Amnesty wirft nigerianischer Armee Kriegsverbrechen vor. Hintergründe von Katrin Gänsler zum Kampf gegen Boko Haram

Tausende Tote, Verhaftungen, Folter: Amnesty International macht Nigerias Armee für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich. Fehlendes Vertrauen in die Streitkräfte erschwert auch den Kampf gegen Boko Haram.

Abuja (KNA) Die Zahlen machen Angst. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International sollen in Nigeria seit März 2011 rund 7.000 Jungen und Männer nach Verhaftungen in Militärgewahrsam ums Leben gekommen sein. Weitere 1.200 Festgenommene seien seit Februar 2012 von Soldaten getötet worden. Insgesamt kam es seit 2009 zu mindestens 20.000 Verhaftungen, auch von Kindern.

All das geht hervor aus dem am Mittwoch veröffentlichten Amnesty-Bericht „Sterne auf der Schulter, Blut an den Händen – Kriegsverbrechen der nigerianischen Armee“. Dafür hat die Menschenrechtsorganisation 400 Opfer, Augenzeugen und Angehörige der Sicherheitskräfte befragt. Sie werfen dem Militär massive Menschenrechtsverletzungen vor. Unter den mutmaßlichen Tätern sind auch hochrangige Armeeangehörige; anderen wird vorgeworfen, von den Taten gewusst und nichts unternommen zu haben. „Was wir entdeckt haben, ist sehr schockierend“, sagt Anna Neistat, Leiterin der AI- Untersuchungsabteilung. „Eine Armee, die ihre Bevölkerung eigentlich schützen soll, verübt zahlreiche Gräueltaten.“

Ganz neu sind die Vorwürfe jedoch nicht. In den vergangenen Jahren hatten Menschenrechtler wiederholt den harschen Umgang der Sicherheitskräfte mit Zivilisten angeprangert. Augenzeugen berichteten von brutalen und rücksichtslosen Such-Aktionen vor allem im Nordosten Nigerias, Heimat der Terrormiliz Boko Haram. Das Militär stritt die Vorwürfe stets ab und nannte sie haltlos. Das ist auch einer der Gründe, warum besonders in dieser Region viele Menschen der Armee, den Spezialeinheiten und der Polizei ebenso wenig trauen wie den Terroristen.

Dabei heißt es in Nigeria häufig, die 2002 gegründete Terrorgruppe, die sich ab 2009 immer mehr radikalisierte, könne nur unter einer Bedingung besiegt werden: Dem Staat müsse es gelingen, Verstand und Herz der Bevölkerung zu gewinnen. Doch das gilt im Nordosten auch ohne brutale Streitkräfte als schwierig. Die Straßen sind marode, öffentliche Schulen schlecht ausgestattet, Krankenhäuser meist zu weit weg, um sie in einem Notfall schnell erreichen zu können. Der Staat gilt als abwesend.

Mit ihrem Bericht fordern die Menschenrechtler die neue nigerianische Regierung nun nachdrücklich auf, Zivilisten besser zu schützen und der Straflosigkeit innerhalb der Armee ein Ende zu bereiten. Denn auch wenn es Vorwürfe wie die nun geäußerten bereits seit langem gibt – verfolgt wurden sie bislang kaum.

Das könnte sich mit dem nun erfolgten Machtwechsel ändern: Seit einer Woche ist mit Muhammadu Buhari (72) ein ehemaliger General an der Staatsspitze. „Er hat diese militärische Erfahrung. Außerdem kennt er die Region“, sagt Hussaini Abdu, Leiter der Hilfsorganisation Plan International in Nigeria. Beides sei unbedingt notwendig im Kampf gegen die Terroristen, die sich nach eigenen Angaben dem sogenannten Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben.

Wichtig für den Kampf gegen Boko Haram könnte auch noch ein anderer Faktor sein. Buhari hat den Ruf eines strengen Korruptionsbekämpfers. Die massive Korruption gilt ebenfalls als Grund dafür, dass das Sicherheitsproblem in Nigeria bislang nicht gelöst wurde. „Menschen haben Boko Haram genutzt, um öffentliche Gelder zu stehlen“, so Abdu. Denn je unsicherer die Lage, desto mehr Geld könne für den Anti-Terror-Kampf eingefordert und auch wieder beiseite geschafft werden.

Allerdings hat Buhari den Menschenrechtlern bereits zu seinem Amtsantritt etwas Wind aus den Segeln genommen. Er kündigte an, Menschenrechtsverletzungen durch die Armee nicht mehr akzeptieren zu wollen. Komme es dennoch zu Vorfällen, müssten disziplinarische Schritte ergriffen werden. Notabene: Er ist das erste nigerianische Staatsoberhaupt, das sich so deutlich dazu äußert.

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