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Warum wir Arabisch lernen sollten

Ausgabe 263

Foto: Aiman Khimji | Lizenz: CC BY 2.0

(iz). Wir, die nicht-arabischen Muttersprachler, kennen den Qur’an als ein Buch, dessen Sprache wir nicht verstehen. Wir haben uns damit abgefunden, dass wir seine Bedeutung ausschließlich von anderen Büchern, ungefähren Übersetzungen, erfahren können. Rezitieren und gleichzeitig verstehen kommt für uns gar nicht in Frage. Außerdem sind wir keine Araber, wie und wozu sollten wir also Arabisch können?

Seit unserer Kindheit lesen wir den Qur‘an, lernen ihn auswendig und sind uns über seine Bedeutsamkeit bewusst. Wenn wir aber, etwa beim Gebet, den Qur’an rezitieren, verstehen wir gar nicht, was wir dort eigentlich lesen. Es bietet sich lediglich an, vorher die Bedeutungen auswendiggelernt zu haben und somit einen Versuch zu starten, das Rezitierte zu verstehen. Aber selbst dann ist es nicht möglich, die Belletristik in ihrer lyrischen Schönheit, Poesie und dem Einklang, offeriert durch die arabische Sprache, zu fühlen, geschweige denn zu verstehen. Vielmehr haben wir in dem Moment eine ungefähre Bedeutung der Verse im Kopf und geben uns damit zufrieden.

Ein entscheidender Grund, weshalb die Sahaba imstande waren, den Islam auf die beste Art und Weise zu praktizieren, obwohl ihr Wissen über den Islam höchstens ein Drittel unseres Wissens heutzutage ausgemacht hat, und obwohl sie in viel schlechteren Verhältnissen gelebt haben, ist, dass sie in jedem Gebet, fünfmal am Tag daran erinnert worden sind, was der eigentliche Sinn im Leben ist. Dass sie nach dem Gebet über das Rezitierte tiefsinnig nachgedacht und das aus den Versen Gelernte angewandt haben. Sie haben nicht ihre Zeit damit, verschwendet darüber zu sprechen, wie schön die Stimme des Vorbeters ist, sondern, im Gegenteil, vielmehr sich mit dem Inhalt beschäftigt.

Das heißt für uns: Wenn kein Unterschied bezüglich unseres Verhaltens oder unserer Denkweise zwischen der Zeit vor und nach dem Gebet erkennbar ist, sind wir zwar unserer Pflicht nachgegangen, können aber nicht davon ausgehen, dass wir die Bereicherungen und die Schönheiten des Gebetes in vollem Ausmaß ausgekostet haben.

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Ist es denn möglich, dass wir im Gebet durch die Verse des Qur’ans an das Versprechen Allahs erinnert werden, dass zusammen mit jeder Schwierigkeit eine Erleichterung folgt, wir aber dennoch nach dem Gebet traurig über unsere alltäglichen Probleme sind? Dass wir im Gebet die Worte Allahs zu hören bekommen, in denen Er uns direkt anspricht mit „Ich bin nah“, wir uns aber dennoch alleine fühlen?

Wir könnten uns damit trösten, dass wir nach jeder gemeinsamen Sitzung, nach jedem Unterricht die Sure Al-Asr rezitieren, aber ob es der Sunna, der Tradition unseres Propheten, Friede sei mit ihm, vollkommen entspricht, ist eine andere Sache. Die Sahaba haben diese Sure nach jedem ihrer Treffen rezitiert, ob auf der Straße oder in ihren Wohnungen, um sich gegenseitig an die waren Dinge, jene, die sie später im Jenseits retten werden, zu erinnern. Nicht, um daraus eine einfache und inhaltslose Tradition zum Beenden einer Sitzung zu machen, bei der es nur darauf ankommt, dass man die Sure gelesen hat, statt auf den Inhalt zu achten.

Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass, seitdem ich Arabisch gelernt habe – zumindest genug, um den Qur’an zu verstehen –, ich nicht nur jedes Gebet anders verspüre, sondern auch den Qur’an im Ganzen mit anderen Augen betrachte. Ich verstehe nun, warum man nur „ungefähre Übersetzung“ sagt und nicht „Übersetzung“. Ich verstehe nun, warum ich in Geschichtsbüchern des Propheten, Friede sei mit ihm, lese, dass die Araber damals, welche die Dichtkunst auf einem sehr hohen Niveau beherrscht haben, nicht einmal Ansatzweise mit ihren Gedichten an den Qur’an herankamen. Ich verstehe nun, was es bedeutet das Gebet mit Ehrfurcht (Huschu’) zu beten. Ich weiß jetzt, wie es ist, im Gebet zu zittern, weil die Verse und Worte Allahs dich berühren, dich gleichzeitig beängstigen aber dir dennoch Hoffnung geben, dich trösten, dir Mut geben, dich stärken und immer im Gedanken und Herzen bei dir sind. Erst jetzt verstehe ich, was es heißt, den Qur’an zu fühlen. Es ist das schönste Gefühl, das ich jemals erlebt habe. „Diese Gleichnisse prägen Wir den Menschen, auf dass sie nachdenken mögen.“ (Al-Haschr, 21)