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300 Milliarden für EU-eigene „Neue Seidenstraße“

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Foto: Mike Mareen, Shutterstock

Die EU startet mit „Global Gateway“ eine 300 Milliarden Euro teure Infrastrukturinitiative mit weltweitem Anspruch. Das Vorhaben richtet sich gegen Chinas Neue Seidenstraße.

BERLIN/BRÜSSEL (GFP.com). Mit einer bis zu 300 Milliarden Euro schweren Infrastrukturinitiative will die EU gegen Chinas Neue Seidenstraße konkurrieren. Das Vorhaben namens „Global Gateway“, das insbesondere den Bau von Straßen, Schienen und Datenleitungen finanzieren soll, ist nach holprigen, als weitgehend unzulänglich kritisierten Vorbereitungen am vergangenen Mittwoch offiziell vorgestellt worden.

Es zielt prinzipiell auf Infrastrukturprojekte in aller Welt; sie sollen in hohem Maß von Firmen aus der EU realisiert werden. Der Druck auf Brüssel, die Initiative zu starten, ist zuletzt gestiegen: Die BRI gestaltet sich ungeachtet zeitweiliger Schwierigkeiten wegen der Coronakrise recht erfolgreich für China; an ihr beteiligen sich mittlerweile 142 Staaten. Lediglich mit Beijing rivalisierende Mächte – die USA, die Mächte Westeuropas (Ausnahme: Italien), Australien, Indien, Japan – bleiben ihr fern. Beobachter warnen allerdings: Noch ist kein konkretes Global Gateway-Projekt bekannt; erhebliche Teile der Finanzierung sind noch nicht gesichert. Ein Vorläuferprojekt der EU gilt längst als gescheitert.

Chinesische Angebote: „Oft konkurrenzlos“

Anlass für die EU, Global Gateway zu starten, ist zum einen, dass sich Beijings Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) erfolgreich entwickelt. Nach Berechnungen der Weltbank müssen bis 2040 weltweit rund 97 Billionen US-Dollar in Infrastruktur investiert werden, um die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die BRI schafft Angebote, um die gewaltige Nachfrage zu decken. Sie hat Schätzungen zufolge das Potenzial, die globale Wirtschaftsleistung bis 2040 um 7,1 Billionen US-Dollar zu steigern; das ist annähernd das Doppelte der Wirtschaftsleistung Deutschlands, der viertgrößten Volkswirtschaft weltweit.

Dabei sind, das räumt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein, „die chinesischen Infrastrukturangebote an andere Länder … oft konkurrenzlos“. In der Summe führt das dazu, dass die Zahl der Staaten, die sich der Neuen Seidenstraße mit einem Memorandum of Understanding anschließen, stetig wächst. Selbst die Coronakrise, die auch BRI-Projekten zahlreiche Schwierigkeiten bringt, hat daran nichts geändert. Vor dem China-Afrika-Gipfel Anfang vergangener Woche in Dakar traten mit Eritrea und Guinea-Bissau zwei weitere afrikanische Staaten der BRI bei – und sie erhöhten damit die Zahl der Mitgliedstaaten auf 142.

Deutsche Firmen: „Keine große Chance“

Zum zweiten hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Unternehmen aus der Bundesrepublik und der EU von der Neuen Seidenstraße nicht im erhofften Maß profitieren. Zwar ziehen große Konzerne durchaus Nutzen aus der Initiative; Ende November etwa gab die Deutsche Bahn AG die Gründung ihrer neuen Tochterfirma DB Cargo Transasia bekannt, die den Warentransport zwischen China und Europa im Rahmen der BRI ausbauen will. Die Rede ist von einer Steigerung von 200.000 Containern im Jahr 2020 auf 500.000 Container im Jahr 2025.

Vor allem für mittelständische Unternehmen aus Deutschland habe sich die Neue Seidenstraße bislang aber „nicht wirklich als große Chance entpuppt“, urteilte bereits Ende 2019 eine Expertin der bundeseigenen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (gtai); zwar sei „Interesse“ da, doch fänden deutsche Firmen häufig nicht die gewünschten Geschäftsgelegenheiten.

Für chinesische Unternehmen hingegen gilt das Großvorhaben als optimale Chance, Aufträge zu ergattern sowie ihre Präsenz im Ausland zu stärken. Es kommt hinzu, dass chinesische Unternehmen bei ihren Aktivitäten gewöhnlich chinesische Normen und Standards vorziehen. Damit setzt sich ein Normierungssystem durch, das dem deutschen bzw. westlichen nicht unbedingt entspricht.

Bislang erfolglos

Die EU hat schon im September 2018 versucht, der Neuen Seidenstraße ein eigenes, Europa und Asien umspannendes Infrastrukturprogramm entgegenzusetzen, und dazu die „EU-Asien-Konnektivitätsstrategie“ verabschiedet. Allerdings ist nicht viel daraus geworden; im Oktober 2021 bestätigte die gtai, es sei nicht gelungen, „nennenswerte Erfolge [zu] erziel[en]“.

Im Bemühen, der Initiative neuen Schwung zu verleihen und sie zugleich noch auszuweiten – die BRI umfasst mittlerweile Länder auf allen Kontinenten -, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen daraufhin in ihrer diesjährigen „Rede zur Lage der Union“ am 15. September die neue EU-Infrastrukturinitiative „Global Gateway“ angekündigt. Die Vorbereitungen liefen zunächst schleppend. 

Noch Mitte November hieß es, man habe aktuell einen Planungsstand, der Finanzierungszusagen für den Bau von Straßen, Schienen und Datenverbindungen im Wert von lediglich 40 Milliarden Euro umfasse, noch keine konkreten Vorhaben nenne und keinerlei Ehrgeiz erkennen lasse. Ein Diplomat wurde damals mit der Einschätzung zitiert, das derzeit vorliegende Papier sei „eine verpasste Chance und ein schwerer Rückschlag für von der Leyens geopolitische Ambitionen“.

Europas Selbstbild

Am vergangenen Mittwoch hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Global Gateway nun offiziell vorgestellt. Das Finanzvolumen ist binnen zweieinhalb Wochen von 40 auf „bis zu 300 Milliarden Euro“ aufgestockt worden; die Mittel sollen genutzt werden, um „intelligente, saubere und sichere Verbindungen für Digitalisierung, Energie und Verkehr“ zu fördern und „die Gesundheits-, Bildungs- und Forschungssysteme weltweit“ zu stärken.

Das PR-Vokabular („intelligent“, „sauber“, „sicher“) soll den Eindruck erwecken, europäische Global Gateway-Projekte seien den angeblich minderwertigen chinesischen BRI-Vorhaben qualitativ vorzuziehen. Das entspricht dem europäischen Selbstbild, jedoch nicht unbedingt der Außenwahrnehmung: Dass der Bau eines Hauptstadtflughafens in Berlin stolze 14 Jahre gedauert hat, in Beijing aber nur vier, ist jenseits der westlichen Welt – in den vorrangigen Zielländern von BRI und Global Gateway – nicht unbemerkt geblieben.

Unklar ist darüber hinaus nicht nur ein erheblicher Teil der Finanzierung: 135 Milliarden Euro sollen aus dem Europäischen Fonds für nachhaltige Investitionen (EFSD+) bereitgestellt werden, 145 Milliarden Euro hingegen von anderen, auch nationalen Finanzinstituten, so etwa von der deutschen KfW; von Zusagen ist noch nichts bekannt.

„Die deutsche Industrie steht bereit“

Unklar ist zudem weiterhin, welche Projekte konkret realisiert werden sollen; Details dazu wurden nicht genannt. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fordert, Global Gateway müsse „schon im nächsten Jahr … auf dem Balkan und in Afrika mit den Plänen zum Bau von Eisenbahn- und Stromnetzen sichtbar werden“.

In Südosteuropa wie auch in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents sind BRI-Projekte mit Erfolg realisiert worden. Profitieren sollen vor allem Firmen aus der EU. Es gehe „nicht nur darum, für europäische Werte einzutreten, sondern auch darum, Europa wirtschaftlich zu stärken“, wird ein hochrangiger Mitarbeiter der EU-Kommission zitiert. Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), fordert, es müsse „sichergestellt sein, dass die Wirtschaft“ in die Projekte „eng eingebunden“ werde: „Die deutsche Industrie steht … für die praktische Umsetzung von Global Gateway bereit.“

„Kein großer Wurf“

Mit Blick darauf, dass die EU oft großspurige Ziele verkündet, sie aber deutlich weniger oft realisiert – so zum Beispiel die „EU-Asien-Konnektivitätsstrategie“ -, gaben sich in der vergangenen Woche mehrere Beobachter relativ skeptisch. „Der wahre Test für Global Gateway“ werde sein, „ob die EU die versprochenen Mittel mobilisieren und sie … in hochkarätige und strategisch relevante Projekte leiten kann“, äußerte Noah Barkin von der Beratungsfirma Rhodium Group. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber erklärte: „Ein großer Wurf sieht anders aus. China wird nicht vor Angst erstarren.“