Kulturkampf in Indien: Hindu-Radikale greifen an. Ein Bericht von Doreen Fiedler über das Klima auf dem Subkontinent

Drohanrufe, körperliche Attacken und sogar Morde: Indiens Schriftsteller und Künstler fühlen sich zunehmend bedroht. Nun starten sie eine Gegenkampagne.

Mumbai (dpa). Sudheendra Kulkarni fuhr mit seinem Auto gerade los, als ihn vor seinem Haus in der indischen Metropole Mumbai etwa 15 Mitglieder der rechten Partei Shiv Sena stoppten, aus dem Auto zerrten und sein komplettes Gesicht mit Ölfarbe einschmierten. „Sie sagten: Du hast nicht auf uns gehört, und das ist es, was wir dir antun können“, sagte Kulkarni später, das Gesicht noch pechschwarz.

„Das ist keine Farbe, sondern das Blut unserer Soldaten“, erklärte hingegen der Shiv-Sena-Sprecher Sanjay Raut. Kulkarni wollte am Montagabend das Buch eines pakistanischen Ex-Ministers vorstellen – er wurde also zum Ziel, weil er nach Ansicht von Shiv Sena mit Indiens Erzfeind Pakistan gemeinsame Sache machte.

Die Regionalpartei Shiv Sena, immerhin die zweitgrößte Partei des Bundesstaates Mahrashtra, macht häufig durch solche medienwirksame Attacken auf ihre Agenda aufmerksam. Erst in der vergangenen Woche zwangen sie den in der Region geschätzten pakistanischen Sänger Ghulam Ali mit Drohungen dazu, ein Konzert in Mumbai abzusagen. Alles, was ihrer Meinung nach nicht zu der vorherrschenden Hindu-Kultur gehört, soll offensichtlich untersagt werden.

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Seit die Zentralregierung in Neu Delhi und immer mehr Landesregierungen von der hindu-nationalistischen Partei BJP geführt werden, fühlen sich auch andere extremistische Hindus ermutigt. In der Hauptstadt wurden Kirchen beschädigt, im südindischen Karnataka der aufklärerische Denker und Wissenschaftler M. M. Kalburgi ermordet und der tamilische Autor Perumal Murugan so lange bedroht, bis er via Facebook seinen literarischen Tod erklärte. In einem Dorf in Nordindien lynchte ein Hindu-Mob einen Muslim, der verdächtigt wurde, Fleisch der für Hindus heiligen Kuh gegessen zu haben.

„Indiens Kultur der Vielfalt und Debatte ist heute einem bösartigen Sturm ausgesetzt“, schrieb vor einer Woche die Schriftstellerin Nayantara Sahgal in einem offenen Brief – betitelt mit „Die Beseitigung Indiens“. Als Zeichen des Protests gab die Nichte von Indiens erstem Premierminister Jawaharlal Nehru den Sahitya Akademi Award, die höchste literarische Auszeichnung Indiens, an den Staat zurück.

Mehr als ein Dutzend Sahitya-Preisträger folgten ihrem Beispiel in den vergangenen Tagen – ein noch nie dagewesener Aufstand der Literaten. „Auf demokratische Rechte wie Meinungsfreiheit, Freiheit des Glaubens, der Privatheit und so weiter wird herabgeblickt, und sie werden entweder eingeschränkt oder zerstört“, beklagt der Poet Ashok Vajpeyi. Dabei sei gerade Indien einzigartig in seiner Pluralität aus Sprachen, Religionen, Bräuchen, Speisen, Trachten und Künsten.

Im Zentrum der Kritik steht, wenn auch meist unausgesprochen, Premierminister Narendra Modi. Seit seinem Amtsantritt vor anderthalb Jahren versucht er den Balanceakt zwischen dem Wunsch, als großer Staatsmann angesehen zu werden – tolerant und auf Du mit US-Präsident Barack Obama -, und der scheinbaren Notwendigkeit, den Großteil seiner Wähler zu befriedigen. 80 Prozent der Inder sind Hindus, und viele von ihnen stehen Muslimen mindestens skeptisch gegenüber.

Die BJP ordne die Verfolgung der Andersdenkenden nicht an, aber sie tue auch überhaupt nichts dagegen, sagt Literaturkritiker und Aktivist Ganesh Devy. „Es gab so viele Vorfälle in den vergangenen 16 Monaten, und wurde auch nur einer der Täter strafrechtlich verfolgt?“, fragt er. Indien, mit seinen jahrtausendealten Kulturen, sei doch eigentlich ein Land der Gedankenwelten und Sprachen. „Wir haben sogar Saraswati – eine Gottheit der Worte und des Lernens.“

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