(iz). Vor einem Jahr töteten sich in einem grausigen Fanal zwei Rechtsterroristen in Zwickau. Eine mutmaßliche, weitere Täterin verwischte recht oberflächlich einige Spuren und stellte sich anschließend der Polizei. Nachdem […]
Schlagwort: Islam
V-Mann der CIA half bei der Radikalisierung britischer Muslime
Der Fall Morten Storm belegt unzählige Erfahrungen und Rechercheergebnisse von investigativen Journalisten, wonach im internationalen „Krieg gegen den Terror“ die Grenzen zwischen Observation und Anstiftung zum und Aufbau von Terror bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden.
(OnIslam.net/Agenturen/IZ). Britische Muslime und dänische Medien reagierten empört angesichts eines vermeintlichen „Konvertiten“, der laut Pressemeldungen für die CIA und den dänischen Nachrichtendienst PET als V-Mann gearbeitet haben soll. Sie werfen ihm vor, an der Radikalisierung von Muslimen in den englischen Städten Birmingham und Luton beteiligt gewesen zu sein.
„Er [Morten Storm] hatte kein korrektes Verständnis des Islam“, sagte Abu-Easa Asif, Moderator eines wöchentlichen Radioprogramms zum Thema Islam und Leiter einer lokalen Gemeinde der Tageszeitung „The Copenhagen Post“, und hätte „sehr extremistische Ansichten“ gehegt. Storm selbst teilte der berüchtigten Tageszeitung „Jyllands-Posten“ mit, dass er 2006 vom PET rekrutiert worden sei, um Extremisten in dem skandinavischen Land aufzuspüren. Auch habe er die CIA zum jemenitischen Al-Qaida-Chef Anwar Al-Awlaki geführt, der 2011 bei einem Drohnenangriff attackiert und getötet wurde. Die dänische Tageszeitung „Politiken“ schrieb, Storm habe darüber hinaus Drogen an Jugendliche mit Problemen in und um Birmingham verkauft.
Für ihn sei es, so Asif gegenüber „Politiken“, nur um Geld gegangen. Man dürfe nicht vergessen, dass er sich selbst „an die CIA und PET verkauft“ hätte. Trotz angeblich geänderter Ansichten habe sich bei dem mutmaßlichen V-Mann alles um Geld gedreht. Es sei immer unklar geblieben, wie Storm trotz der Tatsache, dass er keiner geregelten Arbeit nachgegangen sei, diese Art von Lebenswandel habe führen können.
Storm sei laut Asif 1999 ins britische Luton gekommen, wo er muslimischen Gemeindeführern mitteilte, er wolle nach einer Zeit des Extremismus ein neues Leben beginnen. Allerdings habe der mutmaßliche V-Mann im großen Umfang versucht, in der muslimischen Gemeinschaft Anhänger für seine radikalen Ideen zu finden. Er habe bei vielen, „mit Hilfe von PET, CIA und MI5“, für eine Gehirnwäsche gesorgt. Andere Muslime in Luton berichteten, wie er in Gegnerschaft zum gemäßigten Islamischen Zentrum Luton eine Splittergruppe aufgebaut habe. „Er beförderte aktiv eine Radikalisierung in Luton. Darüber besteht gar kein Zweifel“, sagte Farasat Latif, Sprecher des Islamischen Zentrums Luton, „Politiken“. Storm kritisierte das Zentrum, weil es sich gegen Gestalten wie Al-Awlaki oder Osama bin Ladin gestellt hatte. „Er sagte, er wollte, dass die Leute militant werden“, so Latif, „und rief zur Revolution gegen die, seiner Meinung nach, ‘korrupten, ausländischen Führer’ auf.“
Bereits in der Vergangenheit hatten CIA und FBI falsche Terroraktionen genutzt, um – nach eigenen Worten – „potenzielle Terror-Verdächtige“ aufzuspüren. Diese Technik hat in den USA zu Protesten unter Muslimen geführt, welche den beiden Agenturen vorwarfen, junge Muslime in die Falle des Terrors zu locken. 2009 drohten muslimische Gruppen mit der Einstellung sämtlicher Kontakte zum FBI wegen dessen Vorgehen, Moscheen mit Informanten zu besetzen, um Betende auszuspionieren.
Storm selbst erklärte gegenüber „Jyllands Posten“, dass er nach der Kontaktaufnahme mit dem dänischen PET 2006 den Anschein eines radikalen Muslims habe aufrechterhalten müssen, um seine Legende nicht zu zerstören. Laut „Politiken“ sind Strafrechtsexperten der Ansicht, dass für den Fall, dass sich die Anschuldigungen gegen Storm bewahrheiten sollten, dieser die rechtlichen Grenzen für V-Männer überschritten habe.
„Muslime & Globalisierung“ – Der Erdölfachmann Dr. Duncan Clarke ist nicht von der Peak-Oil-Hypothese überzeugt. Interview: Dawud Stewart Hurrell
(iz). Mit über 30 Jahren Berufserfahrung in den Bereich Öl und Gas ist Dr. Duncan Clarke Berater für unzählige Firmen und Regierungen. Seit den frühen 1980er Jahren schriebt er grundlegende Forschungsarbeiten zum Thema. 2007 veröffentlichte er das Buch „The Battle For Barrels: Peak Oil Myth & World Oil Futures“. Mit ihm sprach Dawud Stewart Hurrell über Hypothese eines vermeintlichen globalen Ölfördermaximums (Peak Oil), das heißt, dass die globale Erdölerzeugung mittlerweile ihr größtmögliches Potenzial überschritten hätte und nun nicht mehr genug Vorkommen erschlossen werden, um die erschöpften auszugleichen.
Frage: Die Vorstellung eines globalen Ölfördermaximums hat viele Anhänger. Verteidiger dieser Hypothese gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Erdölförderung überschritten ist…
Dr. Duncan Clarke: Es ist nicht geschehen – und wird nicht geschehen. In den letzten Jahren hat das Peak Oil-Syndrom einen Teil seiner Anhänger verloren, da es sich immer mehr von der Realität entfernt. Dank der Entdeckung neuer Vorkommen und der Eröffnung neuer Bereiche mit hohem Potenzial, während die Technologien weiter voranschritten (wie sie dies immer tun). Dies liegt aber auch an Entwicklungen in Bezug der Lagerstätten im Schiefergestein. Außerdem wurden Förderkapazitäten in Schlüsselzonen erhöht: Irak ist nur eine von ihnen, Saudi-Arabien eine andere. Die USA und Brasilien gehören ebenfalls dazu. Mit der klimatologischen Fixierung wird die Bevorzugung von Treibstoffen ohne Kohlenwasserstoffe von Regierungen (üblicherweise durch Subventionen) dem Großteil der Energiewelt aufgezwungen. Innerhalb der Erdölindustrie haben Vorstellungen vom Erreichen eines globalen Ölfördermaximums wenige Anhänger; und dies kommt von der größten Ansammlung der führendsten Geologen auf dem Planeten!
Frage: Warum hat diese Hypothese so viele Anhänger?
Dr. Duncan Clarke: Das so genannte Wachstum der „Peak Oil“-Anhänger ist eine Illusion. Sie stellen keinen Vergleich zu den weitaus größeren Stimmen dar, die ihren religiösen Thesen widersprechen. Das theoretische Modell für ein globales Ölfördermaximum ist in seinen konzeptionellen und wirtschaftlichen Aspekten zutiefst fehlerhaft – auch in Hinblick auf Geschichte, Realpolitik und empirische Belege. Es basiert auf selektiven Schlüssen und Annahmen, die sich bei genauerer Betrachtung als „Kaiser ohne Kleider“ erweisen.
Geschieht dies normalerweise im wissenschaftlichen Milieu, wird eine Hypothese aufgegeben. Die Lobby für die Peak Oil-Hypothese besteht aber aus einer Mischung von Aktivisten, Ideologen und Sonderinteressen.
Frage: manche behaupten, man könne nicht mit den Fakten im Boden argumentieren…
Dr. Duncan Clarke: Das Modell des globalen Erdölfördermaximums ist ein statisches. Seine Ergebnisse stehen wegen der numerischen Festlegungen und vorhersagbaren, parametrischen Linearität vorab fest. Es steht in keinem Zusammenhang mit der Komplexität des weltweiten Öl- und Gasspiels, des vermarkteten und nichtvermarkteten Öls, der Energiedynamik, der sich wandelnden Geopolitik, der verwirrenden Fragen der Reserven über dem Boden (…) und der Weise, wie die Erdölindustrie im letzten Jahrhundert funktioniert hat.
Frage: Ein weiteres Argument ist, dass die Bohrungen der Erdölleute immer tiefer gehen. Was ist Ihre Sicht?
Dr. Duncan Clarke: Natürlich …, Bohrungen gingen immer schon „tiefer“ – und in neue Bereiche. Dieses Muster wird andauern. Früher war es an Land, dann in den Küstenzonen, dann im freien Meer und jetzt extrem tief. Dieser Prozess wird nicht aufhören. Selbst in so genannten reifen Zonen erlauben neue Technologien die Verlängerung ihrer Lebenszeit und die Erhöhung ihrer Förderraten.
Immer mehr Erdöl wird von Regierungen oder staatlichen Erdölfirmen kontrolliert, sodass der Druck auf Privatfirmen im Laufe der Zeit zugenommen hat. Sie sind zu neuen Unternehmensstrategien gezwungen und müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Hinzu kommt, dass härtere Vertragsbedingungen und ein Ressourcen-Nationalismus viele Firmen davon ausschließt, in potenziell ergiebigen Zonen zu operieren. Diese Lage erzeugt suboptimale Bedingungen, die Förderung und Versorgung beeinträchtigen.
Frage: 80 Prozent der weltweiten Erdölreserven liegen in den Händen staatlicher Erdölfirmen. Hat dies Einfluss auf die Peak Oil-Theorie?
Dr. Duncan Clarke: Staatliche Eingriffe sind direkte und normalerweise unvollkommene Interventionen in den Markt. Sie tendieren unausweichlich zu suboptimalen Ergebnissen. Und so agieren sie, um die Versorgung langfristig zu begrenzen. Die OPEC ist ein solches Konstrukt, Ressourcen-Nationalismus wie in Venezuela ein anderes. Russland wäre besser dran, wenn es tausenden unabhängigen Firmen erlauben würde, seine Reserven auszubeuten. Der Iran hat seine langfristige Versorgung durch selbstverschuldete politische Initiativen beschädigt. Überall steigt der staatliche Zugriff, was die maximal effektive Ausbeutung der Ressource einschränkt.
Mallorca: Die Madrassa Muhammad Wazzani bringt ganzheitlich gebildete Charaktere hervor. Von Massouda Khan

(cM/IZ). Hört man unserer Tage das Wort „Madrassa“, fallen vielen aus verständlichen Gründen zuerst die, für die allermeisten verstörenden „Koranschulen“ aus dem pakistanischen Grenzgebiet ein. Aber mitnichten kann solch ein extremes und kleines Zerrbild dieser traditionellen Institution der muslimischen Bildung gerecht werden.
Ein Gegenbeispiel ist die Madrassa Muhammad Wazzani, die 2000 auf Mallorca von dem verstorbenen marokkanischen Gelehrten Sidi Muhammad Wazzani und dem einheimischen Homöopathen, Parfümeur und Apotheker Don Ahmed Salva gegründet wurde. Die Schule befindet sich auf einem ehemaligen Bauernhof im Besitz der Familie. Sie bildet „unabhängige, vollständige und noble Charaktere“ und will sicherstellen, dass „ihre Schüler von der besten europäischen Bildungstradition“ profitieren. Denn Wissen, so die Philosophie der Schule, „ist sinnlos ohne edlen Charakter. Das Leben in der Madrassa basiert auf Dienst, Gemeinschaft und Verantwortlichkeit“.
Neben dem eigentlichen Studium und Erlernen des Qur’an – viele Absolventen werden Huffaz und lernen den Qur’an auswendig – studieren die Jugendlichen auch Arabisch, Fiqh (islamisches Recht) und ‘Aqida (Wissenschaft der Glaubensinhalte). Zum Programm gehören aber auch sportliche Aktivitäten, der Anbau von Gemüse, die Pflege der Einrichtung durch die Schüler sowie die Zubereitung der Mahlzeiten. Gerade für Jungen, die in Städten aufwachsen, sei es wichtig, wieder eine Verbindung zur Natur und zum Ursprung ihrer Nahrung herzustellen. Das schaffe Respekt für das Essen, aber auch für Allahs Schöpfung. „Der Dienst in der Madrassa steht im Kern unserer Lehrer.“ Der beste unter den Leuten sei derjenige, der dem anderen dient.
„Mir war damals noch nicht klar, wie ich für die Muslime nützlich sein könnte“, berichtet Don Ahmad Salva. Sein Schaikh, Schaikh Dr. Abdalqadir As-Sufi, habe ihn dann auf diese Möglichkeit hingewiesen. „Und ich glaube, dass das heute einer der besten Wege ist, wie ich den Muslimen dienen kann.“ Er sei nicht nur dankbar für den Hinweis, sondern auch für die Unterstützung der muslimischen Gemeinschaft im Allgemeinen. Mallorca habe sich als idealer Ort für die Madrassa erwiesen. Ihr Gründer, Sidi Muhammad Wazzani, habe hier auf der Insel einen Ort gefunden, an dem er lehren konnte. „Er war der geborene Lehrer. Er lebte für den Unterricht und sein gesamtes Leben bestand daraus, zu lehren.“
Abdalqadir Schaller, jetziger Direktor der Madrassa und Schüler von Sidi Muhammad habe bei ihm das Bild zerschlagen, was ein Imam sei und was er repräsentiere. „Für mich war er viel mehr als nur ein Hafiz des Qur’an. Er war in der Lage seine Liebe zum Qur’an und zum Din auf solche eine Weise weiterzugeben, sodass es für mich einfach war.“ Sidi Muhammad Wazzani hat die traditionelle Lehrmethode des Qur’ans nach Europa gebracht, wo sie in der nach ihm benannten Madrassa praktiziert und weitergegeben wird. Dazu gehört auch, so Bashir Salva, selbst ein Hafiz und heute Sprecher der Madrassa, der Adab des Islam. Dieser stünde im Mittelpunkt sämtlicher Aktivitäten. Der Gelehrte Ibn Al-Mubarak habe gesagt: „Ein wenig Adab ist wichtiger als viel Wissen.“ Man habe mit der Madrassa einen Raum geschaffen, in dem Jugendliche mit einem modernen europäischen Hintergrund von Elementen befreit werden, „die sie an einem korrekten Verständnis des Qur’ans und des Adabs hindern“. Hier werde die mündliche Überlieferung gepflegt, wie sie im muslimischen Spanien üblich war. “Allah sagt im Qur’an, dass Er den Qur’an als Erinnerung herab gesandt hat und dass Er sie bewahren wird.“ Die Schüler studieren den Qur’an „in der Lesart [Riwaja] von Imam Warsch, die vom großen Rezitator Medinas, Nafi’a, überliefert wurde.“ Seit Beginn des Islams war sie die Tradition des gesamten islamischen Westens – Andalusien, Nordafrika und das westliche Schwarzafrika.
Ein normaler Tag in der Madrassa beginnt damit, dass ihr Mu’adhdhin zum Morgengebet ruft. Wenige Minuten vor dem Gebet studieren die Schüler noch einmal kurz ihre individuellen Abschnitte aus dem Qur’an, die jeweils von Hand auf Holztafeln (Lauha) geschrieben werden. In dieser Zeit des Tages ist das Gehirn noch ganz besonders frisch und aufnahmebereit. Nach dem Gebet kommen die Schüler in einem Kreis zusammen und rezitieren gemeinsam ein Hizb (Abschnitt des Qur’an, ein sechzigstel), was den Tag einleitet.
Das Studium des Qur’an beginne, so ein Schüler, mit einer leeren Tafel. „Dann sitzen wir mit unserem Lehrer, Sidi Amrou“, der ihnen einen bestimmten Abschnitt diktiert, „was wir daraufhin niederschreiben“. Wenn sie fertig mit der Tafel sind, „tragen wir Sidi Amrou den Inhalt der Tafel. Ist er zufrieden, nehmen wir sie, waschen sie und bereiten sie erneut vor“. Nach Beendigung der Lektion wird die Tinte – zusammen mit einer darunter liegenden, dünnen Tonschicht – abgewaschen und eine neue Schicht Ton aufgetragen.
Die in Marokko benutzte Methode, so Sidi Amrou, „hat viele Vorteile und sie enthält ein Geheimnis von Allah, dass wir von unseren Vorfahren geerbt haben“. Das Auswendiglernen, das Bewahren, durch die Tafeln „hilft bei der Erinnerung und Einprägung im Gehirn“, so der Lehrer. „Der Schüler erhält das Wissen vom Qur’an direkt vom Schaikh durch dessen Diktat“ und schreibt es mit eigener Hand auf die Tafel“, erläutert Sidi Amrou die Methode. „Dies hilft dem Erinnerungsvermögen. Wenn wir die Tafel abwischen, bleibt es im Gehirn und man es wie ein Bild an der Wand vor sich sehen.“ Der Schüler, der auf diese Weise lerne, habe eine bessere und stärkere Erinnerung als jener, der sich eines Buches bedient. „Dies ist das Geheimnis der Tafeln. Aus diesem Grund hat einer der Salihun (Rechtschaffenden) gesagt: ‘Es gibt zwei Geheimnisse, die in dieser Umma bestehen blieben: die Wissenschaft der Subha (Lobpreisung Allahs) und die Wissenschaft der Lauha.’“
Was ist die große Transaktion?

(iz). Wir leben in einem Zeitalter, in dem das Edle Recht des Islam auf einen Schatten seiner selbst reduziert wurde. Was bleibt, sind Kapitel über rituelle Reinigung, Gebet (As-Salat), Fasten […]
Kommentar: Wer dem Anderen am nützlichsten ist
(iz). Die muslimischen Gemeinden in Deutschland sind angesichts der immer wiederkehrenden Ressentiments teilweise desillusioniert, was Anerkennung ihrer Leistung und die Haltung des Angenommenseins als Teil des Landes seitens der Mehrheitsgesellschaft […]
Wie gehen junge Syrer in Deutschland mit dem Krieg um?
(iz). Wenn sich Medien mit dem Syrienkonflikt befassen, ist dies meist eine Schlammschlacht politischer Überzeugungen oder eine kalte Darlegung von Daten und Fakten, weswegen ich mich hier nun mit etwas […]
„IZ-Begegnung“ mit der Journalistin Charlotte Wiedemann über die heutige Auslands- und Islamberichterstattung und die Realität moderner Medien

(iz). Was sind Massenmedien heute? Handelt es sich dabei um Instrumente der Informationsvermittlung, um ideologische Machtvehikel oder am Ende nur um Mittel zur Gewinnmaximierung der Besitzer? Die Antwort dürfte wohl nicht eindeutig ausfallen. Natürlich beschäftigt dies Medienwissenschaftler, aber insbesondere bei neuralgischen Themen wie Islam oder dem Nahen Osten hat sie ganz konkrete Auswirkungen auf das Bild von der kollektiven Wirklichkeit.
In ihrem neuen Buch „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben. Oder: Wie Journalismus unser Weltbild prägt“ beschäftigt sich die erfahrene Auslandsjournalistin und Autorin Charlotte Wiedemann anhand ihrer professionellen Erfahrungen mit dieser Frage.
Charlotte Wiedemann, Jahrgang 1954, ist seit 30 Jahren politische Journalistin. Sie lebte einige Jahre als freie Autorin in Südostasien (Malaysia) und bereiste danach zahlreiche islamische Länder Asiens und Afrikas. Von diesen Recherchen berichtet ihr Buch „Ihr wisst nichts über uns! Meine Reisen durch einen unbekannten Islam“ (Herder Verlag 2008 und 2012). Die Journalistin publiziert gegenwärtig unter anderem in „DIE ZEIT“, „Le Monde Diplomatie“ und auf qantara.de.
Sie unterrichtet journalistischen Nachwuchs, hatte Lehraufträge an zwei Universitäten und gründete eine kleine interkulturelle Agentur (sawasya.de). Zuletzt schrieb sie über Muslime in New York und in Bosnien. Webseite: www.charlottewiedemann.de
Islamische Zeitung: Liebe Frau Wiedemann, Sie haben als Journalistin mit umfangreicher Auslandserfahrung ein Buch zum Thema Journalismus und Medien geschrieben. Der Schriftsteller Wiglaf Droste formulierte 1998 in der taz: „Der Journalist ist der natürliche Feind der Sprache.“ Ist das Ihrer Meinung nach überzogen oder können Sie etwas mit diesem Zitat anfangen?
Charlotte Wiedemann: Ich möchte Sie an diesem Punkt korrigieren: Ich habe kein Buch über Medien geschrieben, sondern über meine Arbeit. Das ist ein Unterschied in der Herangehensweise.
Aber mir liegt sehr viel an Sprache und ich denke, dass ich mich in meiner Arbeit um eine gute und klare Sprache bemühe. Ich würde dieses Zitat gerne anders wenden: Oft ist die typische Journalistensprache ein Feind des Denkens. Sie ist häufig voller Pseudo-Plausibilitäten und auch ideologischer Begriffe, obwohl sie als bloßes Transportmittel von Sachverhalten daherkommt. Das macht es gerade für die Konsumenten solcher Beiträge schwer, Dinge zu durchschauen.
Islamische Zeitung: Sie führen als Beispiel den Begriff der „internationalen Gemeinschaft“ an, der heute inflationär gebraucht wird…
Charlotte Wiedemann: Das ist ein Begriff, der von vielen Journalisten verblüffend unkritisch und unhinterfragt benutzt wird. Wenn man einmal darauf achtet, wer oder was mit dieser „internationalen Gemeinschaft“ überhaupt gemeint ist, dann sieht man zwar je nach Fall eine wechselnde Zusammensetzung, aber in der Regel sind es die wirtschaftlich und politisch dominierenden Mächte des Westens. Der globale Süden kommt in diesem Begriff nicht vor. Wenn er doch erscheint, dann als Gegenstand, über den sich die „internationale Gemeinschaft“ Sorgen macht. Diese Länder gehören per se nicht zur „internationalen Gemeinschaft“, obwohl sie UNO-Mitglieder sind. Ich wundere mich immer wieder, wie ansonsten kritische Journalisten diesen Begriff bedenkenlos übernehmen.
Islamische Zeitung: Ihr neues Buch heißt, „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben“. Was macht dieses „weiß“ aus?
Charlotte Wiedemann: „Weiß“ ist europäisch, oft eurozentrisch. Es ist in der Regel auch sehr säkular und mit wenig Verständnis für andere Kulturen und oft auch für religiöse Zusammenhänge. Mein Buch ist das Buch einer Praktikerin. Ich habe in 26 außereuropäischen Ländern recherchiert und erzähle entlang meiner Erfahrungen, wie leicht Journalisten Fehlurteilen erliegen, wenn sie über andere Kulturen berichten und urteilen.
Islamische Zeitung: Es gab vor Längerem eine kleine Studie über die Beziehung von Ressortchefs beziehungsweise Chefredakteuren zur Religion insgesamt und Islam im Besonderen. Die Autoren kamen zum Schluss, dass ihre Mehrheit ein distanziertes Verhältnis zur Religion allgemein hat, aber noch stärker zum Thema „Islam“. Können Sie das im Rahmen ihrer eigenen beruflichen Erfahrung nachvollziehen?
Charlotte Wiedemann: Das kann ich aus meiner Erfahrung sehr gut nachvollziehen. Es ist klar, dass solche Aussagen niemals zu 100 Prozent zutreffen, aber ich vermute, sie stimmen für die Mehrheit. Eine gewisse Verachtung für fremde Religiosität – und speziell für den Islam – ist heute die modischste und schickste Weise, die eigene Weltsicht absolut zu setzen. Das ist nicht nur im Milieu der Journalisten verbreitet, sondern weit darüber hinaus.
Islamische Zeitung: Findet das Ihrer Meinung nach bewusst statt? Die BBC hat vor einigen Jahren angefangen, über unbewusste Vorurteile nachzudenken. So stellten die Personalchefs bevorzugt Mitarbeiter aus ihrer eigenen sozialen oder ökonomischen Schicht ein. Handelt es sich hier um bewusst wahrgenommene Vorurteile oder um Bequemlichkeit?
Charlotte Wiedemann: Ich denke, dass es sich oft um beides handelt. Sie haben Recht: Es gibt einen gewissen Klassenjournalismus, weil sich Journalisten bei uns überwiegend aus dem oberen Mittelstand oder der Oberschicht rekrutieren und wir nur sehr wenige Leute aus der Arbeiterschicht haben, die es in eine journalistische Ausbildung schaffen.
Ich habe viel darüber nachgedacht, woher Islamfeindlichkeit in den Medien kommt. Mittlerweile glaube ich, dass es vor allem um ein bestimmtes Menschenbild geht, das in den Köpfen in Bezug auf Muslime fest verankert ist: Ein sehr flaches, simplifizierendes Menschenbild, das schon keinen Platz lässt für Humor und erst recht nicht für all die Brüche und Widersprüchlichkeiten, die wir im Allgemeinen bei unseren Zeitgenossen voraussetzen. Dies betrifft sowohl deutsche Muslime als auch das Ausland.
All dies scheint mir eine Mischung aus Bewusstem und Unbewusstem zu sein. Ich stelle allerdings häufig fest, dass man gerade unter Gebildeten in Deutschland fast schon stolz darauf ist, vieles vom Islam einfach nicht zu verstehen. Als ob es der Gipfel westlicher Freiheit wäre, auf diesem Nicht-Verstehen zu beharren – und es nicht ändern zu wollen.
Islamische Zeitung: Geht es bei der Islamberichterstattung um ideologische Positionen oder um das Wissen, mit einer bestimmten redaktionellen Linie mehr Auflage zu machen und so mehr Gewinne einzufahren?
Charlotte Wiedemann: Bei sensiblen Themen, wie es der Islam bei uns derzeit ist, haben Medien einen Doppelcharakter. Sie sind Resonanzboden für Stimmungen, die in einem größeren Teil der Gesellschaft vorhanden sind und spiegeln diese wider, um Auflage zu machen. Sie sind aber zugleich auch ein Verstärker und sorgen gewissermaßen dafür, dass nichts anderes entsteht, zumindest nicht im Bewusstsein der breiten Masse.
Es gibt ja in Deutschland durchaus differenzierte Veröffentlichungen zu islamischen Themen: von sachkundigen Journalisten, von publizierenden Islamwissenschaftlern und von jungen Muslimen, die hier und da ein Podium finden. Aber die Stimmung wird immer von den anderen erzeugt.
Ein Beispiel: Die Leser-Kommentare bei „ZEIT“-online zu bestimmten Artikeln verlangen oft mehr Islam-Bashing. Und die Redakteure, sei es bei der „ZEIT“ oder anderswo, sind von diesem Denken nicht durch eine chinesische Mauer getrennt. Wer differenziert schreibt, der weiß, dass nur eine Minderheit der Leser dies goutiert. Das sind also schwer voneinander zu trennende Aspekte: der wirtschaftliche Zwang zur Auflage und das ideologische Teilen – oder sogar Vorantreiben – von Vorurteilen und negativen Wahrnehmungen.
Islamische Zeitung: Sie haben lange Zeit als Auslandsjournalistin gearbeitet und – wie ein niederländischer Kollege [Joris Luyendijk] vor einigen Jahren ebenfalls – lassen in ihrem Buch anklingen, dass die Heimatredaktion oft einen vermeintlich größeren Überblick zu haben glaubt als ihre Korrespondenten vor Ort…
Charlotte Wiedemann: Nehmen wir beispielsweise den aktuellen Konflikt in Mali. Dort gibt es keinen deutschen Korrespondenten. Der nächste sitzt in Nairobi, Kenia. Das ist nicht nur sehr weit entfernt, sondern auch ein anderer Sprachraum. Mali liegt im französischsprachigen Teil Afrikas, Kenia im anglophonen. Der Korrespondent bedient sich also vorrangig erst mal aus denselben Nachrichten-Quellen, aus denen seine Zentral schöpft. Im Zweifelsfalle hat er aber weniger Zeit: wegen anderer Aufgaben, seine Internetverbindung ist viel langsamer usw. Das führt dazu, dass seine Zentrale ihn vor einem Live-Gespräch im Fernsehen oft erst einmal auf den neuesten Stand bringt. Und dann reichert er die vorhandene Nachrichtenlage nur mit einem gewissen Lokalkolorit an, ohne in der Substanz etwas zur Aufklärung beitragen zu können.
Ich selbst habe vergleichsweise privilegiert gearbeitet, weil ich als freie Journalistin lange Reportagen geschrieben habe und nicht festangestellt für aktuelle Medien im Ausland gearbeitet habe. Ich kenne aus der Beobachtung anderer Kollegen diese Mechanismen, und sie treffen für die Mehrheit der Auslands-Korrespondenten zu. So wie ich lange Reisen zu unternehmen, deren Kosten vom Auftraggeber erstattet werden, das scheint bald der Vergangenheit anzugehören. Es wird immer weniger Journalisten ermöglicht.
Islamische Zeitung: Sie haben an einer anderen Stelle von der Dominanz der Presseagenturen in der Auslandsberichterstattung gesprochen. Was bedeutet sie für unsere Sicht auf entlegene Vorgänge? Haben wir heute weniger Einblick als in Zeiten, in denen es noch richtige Korrespondentennetze gab?
Charlotte Wiedemann: Man kann sich heute auf fantastische Weise mit Hilfe des Internets informieren. Aber das ist nur einer Minderheit möglich: spezialisierte, polyglotte Leute, die an ihrem Arbeitsplatz oder als Bürgerjournalisten durch die Welt surfen. Die große Mehrheit der Medienkonsumenten bekommt hingegen zunehmend ein informationelles Fastfood serviert. Dieses Fastfood wird über den ganzen Globus von einigen, wenigen großen Nachrichtenagenturen vertrieben und für unterschiedliche Kundenkreise immer nur neu verpackt. Wenn man abends die globalen Nachrichten überfliegt, in Deutsch, Englisch, Französisch, dann sieht fast überall die gleichen zehn großen Geschichten, und sie werden überall auf ähnliche Weise erzählt.
Daneben gibt es eine riesige Fülle von Blogs, Webseiten und Newslettern, die man nutzen kann, um sich – wie etwa im Fall Mali – aus anderen Quellen zu informieren. Man darf sich aber keine Illusionen machen: Die meisten Leute – nicht nur in Deutschland – benutzen das Internet, um sich über das Nächstliegende zu informieren, von Öffnungszeiten über lokale bis zu nationalen Nachrichten. Die wenigsten nutzen es, um ihren Horizont zu erweitern.
Islamische Zeitung: Sie schrieben an anderer Stelle vom so genannten „Framing“. Was meinen Sie damit?
Charlotte Wiedemann: Stellen wir uns vor, wir hätten ein großes Bild und legten dann einen kleinen Rahmen auf eine Stelle des Bilds. Auf diesen kleinen Ausschnitt konzentriert sich dann unsere ganze Aufmerksamkeit; wir sollen ihn verstehen, ohne den gesamten Rest zu kennen. So ähnlich funktioniert ein Großteil der Auslandsberichterstattung. Wir bekommen einen ganz kleinen Ausschnitt gezeigt; Kontext, Erklärung, Hintergründe und Atmosphäre fehlen. Sehr oft hat das, was wir in diesem kleinen Ausschnitt vorgelegt bekommen, mit Gewalt zu tun. Denn die auf allen Kanälen ähnlichen Nachrichten handeln ihrerseits mehrheitlich von gewaltsamen Zusammenstößen.
Und obwohl ich selbst daran gewöhnt bin, Nachrichten auf professionelle Weise zu durchforsten, empfinde ich das Ausmaß an Gewalt, mit dem wir ständig bombardiert werden, zunehmend als krankmachend.
Islamische Zeitung: Um es positiv zu wenden, wie würde für Sie eine wünschenswerte Berichterstattung aussehen? Wie sieht Ihr Gegenmodell aus?
Charlotte Wiedemann: Ich will einen Vergleich wählen. Wenn es um’s Essen geht, dann wissen viele Menschen mittlerweile, dass die am schnellsten und am billigsten hergestellten Fließband-Lebensmittel nicht unbedingt gut für sie sind. Genauso müsste sich im Konsum von Informationen ein neues Bewusstsein verbreiten: Auch hier brauchen wir eher Slow Food – also weniger, aber bessere Informationen. Das wäre eine Art von medialem Verbraucherbewusstsein. Für die deutschen Medien wünsche ich mir, dass wir mehr Journalisten mit gemischt-kulturellem Hintergrund einsetzen, wie es in Großbritannien oder den USA schon länger der Fall ist. Ein Deutsch-Inder als Korrespondent in Indien: Das wäre ein Beitrag zu einer Berichterstattung, die weniger eurozentrisch ist und zugleich nicht zu abgehoben vom deutschen Durchschnittsbewusstsein.
Islamische Zeitung: Sie waren in vielen Ländern der muslimischen Welt. Viele Abschnitte aus Ihrem Buch handeln von diesen Erfahrungen. Gab es Begegnungen und Aspekte, die für Sie von bleibender Bedeutung sind?
Charlotte Wiedemann: Nachdem ich aus Malaysia zurückkam, wo ich einige Jahre gelebt habe, kam mir vieles in Deutschland sehr islamophob vor. Das war Ende des Jahres 2003, und dieses Schockiert-Sein war für mich der Ausgangspunkt, wissen zu wollen, was Islam wirklich bedeutet, in allen seinen Facetten. Später faszinierte mich, dass ich in jedem islamisch geprägten Land einerseits etwas Vertrautes fand, aber auf der anderen Seite auch jede Menge Unvertrautes. Es gibt für mich immer Anknüpfungspunkte, gleichzeitig aber handelt es sich jedes Mal um etwas vollkommen Neues. Als Journalistin ist die islamische Welt für mich wie eine riesige Schachtel Pralinen: beim Auswickeln immer wieder Überraschungen. Außerdem bin ich als Alleinreisende in muslimischen Ländern immer recht gut gereist. Das widerspricht der landläufigen Meinung, wonach es gefährlich sei oder eine Frau ständig belästigt werde. Ich fühle mich fast immer sicher, die Einschränkung vorausgesetzt, dass ich nicht in Kriegsgebiete reise. Die stärkere soziale Kontrolle des öffentlichen Raumes kommt mir als Ausländerin zu Gute: Leute, die mich überhaupt nicht kennen, fühlen sich für meine Sicherheit und meinen Schutz verantwortlich. Zum Beispiel habe ich schon vergnügt in unzähligen Geschäften und Werkstätten gesessen, weil einer Frau, die nicht auf der Straße stehen will, nie der Stuhl verweigert wird. Wenn man solche Grundregeln kennt, kann man sie als allein reisende Frau sehr gut zum eigenen Vorteil nutzen, auch mit einem Augenzwinkern. Dies sind einige der Gründe, weshalb ich gerne in muslimische Länder fahre.
Islamische Zeitung: Vielen Dank für das Gespräch.
Charlotte Wiedemanns Buch „Vom Versuch, nicht weiß zu schreiben. Oder: Wie Journalismus unser Weltbild prägt“ ist jüngst beim Papyrossa Verlag (ISBN 978-3-89438-494-4) erschienen und für 12,90 Euro im Handel erhältlich. In der nächsten IZ-Ausgabe (Nr. 210) folgt eine Besprechung des Titels.
Bundespräsident Joachim Gauck zu Besuch in der Berliner Sehitlik-Moschee: Abu Bakr Rieger kommentiert
(iz). Ein großer Tag für die Sehtlik-Moschee, lese ich. Bundespräsident Joachim Gauck hat die ehrwürdige Anlage in Berlin besucht. Er lässt sich vorbeten und hört interessiert den Ausführungen des Imams zu. Die ungewöhnlichen Protokollfragen werden souverän gemeistert: Sicherheitsbeamte tragen ihm dezent die Schuhe hinterher. Gauck wird fast begeistert empfangen und hat inmitten der Gläubigen, die der berühmten Gastfreundschaft türkischer Muslime entsprechen, die erwartete gute Zeit. Er ist wohlwollend, Vorurteile sind eher subtil verpackt und äußern sich in der Idee einer Begegnung von Kulturen, die den Islam und damit auch die deutschen Muslime, kulturell anders oder gar „außereuropäisch“ verorten.
Überraschend finde ich aber etwas Anderes. Im „Tagesspiegel“ wird berichtet, dass unser Präsident zum ersten Mal eine Moschee betreten hat. Zum ersten Mal? Heißt das, dass der Präsident – bevor er einmal eine der vielen hiesigen Moscheen betrat – schon wusste, dass der Islam kein Teil Deutschlands ist? Tatsächlich entspricht diese Begegnung dem Bild, dass die Eliten bisher kaum echte Berührungspunkte mit den Muslimen hatten. Ganz selten sind diese – statt der medialen Inszenierung – inhaltlich geprägte auf intellektueller Augenhöhe. Häufig geht so größte Distanz mit dem härtesten Urteil einher. Was man über den Islam und die Muslime zu wissen meint, stammt zumeist aus Zweiter Hand. Offensichtlich hatte der Islam, bevor er zu der großen Sicherheitsfrage des 21. Jahrhunderts wurde, für unsere Eliten keine besondere positive Relevanz. Auch Gauck interpretiert den Islam vor allem als Phänomen der modernen Politik. Die ideologische Verformung des Islam muss für den Pfarrer aus Rostock ein Gräuel sein. Im „Salafisten“ erscheint ihm ein Typus, der das auf Millionen Muslime Schatten werfende Gegenbild zur europäischen Aufklärung verkörpern soll; eine Aufklärung, der sich Gauck ausdrücklich verpflichtet sieht.
Für Gauck ist die Freiheit von Tyrannei und den Ideologien des 20. Jahrhunderts schlicht die Grundfrage seines Lebens. Wohl auch deswegen haben ihn der Angriff auf die Demokratie aus dem ökonomischen Feld und die Versäumnisse der Aufklärung diesbezüglich überrascht. Wegen der üblichen Reduzierung des Islam auf seine politische Wirkung dürften ihm die fundamentalen, freiheitlichen Maximen islamischer Ökonomie gänzlich unbekannt sein.
Wenn es je einen Austausch der Eliten über den Islam geben sollte, so wäre das aktuelle Verhältnis des Islam zum ökonomisch geprägten Totalitarismus unserer Zeit eine der spannendsten Fragen. Nach der öffentlichen Zertrümmerung der Reputation des Islam bedarf es hierzu der Mentalität eines Archäologen, der die Essenz des Islam freilegen muss.
Es gab Momente, als sich unsere Eliten dem Islam grundsätzlicher zuwandten: Goethe erforschte den Islam noch anders, unbekümmerter, denn den Universaldenker regte der offensichtliche Unterschied der Glaubensinhalte von Christen und Muslimen an. Mehr noch, er konnte den Islam und seine Einheitslehre einfacher und ohne intellektuelle Widerstände denken.
IZ-Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek über den Stand des organisierten Islam

(iz). Zustand und Organisationsgrad des organisierten Islam in Deutschland ist seit geraumer Zeit – auch in der IZ – ein Thema der innermuslimischen Debatte. Insbesondere Angehörige der jungen Generationen fühlen sich zusehends nicht durch die oft politisch, ethnisch und sprachlich eingrenzende Sicht muslimischer Verbände angesprochen. Ein Hinweis dafür sind die verstärkt entstehenden Initiativen jenseits der bisher bekannten Organisationsformen Verein und Dachverband.
Hierzu sprachen wir mit Aiman Mazyek, dem derzeitigen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime (ZMD). Seine Organisation schied jüngst – gemeinsam mit anderen Verbänden – aus „Sicherheitspartnerschaft“ mit dem Bundesinnenministerium aus. Der ZMD ist Mitglied im Koordinationsrat der Muslime.
Islamische Zeitung: Es gibt seit einiger Zeit in muslimischen Zirkeln eine Debatte über die Zukunft der Community. Wie würden Sie den augenblicklichen Zustand des Koordinationsrates als Beratungsgremium bewerten?
Aiman Mazyek: Ausbaufähig würde ich sagen. Wir haben sicherlich vor einigen Jahren einen wichtigen Schritt gemacht, als wir sagten, dass sich die spitzen Verbände austauschen und sich koordinieren sollten. Das gilt insbesondere für repräsentative Fragen einer Leitlinie, anhand derer man hier den Islam als gleichgestellte Religionsgemeinschaft neben anderen zu etablieren versucht. Dies war sicherlich ein wichtiger Schritt im Jahre 2007.
Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass es weitere Schritte gibt und auch Konkretisierungen – wie in Richtung zum Beispiel Länderstrukturen – erfolgen. Aber man muss auf der anderen Seite konstatieren, dass die vier großen Verbände zwar im religiös-theologischen Sinne im Wesentlichen mit der gleichen Stimme sprechen. Was aber die ihre politische Kultur betrifft, so bestehen weiterhin Unterschiede. Das fängt damit an, dass die ethnische Herkunft unterschiedlich gewichtet wird. Zum Beispiel, was unseren Verband [den Zentralrat der Muslime] angeht, so ist er sehr multiethnisch und multikulturell ausgerichtet. Deswegen haben bei uns schon früh Türken mit Deutschen, Bosniern, Albanern, Arabern aber auch mit kleineren Gruppierungen – von Afrikanern, über Gehörlose bis zu Schiiten – kooperiert. Das ist relativ bunt, dezentral organisiert und deswegen war uns früh klar, dass die Hinwendung auf dieses Land im Sinne eines Islam in Deutschland für uns der einzig gangbare Weg war. Deutsche Mitglieder, die Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens sind und waren, machten diesen Schritt zudem dann sprachfähig.
Diese Unterschiede in der politischen Kultur, die gilt es noch als Herausforderung anzunehmen und zu überwinden. Da haben wir, so denke ich, noch eine Menge vor uns. Deswegen darf man sich damit nicht zufrieden geben; im Sinne von „das ist der Status quo und deshalb können wir nichts ändern“. Doch! Ich glaube, man kann noch vieles besser machen. Aber dazu müssten auch alle mit anpacken.
Islamische Zeitung: Es gibt unter jungen Muslimen und Aktivisten – vielleicht auch dank so genannter sozialer Medien – häufiger Kritik an dem, was der KRM erreicht hat? Können Sie diese Kritik nachvollziehen oder vor allem Geschimpfe auf „die da oben“?
Aiman Mazyek: Kein Geschimpfe, das sind durchaus berechtigte Sorgen. Und die müssen auch weiterhin adressiert werden – an die Verbände und an die Religionsgemeinschaften. Das ist aber nur ein Teil der Lösung. Ein anderer ist – was wir auch erleben –, dass die guten Köpfe der muslimischen Community zwar zum Beispiel am Freitagsgebet teilnehmen, aber die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme gering ausgeprägt ist.
Das gute Personal wandert ohnehin in die Wirtschaft oder in andere Bereiche ab. Unter anderem auch, weil die Religionsgemeinschaften mit ihren Strukturen und ihren begrenzten Möglichkeiten kaum Aussichten auf Jobs geben können. Das ist die andere Seite der Medaille. Dies betrifft vor allem junge, gut ausgebildete und intellektuell fähige Muslime, von denen es Gott sei dank heute mehr gibt als noch in den 1970er oder 1980er Jahren. Sie werden sich auch fragen: Was man selbst dazu beitragen kann, damit sich die Lage verbessert. Ich erlebe selbst in meinem Umfeld gerade – sowohl familiär wie in der Gemeinde – eine starke Abwanderung von top ausgebildeten Leuten – Juristen, BWLer und anderen – in die Türkei, die Emirate oder nach Saudi-Arabien. Meistens arbeiten sie übrigens für deutsche Firmen, die sie dort mit Kusshand nehmen; wohlwissend, dass ihre Qualifikation und ihre kulturellen Fähigkeiten sie weiterbringen. Diese junge Generation parkt jetzt erstmal 10-20 Jahre ihres produktiven Lebens, kommt dann möglicherweise wieder zurück, vielleicht. Natürlich liegt das auch daran, dass die jungen Leute erkennen müssen, dass sie trotz einer besseren Qualifikation bei gleichen Noten und Abschlüssen in Deutschland das Nachsehen haben. Und woanders werden sie mit diesen Qualifikationen gerne genommen.
Islamische Zeitung: Unter Muslimen entstehen neue Organisationsformen. Oft sind diese mit dem Internet und dessen kommunikativen Beschränktheiten verbunden. Haben Sie das Gefühl, dass sich da ein Wandel vollzieht, der trotz Positivität der Community als ganzer Substanz entzieht und mittelfristig schädlich sein könnte?
Aiman Mazyek: Ich habe ja auch einige dieser Foren kennengelernt und dort deutlich gemacht – ob diese jetzt Zahnräder sind, Thinktanks oder andere Events –, dass wir dies als wichtige Ergänzung und als Kraftquelle brauchen, auch weil sich dort die jungen Köpfe ausprobieren und ergänzen können. Entscheidend ist, dass das islamische Leben, in dem ich meine fünf Säulen praktiziere, nicht im luftleeren Raum, sondern mit einer Gemeinschaft stattfindet. Wenn ich mein Freitagsgebet mache, dann nicht zuhause, sondern in der Moschee. Wenn ich meinen Kindern ein Stück muslimisches Leben geben will, dann tue ich das nicht in einem Teehaus, sondern in einer Moschee. Wenn ich gut gekleidet und parfümiert zum Festgebet gehe, dann freue ich mich auf das Fest – mit einer Gemeinschaft in der Moschee.
Oft kritisieren wir zu Recht, wenn die Vorstände nicht in die Puschen kommen, wenn sie sprachlich oder mentalitätsmäßig noch in den 1960er stecken geblieben sind. Aber bei aller Kritik müssen wir festhalten, dass das eigentliche muslimische Leben nun mal in den Gemeinden stattfindet, und dies sind unser anvertrautes Gut, unsere Amana. Und da sind wir alle verantwortlich, ob nun Imam oder Jugendgruppenchefin. Sobald wir das existentiell in Frage stellen, sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Wenn wir erlauben, dass wir unsere islamischen Insignien vernachlässigen, wird am Ende kaum was übrig bleiben.
Geht die Wertschätzung der Gemeinschaft zurück, dann werden wir vielleicht irgendwann einmal Hülsen ohne Frucht sein, Einrichtungen von Thinktanks haben, aber ohne Spiritualität und Seele, vernunftbegabte Reden schwingen, aber mit wenig Iman. Das will ich eigentlich nicht.
Islamische Zeitung: Es gab vor Kurzem eine allgemein kritisierte Plakatkampange des Innenministeriums, die mittlerweile wieder ausgesetzt wurde. Die an der so genannten Sicherheitspartnerschaft beteiligten Verbände sind ja im Verlauf der Debatte aus der Sicherheitspartnerschaft ausgeschieden. Was ist ihre Sicht auf diesen Vorgang?
Aiman Mazyek: Die Sicherheitspartnerschaft stand von Anfang an unter keinem guten Stern, weil stets unserer Bedenken und Sorgen nicht ernst genommen worden sind. Die muslimischen Verbände versuchten von Beginn an, das Thema rechtsradikale Übergriffe auch zum Thema der Sicherheitspartnerschaft zu mache. Dem Bundesinnenministerium ging es um den so genannten Islamismus und folglich gab keine Zusammenarbeit oder Partnerschaft auf Augenhöhe. Hier hätte spätestens von uns aus eine Evaluierung stattfinden müssen, ob und wie eine solche Partnerschaft weiter Bestand haben soll.
Die Plakataktion war nicht das erste Projekt dieser Art; exemplarisch zu nennen ist eine vergangene Flyer-Aktion (bei der die muslimische Gemeinde ermahnt wurde, nicht radikalen Gruppen Geld zu geben), welche erfolglos war und zeitnah eingestampft wurde. Die Plakataktion war stets ein Projekt in der Hand des Bundesinnenministeriums – die Muslime konnten lediglich im Rahmen von anderen, arbeitsintensiven Projekten zu Entwürfen ihre Meinung abgeben. Selbstkritisch sage ich heute, dass diese Kritik hätte deutlichere ausfallen müssen und auch ich habe die Tragweite des Geschehens und des Projekts dabei unterschätzt, weil wir durch andere Themen, die wesentlich mehr Zeit und Aufwand bereiteten, auch abgelenkt waren.
Dennoch blieb der ganze Vorgang vorbehaltlich und eine offizielle Mitträgerschaft stand nicht zur Debatte. Spätestens nach der deutlichen Kritik der Muslime an der Kampagne, hätte die Aktion im Sinne einer auf gleicher Augenhöhe stattfindenden Partnerschaft geändert werden müssen. Leider blieb sie aus. Zukünftig müssen wir noch genauer bei hingucken, was das Agenda-Setting angeht und drauf pochen, das dieses wirklich partnerschaftlich austariert wird.
Islamische Zeitung: Neben der Kritik als solcher: Sind Sie zufrieden mit der Art und Weise, wie innerhalb der Community solche Themen halböffentlich diskutiert werden?
Aiman Mazyek: Ich will es einmal psychologisch erklären. Über die Situation der Muslime sind wir allesamt nicht zufrieden und doch: alhamdulillah. Hier hat sich dann für einige ein Ventil ergeben, einen Sündenbock zu suchen. Die zu Recht angesprochenen Kritikpunkte an den islamischen Religionsgemeinschaften wird zum Anlass für eine Brachialkritik.
Man hat sich natürlich bei dieser ganzen Kritik nicht gefragt: Was ist die Alternative? Oder: Was kann ich selbst zur Verbesserung beitragen? Was ist meine Aufgabe bei dem Ganzen? Viele Kritiken waren hart aber fair. Manche davon rechthaberisch; bisweilen verächtlich und oft ging es auch um Machtansprüche und alte offene Rechnungen, die hier eigentlich nichts zu suchen haben.
Wir sollten hier nicht vergessen, dass wir hier nicht irgendwelche, Parteien oder Unternehmen vertreten. Sondern wir sind meist Ehrenamtliche und versuchen unseren Job, so weit es geht, und so gut wie möglich zu tun innerhalb der beschriebenen Strukturen.
Islamische Zeitung: Fehlt es, um diesen Mangel zu beheben, an den richtigen Werkzeugen?
Aiman Mazyek: Es fehlen natürlich auch die Mittel. Es fehlt auch der Rückzugsraum, in dem man solche strukturellen und strategisch wichtigen Weichen stellen kann. Das ist nichts Neues, und es war vor acht oder neun Jahren noch schlimmer. 50 Prozent unserer Aktivität besteht aus Öffentlichkeitsarbeit, was einfach in keinem Verhältnis steht. Weil alle paar Monate eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird und weil die Welt, wie sie ist, einfach politisch instabil ist und Muslime ihren Kopf hinhalten und man sich diesem nicht einfach entziehen kann.
Aber wir können gleichzeitig selbigen nicht einfach nur in den Sand stecken – Das ist ein Dilemma. Die strukturelle Arbeit und das Reisen kosten viel Kraft. Diese Kraft und diese Energie müssten eigentlich beispielsweise darauf verwandt werden, die klügsten gläubigen Köpfe zusammenzubringen.
Ich glaube nicht, dass es in anderen Institutionen anders ist. Das ist kein gesondert islamisches Phänomen. Da muss man sich eben anders einbringen. Wenn aber jeder etwas anderes macht, dann haben wir genau die Situation, wie wir sie heute haben.
Islamische Zeitung: Lieber Aiman Mazyek, wir danken Ihnen für das Gespräch.