Bücher: Mit „Imageproblem“ klärt Anja Hilscher nicht nur auf. Wichtiger ist noch: Das Buch ist unterhaltsam. Von Sulaiman Wilms

„Ist es ungefähr das, was Sie so denken? (…) legen Sie dieses Buch besser zurück (…) Nicht, dass ich Leser verprellen möchte, aber Sie gehören nicht zu meiner Zielgruppe. Falls Sie aber was anderes denken – oder auch gar nichts – dann lesen Sie ruhig weiter!“ (Anja Hilscher)

(iz). Bücher, die sich der Widerlegung negativer Vorurteilen widmen, sind leider notwendig. Mit Ausnahme von Paukenschlägen wie Bahners „Die Panikmacher“ oder Feridun Zai­moglus furiose Sprache haben die ­meisten Titel den Nachteil, dass sie den Angriff schon vorwegnehmen. So bekommt man immer das Gefühl, sie wären in der Defen­sive geschrieben worden. Andere, wohlwollende Aufklärungsbücher wie das Buch von A. Hackensberger sind zwar mit Herz geschrieben worden, aber stellenweise faktisch falsch, sodass man sie guten Gewissens kaum als Leitfaden empfehlen möchte.

Anja Hilschers beim Gütersloher Verlagshaus jüngst erschienener Titel „Ima­geproblem. Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt“ ist nicht mit diesen Fehlern behaftet. Die Autorin [siehe IZ-Interview in der ­letzten Ausgabe] lässt keinen Moment Defensive oder eine Rechtfertigungslogik zu. Anstatt auf tatsächliche oder imaginäre Kritik (ein großes Problem für viele Schreibende) reagieren zu müssen, spinnt Hilscher ihren eigenen geistigen Faden. Mit seiner Hilfe zieht sie uns durch ihre gesamte Argumentation. Warum nimmt sie uns auf ihren Parforceritt mit? Die Autorin gibt uns die Antwort: „Angesichts der Skrupellosigkeit, mit der das Bild des Islam verzerrt wird, stellen sich halbwegs gebildeten Muslimen regelmäßig die Nackenhaare auf. Mir auch. Seit über 20 Jahren. Es gibt Vorurteile und Missverständnisse ohne Ende.“

Hilscher führt mit 20 thematischen Kapiteln in ein faszinierendes Phänomen ein, dass ihrer Meinung weder von Außen, noch von vielen „muslimischen Erbsenzählern“ richtig verstanden oder dargestellt wurde. Da sie das mit einer gehö­rigen Portion Humor und Ironie – die sie auch nicht vor sich selbst haltmachen lässt – tut, kann man ihr das Kompliment machen, dass sie nicht nur aufklärt, sondern ihre Leser zusätzlich auch noch unterhält – was beinahe noch wichtiger ist. Es gibt genug sauertöpfische Texte zum Thema „Islam“.

Ihr – stellenweise bissiger – Humor ist aber nicht Selbstzweck oder Attitüde, sondern notwendig, weil zu oft die Regeln des „Diskurses“ nicht mehr eingehalten werden: „Jep, ich bin Muslima. Die kalte, komplizierte Welt überfordert mich total! Ich bin ein seelisch labiler Mensch und brauche starre Regeln, weil ich zu psychotischen Schüben neige. (…) Na ja, offen gestanden mache ich es nicht so extrem. Ich traue mich nicht. Deshalb musste ich dieses Buch schreiben.“

Weil Anja Hilscher im „Imageproblem“ wichtige Impulse aus der Pers­pek­tive einer selbstbewussten, deutschen Muslimin liefert, kann man ihr manches Missverständnis und die gelegentliche Burschikosität nachsehen. Ihre Attacke auf das islamische Recht (S. 45), oder das Fiqh, dass sie als Rechtsprechung „von mittelalterlichen Theologen mit starker Tendenz zum Pharisäertum“ beschreibt, ist unbegründet und leider auch unfair. Diese oberflächliche Betrachtung tut den allermeisten Rechtsgelehrten Unrecht, die der Prophet als „die Erben der Propheten“ bezeichnete, und die oft eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der islamischen Lebensweise spielte. Auch der – an einigen Stellen zu freizügige – Umgang mit den Primärquellen mag für den Außenstehenden erfrischend sein. Es wäre aber manchmal besser gewesen, die Autorin hätte sich stärker mit grundlegenden und anerkannten Deutungen ­beschäftigt.

Man muss es Hilscher hoch ­anrechnen, dass sie sich nicht – um Sympathien von falscher Seite einzuheimsen – gedankenlos auf eine politisch korrekte Sicht der Dinge einlässt. Daher ist es etwas unver­ständlich, warum sie auf den letzten Seiten in ein One-World-Image abdriftet, und die – unter US-Muslimen isolierte Amina Wadud – als Vorbild beschreibt. Wäre, so möchte man die Autorin ­fragen, am Ende alles gleich wahr und jeder hätte ein bisschen Recht, gäbe es dann noch die Notwendigkeit, sich für den Islam zu begeistern?

Anja Hilscher kann aber den ­Zweifler versöhnen, wenn sie an Ibn Khaldun (der namentlich nicht in ihrem Buch vorkommt) anknüpfend, uns an das Auf und Ab der menschlichen Kulturen insgesamt erinnert: „Im Gegensatz zu dem Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der vor einiger Zeit in seinem gleichnamigen Buch den ‘Untergang der islamischen Welt’ vorhersagte, glaube ich dass weder der Islam als Religion, noch die islamische Welt zum Untergang verurteilt sind. Schließlich ist Allah der ‘Hervorbringer des Lebendigen aus dem ­Toten’!“

Details:
Anja Hilscher
Imageproblem
Das Bild vom bösen Islam und ­meine bunte muslimische Welt
Gütersloher Verlagshaus, 2012
ISBN: 978-3579065762
Preis: 14,99 Euro

Was ist mit Da’wa?

(iz). Zu den Nebenwirkungen der heutigen Entwicklung gehört es, dass lautstarke Randgruppen wesentliche Kernkonzepte des Islam in Misskredit bringen und ihre Benutzung unmöglich machen. Dazu zählten der Miss­brauch des „Khalifats“ durch Politsekten, des Tasawwuf durch Pseudo-Sufis sowie der „Scharia“, wenn gewalttätige Männer ihren Bestrafungswunsch auf Wehrlose – vorzugs­weise Frauen und Mädchen – loslassen.
Andere, die durch eine so genannte „Koranvertei­lung“ auf sich aufmerksam machten, ­berufen sich bereits in ihrem Namen auf die ersten, rechtgeleiteten Generationen, die Salaf. Aber eigentlich kann jeder Muslim für sich die Salaf beanspruchen, nicht nur ein kleine Gruppe vermeintlich „Reiner“.
Neben der – sicherlich unbeabsichtigten – Problematisierung des Qur’ans rückte die Da’wa (Einladung zum Islam) ins ­Blickfeld der Aufmerksamkeit. Gerade weil die Mitte, die Mehrheit der praktizierenden Muslime, bisher kein übermäßiges Interesse an der Einladung anderer zum Islam hatte, ­konnten sich hier Randgruppen profilieren. Was aber ist Da’wa? Manche betonen im inter-religiösen Dialog immer wieder, dass der Islam keine Mission kenne.
Aber er kennt durchaus die Einladung zum Islam. Nach Ansicht vieler ist sie eine indi­vi­duelle Verpflichtung (Fard ‘Ain) – entsprechend der Fähigkeit des Einzelnen. Im Qur’an und in der prophetischen Lebens­wei­se finden sich dafür viele Aussagen und Vorbilder.
Allah sagt im Qur’an: „Sprich: Das ist mein Weg: Ich rufe zu Allah aufgrund eines sichtbaren Hinweises, ich und diejenigen, die mir folgen. Preis sei Allah! Und ich gehöre nicht zu den Götzendienern.“ (Jusuf, 108) und „Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung, und streite mit ihnen in bester Weise.“ (An-Nahl, 125) „Weisheit“ in der Da’wa bedeutet, dass man weiß, wer vor einem steht und dasjenige sagt, was der Person und der Situation an­gemessen ist.
Erinnert sei an den Hinweis des Propheten, „die Sprache der Leute zu ­lernen“ und sich „zu kleiden wie sie“. Angemessen gekleidet zu sein bedeutet übrigens nicht zwingend, sich in ausländische Ge­wänder hüllen zu müssen.
Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn ­segnen und ihm Frieden geben, entsandte Mu’adh ibn Dschabal mit den folgenden Worten nach Jemen: „Lade die Menschen zur Bezeugung ein, dass niemand das Recht auf Anbetung hat, außer Allah und dass ich Allahs Gesandter bin. Wenn sie dir in dem folgen, lehre sie, dass Allah ihnen fünf Gebete an jedem Tag und in jeder Nacht [das heißt, binnen 24 Stunden] vorgeschrieben hat. Wenn sie dir darin folgen, lehre sie, dass Allah ihnen die Zahlung der Zakat von ihrem Vermögen zur Pflicht gemacht hat. Sie wird von ihren Wohlhabenden genommen und den Armen gegeben.“
Es gibt nichts nützlicheres für eine Person als dies. Durch ihn wird jede seiner Handlungen, die zuvor zurückgewiesen wurde, angenommen. Und vor ihm liegt eine Ewigkeit bei Allah und keine Ewigkeit im Feuer. Unser Din ist ein Geschenk, dass weitergegeben werden muss. Er ist kein ­Privatbesitz und gehört nicht nur Arabern, Pakistanern oder anderen. Allah sandte Seine Propheten mit dem Islam als Barmherzigkeit für alle Welten. Wären die Vorfahren gebürtiger Muslime nicht zum Islam eingeladen worden, dann würden diese heute weder beten, noch fasten.
Es gibt nichts Besseres als diese Beschäftigung. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Dass Allah eine Person durch euch zum Islam führt, ist besser als alles, über was die Sonne aufgegan­gen ist.“ Ibn Kathir interpretierte die Bedeutung: „Besser als all dies zu besitzen und es auf dem Wege Allahs auszugeben.“ Denn nichts in dieser Welt kommt dem gleich, was einer Person die Nächste Welt garantiert.
Als ob dies nicht genug wäre, sagte der Gesandte Allahs: „Wer eine Person zur Rechtleitung aufruft, erhält die Belohnung von jedem, der ihr folgt – ohne dass deren Belohnung in irgendeiner Weise weniger würde.“ Jedes Mal, wenn sie beten, fasten, von ihrem Besitz geben und sich an Allah erinnern, erhält man die gleiche Belohnung wie sie. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Aufgabe nur die Vermittlung ist. Die Rechtleitung liegt in den Händen Allahs. Selbst der Prophet konnte trotz allem seinen Onkel Abu Talib nicht zum Islam führen.
Jeder kann Muslim werden!
Muslime glauben an Allah und an Seine Engel, Seine Bücher, Seine Gesandten, an den Jüngsten Tag, die Vorherbestimmung, sei es im guten oder schlechten, und an die Wiederauferstehung nach dem Tode.
Der Prophet, Friede und Segen Allahs seien mit ihm, sagte: „Sagt mir, wenn einer von euch einen Fluss vor seiner Tür hätte und darin fünf mal jeden Tag badete, würde irgendwelcher Schmutz an ihm bleiben? Ihm wurde geantwortet: ‘Nein, kein Schmutz würde bleiben.’ Er fuhr fort: ‘Genauso ist es mit den fünf Gebeten. Durch sie löscht Allah alle falschen Taten aus.’“
Immer häufiger finden Europäer zum Islam – auch heute. Es ist immer wieder bewegend, anwesend zu sein, wenn ein Mensch den Islam annimmt und die Glaubensbezeugung, die Schahada, ausspricht. Auch wenn man dies schon häufiger erlebt hat, ist es immer wieder ein besonders erhebendes Gefühl.
Manchmal wird die Schahada im kleinen Kreis – vielleicht in der Wohnung be­freundeter Muslime – gesprochen, manchmal in einer Moschee. Als neuer Muslim ist man in einer solchen Situation und angesichts einer Entscheidung von einer solchen Tragweite in der Regel überwältigt. Dies setzt sich dann fort, wenn die anwesenden Muslime der Reihe nach dem neuen Mitglied gratulieren, es umarmen und herzlich willkommen heißen.
Im Grunde nimmt man ja keinen neuen Glauben an, zu dem man „konvertiert“, sondern erkennt lediglich die Wirklichkeit an, die man zuvor bedeckt oder verleugnet hat. Im Qur’an heißt es, dass Allah am Beginn der Schöpfung alle Seelen gefragt hat: „Bin Ich nicht euer Herr?“ Und sie antworteten: „Ja, wir bezeugen es.“ Damit wurde gewissermaßen ein Urvertrag geschlossen, der bis zum Ende der Zeit Bestand hat. Man kehrt also zu seinem Ursprung zurück, zum „Din Al-Fitra“.
Die Bestätigung ist einfach und beinhaltet die Akzeptanz der fünf Säulen des Islam, über die man zuvor aufgeklärt wird:
Schahada, zu bezeugen, dass es keine Gottheit außer Allah gibt und dass Muhammad der Gesandte Allahs ist.
Salat, die fünf verordneten täglichen Gebete im notwendigen Zustand der rituellen Reinheit zu verrichten.
Zakat, jährlich ein Vierzigstel des überschüssigen Reichtums zu bezahlen.
Saum, das Fasten, das heißt, sich während des Ramadans allen Essens, Trinkens und des Geschlechtsverkehrs von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang zu enthalten.
Hadsch, die Pilgerreise nach Mekka. Wenn es einem möglich ist, nach Mekka zum Hause Allahs zu reisen, um die überlieferten Riten der Hadsch auszuführen. (Samira Mair & Eigenquellen)

Europa: Die Menschenrechtsorganisation veröffentlicht Bericht über Diskriminierung von Muslimen. Von Sulaiman Wilms

(iz). Manche Organisationen und Einzelpersonen genießen so einen guten Ruf, dass ihre Wortmeldungen gehört werden. Dazu gehört auch die Menschenrechtsorgani­sation Amnesty International, die sich seit Jahrzehnten um die Rechte diskrimi­nierter Menschen bemüht. Umso genau­er sollten die europäischen ­Rechtsstaaten, die im Vergleich zu anderen eine gute Menschenrechtsbilanz haben, hinhören, wenn eine NGO wie Amnesty auf Diskrimierungen von Muslimen hinweist. Eine gute Nachricht gibt es aber für die deutschen Muslime: Im Vergleich zu anderen, ausgewählten EU-Staaten ­wurden der Bundesrepublik keine gesonderten Kapitel gewidmet.

In ihrem Bericht „Choice and Prejudice (Wahlfreiheit und Vorurteil)“ beklagt Amnesty in einem Ende April vorgestellten Bericht die „Diskriminierung von Muslimen in Europa“ und forderte gleichzeitig von der EU und ihren Mitgliedern einen verstärkten Einsatz dage­gen. „Vor allem am Arbeitsplatz oder in der Schule würden Muslime häufig benachteiligt und am Tragen religiöser Kleidung, wie beispielsweise Kopftüchern gehindert“, hieß es in dem am 24. April in Brüssel veröffentlichten Report der Menschenrechtsorganisation. Ein solches Verbot könne zum Ausschluss von muslimischen Mädchen von der Ausbil­dung führen.

Der Amnesty-Bericht befasst sich mit der Situation in Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und der Schweiz und dokumentiert Beispiele von Diskri­minierung aufgrund von Religion oder Glauben sowie den Einfluss auf das ­Leben von Muslimen. Demnach hätten Belgien, Frankreich und die ­Niederlande die Gesetze gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz noch immer nicht vollständig umgesetzt. „Anstatt, dass gegen ­solche Vorurteile gekämpft wird, schwimmen politische Parteien und öffentliche Vertreter zu oft mit dem Strom, um ­diese Stimmungen auf der Suche nach Wähler­stimmen auszunutzen“, sagte Marco Perolini, der bei Amnesty für Diskriminie­rung zuständig ist.

Namentlich das Tragen von religiösen und kulturellen Symbolen beziehungsweise Bekleidungen sei Teil der Meinungs- und Glaubensfreiheiten. „Und die Rechte stehen allen Glaubensüberzeugungen gleichermaßen zu“, so Perolini.

Neben der Diskriminierung von Indi­viduen beziehungsweise Gruppen steht der Bau von Orten der Anbetung im Blickpunkt des Amnesty-Berichts. „Das Recht zum Bau von Gebetsstätten ist ein Kernelement der Religions- und Glaubensfreiheit, die in einigen europäischen Staaten eingeschränkt wird – trotz der staatlichen Verpflichtung, sie zu schützen, zu respektieren und ihre Erfüllung zu ermöglichen.“

Lebensmittelspekulation ist ein Unding, und muss beendet werden. Kommentar von Khalil Breuern

(iz). In Deutschland gibt es viele Schreibtischhelden, die ganz gerne aus heutiger Sicht das Verhalten anderer unter den Verhältnissen der Diktatur moralisch ­beurteilen. Im Westen gilt derzeit gerne der bequeme Grundsatz, dass wir nur für ­unser politisches, aber nicht für unser ­ökonomisches Handeln Verantwortung übernehmen wollen. Heute, im Hier und Jetzt also, gibt es realen Grund zur Em­pörung. Die verbreitete Nahrungsspekulation kostet unter unseren Augen jeden Tag neue Opfer.

Man muss nicht gleich wie der Schweizer Autor Jean Ziegler von „organisiertem Mord“ sprechen, aber ein Skandal ist es doch. Nicht alle nehmen das schweigend hin. Mit einer Aktion vor dem Bundeskanzleramt unter dem Motto „Spekulation macht unbezahlbar – Mit Essen zockt man nicht!“ haben neulich einige Aktivistinnen und Aktivisten dagegen protestiert, wie Finanzinvestoren die Preise von Nahrungsmitteln beeinflussen. Leider waren keine muslimische Organisationen ­beteiligt, die Aktion fand „ohne uns“ statt, obwohl das islamische Wirtschaftsrecht Spekulationen mit Nahrungsmittel klar verbietet. Schade eigentlich, denn es wäre damit ein sinnvolles Thema gefunden, den Schulterschluss und die ­Gemeinsamkeiten mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu suchen.

Getragen wurde die ehrbare Aktion von Attac, Weed, Oxfam, dem Südwind-Ins­titut, Medico international und der Welthungerhilfe. Die Argumente der Organi­sationen sind erschlagend. „Terminmärkte für Nahrungsmittel haben sich in den ­letzten Jahren zunehmend zum Spielfeld für Finanzinvestoren entwickelt“, beklagte beispielsweise Jutta Sundermann von Attac. „Die Folgen der Spekulation ­treffen vor allem die Ärmsten: Während der spekulativen Hochphasen wird Nahrung für Millionen Menschen unbezahlbar.“

Auf einer Leinwand zeigten die Aktivis­ten die Lebensmittel-Preiskurve der ­letzten Jahre. Im letzten Teil war diese Kurve jedoch beweglich montiert und wurde von einem „Banker“ immer wieder nach oben gezogen. Das Bündnis forderte die ­Politik auf, preistreibende Spekulation mit Nahrungsmitteln zu stoppen. Gelegenheit dazu bietet die laufende Reform der europä­ischen Richtlinie über Märkte für Finanz­instrumente (MiFID). Im Finanzausschuss des Europäischen Parlaments kämpft der Abgeordnete Markus Ferber (CSU) für Veränderung und tritt unter anderem für Handelsgrenzen („Positionslimits“) für Spekulanten ein. „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ferber muss sich auch in den weiteren Verhandlungen für diese Verschärfung des Gesetzes einsetzen“, forderte Markus Henn von Weed.

"IZ-Begegnung" mit dem Schriftsteller Feridun Zaimoglu

(iz). Dem Dichter – wie dem gesamten Berufszweig der „Intellektuellen“, wird im Feuilleton und auf Festveranstaltungen gerne ein gewisser Respekt erwiesen. Oft genug verharren viele, nicht alle, in diesem Bannkreis, oder nehmen als sprachliche Kunsthandwerker am allgemeinen Spektakel teil. Wollen sie mit relevanten Beiträgen an Debatten teilnehmen, bleiben sie – jenseits des Feuilletons – zu oft unge­hört oder, wie der Fall Grass belegt, werden von der Herde niedergebrüllt und schnell in ihre Reihen zurückgedrängt.

Zu den, existierenden, Ausnahmen gehört der deutsche Schriftsteller, Publizist und Drehbuch­autor Feridun Zaimoglu, der sich neben seiner künstlerischen Tätigkeit auch an verschiedenen Debatten zu den Themen Islam und Integration beteiligt. Der Kieler (geb. 1964) war auch anfänglich Teilnehmer der Deutschen Islamkonferenz, die er aber 2007 wieder verließ. Aus Protest, dass keine selbstbewussten Muslimas mit Kopftuch eingeladen wurden.

Feridun Zaimoglu, der auch unter jungen Muslimen seine Leser findet, lässt sich nicht auf ein Genre oder auf ein bestimmtes Image festlegen. Schon gar nicht auf das Ökotop einer wie auch immer gearteten „Migrantenliteratur“. Mit dem aktuellen Titel „Ruß“ hat er einen „Heimatroman“ geliefert, der in der – eigentlich untergegangene – Welt des Ruhrgebiets spielt. Mit ihm sprachen wir unter anderem über den Fall Grass, die Möglichkeiten des Dichters und den Islam in Deutschland.

Islamische Zeitung: Lieber Feridun Zaimoglu, man hat den Eindruck, dass in den letzten Jahren das Wirken der Dichter ins folgenlose Feuilleton oder in die kunsthandwerkliche Behübschung herrschender Verhältnisse abgeschoben wurde. Scheinbar plötzlich debattierte Deutschland tagelang über ein Gedicht – lassen wir dessen sprachlichen Gehalt einmal beiseite – von Günter Grass zur Kriegsgefahr im Nahen Osten. Hat sie das überrascht?

Feridun Zaimoglu: Mit Grass verfährt man, als hätte er sich des heimlichen ­Kackens im Weingarten des Herrn schuldig gemacht. Die Freaks der Aufklärung sahen in Sarazin einen ehrenwerten Mann mit kleinen Macken. Die selben Leuten hacken heute auf Günter Grass ein. Er hat die Konservativen geärgert, das verzeihen sie ihm nicht. Einige gute Leute aus dem Kulturjournal machen mit – weshalb? Grass’ Text ist eine einwandfreie politische Analyse. Die blinden Parteigänger mögen noch so laut jodeln: Günter Grass tat Wahrheit kund.

Islamische Zeitung: Früher waren Dichter Künder des Überzeitlichen und sollten Wahrheit sprechen? Lässt sich heute – nach Jahrzehnten Postmoderne, Dekonstruktivismus und Popkultur – damit überhaupt noch etwas anfangen?

Feridun Zaimoglu: Die Party ist vorbei, die Kasper sammeln die letzten Pappbecher ein. Es hieß: Lasst uns so schön ausgebeutet Lieder singen. Es hieß: Der Bekenner ist nur ein schlechter Tänzer. Es hieß: Däumchendrehen und Faseln macht uns munter. Es hieß: Gut und Böse – was schert uns das? Und heute? Geschwätz, Geflüster und Gerüchte. Aber auch: Zerpflückt die Armen. Kapitalverkehr von unten nach oben. Die Rechten schwätzen von Denkverboten, immer dann, wenn sie den Menschen das Denken verbieten wollen. Alles Lügen hilft nichts – der Kapitalismus frisst alle Kinder.

Islamische Zeitung: Ihr Buch „Ruß“ hat einer unserer Autoren im letzten Juli als „einen deutschen Roman“ ­bezeichnet. Ist es für Schriftsteller schwierig geworden, sich unverstellt und verständlich mit ihren Umfeld auseinanderzusetzen?

Feridun Zaimoglu: Hierzulande galt es als schick, Schischi-Schreiber aus Amerika oder Frankreich voll toll zu finden. Es wurden aber auch Pflänzchen aus den Literaturinstituten gelobt. Deutsch war unfein und deutsche Welt ­unwelthaltig. Das hat sich, nur ein bisschen, geändert. Nun will man, nun wollen die Experten, besser hinsehen.

Man man sich ja über mich lustig: Der Mameluck macht auf überdeutsch. Ist mir egal. Ich sehe, dass es vor meiner Haustür keimt und gärt. Blöde wär’s, nicht darüber zu schreiben. Gott sei Dank, die öden Büchlein von Frolleins und Knäbchen sind aus der Mode gekommen. Es sind nicht wenige Kollegin­nen und Kollegen bereit, deutsche Geschichten zu schreiben. Man achte auf die Dichtkunst aus dem Osten. Gute Dichter rücken an, und man wird sie nicht mit den üblichen ­Schaufenster-Ossis verwechseln können.

Islamische Zeitung: Neben – oder begleitend? – zu ihrer schriftstellerischen Arbeit haben sie sich seit Jahren in verschiedene „Integrations-“ und „Islamdebatten“ eingeschaltet. Gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, dass mit den meisten Beiträgen nicht die Klarheit, sondern nur die Unüber­sichtlichkeit zunimmt. Haben sie die Hoffnung, hier einen Unterschied zu machen?

Feridun Zaimoglu: Man ruft mich an und bittet mich um meine Meinung. Man sitzt bei mir auf dem Sofa und drückt auf die Aufnahmetaste des Dikta­fons. Und manchmal melde ich mich als Salonfrontsau zu Wort. Ich bin ehrlich: Ich glaube nicht, dass ich mit wirklich klaren Beiträgen zum Thema glänze. Ich gelobe Besserung.

Islamische Zeitung: Ein deutscher Philosoph hat gesagt: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämt­heit, wenn sie ‘ich’ sagen.“ Gehen ihnen die vielen Identitätsdebatten nicht auf die Nerven?

Feridun Zaimoglu: Sie sagen es. Ich hör’ schon nicht mehr hin. Vor anderthalb Jahren habe ich aufgehört, Zeitungen zu kaufen. Der mündige und interes­sierte Bürger – was ein Schwindel. Frühstückszeitungen im Hotel lese ich dann doch. Um festzustellen, dass sich nichts geändert hat. Zur Ichverortung neigen vornehmlich Menschen, die im Leben sonst nichts vorhaben. Identität? Albern.

Islamische Zeitung: Lieber Feridun Zaimoglu, sie haben sich, beispielsweise in einem Beitrag für die „Zeit“ und in einer Interviewreihe mit den „Deutsch-Türkischen Nachrichten“, zu Wort gemeldet. Und zwar mit ­einer gehörigen Portion Wut. Braucht es diese Wut, um sich einen Weg zu den Herzen und zum Verstand der Menschen durchzuhämmern?

Feridun Zaimoglu: Was war noch einmal das Modewort der letzten Saison? Wutbürger. Was hat’s gebracht. Was bin ich? Schreibender Wutbürger. Schön ist es, sich nicht zu verheben. Ich rumpele in der Kiste, ein paar Freunde rufen an, und sagen: Guter Rappel, toll. Eigentlich liebe ich Zimmerlautstärke – ausgerechnet ich, den man auch gerne mal als altdeutschen Krakeeler bezeichnet. Ja, ich tobe. Ja, ich lange zu. Aber wenn ich schreibe, tauche ich ab und halte den Mund. Dann fühle ich mich am wohlsten. Das Reden über Missstände zermürbt. Trotzdem: Man sollte schon dann und wann die Lügner anbrüllen.

Islamische Zeitung: Sie nahmen an den ersten Runden der Deutschen Islamkonferenz teil. Können sie heute, nach mehreren Jahren und Mutationen dieser Gesprächseinrichtung, noch etwas damit anfangen? Wenn nein, sehen sie Alternativen?

Feridun Zaimoglu: Am Anfang stand die gute Idee: Die Moslems gehören zu Deutschland. Ich gehörte zu einem bunt zusammen gewürfelten Haufen aus Hauptberuflichen und Privatinteressierten. Es wurden viele Gruppenfotos geschossen. Das Ding implodierte. Der Stifter der Konferenz wanderte in ein ande­res Ressort, die folgenden Minister sprachen weise Worte oder blödes Zeug. Heute schart man sich um eine Leiche, ringt die Hände. Die Leiche stinkt, man sollte sie begraben. Alternativen? Neue Moslem-Welle? Bund der aus der Konferenz Vertriebenen? Liberale für mehr Beinfreiheit? Nein. Junger Deutscher Islam. Ja.

Islamische Zeitung: Ein nicht unerheblicher Anteil der muslimischen Jugend hat höchstwahrscheinlich nur einen sehr begrenzten Zugang zur Sprachwelt und zur Literatur Deutschlands, aber auch der Kultur ihrer Eltern. Haben sie die Hoffnung – wenn sie das denn wollen – diese neuen Generationen zu erreichen?

Feridun Zaimoglu: Die meisten Deutschstämmigen haben keinen Bezug zu Literatur. Ich mache ja nur ein Angebot. Es fällt aber auch, dass zu meinen Lesungen immer mehr Muslime kommen. Sie erleben einen Berserker auf der Bühne. Manchen gefällt’s, andere rümpfen ob meiner Stubenbarbarei die Nase. In der Arbeiterklasse hält man halt die Kultur für recht verzichtbar. Auf die Techniken der Verfeinerung pfeift man. Sehr schade.

Islamische Zeitung: Was ist ihr Verhältnis zu den – vermeintlichen – sozialen Netzwerken und deren Folgen für unsere Kommunikation? Haben sie eine Bedeutung für ihren Alltag?

Feridun Zaimoglu: Verstehe die Frage nicht wirklich. Halt, doch mir dämmert’s. Bin Einzelgänger und ­Einzeltäter. Bin gern unter Menschen, setze mich aber auch gerne ab. Die meiste Zeit des ­Tages sitze ich alleine zu Haue, oder im Zug, oder im Hotelzimmer. Und brüte: über eine Geschichte, über den nächsten Roman, über das nächste Projekt. Und danke am Ende des Tages dem ­Allmächtigen, dass er mich geschützt hat.

Islamische Zeitung: Lieber Feridun Zaimoglu, wie sehen sie den Zustand der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland und was sollte ­geschehen, um ihn zu transformieren?

Feridun Zaimoglu: Alles ist in Auflö­sung. Schön. Alles ist im Entstehen. Noch besser. Das Ziel: Weg von der Tradition, vom Altvaterglauben. Hin zur Menschenliebe. Wer andere Menschen demütigt, ist ein Schwein. Ein Schwein muss man befehden. Das Heilige ist uns überliefert – daran festhalten. Und in den Gärten der reichen Säcke heimlich kacken – darauf nicht verzichten.

Islamische Zeitung: Lieber Feridun Zaimoglu, wir danken Ihnen für das Gespräch.

„Zu Lasten der Mehrheit“

(iz). Innerhalb der islamischen Gemein­schaft hat das Internet zu einer neuen Gesprächskultur geführt. Jeder – ob Gelehrter oder nicht, ob kompetent oder unwissend – kann sich an den Diskussionen über islamische Themen betei­ligen. Wenn auch an manchen Stellen die Qualität dieser Debatten etwas zu wünschen übrig lässt, ist es nicht schlecht, dass Muslime sich auch auf diesem Weg mit dem innerislamischen Streit ausein­andersetzen. Es ist nicht einmal neu, zeichnet den Islam doch jahrhundertelang eine Kultur des niveauvollen ­Streites über Glaubensinhalte aus, wenn auch natürlich auf Grundlage einer ­gemeinsamen Basis; dem gemeinsamen Festhalten an den wichtigsten Regeln der Glaubenspra­xis, den Ibadat und den Muamalat. Im Medienzeitalter sollte man als Beo­bachter oder Teilnehmer nie ganz verges­sen, dass ein virtuelles Bild nicht vollkom­men dem realen Bild eines Phänomens entspricht. Die berühmte Verwandlung der Mücke in den Elefanten gehört ebenfalls zu den gewohnten Spielarten ­neuer Medien. Ganze Gruppen über einen Kamm zu scheren oder gar Muslime zu beleidigen – bis hin zur Unsitte, sich zum Richter des Glaubens anderer Muslime aufzuschwingen -, sollte zumindest zwischen uns Muslimen sowieso verpönt sein.

In diesem Sinne beteiligt sich auch die Islamische Zeitung immer wieder aktiv an den Schlüsseldebatten unserer Zeit. Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass keine Politik dieses Jahrhunderts ohne die Bezugnahme zu ökonomischen Fragestellungen verstanden werden kann. Überraschenderweise gilt dies auch für das große Thema der letzten Wochen: den salafitischen Wahabismus. Genug Geld hatte diese Gruppe immer. Über Jahrzehnte hindurch gab es die ­Ideologie nur als „Exportschlager“. In ihrem Ursprungsland selbst, in Saudi-Arabien, gelang es dem Königshaus lange, die Aggression dieser Gruppe mit Hilfe zahlrei­cher Petrodollars nach außen zu lenken. Die ursprüngliche logistische Zusammenarbeit der Dschihadisten mit den Amerikanern in Afghanistan ist hinläng­lich bekannt.

Aus ökonomischen Gründen – mit anderen Worten, aus Rücksicht gegenüber dem Wirtschaftspartner Saudi-Arabien – hatte der deutsche Verfassungsschutz diese Gruppierungen bis in das Jahr 2001 nicht erwähnt. Der radikale Arm der ­salafitischen Strömung, der so ­genannte „islamische Terrorismus“, hat mit seinen abscheulichen Verbrechen und seiner Idee eines „Ausnahmerechts“ bis heute nicht etwa dem Islam gedient, sondern die Vorlage für Vergeltung, aber auch für Krieg, Terror und Propaganda gegen Mus­lime geliefert. „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder der uns bekannten ­Terroristen war irgendwann einmal in salafitischen Zusammenhängen unterwegs“, wurde Verfassungsschutz-Chef Fromm im letzten Sommer zitiert. Diese alarmierende Aussage ist keine Polemik, sie stimmt und muss von Muslimen nachdenklich reflektiert werden. Schon im Interesse unser teilweise halbgebildeten Jugend sollte man – mit allen zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Kräften – den radikalen Flügel des Salafismus schlicht ausgrenzen und auch bei entsprechender Möglichkeit auffordern, unser Land zu verlassen.

Im Interesse der ausgewogenen Beurteilung des Phänomens Salafismus gehört auch ein anderes Kapitel im vielschichtig gewordenen Verhältnis von Staat und Muslimen. Die Ulmer Urgemeinschaft des radikalen Salafismus in Deutschland wäre vermutlich nicht ohne Mithilfe eines dubiosen Chefpropagandisten, der gleichzeitig V-Mann des baden-württem­bergischen Verfassungsschutz war, entstanden. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt und der „Hassprediger“ steht auf keiner Fahndungsliste. Zweifelsohne gibt es praktisch keine Terrorgruppe in Eu­ro­pa, die nicht nachweislich auch von V-Leuten aktiv unterwandert war. Ohne etwas unterstellen zu wollen: Aber auch hier sollte sich die zu Recht besorgte Öffentlichkeit nicht einschläfern lassen.

Warum fällt es eigentlich manchen Muslimen schwer, gegen „salafitische Gruppierungen“ geistig mobil zu machen? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zunächst einmal verbindet alle Muslime die Liebe zum Propheten und zu den ersten muslimischen Generationen. Da sich der Salafismus „exclusiv“ auf sein Verhältnis zum Ursprung beruft, fällt es hier vielen Muslimen schwer, angemes­sen zu reagieren. Nur wenige Muslime verstehen den schleichenden Übergang von einem lebendigen Einheitsglauben – gemäßigt durch das praktische Beispiel des Propheten und den ‘Amal von Medina – hin zu einer modernen, abstrahierenden Ideologie, die den Salafismus heute auch ausmacht.

Nur langsam werden an sich ­wichtige, aufklärende Bücher – wie Abdelwahab Meddebs „Die Krankheit des Islam“ – oder viele Texte in der Islamischen Zeitung über die Widersprüche „islamischer Ideologie“ wahrgenommen. Der Aufsatz „Jenseits von Eden“ des Islamwissenschaftlers Muhammad Sameer Murtaza auf islam.de zeigt die Verflechtungen des Wahabismus beziehungsweise Salafismus und erklärt seine – Muslimen oft nicht bekannte – historische Entstehungsgeschichte. Die Wandlung der positiven Lebensenergie der Muslime zu einem modernen Geist – der stets verneint und die neue Welt mit seinem Glauben nicht etwa aufbauen, sondern zum Einsturz bringen will – beschreiben diese Autoren durchaus treffend.

Allerdings erschwert eine ­schleichende Politisierung des Diskurses die objektiv notwendige Kenntnisnahme von Fakten. Der beliebte Gegensatz zwischen rückwärtsgewandtem Salafismus und moder­nem Liberalismus kann Muslimen den fatalen Eindruck vermitteln, als würde eine konsequente Abrechnung mit dem Salafismus und seinem Anspruch auf eine Nähe zu den Quellen in der Praxis aus dem Islam herausführen. Die Verknüpfung der notwendigen Zurückweisung des (wahabitischen) Salafismus. allerdings nach Maßgabe einer teilweisen Aufgabe der ganzheitlichen Glaubenspraxis, die bei manchem Kritiker ebenfalls mitschwingt, wäre für die innerislamische Debatte fatal.

An dieser Stelle muss man kritisch hinzufügen, dass ein Grund für die ­mediale Herrschaft der Extreme und das unverhältnismäßige Gewicht von Kleingruppen in der Schwäche der Mitte zu finden ist. Der (angeblich) organisierte Islam in Deutschland, die Verbände und Moscheegemeinden haben zwar agile Funktionäre, aber bisher kaum glaubwürdige Gelehrte in der Öffentlichkeit etabliert. Ein Grund warum die, durchaus vorhandenen Lehrer bisher von der Bürokratie eher versteckt wurden, ist evident. Eine aktive, selbstbewusste islami­sche Lehre würde zwar den Extremismus zurückdrängen, könnte aber kaum bestätigen, dass die Zakat unnötig geworden ist, dass die ethnische Einteilung von Muslimen authentisch sei oder es besser wäre, GmbH’s als Stiftungen zu fördern. Im Ergebnis überlässt der organisierte ­Islam bisher das Internet den zahlreichen Laienprediger oder fördert verhalten eine vom Alltag abgehobene „Theologie“ an den Universitäten.

Fakt ist, der KRM – als mögliche Inte­ressenvertretung der verschiedenen muslimische Strömungen in Deutschland – ist seit Jahren gelähmt und bisher nicht in der Lage gewesen, ein aktives Programm – von und für Muslime – in der Öffentlichkeit zu etablieren. Die fehlende Präsenz in der Hauptstadt spricht hier Bände. Extreme Gruppen berufen sich daher immer wieder auf die Passivität und angebliche Gleichgültigkeit der muslimischen Mehrheit. Es wird Zeit, dass wir Muslime der Mitte unsere Außenwir­kung wieder gemeinsam – und vor ­allem stärker – selbst bestimmen.

Sorgen macht die augenscheinliche Ins­trumentalisierung des islamischen Extremismus durch einige Konservativen. Leider bekommt diese Denkrichtung ­immer wieder ideale Vorlagen. Ein Para­debeispiel sind die spektakulären Aktio­nen des Hartz-IV-Empfängers Ibrahim Abou-Nagie, der die Deutschen flugs mit der Massenverteilung einer Qur’anübersetzung vom Unglauben bekehren ­wollte, aber in seiner eigenen, nun leider öffent­lichen Existenz voller Widersprüche lebt. Im Jahr 2010, so berichtet er stolz auf Youtube, sei er schon vom Verfassungsschutz angesprochen worden, der – wie er schmunzelnd berichtet – seine polemi­sche Wortwahl nicht so gut fand. Niemand weiß, was aus diesen Kontakten wurde.

Für manche Konservative, die sehr häufig keine halbwegs niveauvollen Muslime persönlich kennen, werden diese vorgeschobenen Akteure zum Symbol des Islam in Deutschland an sich. Bedenklich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit agiert gelegentlich auch der ­christsoziale Bundesinnenminister Friedrich, der gerade zugeben musste, dass sein Ministerium bei der Veröffentlichung einer ­Jugendstudie ausgerechnet die „Bildzeitung“ als bevorzugten Medienpartner wählte. Friedrich hatte dann in der BILD die Studie einseitig – und unter Protest ihrer Autoren – als Indiz für das angeblich wachsende Gefahrenpotential muslimischer Jugendlicher bewertet. Viele Muslime rätseln schon länger über die Strategie des Ministers und bemängeln die Kultivierung der Gegensätze.

Geht es am Ende doch nur um die Förderung genehmer Muslime oder gar um eine mittelfristige „Verstaatlichung“ oder Bevormundung der künftigen muslimischen Vertretungen? „Der medienwirksa­me Aufschwung der kleinen Gruppe der Extremisten schafft die Voraussetzungen für die uns alle überragende Dialektik“, schrieb Khalil Breuer auf der IZ-Webseite über die Lage. ”Auf der einen ­Seite die vielbesungen Salafiten, auf der ande­ren Seite ein staatstragender, ­liberaler ­Islam, der trotz seiner Bedeutungslosigkeit zum entscheidenden ­Vertragspartner mutiert.“

Die Hype um den Salafismus – nur wenige Tage vor der Islamkonferenz entfacht – kommt tatsächlich denen ­gelegen, die im Islam in Deutschland vor allem ein langfristiges Sicherheitsproblem ­sehen wollen. Die hierarchisch verfasste Konferenz wirkt zunehmend als präventive Polizeiarbeit und richtet darüber hinaus weiteren Flurschaden an. Immer mehr „normale“ Muslime sehen in der Islamkonferenz und der andauernden Assozi­ierung der Muslime mit Gewalt vielmehr eine dauerhafte Beschädigung ihres Images.

Ein Mittelweg und die Stärkung der Mitte, wo sich die praktizierenden und maßvollen Muslime sehen, sieht ­wahrlich anders aus. Überfällig wäre die endgülti­ge und thematische Loslösung der Konferenz vom Innenministerium. Die notwendige Zusammenarbeit der Muslime mit dem Staat gegen den Extremismus könnte dort mit weniger Getöse fortgeführt werden. Die Debatte weiterhin auf Sicherheitsaspekte zu reduzieren, ist schädlich. Es richtet sich schlussendlich gegen die Interessen der Bundesrepublik, dass noch immer Millionen von potenti­ellen Bürgern mit Gewalt und Extremis­mus assoziiert werden.

Hintergrund: Halal-Wirtschaft diskutierte auf dem World Halal Forum die Zukunft Von Malik Özkan

(iz). Der globale Halal-Markt ist nach wie vor ein dynamischer Wachstumsmarkt. Zahlreiche muslimische und nicht-muslimische Anbieter bieten unter anderem Lebensmittel, Dienstleistungen und Finanzprodukte an und streiten um die Gunst von Millio­nen muslimischer Konsumenten. Etwa 60 Prozent der muslimischen Bevölkerung der Welt ist unter 30 Jahre alt.

„Es geht uns dieses Jahr in erster ­Linie um unsere Konsumenten“, stellte Orga­nisatorin Jumaatun Azmi schon zu Beginn des World Halal Forums in Kuala Lumpur Anfang April klar. Das vielbeachtete Forum wird von der malaysischen Regierung gefördert. Im Kongresszentrum trafen so 600 Teilnehmer und 30 Redner aus aller Welt unter dem Motto „Innovation und Inspiration“ zusammen. In den verschiedenen Foren trafen islami­sche Gelehrte auf Geschäftsleute und Akademiker auf Konsumenten.

Die dynamische Geschäftsfrau Azmi hat mit ihrer Mediengruppe Kasehdia das Forum auf den Weg gebracht und zur wohl wichtigsten Kontaktbörse von Halal-Anbieter und Konsumenten ausge­baut. „Wir wollen nicht nur die industriellen Anbieter stark machen, sondern auch die muslimischen Konsumenten“, stellt sie ihre Motivation klar. Im ­Umfeld des Forums besteht durchaus die Sorge, dass die Halal-Industrie von mächtigen, nichtmuslimischen Produzenten beherrscht werden könnte. Am Rande des Treffens wurde bekannt, dass das WHF eventuell seinen Standort wechselt und in die Türkei übersiedelt.

Auch dieses Jahr widmete sich die Konferenz den üblichen Themen zwischen den bekannten Halal-Angeboten, den Interessen der Industrie, aber auch dem Verbraucher- und Konsumentenschutz. Vorgestellt wurden auch neue Halal-Projekte im wachsenden Markt der ­sozialen Medien. Das Internet ist als Kontaktbörse und als virtueller Marktplatz längst auch in der islamischen Welt eine ­Zukunftsbranche.

Natürlich ging es auch um die klassischen Fragen der Lebensmittelindustrie. Ganz oben auf der Tagesordnung stand aber 2012 auch der Tierschutz. Es gibt einen starken Trend hin zu „Bio & Halal“. Alle Teilnehmer erklärten den Tierschutz und eine tiergerechte Haltung zu einer Priorität von Anbietern und Verbrauchern. Viele Probleme entstünden für die islamische Rechtslehre durch die industrielle Produktion von Lebensmitteln. Es genügt nicht nur die Tiere nach islamischen Regeln zu schlachten, sondern sie müssen auch tiergerecht gehalten und versorgt werden. Die Zertifizie­renden im Bereich der Tierhaltung werden daher zunehmend strenger und professioneller gehandhabt. Hier gibt es in der islamischen Welt aber auch noch einigen Nachholbedarf.

In einem weiteren Panel erklärte Rechtsanwalt Abu Bakr Rieger zunächst die rechtlichen Probleme einer globalen Zertifizierung und warnte gleichzeitig vor einer Überregulierung. „Schon jetzt ist es nicht einfach für den Verbraucher, die verschiedenen Halal-Marken und Standards zu verstehen“, bemerkte er. Außerdem befürchten manche Muslime, dass durch globale Halal-Standards kleinere Anbieter aus dem Markt gedrängt werden könnten. Die Aussicht auf einen einheitlichen Standard stuften die Podi­umsteilnehmer dann auch eher pessimis­tisch ein. Bisher hätten überhaupt nur 10 Länder der 57 OIC-Staaten ­spezielle schriftliche Regeln für den Halal-Markt ausgearbeitet. Das Kernproblem ­globaler Standards brachte Rieger auf den Punkt: „Recht braucht Autorität.“ Um diese Autorität in Sachen Halal streiten im Moment verschiedene islamische Länder.

Vielbeachtet waren auf dem WHF auch die Podien rund um die verschiedenen Finanzprodukte. Im dritten ging es dabei um Grundsätzliches. Zum ­ersten Mal diskutierte das WHF den wachsenden Goldmarkt und die erfolgreiche Einführung von „Halal Money“ in einigen asiatischen Regionen. Der „Golddinar“ und der „Silberdirham“ werden inzwischen von diversen Anbietern – private und öffentliche“ wieder auf dem Geldmarkt in ganz Asien angeboten. Über Jahrhunderte handelten Muslime mit den bekannten Gold- und Silbergewich­ten. Heute gibt es in Malaysia ­zusätzliche moderne Bezahlsysteme – natürlich ohne Zins und auf Grundlage der alten Einheiten. „Islamic Banking” dagegen wird als Kopie einer un-islami­schen Technik auf Grundlage spekulativen Geldes abgelehnt. Eine der bekann­testen Initiativen war bisher der Kelantan Gold Dinar, die in dem malysischen Bundesstaat offiziell eingeführt wurde und unter der Leitung des spanischen Muslims Umar Ibrahim Vadillo für viel Aufsehen sorgt.

Hierbei geht es den Initiatoren nicht nur um Geld, sondern auch um ein Netzwerk islamischer Märkte, Verträge und die Stärkung des internationalen Handels. Dr Ahmet Mydin Meera von der Islamische Universität Kuala Lumpur ordnete die Bedeutung dieser Geldreformen als sinnvoll ein. „Wir in Malaysia wissen, dass die Finanz­krise dauerhaft sein wird. Ein Zusammenbruch des Geldsystems auf Grundlage von Papier ist rational unausweichlich“, stellte der Volkswirt fest.

NRW-Wahlen: Kann es ein konstruktives Verhältnis von Piraten zu potenziellen, muslimischen Wählern geben?

(iz). Irgendwie sind die Piraten ja knuffig. Manche finden das scheinbar unorganisierte, kreative Chaos der neuen, rapide anwachsenden Partei faszinierend, wenn nicht gar süß. Der Wille zur Macht ist offenkundig. ­Immerhin ist ihre Motto ja auch „Klar machen zum Entern!“. Die Piraten wollten sich, so der mittlerweile über einen NSDAP-Vergleich gestrauchelte Pirat Delius, in Richtung Regierung bewegen.

Treffen die Neopolitiker auf Realpolitik, wird sich erweisen, ob sie alles neu machen, oder ob sie Fakten zur Übernahme von Kompromissen zwingt. Der erste Test sind die für den Mai angesetzten Neuwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Insbesondere hier gibt es aktuelle Entscheidungen in Sachen Integration und Islam – wie den Islamischen Religionsunterricht. Sollten die Piraten hier auf eine Entscheidungsfindung durch das ungeordnete, wabernde Inter­net setzen, stellen sich sicherlich viele Muslime die Frage, was ihre Positionen sein werden.

Politikinteressierte Muslime, die in der Vergangenheit mehrheitlich Rot-Grün die Treue hielten, werden sich die rapide wachsende Partei genau anschauen. Noch ist unklar, wie sich diese Partei in dem Politikfeld „Islam“ positionieren will. Dies macht eine Wahlentscheidung von Seiten muslimischer Wähler in NRW auch nicht nicht leichter für Muslime. Bei Grünen, der SPD und der CDU sind die grundsätzliche Punkte bekannt. So unterstützten alle drei den wegweisenden Beschluss zur Einführung des IRU. Hier werden auch die Piraten Stellung beziehen müssen, wollen sie die Wahlberechtigten unter den rund 1,3 Millionen NRW-Muslimen ansprechen.

Ein Interview der Katholischen Nachrichtenagentur vom 25. April mit den NRW-Spitzenkandidaten der Pira­ten in dem Bundesland, Joachim Paul, muss auf jeden Fall skeptisch stimmen, ob diese Partei die richtige für Muslime sein wird. Dank der medialen Debatte um „anti-semitische, anti-muslimische oder NS-relativierende Äußerungen an der Piraten-Basis“ (wie die „Zeit“ berichtete) besteht hier Klärungsbedarf. Dieser lässt sich auch nicht damit entkräftigen, dass ­Parteiaktivisten noch „unerfahren“ oder gar „überfordert“ seien.

Joachim Paul sieht im Gesellschaftsbild seiner Partei „schon eine ­kulturelle Barriere auch zum nichtextremistischen traditionellen Islam“. Dass der Spitzen-Pirat in NRW die „Kultur“ bemühen muss, zeigt, dass die ansonsten hippen Piraten noch nicht auf der Höhe der Debatte angekommensind. Was übrigens ein „nichtextremistischer traditio­neller Islam“ sein soll, hat Paul nicht gesagt. „Viele in der Partei sind bereit, gegenüber einem rückwärtsgewandten Islam ganz klare Kante zu zeigen“, meint der NRW-Oberpirat. (M. Khan)

Aktueler Lesetipp (Link zu einem ZEIT-Artikel vom 26.4.2012:
Ein WLAN-Anschluss macht noch keinen Demokraten

Zu den Hintergründen einer Kampagne: Geteilte Meinungen über neue Behauptungen. Von Khalil Breuer

(iz). Eigentlich ging die „Bombe“ schon am 14. April hoch: Die „Stuttgarter Nachrichten“ berichteten, dass der Initiator der so genannten „Lies-Aktion“, Ibrahim Abou-Nagie, Hartz-IV-Empfänger sei. Diese Informationen hatte die Stuttgarter Journalisten damals – nach ihren eigenen Aussagen – aus vorliegenden Unterlagen des NRW-Verfassungschutz. Außerdem, so wird behauptet, habe Abou-Nagie, zur Verwunderung der Ermittler – und ohne weitere Konsequenzen – hohe Telefonrechnungen produziert und fahre zudem ein drittfinanziertes, teures Auto. Ob dies alles so stimmt, wurde bisher nicht von der Behörde bestätigt.

Heute legt die „BILD“ nach und berichtet mit großen Buchstaben über die Hinweise der „Stuttgarter Zeitung“. Das Boulevardblatt wirft dem „Prediger” auf Seite 1 – neben seinem bekanntem Gerede – vor, auch den deutschen Staat auszubeuten.

Der Bericht gibt damit eine weitere Vorlage für ein nachhaltiges Ressentiment gegen Muslime. Nicht nur in unserer Facebook-Community wird das merkwürdige Zusammenspiel zwischen Massenmedien und Kleingruppen – zu Lasten einiger Millionen Muslime im Lande – mit einigem Argwohn verfolgt.

In der muslimischen Community hat im Internet eine breite Debatte über den Fall begonnen. Grundsätzlich wird dabei immer wieder zu Recht erinnert, dass die kleine Gruppierung der „Salafiten“ nicht nur facettenreich, sondern auch in sich selbst zerstritten ist.

Die Meinungen im konkreten Fall sind gespalten. Zwar wird gewarnt, andere Muslime mit noch unbewiesenen Behauptungen zu schaden. Üble Nachrede ist immerhin ein schweres Delikt im Islam. Andererseits, so die zweite Meinung, ist aber das auf Öffentlichkeit ausgerichtete Politikum „Salafismus“ so schädlich für die Muslime, dass auch eine kritische, innerislamische Debatte über alle Fakten erlaubt sein muss. „Sozialhilfe kassieren und den Staat attackieren“, empfindet eine große Mehrheit natürlich als inakzeptabel. Gerade auch, weil die genannte Gruppe sehr schnell anderen Muslimen „Heuchelei“ vorwirft. Sollten die Vorwürfe gegen Abou-Nagie nicht stimmen, wäre natürlich eine Gegendarstellung des in die Schlagzeiten geratenen Muslim fällig.

Nicht nur das: Es gibt auch Misstrauen. So hat Abou-Nagie in einem YouTube-Video aus dem Jahr 2010 selbst eingeräumt, dass er vom Verfassungsschutz – angeblich wegen seiner Wortwahl – angesprochen und sogar „eingeladen“ worden sei. Was aus diesen Kontakten genau wurde, ist bisher von beiden Seiten nicht bekannt und wird zum Gegenstand kritischer Nachfragen.

„Wir brauchen Alternativen!“ Ein Kommentar von Khalil Breuer

(iz). Der Umgang des Bundesinnenministers mit dem Islam wirkt zunehmend wie eine Inszenierung. Vor den wichtigen Wahlen in Nordrhein-Westfalen herrscht bei Konservativen im Lande eine durchschaubare Arbeitsteilung. Die Wortmeldungen bewegen sich zwischen den Forderungen nach einer besonnenen Innenpolitik und der Bedienung der Stammwähler – besonders derjenigen mit leichter Identitätskrise. Der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Kauder bezweifelt in dieser Logik, ob der „Islam zu Deutschland gehört“. Innenminister Friedrich gibt parallel auf der Islamkonferenz – deren Ablauf, Themen und Teilnehmer er ganz demokratisch alleine bestimmt – für ein paar Stunden den besonnen Innenpolitiker.

Nicht lange vor dem Treffen war der „andere“ Friedrich mit seiner merkwürdigen Interpretation einer Jugendstudie – und mit Hilfe seines „Medienpartner” BILD – an die Öffentlichkeit gegangen. Das Ziel war klar: Die Existenz von über vier Millionen Muslimen in Deutschland unter die Logik der „Extremismusabwehr“ zu stellen. Das heißt für Muslime: Immer defensiv, immer entschuldigend, immer anbiedernd um Anerkennung bittend. Die bequeme Nebenwirkung dieser Strategie ist, dass die Muslime in Deutschland bis heute verfassungsrechtlich eindeutig benachteiligt werden.

Ganz zufällig wirkt auch das Spektakel um den Salafismus nicht. Vorsicht bitte: Ja, es gibt kaum einen Terroristen, der nicht von dieser Schule infiltriert wurde. Aber es hätte auch ohne einen V-Mann des baden-württembergischen Verfassungsschutzes die Ulmer Muttergemeinschaft des extremen Salafismus so nicht gegeben. Der Mann lebt übrigens bis heute vollkommen unbehelligt in Saudi-Arabien. Das scheint keinen unserer scharfen Innenpolitiker bis heute weiter zu stören.

Der medienwirksame Aufschwung der kleinen Gruppe der Extremisten schafft die Voraussetzungen für die uns alle überragende Dialektik. Auf der einen Seite die vielbesungenen „Salafiten“; auf der anderen Seite ein staatstragender „liberaler Islam“, der trotz seiner Bedeutungslosigkeit zum entscheidenden Vertragspartner mutiert. Das Ergebnis dieses planvollen Gegeneinanders ist die absehbare Verstaatlichung des offiziellen Islam. Es ist unter diesen Umständen verständlich, dass immer mehr Muslime mit dem Spektakel Islamkonferenz nichts mehr anfangen können.

Konkrete Inhalte der Debatte sind Muslimen beinahe in Gänze unbekannt. Die Islamkonferenz – eine an sich gute Idee des ehemaligen Innenminister Schäuble – dreht sich inzwischen offensichtlich im Kreis. Offiziell und immer wieder die Verneinung von „Zwangsheirat“ und „Gewalt“ zelebrieren zu müssen, empfinden viele Muslime zu Recht als Beleidigung. Wo endet das? Werden wir Muslime auch bald klarstellen müssen, dass es keinen „islamischen Bankraub“ gibt?

Bleibt die Frage nach der Mitte. Hier müsste beispielsweise der KRM – der sich ja als Interessenvertretung aller Muslime versteht – agieren. Leider kommt da außer vielen langweiligen Presseerklärungen relativ wenig. Noch immer können sich die Verbände nur schwer aus ihren alten ethnischen Beziehungen befreien. Es fehlt ihnen an einer glaubwürdigen Vision, was positiv gedacht das Angebot des Islam in Deutschland sein soll. Keine Präsenz in Berlin und kein wahrnehmbares Programm, so wird die Mitte weiter geschwächt. Es wird Zeit für eine alternative Islamkonferenz, deren primäres Ziel die Stärkung der Mitte und die Zurückdrängung der Extreme sein sollte.