Abstiegsängste und andere Mythen – Was von Pegida bleibt

Berlin (dpa) – Als sich die Pegida-Bewegung vor fünf Monaten in Dresden formierte, war in der öffentlichen Debatte viel von Ängsten die Rede. Vor allem «Abstiegsängste» und «Überfremdungsängste» wurden bemüht, um die Proteste der «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» und ihrer zahlreichen Ableger zu erklären. Der Göttinger Politologe Franz Walter kommt mit seinen Mitarbeitern in einer neuen Studie zum Phänomen Pegida allerdings zu ganz anderen Ergebnissen. Die einzige «Angst», die den Forschern bei den von ihnen in Gruppendiskussionen befragten Demonstranten aus Dresden und Leipzig begegnete, ist die Angst vor einer möglichen militärischen Auseinandersetzung in Europa unter Beteiligung Russlands. Ansonsten dominierten eher chauvinistische Einstellungen in Bezug auf muslimische Zuwanderer, Unbehagen und Misstrauen. Außerdem äußerten die Befragten Enttäuschung über Politiker, denen es aus ihrer Sicht an Bodenhaftung und Offenheit mangelt.

Was das Bildungsniveau angeht, so gibt es einen – wenn auch geringen – Unterschied zwischen Pegida- und Anti-Pegida-Demonstranten. Knapp 40 Prozent der «Islamisierungsgegner» sind Akademiker. Bei den Gegendemonstranten liegt der Anteil mit Hochschulabschluss bei etwas über 50 Prozent. 75,5 Prozent der Pegida-Anhänger gaben an, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Unter den No-Pegida-Teilnehmern arbeiten 46 Prozent Vollzeit.

Viel von der Kritik, die Teilnehmer der Pegida-Kundgebungen gegenüber den Forschern geäußert haben, findet sich auch im Parteiprogramm der Alternative für Deutschland (AfD). Die bürgerliche Protestpartei um Bernd Lucke hat zwar bisher keinen großen Mitglieder-Zulauf aus den Reihen von Pegida. Sie könnte aber nach Ansicht der Autoren von «Pegida – Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?» als einzige Partei bei der nächsten Bundestagswahl eine größere Zahl von Wählern unter den Anhängern der Bewegung finden.

Doch das Verhältnis zwischen den Demonstranten und der rechtskonservativen Partei ist keineswegs ungetrübt. Lucke, Hans-Olaf Henkel und einige andere führende Vertreter der AfD sind mit den Parolen von Pegida nie warm geworden. Und selbst der rechte Publizist Konrad Adam, der mit seiner generellen Kritik an den Traditionen des Islam im AfD-Bundesvorstand schon mehrfach angeeckt ist, distanziert sich heute deutlich von der Bewegung.

Zwar war auch Adam unzufrieden mit Äußerungen von Vorstandskollegen, die kürzlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen ein generelles Kopftuchverbot für Lehrerinnen begrüßt hatten. Er selbst lehnt das Kopftuch als «Symbol für die Minderwertigkeit der Frau» ab. Trotzdem will er sich nicht mit dem vorbestraften Pegida-Initiator Lutz Bachmann gemein machen, der die AfD am vergangenen Montag wegen ihrer Unterstützung für das Karlsruher Urteil kritisiert hat. «Pegida ist für mich kein Maßstab und Herr Bachmann ist mir völlig wurscht», sagt Adam.

Die Pegida-Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung hat methodisch allerdings eine Schwäche, derer sich die Autoren auch bewusst sind: Bekennende Rechtsradikale, die in Gruppen organisiert sind und bei den «Patriotischen Europäern» teilweise auch mitmarschieren, haben sich auf die Befragung durch die Politologen nicht eingelassen. Trotzdem sind einige Ergebnisse – etwa dass der Männer-Anteil bei Pegida viel höher ist als bei den Gegendemonstranten – unumstritten. Die Wissenschaftler stellten außerdem fest, dass von den Pegida-Anhängern, die an der letzten Bundestagswahl teilgenommen haben, fast die Hälfte AfD gewählt hat.

Das zeigt, dass die sächsische AfD-Fraktionsvorsitzende Frauke Petry nicht falsch lag, als sie im Januar nach einem Meinungsaustausch mit dem damals noch nicht in zwei Lager gespaltenen Pegida-Organisationsteam verkündete, sie habe inhaltliche «Schnittmengen» mit Pegida festgestellt. Von AfD-lern, die an dem Treffen teilnahmen, war allerdings hinterher zu hören: «Der Bachmann ist ein komischer Typ, mit dem wollen wir nichts zu tun haben.» Das war noch vor dem Wirbel um Bachmanns «Hitler-Selfie».

Die Autoren der Pegida-Studie kommen zu dem Schluss, dass es vor allem die «apodiktisch dekretierte Alternativlosigkeit von Schröder bis Merkel» sei, die der AfD ihre Gründungslegitimation und der Pegida-Bewegung Zulauf verschafft habe. Sie stellen fest: «Die Einheitsfront im schwarz-rot-grünen Parteienestablishment, die sich in vielen politischen Fragen nicht weiter erklärt und grundsätzliche Opposition gerne delegitimiert, dürfte den Stoff für die Proteste der Misstrauischen liefern.»