(iz). Am Sonntag, den 29. Januar, wurden in der kanadischen Stadt Quebec City sechs Menschen in einem islamischen Kulturzentrum erschossen, mindestens acht teilweise schwer verletzt. Wie die Ermittlungsbehörden mittlerweile bekanntgaben, soll es sich bei dem mutmaßlichen Täter, der mit einem Sturmgewehr bewaffnet war, um einen „einsamen Wolf“ handeln; einem jungen Mann, der seine Weltanschauung aus den radikalen rechten und anti-muslimischen Milieus in den USA und Westeuropa bezog. Mehr als symbolisch ist es nach Ansicht von Beobachtern, dass dieser Anschlag nur wenige Tage nach Donald Trumps Einreiseverbot für Muslime geschah.
Hierzu sprach die IZ mit Syed Soharwardy vom Islamic Supreme Council of Canada (ISCC). Soharwardy bezeichnete den Terrorangriff als neue Eskalationsstufe des antimuslimischen Ressentiments in Kanada, beschrieb aber gleichzeitig die Reaktion der kanadischen Politik und Gesellschaft als Alternative im Umgang mit solchen Ereignissen.
Islamische Zeitung: Lieber Syed Soharwardy, gerade kam es zu einer grausamen Untat in einer Moschee in Quebec City. War der Terroranschlag der erste seiner Art, oder mussten die kanadischen Muslime bereits in der Vergangenheit vergleichbare Erfahrungen machen?
Syed Soharwardy: Es gab in Kanada zuvor schon Hassverbrechen, aber bisher niemals in diesem Ausmaß und nicht mit solch mörderischen Konsequenzen. Bisher kam es hier nicht zu Massakern an Betenden in einer Moschee. Zuvor gab es Vorfälle wie körperliche Übergriffe auf Frauen mit Kopftüchern. Auch wurden einige Moscheen attackiert oder verschandelt. Dieser Angriff ist der erste seiner Art.
Islamische Zeitung: Wie reagieren Sie, die Muslime in Ihrem Land, auf diesen Anschlag?
Syed Soharwardy: Ehrlich gesagt, wir waren nicht überrascht. Jedes Mal, wenn es international zu tragischen Ereignissen oder kritischen Entwicklungen kommt, gibt es negative Auswirkungen auf Muslime. Insbesondere gilt dies für die Exekutivorder von Donald Trump zum selektiven Einreiseverbot für Muslime in die USA. Die anhaltende Volksverhetzung in den Vereinigten Staaten hat definitiv Folgen für die Köpfe einiger Kanadier.
Es gibt extreme Elemente in jeder Gesellschaft. Extremisten wie der Attentäter von Quebec City wurden von Donald Trump und seinesgleichen inspiriert. Wir sind überzeugt, er hat sich von Trumps Hass anstecken lassen, was ihn zu seinem verabscheuungswürdigen Verbrechen veranlasste.
Islamische Zeitung: Wie Sie erwähnten, eskaliert die Stimmungslage bei Ihrem großen Nachbarland seit Jahren. Bisher war nur selten davon zu lesen, dass es solche Strömungen auch in Kanada gibt.
Syed Soharwardy: Kanada ist ein wunderschönes Land. Hier leben mehr als eine Million Muslime. Es ist unsere Heimat. Dies ist eine multireligiöse, multiethnische Gesellschaft. In der Vergangenheit gab es nur sehr wenig Volksverhetzung in Richtung der mehr als 1,3 Millionen Muslime unserer Nation.
Aber der Hype der antimuslimischen Vorstellungen in den Vereinigten Staaten zeitigt nun offenkundig auch hier Wirkungen. In der Vergangenheit gab es natürlich auch bei uns Spannungen, wenn Gruppen wie die Taliban oder Al-Qaida ihre Untaten begangen haben. Dies erreichte aber nicht das Niveau physischer Gewalt.
Islamische Zeitung: Auf nationaler und regionaler Ebene scheint die kanadische Regierung und Politik sehr eindeutig auf den Anschlag in Quebec City reagiert zu haben. Wie haben die Muslime diese Reaktion wahrgenommen?
Syed Soharwardy: Wir sind sehr dankbar für die Aussagen unseres Premierministers Justin Trudeau, aber auch für die von Verantwortlichen in Quebec sowie anderen Provinzen und Territorien. Ebenso haben sich die lokalen Verantwortungsträger eindeutig platziert. Die Muslime sind glücklich mit der Antwort auf die Situation, die sie von unserer Regierung erhalten haben.
Das Gleiche gilt auch für unsere Polizei und andere Sicherheitsbehörden. Gestern wurden viele Moscheen von lokalen Polizeichefs und anderen Beamten aufgesucht. Dort sprachen sie in vielen Orten des ganzen Landes zu den lokalen Moscheegemeinden. Die Beamten drückten nicht nur ihr Mitgefühl für die Opfer von Quebec City aus, sondern versicherten den lokalen Moscheegemeinden, dass sie Seite an Seite mit ihnen stünden und sie verteidigen werden. Das war ein großartiges Verhalten.
Justin Trudeau hat sich im Parlament bemerkenswert verhalten. Seine Erklärung wurde mit großer Zustimmung der muslimischen Gemeinschaft aufgenommen. Wir sind sehr zufrieden mit unserer Regierung und den Polizeibehörden. Deren Umgang mit den Muslimen war sehr positiv, wofür wir sehr dankbar sind.
Islamische Zeitung: Gibt es bei kanadischen Muslimen Überlegungen für Sofortmaßnahmen angesichts dieses Massakers?
Syed Soharwardy: Ja. Die muslimischen Organisationen im ganzen Land, insbesondere der Dachverband National Council of Canadian Muslims (NCCM) sowie weitere wie die unsere, arbeiten mit Parlamentsmitgliedern sowie den Provinzregierungen und lokalen Bürgermeistern zusammen. Es geht um Maßnahmen, mit denen sich Ereignisse wie jenes in Quebec City zukünftig verhindern lassen. Es gibt definitive Pläne und Diskussionen darüber. Wir überlegen auch, wie der interreligiöse Dialog, aber auch der Austausch mit der Gesellschaft als Ganze dazu beitragen kann. Wir möchten sicherstellen, dass die Friedfertigen jeglicher Religion zusammenstehen und sich nicht durch Extremisten und Radikalisierte beeinflussen lassen. Das ist eine langfristige Strategie. Die Regierung hilft dabei nicht nur mit Ressourcen weiter, sondern auch mit Knowhow auf organisatorischer Ebene, wie sich die Bürger und die kanadische Gesellschaft insgesamt vor solchen Taten schützen lassen.
„Umgang mit den Muslimen war sehr positiv“
Ausgabe 261