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Habemus Koalitionsvertrag: Von der Interaktion zur Konfrontation?

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Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Das vorgestellte Koalitionspapier setzt den Trend der deutschen Islampolitik fort und verstärkt ihn. Muslimische Bürger gelten vorrangig als Problem.

Berlin (dpa/iz). Mit dem Vertrag haben sich Union und SPD auf die Verteilung der Ministerien sowie auf Grundlinien ihrer gemeinsamen Politik verständigt. Die CDU bekommt erstmals seit fast 60 Jahren das Außenministerium, die SPD besetzt die wichtigen Ämter für Finanzen und Verteidigung.

Und um die innere Sicherheit kümmert sich künftig ein Minister oder eine Ministerin der CSU. Die Namen der Kabinettsmitglieder werden erst später bekanntgegeben.

Die neue Koalition ist das fünfte Regierungsbündnis dieser Parteien seit Gründung der Bundesrepublik. Erstmals kam es von 1966 bis 1969 unter CDU-Kanzler Kiesinger zu einer solchen Konstellation. Nach den Bundestagswahlen 2005, 2013 und 2017 führte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jeweils eine solche Formation.

Während christliche Kirchen und jüdisches Leben prominent gewürdigt und gefördert werden, bleibt der Islam weitgehend unsichtbar als Teil des gesellschaftlichen und religiösen Pluralismus.

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Eyüp Kalyon, Generalsekretär der DITIB, kommentierte das bekanntgewordene Papier mit kritischen Worten: „Es ist bedauerlich, dass die Herangehensweise der beiden Koalitionspartner an die Themen rund um den Islam und die Muslime in Deutschland auf negativ konnotierte Inhalte fokussiert ist. Der veröffentlichte Koalitionsvertrag thematisiert Muslime lediglich im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Aspekten wie Islamismus, Extremismus oder Prävention“

Das ignoriere die ca. 90 % der deutschen Muslime, die sich als Teil dieses Landes sähen und einen gesellschaftlichen Beitrag leisteten. Einerseits sei das keine positive Botschaft an sie und führe andererseits dazu, dass diese sich nicht vertreten fühlten. „Die Koalition hat in der Praxis die Pflicht, diese verzerrte Betrachtung von Muslimen zu korrigieren und ihnen zu zeigen, dass sie keine Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sind.“

Wahlergebnisse

Foto: Ryan Nash Photography, Shutterstock

Koalitionsvertrag: Merz verspricht „handlungsstarke Regierung“

„Deutschland bekommt eine handlungsfähige und eine handlungsstarke Regierung“, sagte der wohl nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Die Einigung sei ein Aufbruchsignal und ein kraftvolles Zeichen für die Bundesrepublik, dass die politische Mitte in der Lage sei, die Probleme zu lösen. „Die künftige Regierung, die künftige Koalition wird reformieren und investieren, um Deutschland stabil zu halten, sicherer zu machen und wirtschaftlich wieder stärker zu machen.“

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil betonte: „Die Ausgangslage war schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen.“ Der SPD-Chef wies auf die aktuellen Krisen hin und unterstrich: „Wir haben das Potenzial, gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.“

Umgang mit Muslimen: Die neue Koalition setzt die Grundlinien der alten fort

Wenig Überraschendes bietet das Einigungswerk für muslimische BürgerInnen der Bundesrepublik und ihre Gemeinschaften. Obwohl die Ampelkoalition mit starken Ankündigungen startete, wurde zugig deutlich, dass sie in Sachen Religionspolitik und Austausch – entgegen der populistischen Propaganda von einer „Islamisierung“ – weit hinter ihren eigenen Ankündigungen zurückblieb. So wurden die Themen Muslimfeindlichkeit und Diskriminierung von Muslimen bald schon vernachlässigt.

Erheblich fielt der Unterschied zu den Merkelkabinetten bei der Kommunikation auf. Die unter Schäuble begründete und seinen Nachfolgern fortgesetzte Deutsche Islamkonferenz (DIK) konnte – trotz zeitweiser Unstimmigkeiten – jahrelang produktiv arbeiten und Projekte wie die Islamische Theologie auf den Weg bringen. Die Ampelkoalition hingegen ließ – so muslimische Vertreter in Gesprächen – viele wichtige Gesprächskanäle in den letzten 1 ½ Jahren versanden.

Dort, wo die Dreierkoalition aufhörte, macht das neue Bündnis weiter. Muslime (ca. 6 % der hiesigen der Wohnbevölkerung) bzw. ihre Religion tauchen im bekanntgewordenen Koalitionspapier nur im Kontext von Bedrohungsszenarien und der inneren Sicherheit auf. In Zeile 2717 wird „Islamismus“ als eine der zu bekämpfenden radikalen Ideologien beschrieben.

An keiner Stelle des Papiers wird die Lebensleistung muslimischer BürgerInnen in diesem Land gewürdigt oder ihre positiven Beiträge zur Zivilgesellschaft erwähnt. Selbst bei Problemfeldern setzt es – im Gegensatz zu einigen Landesregierungen – nicht auf Interaktion und Einflussnahme. Es hat den Anschein, dass es kaum gesondertes Interesse an einem Austausch gibt.

Man wolle (Zeilen 2721-24 des Vertrags) keine Zusammenarbeit mit „Vereinen und Verbänden“ pflegen, „die von ausländischen Regierungen oder mit ihnen verbundenen Organisationen gesteuert werden“ bzw. deren Mitglieder von den Verfassungsschutzämtern beobachtet werden. Das damit selbst die ideologisch unbescholtenen bosnisch- und albanischstämmigen muslimischen Verbände betroffen sein könnten, scheint übersehen worden zu sein.

Konkret wurde Einführung einer Pflicht zur Offenlegung der Finanzen solcher Vereine und Verbände angekündigt. Zusätzlich wolle man einen „Bund-Länder-Aktionplan“ arbeiten und die „Task Force Islamismusprävention“ entwickeln.

AfD demos

Foto: Shutterstock.com

Türkische Gemeinde fordert „überzeugendes Konzept gegen Rechtsextremismus“

Die Co-Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Aslihan Yesilkaya-Yurtbay, sagte, es sei gut, dass ein klares Bekenntnis zum bedingungslosen Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden sei.

„Angesichts der explodierenden Zahlen im Bereich der rassistischen Übergriffe hätte ich mir gewünscht, dass auch Schwarze Menschen, Muslime und Sinti und Roma eine vergleichbare Berücksichtigung im Text erfahren.“

Was ihr mehr fehle, sei „ein überzeugendes sicherheitspolitisches Konzept gegen Rechtsextremismus, das uns allen das Gefühl vermittelt, wir können in Deutschland eine sichere Zukunft planen“.

Zentralrat der Muslime: „Koalitionsvertrag blendet muslimisches Leben aus“

In seiner Pressemitteilung von heute zeigte sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) „tief besorgt“ angesichts der jetzigen Einigung. Er beklagt „inhaltliche Leerräume und unausgewogene Schwerpunktsetzungen“. Deutsche MuslimInnen blieben unerwähnt.

Als „gravierend“ wurde die fehlende Erwähnung des Phänomens der Muslimfeindlichkeit bezeichnet. „Der von den Koalitionären angekündigte Nationale Aktionsplan gegen Rassismus bleibt in dieser Hinsicht vage und unvollständig. Eine Strategie, die Diskriminierung bekämpfen will, muss ihre Erscheinungsformen deutlich benennen – auch dann, wenn sie Muslime betrifft.“

Politisch hält es der Zentralrat für einen Fehler, dass diese BürgerInnen des Landes nicht als Teilnehmer an gesellschaftlichen Prozessen wie Wahlen auftauchen. „Bei der letzten Bundestagswahl wurde deutlich, dass sich ein großer Teil der muslimischen Wähler:innen für Parteien links der Mitte entschieden hat – insbesondere dort, wo ernstzunehmende Angebote gemacht wurden (…).“ Dieser Trend mache klar, dass die Gemeinschaft eingebunden werden müsse.

Ramadan-Fragen

Foto: Ömer Sefa Baycal

„Die religionspolitische Ausrichtung des Vertrages bleibt hinter demokratischen Standards zurück. Zwar wird die Rolle der Kirchen anerkannt, doch islamische Religionsgemeinschaften bleiben völlig unsichtbar – weder bei Fragen wie Religionsunterricht, Seelsorge oder Wohlfahrtsarbeit, noch bei der institutionellen Kooperation mit staatlichen Stellen. Der vielfach beschworene interreligiöse Dialog bleibt somit unvollständig und unausgewogen.“

Als Reaktion auf das Koalitionspapier fordert das Gremium „eine politische Neuausrichtung“. Dazu gehören: Benennung und Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, Sichtbarmachung sowie Förderung muslimischen Lebens, die Schaffung eines Bundesbeauftragten für muslimisches Leben und eine gleichberechtigte Religionspolitik, „die muslimische Gemeinschaften auf Augenhöhe einbindet und nicht länger institutionell benachteiligt“.

Gemischte Reaktionen bei Migration und Integration

Viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte waren in den vergangenen Monaten beunruhigt, weil die CDU/CSU gefordert hatte, die von den Ampel-Parteien verabschiedete Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit einer von acht auf fünf Jahre verkürzten Wartefrist für Einbürgerungen und der Erlaubnis für die doppelte Staatsbürgerschaft auch für Nicht-EU-Bürger rückgängig zu machen.

Der Unionsvorschlag, Eingebürgerten mit Doppelpass bei Straffälligkeit den deutschen Pass wieder wegzunehmen, sorgte für massive Verunsicherung. Hier soll laut Koalitionsvertrag alles so bleiben, wie es ist.

Einzige Ausnahme: Die Einbürgerung schon nach drei Jahren für Menschen, die besondere Integrationsleistungen nachweisen können – wie etwa ehrenamtliches Engagement oder hervorragende Sprachkenntnisse – soll wieder gestrichen werden. (sw, ak)

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