Das Problem der meisten westlichen Analysen ist, dass sie generell kurzsichtig sind und sich mehrheitlich auf Variable konzentrieren, die von direktem Interesse für Regierungen im Westen sind. Heute werden sie angewandt, um offizielle Einstellungen gegenüber Russland, China, globale Politik und Konflikte zu verstehen. Von Dr. Ramzy Baroud
(Middle East Monitor). Während sich Präsident Xi Jinping und seine große Delegation mit arabischen Führern in Saudi-Arabien traf, vermittelten westliche Medien ein Gefühl der Furcht. So berichtete Reuters, dass der Staatsbesuch vor dem Hintergrund der gestörten Beziehungen der Biden-Regierung zu Peking und Riad stattfänden – auch in Hinblick auf „Menschenrechte und den russischen Einmarsch in die Ukraine“. Und da diese Analysen oft von westlichen Interessen geprägt sind, neigen sie dazu, den größeren Kontext selektiv zu lesen. Wenn man sich ausschließlich oder in hohem Maße auf das westliche Verständnis der massiven geopolitischen Veränderungen in der Welt verlässt, ist man sicher, dass man in die Irre geführt wird.
Westliche Medien erwecken den Eindruck, dass die politische Haltung der arabischen Länder – Neutralität im Falle eines Krieges, zunehmende Annäherung an China und Russland, Senkung der Ölförderung und so weiter – nur deshalb erfolgt, um „eine Botschaft“ an Washington zu senden oder den Westen für seine Einmischung in arabische Angelegenheiten zu bestrafen. In einem breiteren Blickwinkel betrachtet, sind solche Annahmen entweder Halbwahrheiten oder Missverständnisse. So war beispielsweise die Entscheidung der OPEC+-Staaten zur Senkung des Ölausstoßes die einzige vernünftige Strategie, da die globale Nachfrage niedrig war.
Hinzukommt, dass die Neutralität der Araber ein ebenso rationaler Ansatz ist, wenn man bedenkt, dass Washington und seine Verbündeten nicht die einzigen globalen Einflüsse sind, die für sie von Bedeutung sind. Ebenso stimmt es nicht, dass die wachsende Annäherung des Nahen Ostens an Asien aus heutigen dramatischen Ereignissen stammt. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess, der vor beinahe zwei Jahrzehnten begann – insbesondere im Jahr nach dem US-Einmarsch in den Irak.
Im Jahr 2004 gründeten China und die Arabische Liga das Kooperationsforum CASCF. Es vertrat offiziell die chinesische Regierung sowie alle 22 Liga-Mitglieder und diente als wichtigste Koordinierungsplattform zwischen China und den Arabern. Dies verschaffte Peking den Vorteil, in eine kollektive Strategie zur Entwicklung von Handels-, Wirtschafts- und Politikbeziehungen mit der gesamten arabischen Welt zu investieren. Andererseits hatten nahöstliche Staaten die Möglichkeit, mit China große Wirtschaftsabkommen auszuhandeln, von denen mehrere arabische Staaten gleichzeitig profitieren könnten.
Chinas lukrative Initiative der „Neuen Seidenstraße“ (BRI), die 2013 angekündigt wurde, fügt sich nahtlos in die politische Infrastruktur der beiderseitigen Beziehungen ein, die in den vergangenen Jahren aufgebaut wurden. Nach Angaben der Zeitung „Asharq Al-Awsat“ war Riad in der ersten Hälfte von 2022 der größte Empfänger Pekinger Investitionen im Rahmen der BRI. Im März stimmte es grundsätzlich zu, sein Öl an China in chinesischen Yuan statt in US-Dollars zu verkaufen. Wenn diese Entscheidung umgesetzt wird, wird sie unumkehrbare Auswirkungen auf den Weltmarkt sowie auf den künftigen Status der bisherigen globalen Leitwährung haben.
Die Annahme, dass solche gewaltigen Wandlungen in der globalen Geopolitik auf die unmittelbare Notwendigkeit zurückzuführen sind, dass die Araber „eine Botschaft senden“, wird den Westen daran hindern, zu begreifen, dass die Veränderungen, die nicht nur im Nahen Osten, sondern weltweit im Gange sind. Sie sind Teil einer dauerhaften Verschiebung der politischen Weltkarte. Je eher der Westen zu dieser Einsicht gelangt, desto besser. (MEMO/CCL)