
Muslimfeindlichkeit ist in Deutschland eine Alltagserfahrung für viele muslimische Frauen und Männer – das sagt der Wissenschaftler Mathias Rohe. Er fordert „mehr Alltagssolidarität“ – und zeitgemäßere Schulbücher.
Stuttgart (KNA) In Deutschland sind Vorbehalte gegenüber muslimischen Menschen nach Angaben des Islamwissenschaftlers und Juristen Mathias Rohe weit verbreitet.
„Ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung pflegen oder haben antimuslimische Vorurteile“, sagte der Wissenschaftler am Dienstag in Stuttgart. Er verwies auf „eigene breit angelegte Umfragen“ und Auswertungen von Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Von Norbert Demuth
„Eine Alltagserfahrung“
„Muslimfeindlichkeit ist eine Alltagserfahrung für viele muslimische oder als muslimisch wahrgenommene Menschen in diesem Land“, bilanzierte Rohe. In Deutschland leben derzeit rund 5,5 Millionen Musliminnen und Muslime.
Die Gruppe, die im öffentlichen Raum am heftigsten Diskriminierungen erleide, seien muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, sagte Rohe. Sie seien „allerlei Formen von Aggressionen ausgesetzt“ – bis zu brutalen kriminellen Übergriffen, erläuterte er bei einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Thema „Muslimfeindlichkeit in Deutschland“.
Foto: Hendra Fauzy, Adobe Stock
Mehr Solidarität mit Muslimen gefordert
Rohe forderte „mehr Alltagssolidarität“ mit Muslimen, wenn man diskriminierendes Verhalten ihnen gegenüber beobachte. Manchmal reiche es schon, wenn man sich zu den Betroffenen stelle.
Aysun Pekal vom Sozialdienst muslimischer Frauen in Stuttgart schilderte, antimuslimischer Rassismus werde seit der letzten Bundestagswahl unverblümter geäußert – etwa in der Nachbarschaft. „Menschen haben keine Hemmungen mehr“, so Pekal.
Der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, sagte, nicht nur antisemitische oder muslimfeindliche Äußerungen hätten zugenommen. „Zugenommen haben generell Äußerungen, die andere herabwürdigen.“ Dazu gehörten Beschimpfungen von Menschen mit Behinderungen oder von armen oder kranken Personen.
Foto: Ryan Nash Photography, Shutterstock
„Entsolidarisierung von oben gegen unten“
Es gebe eine öffentliche „Verrohung“ und eine „Entsolidarisierung von oben gegen unten“, erklärte Blume. Zudem stelle er ein Ausspielen von Religionen gegeneinander fest. Das mache ihm große Sorgen.
„Und wenn man das Verbindende betont, wird man angegriffen“, erläuterte Blume mit Blick darauf, dass er Hassmails von unterschiedlichen Seiten bekomme. In dieser Situation sei es „eine dumme politische Strategie“, wenn etablierte Parteien „den Rechtspopulisten nachlaufen“.
Der Wissenschaftler Rohe forderte eine zeitgemäßere Behandlung des Islam für Schüler. „Muslimische Alltagskultur hier und heute“ finde in deutschen Schulbüchern fast nicht statt. „In vielen Schulbüchern kommt das Thema Islam nur sehr sparsam vor.“
Dies beschränke sich häufig auf das 7. Jahrhundert, in dem die monotheistische Religion durch den Propheten Mohammed gestiftet wurde. „Wo bleibt der Islam des 21. Jahrhunderts, der in Stuttgart gelebt wird oder in anderen Städten“, fragte Rohe. „Man nimmt nicht wahr, dass auch die islamisch geprägte Welt eine unglaubliche Entwicklungsgeschichte hat und noch mittendrin steckt.“
Zu wenig beachtet werde auch, „dass der Islam und muslimisches Leben in Deutschland sich grundlegend unterscheiden von dem, was in Saudi-Arabien passiert oder in Malaysia oder in Marokko oder anderen Teilen der Welt“, sagte Rohe.
Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Erlangen-Nürnberg. Rohe war auch Koordinator des 2023 vorgestellten Expertenberichts „Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz“.