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Was tun mit Negativgefühlen?

Ausgabe 327

Foto: pathdoc, Shutterstock

Es erfordert ein hohes Maß an Mut und Disziplin, mit seinen Emotionen gesund umzugehen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und diesen Gefühlen mit positiven Maßnahmen zu begegnen. Von Omar Usman

(Fiqh of Social Media). Wie weiß ich, wann ich durchhalten und wann ich gehen sollte? Es gibt ein Hadith, dass ich Millionen Mal gehört habe. Es gehört zu jenen Überlieferungen, die man immer wieder im Kinderunterricht der Moschee, in Predigten und in Vorträgen vorgetragen bekommt.

Dabei handelt es sich um eine Begebenheit, als der Prophet sagte, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben: „Ein Mann von den Leuten des Paradieses wird jetzt zu euch kommen.“ Ein Angehöriger der Ansar (die „Helfer“ in Medina), dessen Bart von der Gebetswaschung feucht war, betrat die Moschee. In den beiden Folgenächten sagte der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, das Gleiche, bevor dieser eintrat.

‘Abdullah ibn ‘Amr folgte dem Mann mit der Entschuldigung, er sei mit seinem Vater zerstritten und brauche nun einen Schlafplatz. Er blieb bei diesem für drei Nächte, aber beobachtete nichts Bemerkenswertes in dessen Handlungen, was ihn als Angehöriger der Paradiesbevölkerung hervorheben würde. Dann legte er seinem Gastgeber die eigentlichen Beweggründe dar und fragte ihn, warum der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, ihn so herausgehoben hat. Der Mann antwortete ihm: „Ich bin, wie Du mich gesehen hast, außer dass ich keine schlechte Meinung von irgendeinem Gläubigen habe und niemanden wegen des Guten beneide, das Allah ihm gegeben hat.“ Der Text ist leicht zu verstehen, aber es braucht einige Lebenserfahrung, um das Hadith wertzuschätzen. Je länger man gelebt hat, desto mehr Austausch hat man mit Menschen, was Anlass für Groll oder Ressentiment sein kann. Mir wurde es immer in Betracht auf Handlungen erklärt. Das heißt, dass wir jede Nacht die bewusste Anstrengung unternehmen sollten, im Sinne Allahs denen zu vergeben, die uns schadeten und unsere Herzen von Missgunst und Neid zu befreien.

Hier zeigt sich eine einfache, aber wirkungsvolle Formel: Wenn Sie ein negatives Gefühl empfinden, kontern Sie es mit einer positiven Handlung. Ist man auf jemanden neidisch, kann man dieser Emotion mit einem Bittgebet (arab. du’a) begegnen, damit der Beneidete mehr erhält und damit man dasjenige bekommt, wegen dessen man den anderen beneidet. Wenn der Prophet einen Gefährten in der Moschee sitzen sah, der durch eine Schuldenlast niedergeschlagen war, lehrte er ihn ein Bittgebet, um solchen Angstgefühle zu begegnen. Wurde jemand in seiner Gegenwart erkennbar wütend, unterwies er ihn, diese Gefühle durch Zuflucht bei Allah zu kontern.

Er lehrte uns den Umgang mit Negativgefühlen gegenüber anderen durch die positive Handlung des Schenkens. „Macht einander Geschenke. Denn das Geschenk entfernt schlechte Gefühle aus der Brust.“ (überliefert von Tirmidhi)

Der Gesandte Allahs gab uns ein Gebet gegen Emotionen des Unvermögens: „Der starke Gläubige ist besser und beliebter bei Allah als der schwache Gläubige, obwohl beide gut sind. Strebt nach dem, was euch nützt, sucht die Hilfe Allahs und fühlt euch nicht hilflos. Wenn dir etwas zustößt, sage nicht ‘hätte ich doch nur dies und jenes getan’, sondern sprich: ‘Qaddara Allahu wa ma scha’a fa’ala (Allah hat verfügt, und was Er will, das tut Er).’ Denn das ‘Wenn’ öffnet (die Tür) für die Taten des Satans.“ (überliefert von Ibn Madscha)

Wir scheitern deshalb in der Umsetzung, trotz der scheinbaren Einfachheit, weil wir nicht ausreichend an unseren negativen Emotionen arbeiten. Nehmen wir beispielsweise den Neid. Wir wissen, dass er schädlich ist, können aber nicht umhin ihn zu fühlen. Also glauben wir, etwas sei mit uns nicht in Ordnung und schämen uns. Wir häufen eine destruktive Emotion auf die nächste. Das verursacht eine Abwärtsspirale. Wir denken, wir dürfen so nicht empfinden. Oder wir meinen, wir müssten sie überwinden können. Oder wir glauben, dass wir nur positive Gedanken haben müssen, damit die negativen verschwinden. Oder aber, wir reagieren, indem wir uns ablenken oder Vermeidungsstrategien entwickeln.

Es ist unrealistisch zu meinen, solche Gefühle ließen sich vermeiden. „Es liegt in der Natur des Menschen, dass es ihm nicht möglich ist, seine Seele in ständiger Ruhe und Frieden zu halten, ohne Ärger, Angst, Kummer und ähnliche psychologische Symptome zu empfinden. Diese Welt (Dunja) ist der Ort der Angst, der Traurigkeit, der Sorge und des Unglücks.“ Abu Zaid Al-Balkhi

Statt Schuldgefühle müssen wir Selbst-Mitgefühl praktizieren. Das heißt, zu akzeptieren, wie wir fühlen. Das können Emotionen des Neids, der Sorge, Ärger oder Ressentiment sein. Indem wir uns dies zugestehen, können wir uns für eine angemessene Antwort entscheiden.

Wenn wir uns beispielsweise dabei ertappen, dass wir jemandem gegenüber Groll empfinden, können wir eine von zwei Reaktionen wählen. Wir können uns fertigmachen und sagen: Astaghfirullah, ich sollte nicht so fühlen. Wir meiden diese Person oder wir können unsere Wut gegenüber anderen äußern. Man kann die negativen Gefühle wochen- oder monatelang im Herzen wiederkehren lassen und versuchen, sie auf diese Weise loszuwerden.

Alternativerweise kann man sich eingestehen, dass man gegenüber einer anderen Person Ressentiments hat und sich sagen: Ich begegne der Situation durch eine spezifische Handlung in Übereinstimmung mit meinen islamischen Werten. Ich kann meine Emotion durch ein Geschenk ausgleichen.

Das eindrücklichste Beispiel davon findet sich für mich in dem folgenden Hadith: „Keiner von euch sollte sich den Tod aufgrund eines Leidens wünschen, das ihn betroffen hat. Wenn wer sich aber gezwungen sieht, sich den Tod zu wünschen (aufgrund von extremer Notlage, die er nicht ertragen kann), soll er sagen: ‘O Allah! Gewähre mir das Leben, solange das Leben für mich besser ist, und lass mich sterben, wenn der Tod für mich besser ist.’“ (überliefert von Bukhari und Muslim) Hier wird ein Zustand behandelt. Jemand kommt an den Punkt der Verzweiflung, der meinen lässt, der Tod sei der einzige Ausweg. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, hat niemanden dafür zurechtgewiesen, solche Emotionen zu verspüren. Stattdessen verweist er die fühlende Person auf ein bestimmtes Bittgebet.

Wenn jemand angemessen handelt, folgen die Gefühle. Dies mag Widerspruch regen in einigen, die darin nur den Verweis sehen, häufiger zu beten. Dem ist zu entgegnen, dass unser Bittgebet auf die Schwierigkeit abgestimmt sein muss, mit der wir konfrontiert sind. Wenn wir ein halbherziges oder allgemeines Dua sprechen, können wir nicht erwarten, dass sich viel ändert. Einer der Vorteile der detaillierten Kenntnis der Namen und Eigenschaften Allahs ist es, wir lernen durch sie, Ihn besser anzurufen. Wir sollten Namen erlernen, die zu dem Problem passen, mit dem wir konfrontiert sind.

Unglücklicherweise gibt es in unserer Gemeinschaft immer noch Stigma, wenn es um das weitere Thema geistige Gesundheit geht. Vor Kurzem sah ich noch Postings von Muslimen wie: „Vergesst Psychiater! Meine Heilung von Depression ist, drei Mal die Woche ins Gym zu gehen.“ Solche abfälligen Kommentare stehen nicht nur im Widerspruch zu den oben genannten prophetischen Weisungen, sondern verschlimmern das Problem. Sie entmutigen Menschen oder setzen sie herab, etwas für ihre psychische Gesundheit zu tun.

Es erfordert ein hohes Maß an Mut und Disziplin, mit seinen Emotionen auf gesunde Weise umzugehen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und diesen Gefühlen mit positiven Maßnahmen zu begegnen.