„Alltägliches hässliches Gesicht“

Screenshot: IIT Osnabrück | Youtube

Über Radikalisierung und Fremdenfeindlichkeit wird derzeit viel gesprochen. Nun legt der Extremismusforscher Wolfgang Benz einen Sammelband vor, der den Debatten einen wissenschaftlichen Überbau geben könnte.
Berlin (KNA). Am Anfang stand ein Aufreger. So erzählte es Wolfgang Benz selbst: In den 1970er Jahren habe ihn ein Neonazi so wütend gemacht, dass er begann, an einem Buch über Rechtsextremismus in Deutschland zu arbeiten. Der Neonazi hatte von einer Auschwitz-Überlebenden den Nachweis verlangt, dass das Konzentrationslager wirklich existiert habe.
Den Berliner Wissenschaftler hat das Thema bis heute nicht losgelassen. Nun gibt er erneut ein Buch heraus, das aktueller kaum sein könnte. „Fremdenfeinde und Wutbürger. Verliert die demokratische Gesellschaft ihre Mitte?“ erscheint in dieser Woche im Metropol Verlag.
Benz stellt darin die These auf, dass der Flüchtlingszuzug 2015 jenen Bewegungen ein Ziel gegeben habe, die „von Rechtsextremen unterwandert“ seien: Pegida und AfD. „Ursprünglich bestand das Programm nur darin, die Unzufriedenheit von Bürgern zu kanalisieren“: etwa von jenen, die sich sozial abgehängt fühlten, nicht ernst genommen, frustriert von der deutschen oder europäischen Politik.
„Die Flüchtlinge bescherten AfD und Pegida ein Programm“, schreibt Benz. Es bestehe aus Abschottung, dem Ruf nach Grenzen sowie dem Hass auf den Islam. In der steigenden Zahl von Straftaten gegen Asylbewerber, Muslime oder schlicht „ausländisch“ erscheinende Bürger zeige sich das „alltägliche hässliche“ Gesicht dieses Nationalismus.
Die Mitte rücke nach rechts, warnt Benz im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Das ist das eigentliche Problem“. Das bestätigen die Ergebnisse der diesjährigen „Leipziger Mitte-Studie“. Sie konstatierte vor wenigen Tagen eine zunehmende Islamfeindlichkeit. So gab jeder zweite Befragte an, sich durch Muslime manchmal „wie ein Fremder im eigenen Land zu fühlen“. Vor zwei Jahren waren es noch 43 Prozent und 2009 etwa 32,3 Prozent.
Benz erklärt, wie diese Islamfeindlichkeit funktioniert: „Jeder, der Ali heißt, gilt als frommer, praktizierender, wenn nicht gar fanatischer Muslim. Dass diese Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis kommen, aber zu einem erheblichen Teil ebenso laizistisch sind wie unsere Katholiken und Protestanten – das wird geflissentlich übersehen.“
Der Schaden sei durch die Kölner Silvesternacht noch größer geworden, ergänzt Benz im Vorwort seines Sammelbandes. Die Täter hätten die Ressentiments gegen „den Islam“ scheinbar bestätigt und jenen Nahrung gegeben, die Muslime unter Generalverdacht stellten. Die konkreten Reaktionen rechter Gruppierungen schildern Hans-Peter Killguss und Carolin Hesidenz von der Informations- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln.
Andere Themen des 300-seitigen Bandes sind „Hassrede, Vorurteilskriminalität und rechte Radikalisierung in Deutschland“ (Britta Schellenberg), „Zur politischen Soziologie des Neonationalismus“ (Peter Widmann) oder die Frage „Warum Sachsen?“ (Christian Gaubert). Das Anliegen ist klar: Dem vorherrschenden diffusen und bisweilen „auftrumpfenden“ Unbehagen, schreibt Benz, sei nur mit „Gelassenheit und demokratischen Argumenten zu begegnen.“
Mehrfach wird der Fall des Zornedinger Pfarrers Olivier Ndjimbi-Tshiende erwähnt. Der aus dem Kongo stammende Geistliche mit deutschem Pass hatte im Frühjahr nach Drohbriefen und Anfeindungen sein Amt aufgegeben. „Die Kirche begnügte sich mit dem geringstmöglichen Maß an Solidarität“, merkt Benz kritisch an.
Daneben kommt der Einsatz der Kirchen gegen die Vereinnahmung des Christentums durch Pegida und AfD zur Sprache. Der Historiker Clemens Escher weist darauf hin, dass „kirchenfeindliche Rhetorik“ bei der AfD keine Seltenheit sei. „Nächstenliebe und völkische Lehren lassen sich eben nicht beliebig miteinander vereinbaren. Kompensatorisch dafür wird der politischen Religion des Nationalismus wieder das Wort geredet“, so sein Fazit.
Aufklärung sei notwendig, bekräftigt Benz im Gespräch. „Wie wir Sinti und Roma, Muslime oder Juden behandeln, das hat auch mit unserer eigenen Würde zu tun.“ Aufklärung aber sei „eine Haltung, kein schnell wirkendes Wundermittel.“ Um so mehr müsse man sich um sie bemühen: „Unaufgeregt, aber deutlich“.