genannten Rechtspopulisten für ihre eigenen politischen wie menschenfeindlichen Ziele aus, um mehr Einfluss auf die Gesellschaft und die bundesdeutsche Politik zu gewinnen.
Das Perfide dabei trifft gleich doppelt: Es scheint auch die Opfer durch die Massivität zu beeinflussen, denn anlässlich der Eröffnung eines arabischen Kulturzentrums in Bayern wurde jetzt eine Podiumsdiskussion mit dem Thementitel „Ein arabisches Kulturzentrum in der Stadt der Menschenrechte?“ geplant. Anscheinend wird ein Gegensatz zwischen Islam und Menschenrechten bereits voraus gesetzt. Aus den anti-antisemitischen Debatten des frühen 20. Jahrhunderts ist dieser Mechanismus der Übernahme durch Betroffene auch bekannt. Mit gut gemeinten Aussagen, wie „Die Juden sind nicht schlimmer als die Deutschen“ oder gar „Die Juden haben das abendländische Kulturgut erhalten“ wurde ständig die Andersartigkeit und besondere Rolle der jüdischen Mitbürger betont.
Natürlich werden durch die tradierten Muster im Diskurs auch Medienmacher beeinflusst. Wer kann sich dem dauerhaft unterstellten Gegensatz zwischen Islam und Demokratie entziehen? Nicht selten liest man Sätze wie, „Islam und Demokratie sind vereinbar“ oder ähnlich ausschließendes.
Ein durchaus geschätzter Journalisten–Kollege, der mit Sicherheit auch keiner extremistischen politischen Gruppierung nahesteht, ließ sich jüngst dieser Tage angesichts der brutalen Enthauptung eines Entführungsopfers öffentlich zu der ironischen Aussage verleiten: „Ich denke, es werden hunderttausende Muslime in Deutschland jetzt dagegen demonstrieren. Oder?“
Man kann ihm zugute halten, dass er vermutlich nicht weiß, dass nicht alle Religionen einheitlich sind und eine einzige Autorität wie beispielsweise die katholische Kirche mit dem Papst besitzen, geschweige denn, die vielen muslimischen deutschen Organisationen (die zwar sicherlich alle einen allgemein gültigen Vertretungsanspruch haben, jedoch höchstens das Votum einer Minderheit der deutschen Muslime besitzen) in der Lage wären, eine entsprechende Demonstration zu planen.
Auf diese Weise werden im Grunde, trotz aller öffentlichen Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen, für jeweils eine gerade betroffene Minderheit jedoch Rassismus und Xenophobie Tür und Tor geöffnet. Der Stigmatisierung und Verbreitung gruppenbezogenen Menschenhasses, scheint nichts Ernsthaftes entgegentreten zu können.