(dpa) Ausgerechnet am Schauplatz eines rechtsextremistischen Bombenanschlags in Köln sind Gratispostkarten verteilt worden, auf denen das Bundesinnenministerium vor einer Radikalisierung von Muslimen warnt. Die Karten seien kartonweise in der Keupstraße in Köln-Mülheim unter die Leute gebracht worden, sagte ein Sprecher der Stadt und bestätigte damit am Mittwoch einen Bericht des «Kölner Stadt-Anzeigers». Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) kritisierte die Aktion als «in hohem Maße unsensibel».
In der überwiegend von Türken bewohnten Keupstraße war 2004 eine Nagelbombe explodiert und hatte 22 Menschen verletzt. Die Polizei glaubte jahrelang an eine Abrechnung unter türkischen Kriminellen. Doch dann stellte sich im vergangenen Jahr heraus, dass die rechtsextremistische Terrorgruppe NSU den Anschlag verübt hatte.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte in Berlin, in den vergangenen Tagen seien 200 000 solcher Karten in zehn deutschen Städten verteilt worden, darunter in Köln. Zu einzelnen Straßenzügen könne sie nichts sagen. Die Karten sollten in Verteilständern in Cafés und Kneipen kostenlos angeboten werden. Sie weisen auf eine Beratungsstelle beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hin, an die man sich wenden kann, wenn man bemerkt, dass sich jemand zum radikalen Islamisten wandelt. Die Form einer Vermisstenanzeige sei gewählt worden, weil man einen Menschen, der sich radikalisiere, nicht mehr wiedererkenne, sagte die Sprecherin.
Der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Volker Beck, bezeichnete die Aktion als «beispiellose Geschmacklosigkeit» und forderte eine Entschuldigung von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), sagte dem «Kölner Stadt-Anzeiger», die «missglückte Kampagne» auch in die Keupstraße zu tragen, sei «hochgradig unsensibel».
Die Türkisch-Islamische Union (Ditib), der größte der islamischen Dachverbände in Deutschland, bat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem offenen Brief, «sich persönlich mit den Auswüchsen der „Vermisst“-Aktion des Bundesinnenministeriums zu befassen». Die Aktion sei ein Affront.