Neues Buch von Jürgen Todenhöfer fordert statt Waffen mehr Worte

Bonn (KNA). „Der Tod ist jetzt ganz nah. Vielleicht denke ich gerade meine letzten Gedanken.“ Nein, anders als sein Fahrer hat Jürgen Todenhöfer den Angriff der Gaddafi-Schützen doch überlebt – und die Todesgedanken aus der arabischen Wüste in sein neues Buch einfließen lassen. Es heißt „Du sollst nicht töten“ und beweist treffsicheres Timing: Mit seinem Plädoyer für Gespräche statt Gewalt platzt der einstige Sunnyboy der CDU mitten in die Atempause des Syrien-Konflikts.

Der US-Kongress kommt erst Anfang kommender Woche aus der Sommerpause zurück, und vor dessen Votum wird Präsident Barack Obama keine Militäraktion anordnen. Wobei Todenhöfer schon jetzt tief enttäuscht ist vom Friedensnobelpreisträger im Weißen Haus: „Als Obama an die Macht kam, ließ er weiterbombardieren. In Afghanistan, Pakistan, Libyen, Jemen und Somalia.“ Statt Bomben habe der Präsident nirgendwo Süßigkeiten für Kinder abwerfen lassen, anders als versprochen.

Fazit des 72-jährigen Ex-Politikers: Der Westen zerstöre „nicht nur die kleine Welt anderer Menschen in fernen Ländern. Wir zerstören auch unsere eigenen Werte.“ Etwa das fünfte Gebot der Bibel, das jedes Töten – streng genommen jedes Morden – verbietet. So träumt Todenhöfer auf 448 Seiten seinen persönlichen „Traum vom Frieden“ (Untertitel).

Entstanden ist eine Art Reisetagebuch, das auch Alpträume vom Krieg wachruft. Seit 2011 war Todenhöfer immer wieder an den Revolutionsstätten im Mittleren Osten unterwegs, allein sechs Mal in Syrien. Fotos zeigen den früheren Medienmanager Arm in Arm mit Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, Seit‘ an Seit‘ mit Protestlern vor einem Panzer Mubaraks und Auge in Auge mit schwer bewaffneten Wachposten. Aber auch beim Fußballspiel mit Kindern, in Gesprächen mit Passanten und Patriarchen, mit Rebellen und Regierenden – und mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad.

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Das wirkt nicht immer frei von Eitelkeit. Ähnlich wie manche Textstellen, in denen der Autor mit dem nach hinten gekämmten Haar seine früheren Werke preist: Plötzlich eine Straßenkontrolle in der Wüste, und sein Fahrer „Abdul Latif greift zu einer Geheimwaffe, meinem ins Arabische übersetzen Buch ‚Warum tötest du, Zaid?‘. Es hat uns in den drei Tagen, die wir in Libyen sind, schon mehrere Türen geöffnet.“ All dies soll wohl unterstreichen: Hier schreibt jemand, der die Menschen kennt und der sich vor Ort auskennt.

In einem eher analytischen Teil entlarvt er die Kriegsrhetorik. Todenhöfer kritisiert eine „zynische Vergewaltigung der Sprache“, die immer schamloser verbogen werde. Das Vertreiben von Minderheiten wird zur „ethnischen Säuberung“, Massaker heißen „Befriedung“ und getötete Zivilisten „Kollateralschaden“. Außerdem ziele die Propagandamaschinerie darauf ab, die Feinde zu verteufeln – mitunter ganze Gruppen: „Früher Juden, heute Muslime.“

Lange vor seiner Wandlung zum Kriegsgegner wurde Todenhöfer der „Stahlhelmfraktion“ am rechten Flügel der Union zugerechnet. Heute nimmt er bei Vergleichen „die westliche Welt“ unverhältnismäßig scharf ins Visier: „In der traurigen Bilanz des Tötens führt der Westen gegenüber der muslimischen Welt kontinuierlich klar 10:1.“ Und wenig später sehr plakativ: „Gewalt gehört zu den USA wie Coca-Cola.“

Als besonders kriegerisch gelte dort der Koran. Doch das Alte Testament der christlichen Bibel sei, so der langjährige Experte für Rüstungskontrolle, „erheblich blutiger“. Das werde im Westen ebenso verdrängt wie der Umstand, „dass wir christliche Europäer seit einem halben Jahrtausend (?) große Teile der Welt überfallen und niedergemetzelt haben“.

Das Ziel, Schwarz-Weiß-Denken aufzubrechen und Feindbilder geradezurücken, ist aller Ehren wert. Leider schießt Todenhöfer öfters über dieses Ziel hinaus. Und verfällt in Klischees, die er überwinden wollte: Der Westen exportiert Krieg und Coca-Cola, okay. Und der Mittlere Orient? Das Essen dort ist lecker, die Menschen sind offen, gastfreundlich, zu Scherzen aufgelegt – selbst ein Mann wie Baschar al-Assad. Das ist dann doch ein bisschen viel des Guten.