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Von der Radikalisierung der Sprache

Ausgabe 352

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Foto: Deutscher Bundestag, Henning Schacht

Themenschwerpunkt soziale Medien und ihre Folgen: „Was heißt hier »wir«? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten“ – eine Buchvorstellung zur politischen Sprache von Ahmet Aydin.

(iz). „Wir müssen im großen Stile abschieben“, titelte vor kurzem ein deutsches Massenmedium mit Bundeskanzler Olaf Schulz im Hintergrund. Im Jahr 2019 gehörten solche Aussagen noch zum Jargon der parlamentarischen Rechten. AfD-Politiker wie Höcke verkündeten unverblümt, dass sie die anderen Parteien und Politiker „jagen“ werden. Wer sich den Sprachgebrauch heute ansieht, stellt fest: Die Jagd war erfolgreich.

„Messermänner“ ist längst schon zum Synonym für Männer südländischen Aussehens geworden. Die AfD um Höcke, Gauland und Weidel hat es geschafft, die Sprache der Mitte auf eine Art und Weise zu radikalisieren, dass Menschen, die widersprechen als verharmlosend abgetan werden. Dies bewerkstelligte sie, bevor sie in Brandenburg, Thüringen und Sachsen jeweils fast ein Drittel der abgegebenen Stimmen erlangte.

Nach dem Mund gesichert Rechtsextremer zu sprechen, überzeugte die Wählerinnen und Wähler nicht davon, auf die Wahl der sehr Radikalen zu verzichten. Im Gegenteil, es führte dazu, dass die Hetze gegen die Schwächsten jeder Gesellschaft zunimmt und befeuert wird. Geistiger Terror ist in Deutschland präsent und er treibt sowohl die Politiker als auch die WählerInnen. War das alles abzusehen oder kommt es überraschend?

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Foto: Olaf Kosinsky / kosinsky.eu / Lizenz: CC BY-SA 3.0

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Deutschland leidet darunter, dass seine Politikerinnen und Politiker zu wenig lesen. Sie bilden sich zu mangelhaft. Würden sie es tun, hätten sie bereits 2019 das Büchlein „Was heißt hier »wir«? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten“ vom ehemaligen Präsidenten der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ lesen können. Dieses im Reclam-Verlag erschienene Büchlein ist in nicht einmal zwei Stunden durchgelesen und bietet eine Analyse der Sprache rechtsradikaler Menschen.

Es überrascht, dass auch ein Horst Seehofer sich darin findet. Hatte er nicht die Studie zur Untersuchung der Muslimfeindlichkeit in Auftrag gegeben? Ja, das tat er, als eine seiner letzten Amtshandlungen als Innenminister. Vorher bezeichnete er die „Migration“ noch als die „Mutter aller Probleme“. Diese Wortwahl nimmt Detering als vielleicht scharfsinnigster Literaturwissenschaftler Deutschlands unter die Lupe. Dasselbe ließe sich heute mit dem Parteivorsitzenden der CDU, Merz, machen. Der wohl größte Sprachexperte Deutschlands, Heinrich Detering, zeigt Methoden auf, wie solche Aussagen analysiert werden können.

Er betrachtet die skandalösen Stellen nicht gesondert, sondern stellt sie in den Kontext der Rede. Dieser Kontext erst ermöglicht es, die Relativierungen, die in der Folge immer kommen, zu entlarven. Detering wird nicht müde, den Leserinnen und Lesern dies bewusst zu machen: Auf menschenverachtende Aussagen, die einen Skandal auslösen, folgen Relativierungen. Dies sei das Muster. Der jeweilige Kontext der Aussagen jedoch zeige auf, was Höcke und seine Gleichgesinnten wirklich beabsichtigten. Das lassen sich nicht nachträglich korrigieren.

Die Sprache kann deshalb als radikal bezeichnet werden, weil sie teilweise identisch mit der Sprache vor der Machtergreifung der NSDAP-Politiker unter Hitler ist. Von „Schafen“ ist die Rede, die vom „Wolf“, damals der NSDAP und heute der AfD, getrieben werden. Das mag wie eine Fremdzuschreibung anmuten, doch so beschreibt sich die AfD selbst. Es ist erstaunlich.

Foto: Martin aka Maha, via flickr | Lizenz: CC BY-Sa 2.0

Während sich auf deutsche Größen berufen wird, wie Friedrich den Staufer, Luther oder Goethe, wird alles, was nicht ins eigene Narrativ passt ausgeblendet und geleugnet. Kulturelle Leistungen sind für die AfD und damit stellvertretend für alle radikalisierten Parteien, bloß ein Mittel, um die eigene Überlegenheit gegen andere ausspielen zu können. Auch stellt Detering meisterhaft dar. Er führt Beispiele von Goethe und anderen an, die belegen, dass alles wofür Goethe beispielsweise steht, verraten wird.

Dieses Büchlein macht scharfsinnig. Als Leser lernen wir kritisch mit Aussagen von Politikerinnen und Politikern umzugehen. Wir lernen, dass soziale Medien das Gegenteil von dem bewirken, was nötig ist, um die Konsequenz aus den Reden zu verstehen: Hass. Purer Hass, die auf den Straßen in Gewalt umschlägt. Rhetorische Mittel von Politikern führen dazu, dass sie sich selbst schützen, doch die Menschen auf der Straße, so Detering, führen dann aus, was rhetorisch angedeutet wurde, ohne sich strafbar zu machen.

Dieser Beitrag stellt allen Politiker in der Öffentlichkeit eine grundlegende Frage: Möchte ich sprachliche Methoden von Radikalisierten benutzen, um Wahlen zu gewinnen? Der Gewinn ist nicht einmal garantiert, doch bin ich bereit mich ethisch auf dieses Niveau der menschenverachtenden Rhetorik einzulassen? Gleichzeitig lese ich einen versteckten Appell aus dem letzten Kapitel heraus: Setzt euch mit deutscher Kulturgeschichte auseinander! Nur so sind wir gefeit vor dem Missbrauch. Wissen schützt. Und es diene eben nicht, um sich als größer, besser und überlegener auszuweisen, sondern um sich als Menschen zu bilden und Humanität zu entwickeln.

Heinrich Detering: „Was heißt hier »wir«? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten“, Reclam-Verlag, 6€.