„Die Debatte“: Eigennütziger Antiterrorkampf in Prishtina

(iz). Die Regierung um den Ministerpräsidenten Hashim Thaqi ist seit jeher bemüht, auf der internationalen Bühne dem Kosovo ein liberales und demokratisch orientiertes Image zu verschaffen. In diesem Sinne soll auch die politische Agenda des jungen und unabhängigen Staates an jene der EU und der USA angepasst werden. Wenn also die USA und die EU zur internationalen Terrorbekämpfung aufrufen, dann ist die Regierung Thaqi faktisch zum Handeln verdammt.

Dieser Konformitätsdruck scheint in der letzten Zeit so groß gewesen zu sein, dass man sich zu aufsehenerregenden Polizeiaktionen genötigt sah. Jedoch waren nicht etwa radikale Splittergruppen Ziel dieser Verhaftungswelle, vielmehr legte man Prediger und Funktionäre in Ketten, die einen grossen Rückhalt in der breiten Bevölkerung geniessen. Wenn im Nachgang an die Verhaftungen die Emotionen in der eigenen Bevölkerung hochgingen und diese auf breites Unverständnis stiessen, sollte das eigentlich wenige, die Regierung eingeschlossen, überrascht haben. Doch wieso wagt sich eine sonst schon schwache Regierung, wie jene von Hashim Thaqi, ein solch heikles Manöver durchzuziehen? In dieser Frage steckt zugleich auch ein Teil der Antwort.

Ablenkung vom Chaos der Regierungsbildung?
In den Parlamentswahlen von Juni 2014 erzielte die amtierende Partei PDK ein unerwartet schlechtes Ergebnis, was sie in die unvorteilhafte Position brachte, selbst mit ihren Verbündeten keine absolute Mehrheit im Parlament stellen zu können. Seither befinden sich alle Parteien in einem politischen Hickhack, in welchem sich alle Akteure mehr eigennützig als konstruktiv geben. Faktisch hat das Kosovo als seither keine funktionierende Regierung.

Als wäre dies nicht schon ausreichend Grund zur Sorge für die kosovarischen Politiker, spürt man in der Bevölkerung ein steigendes Mistrauen. In jedem Haus, an jeder Ecke wird über die Krise der Regierungsbildung diskutiert und je länger dieser politische Stillstand sich in die Läge zieht, desto wahrscheinlicher werden Szenen von Protestmärschen in Kosovos Strassen. Ein Alptraum für jede Regierung!

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Angesichts der Haltlosigkeit der Vorwürfe, die insbesondere den verhafteten Imamen [von denen bis auf einer alle freigelassen wurden] gemacht werden, erwecken die Festnahmen den Eindruck einer Inszenierung und diskursiven Ablenkung. Der öffentliche Diskurs, welcher bisher hauptsächlich die Unfähigkeit der Politiker adressierte, soll mit Festnahmen von bekannten islamischen Theologen in eine ganz andere Richtung gelenkt werden. Plötzlich wird in fast jedem Haushalt und den Social Media Plattformen über die Imame diskutiert, die wegen Hetze und mutmaßlicher Beihilfe zur Rekrutierung albanischer Kämpfer in Syrien angeklagt sind. Man kann also festhalten, dass die Ablenkung, sollte sie beabsichtigt worden sein, auch geglückt ist!

Politische Abrechnung
Die PDK hat den islamischen Theologen oft versprochen neue Moscheen zu finanzieren, den Islamunterricht in den Grundschulen einzuführen und vor allem das Gesetz, welches das Tragen des islamischen Hijabs (Kopftuch) an Grund- und Mittelschulen verbietet, wieder rückgängig zu machen. Dies geschah nach der alten Regierungsbildung jedoch nicht und somit wandten sich viele Imame gegen die PDK. Diese gewannen in den letzten Jahren zunehmend an Einfluss, vor allem bei den jungen Wählern und wurden so auch zu einflussreichen Akteure auf dem politischen Parkett.

Entsprechend schädlich ist es dann auch für eine Partei wie die PDK, von diesen eine Abfuhr in Form einer Nicht-Wahl-Empfehlung zu erhalten. Die Frage ob die Verhaftungen nun ein Racheakt sein könnten, sei mal so dahin gestellt. Zumindest unterstrich auch Dr. Gëzim Kelmendi von der PD (Partei für Gerechtigkeit) in seiner Beurteilung der Geschehnisse dieses Motiv.

Ablenkung von tatsächlichen Bedrohungen in Kosovo?
Fakt ist jedoch: Der Kosovo sieht sich momentan mit eine Arbeitslosenquote von min. 30 Prozent konfrontiert. Das ökonomische Wachstum nach 1999 ist hauptsächlich auf die internationalen Hilfeleistungen, die Entwicklung des öffentlichen Sektors sowie auf Geldzahlungen von den im Ausland lebenden Kosovaren zurückzuführen. Die Integration der kosovarischen Wirtschaft in die globale Ökonomie ist gering. Kosovo war und ist immer noch eines der ärmsten Länder in Europa. Die soziale und wirtschaftliche Rückständigkeit hat sich im Laufe der Zeit verfestigt.

Als wären die wirtschaftlichen Missstände nicht genug besorgniserregend, stellen sich dem Fortschritt im Kosovo weitere Hürden in den Weg. Das Gesundheitswesen gehört zu den schlechtesten überhaupt in Europa. Hinzu kommt eine weit verbreitete Korruption in der Politik, Schutzgelderpressungen durch reiche Geschäftsleute oder illegale Prostitution. Eine vor diesem Hintergrund interessante Anekdote ist die neulich von einem Journalisten an den Hauptrichter gerichtete Frage: „Herr Oberstaatsanwalt, ist die Geldwäsche der Imame (Dr. Shefqet Krasniqi wurde u.a. deswegen verklagt) größer oder die der Politiker, die innerhalb kürzester Zeit unerklärlich reich wurden?“ Auf eine konkrete Antwort wartete man vergebens, viel mehr folgte ein Ausweichmanöver.

Wem nutzt das nun alles?
Im Prinzip zweifelt kaum jemand an der Unschuld der islamischen Geistlichen. Auch der Präsident der VV-Parte i(Partei für Selbstbestimmung) sagte zuletzt, dass Thaqis Regierung vielmehr die „Aufmerksamkeit des Volkes in eine andere Richtung steuern möchte, statt den Fokus auf tatsächliche Probleme zu legen“. Nach ca. fünf Tagen wurden Ekrem Avdiu und Enis Rama wieder entlassen, weil die Staatsanwaltschaft keine Beweise für die Denunziationen finden konnte. Die weitere Entlassung von anderen Imamen wird erwartet.

Doch ganz ohne negative Konsequenzen dürfte es für die Imame auch im besten Fall nicht ausgehen. Als gern gesehene Gäste auf ausländischen Konferenzen und Events und Gastpredigten in einer der Moscheen der grossen albanischen Diaspora, dürfte ihnen nun die Einreise durch diese Vorkommnisse erschwert werden. Für islamfeindliche Organisationen sind solche Vorwürfe, selbst wenn sie sich im Nachgang als haltlos erweisen, eine Steilvorlage für weitere Hetzkampagnen und um sich dadurch zu profilieren.

Nun stellt sich tatsächlich die Frage: Wieso nun diese ganze Hysterie?