
(iz). Oslo begrüßt uns mit einem Schneesturm, während das Flugzeug die Landebahn ansteuert. Der Pilot hat seine Arbeit sehr gut im Griff und wir kommen sogar 15 Minuten früher an. Der Flughafen kommt uns sehr chaotisch vor, weil der Ausgang durch einen großen Duty-free-Shop führt, in dem wir uns verlaufen. Dann gibt es auch noch unterschiedliche Automaten für Zugtickets. Einmal für den Airport Express, der fast das Doppelte kostet wie die üblichen Züge. Die Entscheidung, mit welchem Zug wir ins Zentrum fahren, fällt uns leicht: Airport Express. Wieso? Weil keine Menschenseele vor diesen Automaten steht. Wir sitzen im Zug und haben sogar WLAN. Natürlich machen wir dabei noch schnell ein Foto für Instagram. Nach der 30-minütigen Fahrt kommen wir am Sentralstasjon (Hauptbahnhof) der norwegischen Hauptstadt an und mischen uns unter das Volk.
Wie bei jeder Reise, die nicht dem typischen Urlaubsstandard entspricht, haben mich meine Leute gefragt, wieso ich im Winter in ein noch kälteres Land fliegen könne. „Neugierde“, ist meine übliche Antwort. Die Skandinavier sind herzlicher, weniger unzufrieden. Was, glaube ich, daran liegt, dass sie sich an kleinen Dingen erfreuen. „Auch nach vier Monaten Winter ist der Schnee auf den Bäumen immer noch schön“, sagt eine Frau in den Vierzigern.
Der malerische Fjord an Bygdøy, eine Halbinsel Oslos, erstreckt sich am Horizont. Auf den Eisschollen stehen Möwen. Enten kommen uns entgegen und starren unsere Kanelknuter (norwegische Zimtbrötchen) an. Nachdem wir unser Essen mit den Enten geteilt haben, laufen wir über einen verschneiten Berg, um auf die Halbinsel zu gelangen. Auf Bygdøy sind die berühmtesten Museen Norwegens, deshalb wird die Insel in vielen Reiseführern auch als Museumsinsel bezeichnet.
Nach stundenlangem Wandern durch die Natur erreichen wir das Vikingskiphuset (Wikingerschiffmuseum). In diesem Museum, das eigentlich eine große Halle ist, befinden sich drei Schiffe aus der Wikingerzeit (9.-11. Jh.). Das am besten erhaltene Schiff der Wikinger ist Gokstad und befindet sich ebenfalls unter den Fundstücken, genauso wie das Oseberg-Schiff, das ich vor allem wegen der detailgetreuen Schnitzerei faszinierend finde. Das Tune-Schiff ist das erste Wikingerschiff, das um 1867 in einem Grabhügel entdeckt wurde. Vielleicht gehörte eines der Schiffe Ragnar Lodbrok, denke ich, und amüsiere mich über den Gedanken. Die vielen kleinen Fundstücke, wie Töpfe, Kleidung und Waffen sind Dinge, die zum Alltagsleben der Wikinger dazugehörten und sie dienen hier dazu, ihr Leben und ihre Kultur den Besuchern nahebringen.
Während der Tage, an denen ich in Oslo bin, spreche ich mit vielen Norwegern. Mir wird schnell klar, dass bei ihnen die Ruhe im Glück liegt. Die Nachfahren der Wikinger besinnen sich auf das Hier und Jetzt. Sie sind dankbar für das, was gut läuft und lassen die schlechten Dinge außen vor. Ich werde nicht angeschnauzt, weil ich mal schnell über eine rote Ampel laufe. Ganz im Gegenteil – jeder macht es dort. Ich werde nicht angepöbelt oder bespuckt, weil ich ein Tuch auf dem Kopf trage. Die Norweger sind so einfach gestrickt. Was gestern war, ist heute vergessen, und über das, was morgen kommt, wird noch nicht nachgedacht. „Die Deutschen haben keine Alltagsfreuden. In allem sehen sie etwas Negatives. Ich rede jetzt nur von den Deutschen, die ich bisher kennengelernt habe“, erzählt mir der bärtige Mann, der im Hotel arbeitet. Er grinst. „Wir freuen uns über jede Blume, die wir blühen sehen.“
Ich muss zugeben, dass Oslo für zwei Potsdamer Studenten ziemlich teuer ist. Eine Flasche Wasser kostet im Discounter drei Euro. Aber Norwegen ist auch sehr studentenfreundlich. In fast jedem Laden gibt es einen Studentenrabatt. McDonald’s ist relativ günstig, wenn man bedenkt, dass man sich so viel kostenlosen Ketchup nehmen darf, wie man möchte. Eine muslimische Verkäuferin nimmt unsere Bestellung entgegen. Die zwei Etagen des McDonald’s sind überfüllt mit Familien. Niemand wirkt genervt. Wir beide sind bloß erschöpft. Im Hotel angekommen, fallen wir wie halbtot in einen tiefen Schlaf.
Jede Jahreszeit in Norwegen hat ihren eigenen Charme. Im Winter kann man genau so viel machen, wie im Sommer. Deshalb beschließen wir, in das Nobel-Friedenszentrum zu gehen. Auf dem Weg kaufen wir uns Kaffee, Schokocroissants und Kanelknuter. Das Studentendasein hat schon seine Vorteile. Wir kommen fast kostenlos in das Museum. Bilder von Barack Obama, Malala und von aktuellen Konflikthelden auf der ganzen Welt hängen hier im Museum. Nach so viel Politik wandern wir zur Hafenpromenade Aker Brygge. Obwohl alles mit Schnee bedeckt ist, sind die Sitzbänke am Kai frei und trocken. Eine große Restaurants- und Einkaufsmeile erstreckt sich vor uns. Wir suchen einen Weg, um den Trubel zu entkommen.
Es wird Dunkel, als wir das Stadtzentrum verlassen. Nach kurzen Überlegungen beschließen wir beide, uns noch von der norwegischen Natur zu verabschieden, bevor wir morgen wieder zurückfliegen.
Wir laufen an einem Bauernhof mit einer Pferdekoppel vorbei und eine schmale, steile Straße hoch, bis wir auf die Stadt schauen können, die in der Dunkelheit am Horizont leuchtend auftaucht. Zwischen uns und der Stadt liegt der Fjord, in dem sich der Mond spiegelt.
Schneeflocken fallen vom Himmel. Wir stehen zwar schon 25 Zentimeter im Schnee, um aber den Norwegern gerecht zu werden, schauen wir uns an, zucken mit den Schultern und freuen uns über noch mehr Schnee.