
Die Nacht der Macht – oder Laitulqadr – ist ein besonderer Augenblick, in dem sich unsere Existenz an einem Punkt verdichtet.
(Zaytuna). Die Gemeinschaft der Muslime ist derzeit zersplittert und es gibt in ihr viel Leid. Möge Allah uns zusammenbringen und die Herzen vereinen. Denn er ist der Einzige, der dazu in der Lage ist. Wir haben uns als unfähig erwiesen.
Ich wurde gebeten, über die Nacht des Schicksals (Lailat Al-Qadr) zu reden, und wollte darin allgemein zum Ramadan sprechen und insbesondere darüber, was dieser Augenblick für diesen Monat meint. Der Vers im Qur’an, aus dem der Begriff stammt, lautet „wir haben ihn ja in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt“ (Al-Qadr, Sure 97, 1), was die Herabkunft der Offenbarung bedeutet.
Nacht der Macht – etwas kommt herab
Das in diesem Qur’anvers verwendete arabische Wort leitet sich davon ab, dass etwas – bspw. der Regen – herabkommt. Ebenso kommt die qur’anische Offenbarung herab, wie es in der Sura Al-Qadr aus dem letzten Sechzigstel des Qur’an erwähnt wird.
Laut den Qur’ankommentatoren kann das Wort, nachdem dieses Kapitel benannt wurde, viele Bedeutungen enthalten. An anderer Stelle wird dieser Moment als ein „gesegneter“ beschrieben.
Einer der Inhalte ist, dass es sich um eine Nacht handelt, in der die Dinge für das kommende Jahr vorgesehen werden. Aus dieser Perspektive ist es eine wichtige Nacht. Denn wir glauben, dass Allah alles vorherbestimmt hat. Dies ist einer der Aspekte, die in unserer Glaubenslehre wurzeln.
Sie enthält sechs essenzielle Punkte, die der Prophet in einem Hadith beschrieb, als Jibril, Friede sei mit ihm, ihn vor seinen Gefährten fragte, was Iman sei. Einer davon war, dass man an das Qadr glaubt bzw. an das, was vermessen ist. Manche verwenden das Wort Schicksal.
Schicksal ohne Falle des Determinismus
Die Herausforderung dabei ist, dass man in das Problem des Determinismus geraten kann. Das ist etwas, woran Muslime nicht glauben, dass die Dinge in dieser Weise so bestimmt sind, ohne an dieser Bestimmung teilzunehmen.
Mit anderen Worten: Der Mensch hat einen freien Willen. Das ist eines der göttlichen Geheimnisse. Man kann es so betrachten: Es gibt die newtonsche Physik und die Quantenphysik.
Man darf beide nicht auf derselben Bedeutungsebene anwenden. Die von Newton gilt nicht auf der Quantenebene und die Quantenphysik gilt nicht auf der newtonschen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieselbe Realität aus unterschiedlichen Dimensionen zu betrachten.
Wir wissen, dass dies eines der Geheimnisse dieser Zivilisation und ihrer Macht ist. Es ist interessant, dass Qadr mit Qudra verwandt ist, was Macht bedeutet. Manchmal wird sie daher als „Nacht der Macht“ übersetzt, weil Messung eines der Mittel ist, durch die Leute gestärkt werden.
Der Mensch und seine Vermessenheit
Die Fähigkeit, Dinge zu vermessen, verleiht den Menschen eine unglaubliche Macht. Und das ist einer der Gründe, warum die westliche Zivilisation davon besessen ist, alles zu messen.
Allah hat Macht über eine jegliche Sache. Und Er misst sämtliche Dinge. Er weiß, wie viele Sandkörner es gibt. Er weiß um alle Atome im Universum. Ein jedes dieser Dinge ist im Wissen Gottes enthalten. Und so kann diese menschliche Fähigkeit des (Ver)Messens, die uns Macht verleiht, niemals in der Gegenwart der göttlichen Fähigkeit bestehen. Sie wird einfach aufgehoben. Sie glauben, sie hätten Kontrolle über die Erde. Und an diesem Punkt sagt Allah: „Unser Befehl kommt.“
Er demonstriert seine Qudra in der tatsächlichen Nacht der Macht. Er zeigt euch, dass Er eine solche erschaffen kann, die in ihrer Belohnung für das, was ihr in ihr tut, tausend Monaten entspricht. Das ist eines der außergewöhnlichen Geschenke, die dieser Umma gegeben wurden. Allah kann die Zeit dehnen. Und Er kann sie verkürzen. In diesem Moment gibt Er uns die Belohnung von eintausend Nächten. Man kann im Laufe eines Lebens umgerechnet tatsächlich bis zu tausend Monate fasten.
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Herabsendung als Ereignis und als Prozess
In dieser Sure sagt Allah, dass er den Qur’an herabgesandt hat. Der Tradition zufolge kam er in einem singulären Event von der gut erhaltenen Tafel herab. Und Jibril brachte ihn von dort. Ab diesem Zeitpunkt wurde er dem Propheten über einen Zeitraum von 23 Jahren stückweise offenbart. Er wurde nicht nur in einem einzigen Ereignis gegeben, sondern das war der Beginn der Offenbarung, so die Überlieferung.
Ich möchte schnell zu einem der wichtigsten Aspekte des Monats zurückkehren: dem Qur’an. Allah sagt, wenn er den Ramadan in ihm erwähnt, dass er „eine Rechtleitung für die Menschen“ ist. Er ist eine Klarstellung dieser Rechtleitung.
Und ist eine Richtschnur für das Unterscheidungsvermögen. Allah gibt etwas, das dazu befähigt, zwischen richtig und falsch, gut und böse, zwischen dem, was fromm und tugendhaft ist, und dem, was es nicht ist, zu unterscheiden. Der Qur’an ist dieses große Geschenk, das der Umma gegeben wurde.
Diese Suren weisen eindeutig klare Strukturen auf, die man nach gründlichem Lesen erkennen kann. Fahreddin Ar-Razi sagt, dass nur wenige Menschen jemals in diese eindringen. Denn der Qur’an verlangt eine Art von tadabbur: „Denken sie nicht tief über diesen Qur’an nach?“
Das meint, etwas bis zum Ende zu durchdringen. Bis zum Abschluss zu gehen. Und das Buch Allahs kann nie durchdrungen werden. Aber hier bedeutet es, profund darin einzutauchen, um aufrichtig zu versuchen, es zu verstehen. Dies ist eines der Dinge, die für die Umma wichtig sind, um ihre Beziehung zum Qur’an wiederherzustellen.
Einer der Punkte, die man immer haben sollte, ist jemanden, der in einer Situation mehr weiß als andere. Deshalb braucht man Gelehrte. Aber gleichzeitig müssen wir aus dieser völligen Abhängigkeit von ihnen herauskommen. Wir selbst sollen uns aktiv mit dem Lernen beschäftigen.
Wenn wir das nicht tun, wird es zu einer passiven Erfahrung, sodass die Menschen nie daran arbeiten, die göttliche Offenbarung zu verstehen. In ihr wird verlangt, dass die Leute darüber nachdenken. Allahs Buch fordert uns auf, sich mit ihm zu beschäftigen.
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Ibn Juzay Al-Kalbi über den Qur’an
Einer der großen Mufassirun unserer Tradition, Ibn Juzay Al-Kalbi, hat eine schöne Zusammenfassung des Qur’ans gegeben. Er sagte, wenn man jemanden fragt, was sein Zweck sei, die Leute mit verschiedenen Dingen aufwarten werden. Er bot eine schöne Definition des Qur’an. Er sagte, dass er die Schöpfung dazu aufruft, den Schöpfer, d.h. Menschen und Dschinn, anzubeten und in seinen Din einzutreten.
Er führt dann aus, dass das zwei zusätzliche Dinge verlangt. Das meint, zu welcher Anbetung wir aufgerufen sind und was die Anreize sind, dies zu tun? Allah sagt: Solltest du das machen, bekommst du eine Belohnung. Oder wer das tut, bekommt das. Und das andere ist der Stock, der sagt: Wenn du das tust, wird das geschehen. Wenn du das nicht machst, wird das passieren. Es ist eine Warnung. So werden die meisten Menschen motiviert.
Imam Al-Ghazali und andere haben gesagt, dass sich die Muslime auf höchster Ebene darüber erheben. Das ist die allerhöchste Stufe von Leuten, die Allah verehren, weil er dieser Anbetung würdig ist.
Dann sagt Ibn Juzay: Wer ins Detail geht, wird feststellen, dass alle Bedeutungen des Qur’an auf sieben zurückgehen. Die erste ist ‘Ilm Al-Rububiyya, das Wissen über unseren Herrn. Die zweite ist Nubuwa, das Wissen über die Propheten und Gesandten. Die dritte ist Ma’ad, was nach dem Tod geschieht. Dann kommen Wa’ad und Wa’id – die Warnungen und Versprechen. Dann die Ankam, die Regeln, die Allah uns gegeben hat. Und die Qasas, die Geschichten, die Allah erzählt hat.
Ein Großteil des Qur’ans besteht aus Berichten über frühere Völker. Die am häufigsten wiederholte Geschichte im Qur’an ist die von Pharao und Moses, weil dies das am meistverbreitete wiederkehrende menschliche Phänomen ist: die Beziehung zwischen dem Unterdrücker und dem Unterdrückten.