Medienkonsum und Gesundheit

Ausgabe 328

Nachrichtenüberflutung
Foto: Camilo Jimonez, Unsplash

(iz). Es war eine große Idee: das Internet, ein weltumspannendes Netzwerk, das die wissenschaftliche und kulturelle Kompetenz eines ganzen Planeten zusammenführt. Soziale Medien, die gesellschaftliche Gruppen und Personen vernetzen und die Methode der Schwarm-Intelligenz in Form einer Orientierung in einer komplizierten Welt einführt.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden diese Errungenschaften mit einer gewissen Skepsis angesehen. Schlimmer noch, es besteht der Argwohn, dass die neuen Medien das moderne Leben eher vergiften als verändern und den Einzelnen entweder in den Narzissmus des „Selfie“, der permanenten Selbstdarstellung, oder aber in allgegenwärtige Formen der Identitätspolitik verstricken.

Nicht selten wird die wachsende Zahl der Depressiven dadurch erklärt, dass die Informations- und Bilderflut ein ungesundes Ausmaß angenommen haben und eher zu einer Flucht aus der Realität und weniger zu einer gesunden Wahrnehmung der menschlichen Lage führt. Die Statistiken der Mediennutzung zeigen, dass wir eine immer größere Zeitspanne vor unseren Smartphones und Computern verbringen.

Bevor man sich an einer Einordnung versucht, sollte man sich klar machen, dass die Innovationen der Technik meist jenseits von gut und böse einzuordnen sind. Was auf der einen Seite eine Segnung ist, ist auf der anderen ein Fluch. Unter dem Stichwort digitale Gesundheit kooperieren tausende Mediziner international zum Wohl der Kranken, während das Bild des gläsernen Patienten ein Wortspiel einführt, dass die Gefahr dieser Entwicklungen anzeigt.

Die Kritik an den Neuen Medien hat in Deutschland eine lange Tradition. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts hat Walter Benjamin einen Grundlagentext verfasst. „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ führt in die Revolution ein, die der Fortschritt im Feld der Fotografie und der Filmkunst verursacht. Der Philosoph enthält sich dabei eines endgültigen Urteils, erwartet nicht nur die Veränderung von Sehgewohnheiten, überhaupt der Erkenntnis, sondern ahnt bereits das politisch-soziale Potential der Mediennutzung. Benjamin, der vor den Nationalsozialisten flüchtete, ist sich klar, dass die Möglichkeit der bewegten Bilder von den Ideologien eingesetzt werden.

Er stellt fest, dass das Kunstwerk immer kopiert wurde, aber die technische Reproduzierbarkeit etwas Neues eröffnet. Sie löst endgültig die ursprüngliche Anlehnung der Kunst am religiösen Ritual und ändert radikal die Art der Sinneswahrnehmung. Bei der Reproduktion fällt aus seiner Sicht eines aus, dass Hier und Jetzt des Kunstwerkes – sein einmaliges Dasein an dem Ort, an dem es sich befindet. Die Vervielfältigung setzt an die Stelle eines einzelnen Vorkommens das Massenhafte und wird dadurch politisch nutzbar.

Die Folgen sind ambivalent. Was im Zeitalter der Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes beispielsweise verkümmert, beklagt Benjamin, ist seine Aura. Was er damit meint, kann man in seiner eigenen digitalen Bilddatenbank prüfen. Wir sammeln unzählige Bilder über die Dinge und Ereignisse, die wir wahrnehmen und festhalten, dabei verliert man nicht nur schnell den Überblick, sondern oft das Verständnis, wann etwas vor unsere Kameras geschah und warum. Es fällt schwer die immer wiederkehrenden Bilder, falls wir sie überhaupt nochmals anschauen, an eine bestimmte Entstehungszeit zu knüpfen. In den sozialen Medien verlieren sich die Abbildungen von privaten oder öffentlichen Katastrophen und Ereignissen in einer unheimlichen Beliebigkeit.

Die wachsende Zahl von Videos und kleinen Clips erinnern zudem an ein Bonmot des Kulturkritikers Georges Duhamel: „Ich kann nicht mehr denken, was ich denken will. Die beweglichen Bilder haben sich an den Platz meiner Gedanken gesetzt.“ Parallel zu dieser Analyse muss man sich die wissenschaftlich belegte Erkenntnis vergegenwärtigen, dass die meisten MediennutzerInnen längere Texte kaum mehr zur Kenntnis nehmen, nur auf Emotionen reagieren und die Standards aus der digitalen Welt in ihren Alltag übernehmen.

In der persönlichen Begegnung trifft man dann öfters auf Zeitgenossen, die alles wissen und sich kaum für das Argument des anderen im konkreten Gespräch interessieren. Noch seltener wird man auf Interesse stoßen, wenn der Gesprächspartner etwa Schnappschüsse von seiner Urlaubsreise oder seinen Stadtrundgängen zeigt. Der Fakt, dass wir fortlaufend von Informationen und Bildern überfüttert werden, lässt sich in eine Metapher übersetzen, die das Problem verbildlicht: Unser Glas ist stets voll.

Eine andere Revolution sieht Benjamin ebenso in seinem Text voraus: „Mit der wachsenden Ausdehnung der Presse, die immer neue politische, religiöse, wissenschaftliche, berufliche, lokale Organe der Leserschaft zur Verfügung stellte, gerieten immer größere Teile der Leserschaft – zunächst fallweise – unter die Schreibenden.“ Die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum ist im Begriff ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren.

Ein Phänomen, das die sozialen Medien auf die Spitze treiben. In den diversen Foren des Internets mutiert inzwischen jede Persönlichkeit zum Autor, verbreitet religiöse Theorien oder gibt seine politische Meinung kund. Zu Beginn wurde diese Realität mit der Idee der Demokratisierung verbunden, heute wächst hier die Skepsis, denn Millionen von neuen Autoren publizieren regelmäßig Unsinn, Falschmeldungen und Beleidigungen.

Verändern die sozialen Medien die Gesellschaft zum Negativen? Bevor man sich hier vorschnell eine Meinung bildet, erinnert man sich besser an die Weisheit, dass jede menschliche Tätigkeit, die ohne Maß betrieben wird, direkt oder indirekt krank macht. Aber, zweifellos, betrachtet man die wachsende Zeit, die der Konsument in den sozialen Medien verbringt, lässt sich das Gefahrenpotential kaum herunterspielen.

Die ganze Welt und ihre Krisen im Sekundentakt nachzuvollziehen, birgt offensichtlich die Gefahr, entweder zu verzweifeln oder sich in einer Parallelwelt mit simplen Wahrheiten zu versorgen. Stress, Angst und Panikattacken sind nach wissenschaftlicher Sicht der Preis, der das Überangebot von negativen Informationen mit sich bringt. Im Nachrichtenmagazin „Der SPIEGEL“ hat der Medienforscher McLaughlin aus seiner Untersuchung berichtet, die bestätigt, dass bei 1.100 Befragten etwa 16,5 Prozent zu diesem problematischen Medienkonsum neigen.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Nutzung der Medien oft mit der Einsamkeit der Nutzer einhergeht. Es fehlt oft an begleitenden Begegnungen, Gespräche, die die Erfahrungen und Einsichten des alltäglichen Konsums miteinander einordnen. Dass eine reale Situation nicht durch digitale Medien ersetzt werden kann, erkennt man an den Ermüdungserscheinungen, die die zahlreichen Zoom-Konferenzen in uns auslösen. Und jeder, der/die sich als RednerIn in einem virtuellen Forum versucht hat, wird schnell erkennen, wie der Mangel an direkt erfahrener Reaktion den eigenen Redefluss hemmt.

Das gleiche Phänomen werden diejenigen bestätigen, die auf eine sachliche oder Gewinn bringende Diskussion in einem sozialen Medium hoffen. Nicht zufällig endet diese Kontaktaufnahme meist schnell, es wird radikaler – im Vergleich zu einem direkten Austausch – geurteilt und verurteilt. Die Zahl der virtuellen Feindschaften dürfte in dieser Bilanz größer ausfallen, wie die Fälle des Beginns echter Freundschaft.

Natürlich gilt auch im Feld der sozialen Medien der alte Grundsatz, dass die Absicht zählt. Neben dem Rat der Mäßigung der Nutzung bietet sich hier eine weitere Ergänzung an. Wer für ein Thema mobilisiert, nach Gleichgesinnten sucht oder ein konkretes Projekt initiiert, wird in den Foren immer Erfolgserlebnisse verzeichnen. Die Theorie dazu leitet sich von einem Gedanken des Philosophen Slavoj Zizek ab, der das Virtuelle im Sinne einer Vorstufe des Realen ansieht. Dieser Mechanismus funktioniert, je nach Motivation, in einer guten und einer schlechten Dimension. Wer sich zum Ziel setzt, das Netz für ein Projekt zu nutzen oder echte Begegnungen einzuleiten, wird gesündere Erfahrungen verbuchen, im Vergleich zu denjenigen, die nur in einer imaginären Traumwelt von absoluten Wahrheiten das Spiel der Akteure beobachten.

Es ist an der Zeit für die muslimische Community, eine neue Strategie für die kreative Nutzung sozialer Medien anzudenken. Das faszinierende Potential der Mobilisierung, die das Internet ermöglicht, dürfte dabei kaum ernsthaft zur Debatte stehen. Seit Jahren gelingt es uns, in den neuen Medien die bestehenden negativen Assoziationsketten rund um das Phänomen der Muslime in Europa mit positiven Bildern zu konterkarieren. Hier seien drei weitere Beispiele genannt, die wir gemeinsam in den nächsten Jahren umsetzen können: die Neuformierung von Gilden, die Etablierung virtueller Marktplätze und die Finanzierung von richtungsweisenden Projekten durch das Crowdfunding. Die Wirkung der modernen Technologien sind ambivalent, im Ergebnis bleibt aber die Hoffnung, dass sich unsere guten Absichten letztlich durchsetzen.