
Von der uneingeschränkten Solidarität zur Koalition der Unwilligen: Der Irak-Krieg leitete eine Eiszeit in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ein. Deutschland lernte Nein zu sagen, auch gegen den Willen der USA.
Berlin (dpa). Eine seiner wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Kino der niedersächsischen Kreisstadt Goslar. «Rechnet nicht damit, dass Deutschland einer den Krieg legitimierenden Resolution zustimmt, rechnet nicht damit», war der entscheidende Satz in der damaligen Rede des SPD-Politikers im niedersächsischen Landtagswahlkampf. Es war der 21. Januar 2003, und gemeint war der Krieg gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein, den die USA zu diesem Zeitpunkt bereits auf Hochtouren planten.
Nur 16 Monate zuvor hatte Kanzler Schröder den Amerikanern nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die «uneingeschränkte Solidarität» Deutschlands versprochen. Um sich im Bundestag eine Mehrheit für die deutsche Beteiligung am Anti-Terror-Einsatz «Enduring Freedom» zu sichern, stellte er im November 2001 sogar die Vertrauensfrage. Anfang 2002 wurden deutsche Truppen nach Afghanistan geschickt.
Die Vorbereitungen des damaligen US-Präsidenten George W. Bush für eine Irak-Invasion gingen Schröder aber zu weit. Im Bundestagswahlkampf 2002 vollzog Schröder in seiner Haltung zum Anti-Terror-Kampf der USA die Kehrtwende. «Für Abenteuer stehen wir nicht zur Verfügung», sagte er schon im August 2002. Aber erst mit der Rede in Goslar legte sich Schröder darauf fest, dass seine Regierung den Amerikanern nicht nur die militärische, sondern auch die politische Unterstützung für einen Angriff versagen würde. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte sagte Deutschland sich außenpolitisch so dezidiert von den Amerikanern los. Erst jüngst erhielt Schröder in der SPD-Bundestagsfraktion noch einmal viel Applaus auch für seine damalige Haltung in der Irakfrage.
Schröder hatte bei seiner Entscheidung die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Die Opposition warnte dagegen eindringlich vor einer Spaltung Europas und der Nato. «Sie sind auf einem Irrweg, und das seit Wochen», hielt die CDU-Chefin Angela Merkel Schröder im Bundestag entgegen. Der SPD-Kanzler weiche von einer außenpolitischen Leitlinie ab, die seine Vorgänger von Konrad Adenauer über Willy Brandt und Helmut Schmidt bis zu Helmut Kohl konsequent verfolgt hätten. Diese Leitlinie laute: «Nie wieder ein deutscher Sonderweg!»
Schröder stand mit seinem Sonderweg aber nicht alleine da. Zusammen mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac, aber auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bildete er die Koalition der Unwilligen, während EU-Partner wie Großbritannien, Spanien und die Niederlande sich am Krieg beteiligten.
Für die deutsch-amerikanischen Beziehungen begann die schwierigste Phase der Nachkriegszeit. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stellte Deutschland auf eine Stufe mit Libyen und Kuba, die den Krieg ebenfalls ablehnten. «Wer in einer Grube sitzt, sollte nicht tiefer graben», sagte er damals. Die Kriegsgegner Deutschland und Frankreich waren für ihn das «alte Europa» – im Gegensatz zu den vielen osteuropäischen Staaten wie Polen, Ungarn oder Tschechien, die sich unter den rund 40 Ländern der «Koalition der Willigen» einreihten.
Schröder und Bush sprachen monatelang nicht miteinander, sondern nur noch übereinander. Als sie sich im Sommer 2003 bei einem Gipfeltreffen im russischen St. Petersburg erstmals wieder die Hand gaben, wurde das als kleine Sensation gefeiert.
Und was ist heute davon geblieben? Die deutsch-amerikanischen Beziehungen haben keinen nachhaltigen Schaden erlitten. Nur Bush hat Schröder nicht verziehen. In seinen 2010 veröffentlichten Memoiren «Decision Points» («Entscheidungspunkte») beschrieb er das Verhältnis zu Schröder als zerrüttet. «Als das Vertrauen erstmal verletzt war, war es schwer, wieder eine konstruktive Beziehung zu haben.»
Die deutsche Außenpolitik ist auch durch die Erfahrungen mit dem Irak-Krieg selbstbewusster geworden. Und ausgerechnet die Politikerin, die Schröder 2003 einen deutschen Sonderweg vorwarf, beschritt 2011 als Kanzlerin Angela Merkel selbst einen Sonderweg. Bei der Abstimmung über den Libyen-Krieg im UN-Sicherheitsrat enthielt sich Deutschland und verärgerte damit die wichtigsten Nato-Verbündeten, allen voran die USA.