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Die Moschee im Dorf lassen

Ausgabe 263

Foto: Raenmaen | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(iz). Die aktuell laufende Debatte um die Spitzelvorwürfe gegenüber der DITIB lässt andere muslimische Gemeinschaften in Deutschland nicht unbeeindruckt zurück. Die Vorwürfe beschränken sich zwar auf die DITIB, von den Auswirkungen sind auch Islamrat, VIKZ, ZMD und sogar die AABF betroffen.
Das Land Niedersachsen hat die Staatsvertragsverhandlungen mit allen Landesvertretungen der Gemeinschaften eingestellt, das Land NRW lässt nach einer rechtlichen und soziologischen Begutachtung nun auch mögliche politische Implikationen begutachten – bei allen beteiligten Gemeinschaften.
Was innerhalb der DITIB zu Beginn noch als Beamtenübereifer und völlige Fehleinschätzung einiger Karrieristen hinsichtlich der Verantwortung als Religionsgemeinschaft in Deutschland begann, hat sich mittlerweile zu einer handfesten Struktur- und Daseinsdebatte über die DITIB und zu einer Loyalitäts- und Zugehörigkeitsdebatte mit Blick auf die türkischstämmigen Muslime in Deutschland entwickelt. Eine Entwicklung, zu der insbesondere das verworrene und intransparente Auftreten der DITIB-Führung einen großen Beitrag geleistet hat.
Sowohl das Abdriften in einen Loyalitätsdiskurs, bewusst auch befeuert von Akteuren aus der Türkei, als auch die Ausweitung der Folgenseite auch auf die anderen muslimischen Gemeinschaften ist jedoch kontraproduktiv. Zum einen werden die anderen Gemeinschaften damit für einen Zustand in Mitleidenschaft gezogen, der bei diesen gar nicht vorliegt. Zum anderen schadet der aktuelle Diskurs gerade den Akteuren auch innerhalb der DITIB, die sich in den Strukturen für eine Öffnung hin zur Gesamtgesellschaft und der aktiven Teilnahme in ihr einsetzen.
Die Organisation der DITIB mit einer Teilfinanzierung der religiösen Dienste durch einen Drittstaat stellt nämlich nur eine Form der möglichen muslimisch-religiösen Institutionalisierung in Deutschland dar. Tatsächlich werden nicht einmal die Hälfte der Moscheegemeinden in Deutschland auf diese Art betrieben. Die Mehrheit der Moscheen finanziert ihre Infrastruktur und ihre Imame aus eigenen Mitteln. Aus Spenden, aus Mitgliedsbeiträgen, und wenn sich die Gemeinde eine Immobilie anschaffen konnte, auch etwas aus Mieteinnahmen. Und selbst in DITIB-Gemeinden sind es nur die Imame, die ihr Gehalt aus der Türkei beziehen. Die gesamte sonstige Infrastruktur, der Bau, Kauf oder die Miete von Gebetsräumen, Strom-, Gas- oder Wasserkosten, diese müssen auch in DITIB-Gemeinden von den Gemeindemitgliedern und den Besuchern des Freitagsgebets finanziert werden. Dazu gibt es keine Unterstützung aus der Türkei.
Die von der DITIB gewählte Form der Teilfinanzierung der religiösen Dienste aus dem Ausland ist nur die jüngste mögliche Art, Moscheen in Deutschland zu betreiben. Im öffentlichen Diskurs fokussiert sich die Debatte um DITIB jedoch weitgehend auf diese Finanzierungsform und den Einfluss über diese Finanzierung auf die Gemeinden. Tatsächlich ist aktuell die Entsendung dieser Imame aus der Türkei und überhaupt ihre personelle Bereitstellung alternativlos. Weder werden die Gemeinden, die sich fast drei Jahrzehnte lang zumindest um das Imam-Gehalt keine Sorgen machen mussten, von heute auf morgen die nötigen Finanzmittel ohne weiteres bereitstellen können, noch haben wir in Deutschland derzeit das Personal, um diese über 900 Imam-Stellen zu besetzen. Auf der monetären Seite sprechen wir hier geschätzt über einen Mehrbedarf von jährlich fast 30 Millionen Euro, personell über einen Bedarf, der mit der aktuellen Infrastruktur in Deutschland über Jahrzehnte nicht anderweitig abgedeckt werden kann.
Beide Aspekte sind diskussionswürdig und wichtig, sie sollten aber in der aktuellen Debatte um die DITIB-Struktur nicht die zentrale Rolle spielen. Denn in die aktuelle Krise haben uns nicht diese Voraussetzungen geführt, sondern ein Defekt, der schon der Gründung der DITIB zugrunde liegt. Der Gründung der DITIB ging gerade nicht die reine Sorge um die religiöse Versorgung der Türken in Europa voraus. Es war eher das Misstrauen gegenüber den eigenen Bürgern, dass sie sich fernab vom Vaterland den als oppositionell wahrgenommenen Gemeinschaften wie der Milli Görüs oder den Süleymancis anschließen könnten.
Der unter dem Putsch-Präsidenten Kenan Evren dienende damalige Diyanet-Vorsitzende Tayyar Altikulac zeichnet diese damalige Sorge in seiner Autobiographie „Zorlukları Asarken” (Ufuk Yayinlari, 2011) nach. Mit der Etablierung der DITIB Mitte der 80er Jahre sollte gewährleistet werden, dass sich die im Ausland lebenden Türken nicht in Widerspruch zu Verfassung und Gesetzen der Türkei stellen, und in die Arme der als radikal angesehenen anderen Gemeinschaften laufen.
Dieses Misstrauen gegen den eigenen Staatsbürger manifestiert sich innerhalb der DITIB in der Rolle der Konsulatsmitarbeiter, der Attachés. Diese fungieren noch immer als Fachaufsicht über die von der Diyanet entsandten Imame und nehmen innerhalb der DITIB-Struktur auch eine gewichtige funktionale und moralische Rolle ein. Trotz ihres Schwergewichts innerhalb der Gemeinschaft bindet jedoch wenig diese Beamten an die DITIB.
Sie verbringen einige karrierefördernde Jahre im Ausland, müssen währenddessen jedoch immer auf ihre Rückkehr in die Türkei hinarbeiten. Oftmals fehlt es an einer emotionalen Bindung an die Gemeinschaft und auch an einer Auseinandersetzung mit den Lebenswirklichkeiten in der Gemeinschaft aber auch den gesamtgesellschaftlichen Realitäten.
Das Angebot aus der Türkei mag zwar in den 80ern eher politisch motiviert gewesen sein, doch gab es auch hierzulande eine Nachfrage nach diesem Angebot. Während die Gemeinden aber nach gut ausgebildeten und fähigen Imamen fragten, bekamen sie auch die Religionsattachés mit dazu.
Dabei haben sich mittlerweile auch in der DITIB Strukturen wie die Landesverbände herausgebildet, die sehr wohl die Aufgabe der Fachaufsicht über die Imame übernehmen könnten. Dazu muss aber auch die Türkei bereit sein, den gewählten und aus der Mitte der Gemeinden kommenden Moschee- und Landesverbandsvorständen zu vertrauen.
Hierin könnte auch ein Weg zur Überwindung der aktuellen Krise liegen. Alle Augen blicken nach Ankara, mit der Erwartung, dass von dort Signale des Bewegens oder Beharrens kommen mögen. Die Dynamiken vor Ort und insbesondere die innergemeinschaftlichen Akteure bleiben außen vor, auch für die aktuelle DITIB-Führung. Statt tatsächlich über Fragen der Struktur und Inhalte zu diskutieren, wird die öffentliche Debatte entlang von Fragen zu kulturellen und nationalen Loyalitäten geführt. Was wir brauchen, ist eine Türkei, die die Verantwortung für die DITIB vollständig in die Hände der Akteure vor Ort legt. Und wir brauchen eine deutsche staatliche Seite, insbesondere in den Ländern, die die muslimischen Gemeinschaften endlich auch als das wahrnimmt, was sie schon lange sind – muslimische Religionsgemeinschaften in Deutschland.
Der Autor ist Gründer und Leiter von Karahan Consulting.