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Swahili: Eine afrikanische Weltsprache

Ausgabe 322

Foto: Jasmin Merdan, Adobe Stock

Einst ein obskurer Inseldialekt der Bantusprachen Afrikas hat sich Swahili zur international wichtigsten Sprache des Kontinents entwickelt. Sie reiht sich damit ein in die weltweiten Zungen, die über mehr als 200 Millionen NutzerInnen verfügen. Von John M. Mugane

(The Conversation). Nach zwei Jahrtausenden Wachstum und Anpassung haben die prägenden Akteure in dieser Geschichte Swahili genutzt und für ihren Gebrauch angepasst. Das waren Zuwanderer aus dem Inland, Händler aus Asien und Arabien, europäische Kolonisatoren, Siedler aus Indien und Europa sowie Angehörige verschiedener nachkolonialer Staaten. Wo immer sie hingingen, haben sie ihre Ausdrucksweise mitgenommen.

Die Swahili-Zone in Afrika erstreckt sich mittlerweile auf beinahe ein Drittel des Kontinents. Das Gebiet reicht nach Süden, Norden und erreicht nicht nur das Herz dieses Erdteils, sondern sogar die andere Küste.

Ursprünge

Das historische Land der Swahili liegt an der Küste des Indischen Ozeans in Ostafrika. Eine 2.500 km lange Kette von Küstenstädten von Mogadischu, Somalia, bis Sofala, Mosambik, sowie vorgelagerte Inseln bis hin zu den Komoren und Seychellen.

Diese Küstenregion ist seit Langem ein internationaler Knotenpunkt des Handels und des Personenverkehrs. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und aus so weit verstreuten Regionen wie Indonesien, Persien, den afrikanischen Großen Seen, den Vereinigten Staaten und Europa trafen hier aufeinander. Jäger und Sammler, Viehzüchter und Bauern mischten sich mit Händlern und Bewohnern der Städte.

Schmelztiegel

Afrikaner, die der Anbetung ihrer Vorfahren sowie deren Geister verschrieben waren, trafen hier Muslime, Hindus, portugiesische Katholiken und britische Anglikaner. Arbeiter (darunter Sklaven, Träger und Tagelöhner), Soldaten, Herrscher und Diplomaten mischen sich hier seit den Tagen der Antike. Jeder, der an die östlichen afrikanischen Ufer kam, konnte Swahili werden, wenn er das wünschte – und viele wurden es.

Afrikanische Einheit

Die Liste der Swahili-Enthusiasten und -Befürworter umfasst namhafte afrikanische Intellektuelle, Freiheitskämpfer, Bürgerrechtler, politische Führer, wissenschaftliche Berufsverbände, Unterhaltungskünstler und Gesundheitsfachkräfte. Ganz zu schweigen von den üblichen professionellen Schriftstellern, Dichtern und Künstlern.

Die afrikanische Union (AU) hat es nicht zufällig zur internationalen Verkehrssprache erklärt. Swahili hat eine viel längere Geschichte des Brückenbaus zwischen den Völkern des Kontinents. Es strahlt sogar in die Gemeinschaften seiner Diaspora hinein.

Das Gefühl der Einheit, das Bestehen, dass Afrika eins ist, wird nicht verschwinden. Sprachen sind elementar für das Zugehörigkeitsgefühl und dafür auszudrücken, was man im Herzen trägt. Die Entscheidung der AU ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung ihrer Mitgliedsstaaten schätzungsweise 2.000 Sprachen benutzt (etwa ein Drittel aller menschlichen Sprachen), von denen mehrere Dutzend mehr als eine Million Benutzer haben.

Wie konnte es solch eine berühmte Position unter so vielen Gruppen bekommen, die selbst reichhaltige linguistische Geschichten und Traditionen haben?

Sprache der Befreiung

In den Jahrzehnten vor der Unabhängigkeit Kenias, Ugandas und Tansanias in den frühen 1960er-Jahren diente es als internationales Mittel der politischen Zusammenarbeit. Die Verkehrssprache ermöglichte den Freiheitskämpfern der gesamten Region, sich über ihre gemeinsamen Bestrebungen zu verständigen, auch wenn ihre Muttersprachen sich stark voneinander unterschieden.

Der Aufstieg dieser Lingua franca war für einige Afrikaner ein Zeichen echter kultureller und persönlicher Unabhängigkeit von den kolonisierenden Europäern und ihren Kontroll- und Kommandosprachen. Einzigartig unter den unabhängigen Nationen Afrikas verwendet die Regierung Tansanias sie für ihre offiziellen Angelegenheiten und, was besonders beeindruckend ist, in der Grundausbildung. Das Suaheli-Wort uhuru (Freiheit), das aus diesem Unabhängigkeitskampf hervorging, wurde Teil des globalen Lexikons der politischen Ermächtigung.

Die höchsten politischen Ämter in Ostafrika begannen schon bald nach der Unabhängigkeit mit der Verwendung und Förderung. Die Präsidenten Julius Nyerere von Tansania (1962-85) und Jomo Kenyatta von Kenia (1964-78) förderten Swahili als integralen Bestandteil der politischen und wirtschaftlichen Interessen, der Sicherheit und der Befreiung der Region. Die politische Macht der Sprache wurde – hier sehr tragisch – vom ugandischen Diktator Idi Amin demonstriert, der sie während seiner Schreckensherrschaft für die Operationen seiner Armee und Geheimpolizei verwendete.

Solidarität

Nyerere machte den Begriff Swahili zu einer Bezeichnung für die tansanische Staatsbürgerschaft. Später erhielt diese sozialistische Untertöne, indem sie die einfachen Männer und Frauen des Landes pries. Sie stand in krassem Gegensatz zu den Europäern und den westlich orientierten afrikanischen Eliten, die schnell – und folglich auf zweifelhafte Weise – zu Reichtum gekommen waren.

Letztendlich wurde der Begriff sogar noch weiter ausgedehnt und umfasste die Armen aller Ethnien, sowohl afrikanischer als auch nicht-afrikanischer Abstammung. In meiner Erfahrung als Dozent an der Stanford University in den 1990er-Jahren bezeichneten zum Beispiel mehrere Studenten aus Kenia und Tansania das arme weiße Viertel von East Palo Alto, Kalifornien, als Uswahilini, „Swahili-Land“. Im Gegensatz zu Uzunguni, „Land der Mzungu (Weißen)“.

Damals war mir noch nicht klar, dass diese Bezeichnung seit über einem Jahrtausend als konzeptioneller Sammelpunkt für Solidarität über die Grenzen von Gemeinschaften, konkurrierenden Städten und Einwohnern unterschiedlichster Herkunft hinweg verwendet wurde.

Heute

Jetzt ist Swahili die afrikanische Sprache, die außerhalb des Kontinents am häufigsten erkannt wird. Ihre globale Präsenz in Radiosendungen und dem Internet räumt ihr einen Vorrang vor allen anderen subsaharischen Zungen ein.

Sendungen werden in Burundi, dem Kongo, Kenia, Liberia, Nigeria, Ruanda, Südafrika, Sudan, Swasiland und Tansania werden regelmäßig in Swahili übertragen. Auf der internationalen Szene kann keine afrikanische Zunge so häufig oder so umfassend von den weltweiten Nachrichtensendern wahrgenommen werden.

Spätestens seit „Trader Horn“ (1931) sind Swahili-Wörter und -Sprachen in Hunderten von Filmen und Fernsehserien zu hören wie in „Star Trek“, „Jenseits von Afrika“, Disneys „König der Löwen“ und „Lara Croft: Tomb Raider“. „Der König der Löwen“ enthielt mehrere Wörter, von denen die bekanntesten die Namen der Figuren sind, darunter Simba (Löwe), Rafik (Freund) und Pumbaa (benommen sein). Zu den Ausdrücken gehören „asante Sana“ (vielen Dank) und natürlich die als „hakuna matata“ bekannte Philosophie, die sich durch den ganzen Film zieht.

Dieser Verkehrssprache fehlt die Anzahl der Sprecher, der Reichtum und der politischen Macht, die mit globalen Zungen wie Mandarin, Englisch oder Spanisch assoziiert wird. Swahili scheint jedoch die einzige mit mehr als 200 Millionen Anwendern zu sein, die mehr Zweitsprachler als Muttersprachler hat.

Indem sie sich in die Angelegenheiten einer maritimen Kultur an einem kommerziellen Schlüsselpunkt einbrachten, schufen die Menschen, die schließlich als Waswahili (Swahili-Leute) bezeichnet wurden, eine Nische für sich selbst. Sie wurde bedeutsam genug im Handel, dass Neuankömmlinge kaum eine andere Wahl hatten, als Swahili zu benutzen, um sich bei Handel und Diplomatie zu verständigen. Die Swahili-Bevölkerung verfestigte sich in dem Maße, in dem mehrere Generationen von Menschen, die es als Zweitsprache verwendeten, ihre angestammten Muttersprachen verloren und zu echten Waswahilis wurden.

Der Schlüssel zum Verständnis dieser Geschichte liegt darin, die Reaktion des Swahili-Volkes auf Herausforderungen genau zu betrachten. Dazu gehört die Art und Weise, wie sie ihr Glück machten und mit Missgeschicken umgingen und, was am wichtigsten ist, wie sie im Umgang mit Neuankömmlingen aus anderen Sprachregionen ihre Fähigkeiten zum Ausgleich von Konfrontation und Widerstand mit Anpassung und Innovation verfeinerten. (The Conversation)

Dieser Text wurde im Rahmen einer CC-Lizenz veröffentlicht.

Der Autor ist Professor an der renommierten US-amerikanischen Harvard Universität. Dieser Text ist ein bearbeiteter Auszug aus dem ersten Kapitel seines Buches „The Story of Swahili“ (Ohio University Press).