Zu Tausenden suchen Syrer Schutz in türkischen Flüchtlingslagern. Der Platz wird allmählich knapp. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger verschafft sich im türkisch-syrischen Grenzgebiet ein Bild von der Lage.
Kilis (dpa). Das Zuhause von Marei Yonso und seiner Familie ist 21 Quadratmeter groß. Seit Monaten lebt der 41-jährige Syrer mit seinen Eltern und seinen Kindern in einem kleinen Container im türkischen Grenzgebiet in Kilis – wie rund 12 000 seiner Landsleute in dem Lager. Die Türkei ächzt unter dem Zustrom der Flüchtlinge aus dem Nachbarland. Das Blutvergießen in Syrien geht ungebremst weiter, deshalb suchen Syrer weiter zu Tausenden Schutz jenseits der Grenze. In Kilis wird es allmählich eng.
Das Camp in Südanatolien ist eines von 14 Flüchtlingslagern auf türkischem Boden. Es ist die einzige Containerstadt, überall sonst leben die Flüchtlinge in Zelten. Rund 2000 weiße Wohnkästen reihen sich in Kilis aneinander. Es ist wie ein kleines Dorf mit Kindergarten, Schulen, Supermärkten und Moschee. Nur ist dieses «Dorf» von wuchtigen Schutzzäunen umgeben.
Yonso ist Direktor einer der Schulen im Camp. Diesen Job hatte er auch in seiner Heimat – bis die Kämpfe losbrachen und sein Dorf bombardiert wurde. Vor anderthalb Jahren floh der Syrer mit seiner Familie in die Türkei und landete schließlich in Kilis. «Wir bekommen hier alles, was wir brauchen», sagt er. Essen, ein Dach über dem Kopf, Schlaf – ohne Angst vor tödlichen Angriffen.
Kilis ist ein Vorzeigelager: komfortabel, sauber, geordnet. Die Türken haben sich dieses Camp ausgesucht für ihren deutschen Gast. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist angereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Die FDP-Frau lässt sich herumführen, lauscht Knirpsen im Kindergarten beim Vorsingen, lugt in aufgeräumte Wohncontainer und schüttelt Hände.
Beeindruckend sei es, was die Türkei für diese Menschen leiste, lobt die Ministerin. Im Moment werde das Land mit dem Flüchtlingsstrom fertig. Es sei aber klar, dass die EU und die internationale Gemeinschaft Unterstützung liefern müssten, mahnt sie. Auch die Türken haben den Wunsch nach mehr internationaler Hilfe schon mehrfach geäußert.
Während Leutheusser-Schnarrenberger draußen das Camp erkundet, sitzt Yonso im schwarzen Anzug in einem einfachen Büro im Schulgebäude. Ein Stockwerk tiefer schallt es laut durch den Flur. Zwei Dutzend syrische Jungs johlen in einem der Klassenräume im Chor: «Free, free, freedom. We want freedom.» Ihr Wunsch nach Freiheit gehört zum Englischunterricht.
3200 Schüler gebe es im Lager, erzählt Yonso. Seine Schule hat inzwischen keinen Platz mehr für weitere Kinder. Das Camp auch nicht. Es ist für 12 000 Menschen ausgelegt, und die sind längst da. Auch anderswo wird der Raum knapp.
Neben den 14 existierenden Flüchtlingslagern in der Türkei sind zwei weitere im Aufbau. Derzeit gibt es Platz für rund 130 000 Schutzsuchende aus Syrien. Doch das wird bald nicht mehr reichen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet damit, dass die Zahl auf bis zu 280 000 steigt. Auch die Türkei hat sich längst darauf eingestellt, weitere Flüchtlingsmassen aufzunehmen. Tausende warten bereits an der Grenze.