Hamburg (KNA). Gerd Ruge (84), TV-Reporter, sorgt sich um den Qualitätsjournalismus in Deutschland. Zwar habe Deutschland etwa im Vergleich zu den USA oder Großbritannien noch „sehr gute Zeitungen“, sagte Ruge dem „Spiegel“ (Montag). „Nur verwandeln sie sich leider manchmal in Magazine“. Auch Nachrichtensendungen im Fernsehen bestritten ihr Programm zunehmend mit Material, „das früher bestenfalls unter der Rubrik 'Unterhaltung' gelaufen wäre“.
Speziell in der Auslandsberichterstattung übernähmen viele Journalisten oft ungeprüft Allgemeinplätze. „Wenn auf Russlands Straßen demonstriert wird, sagen sie, die Leute dort wollten Demokratie“, so Ruge der für die ARD lange Jahre aus Moskau berichtete. „Aber was die Mehrheit wirklich will, weiß man eben nicht so genau, und dass mit ihnen Demokratie einfach zu schaffen wäre – da bin ich mir nicht so sicher.“ Ähnliches treffe auch auf Arabien oder China zu. „Da sind Gruppen dabei, die wir ganz sicher nicht ertragen könnten.“
Zugleich, so Ruge, nähmen manche Kollegen sich selbst wichtiger als den Gegenstand ihrer Recherchen. Reporter oder Korrespondenten der jüngeren Generation seien ständig im Bild zu sehen „und heben einen Korb Wäsche oder eine Schaufel hoch“. Ruge: „Warum? Das ist sinnlos. Sie glauben ihrer eigenen Strahlkraft mehr als der ihres Berichts.“ – Der TV-Journalist gehört zu den prägenden Figuren der bundesdeutschen Fernsehgeschichte. Er wird am 9. August 85 Jahre alt. Ende Juli erscheinen seine Memoiren mit dem Titel „Unterwegs. Politische Erinnerungen“ im Berliner Hanser Verlag.