
(iz). Nach den eher diesseitig orientierten „Hells Angels“ bekommen nun Gruppen, die dem Salafismus zugerechnet werden, Besuch von Staatsorganen und geladenen Medien. Spektakel hin oder her, zunächst kommt hier nur eine rechtliche Binsenweisheit zum Tragen: Wer in Deutschland zu Straftaten aufruft, sie ausübt oder an solchen beteiligt ist, wird einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Bis zum Ermittlungsergebnis gilt die Unschuldsvermutung, egal ob man Helm oder Gebetskappe trägt.
Radikale Salafisten, die zu Gewalt aufrufen oder etwa Selbstmordkommandos verherrlichen und keine Staatsbürger sind, müssen zu Recht mit Strafen und Ausweisung rechnen. Ihre obskuren Positionen werden nicht nur von einer überwältigenden Mehrheit der islamischen Gelehrten, sondern auch von nahezu 100 Prozent der Muslime im Lande abgelehnt. Und das ist auch gut so. Noch immer steht eine überwältigende Mehrheit der Muslime in der Mitte und meidet die Extreme des Glaubens oder Unglaubens.
Wer auf der anderen Seiten in Übersetzungen des Qur’ans verteilt, mag damit der islamischen Sache schaden oder auch nicht; sicher begeht er damit aber keine Straftat. Wer mit schlichter Rhetorik ins Paradies einlädt oder sonstige Glaubensüberzeugungen vertritt, bewegt sich inhaltlich voll im Rahmen unserer Rechtsordnung. Weder Sozialrecht, Gesundheitsrecht oder Baurecht stehen – mit guten Gründen – unter dem Vorbehalt einer politischen Gesinnungsprüfung. Konsequent weiter gedacht heißt das auch: Auch die Gruppe Pro-NRW muss ihren Stuss öffentlich vertreten dürfen, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.
Diese Fakten sind klar und sie müssen verteidigt werden, auch dann, wenn man – wie diese Zeitung – den Salafismus seit ihrem ersten Erscheinen kritisch begleitet. Es geht schlussendlich genau um diese inhaltliche Auseinandersetzung, den Nachweis zu führen, dass der Salafismus keine besonders konsequente Glaubensausübung ist, sondern in weiten Teilen eine moderne Irrlehre. Nur so verhindert man die Schaffung eines Opfermythos und nur so kann man öffentlich trennen zwischen dem, was Muslime tun oder vertreten mögen und, was der Islam selbst ist. Einfache Logik: Es mag Muslime geben, die Banken ausrauben oder Geld stehlen, aber es gibt keinen islamischen Bankraub oder Diebstahl.
Beunruhigend ist gleichzeitig die anhaltende Vermischung der Begriffe unter dem unbestimmten Begriff des „Islamismus“, die Kriminalisierung einfacher Orthodoxie, die gleichzeitige Nennung von Gläubigen und Orthodoxen mit Verbrechern und Mördern. Kurzum: die Verwässerung der Debatte. Uns Muslimen muss an Differenzierung gelegen sein; auch dann, wenn wir nur über bescheidene Mittel verfügen. Unsere Vertretungen sind ja leider verstörend passiv und wenig kreativ, sichtbare Zeichen zu setzen.
Neben der Differenzierung geht es auch um die Rationalisierung der Debatte. Hundertschaften von Stadtindianern aller Couleur mögen ein schlimmes Ärgernis für die Demokratie darstellen, sie sind aber keine Bedrohung der demokratischen Ordnung. Sie sind die politischen Dinosaurier einer anderen Zeit. Ganz real ist die Ordnung von über 80 Millionen hier lebenden Menschen durch eine entfesselte Ökonomie bedroht.
Viele Muslime haben Angst, dass sie ohne Differenzierung und eine Rationalisierung der Debatte um den Islam in anstehenden Krisenzeiten endgültig zu Sündenböcken werden könnten.