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Anlass für neuen Hass

Ausgabe 299

Foto: leshiy985, Shutterstock

Die Missionare der Tablighi Jamaat haben in Asien das Coronavirus weitergegeben. In Indien ist das Wasser auf die Mühlen muslimfeindlicher Hindus. Von Michael Lenz

(KNA/iz). Nizamuddin mit seinen engen Gassen ist ein geschäftiger muslimischer Stadtteil von Neu Delhi. Mitte März waren Tausende Muslime aus Indien und mindestens zehn anderen Nationen wie Malaysia, Indonesien, Saudi-Arabien oder Kirgisistan zur Jahresversammlung der Tablighi Jamaat (TJ) gereist, die in Nizamuddin ihr Hauptquartier hat. Sie fand statt, obwohl die Behörden bereits am 13. März Versammlungen von mehr als 200 Menschen verboten hatten.

Unzählige Teilnehmer in Neu Delhi wurden bisher positiv auf Covid-19 getestet. Tausende sind von dort in ihre Heimat zurückgekehrt und haben das Virus nachweislich in indischen Regionen verbreitet. 1.500 Pilger blieben in den engen Unterkünften in Nizamuddin, von denen laut indischen Medien mindestens 40 Prozent nach ihrer Evakuierung Anfang April mit dem Virus infiziert waren.

In Malaysia wurde mindestens die Hälfte der 3.300 Infektionen sowie die Hälfte der 53 Todesfälle bei Teilnehmern einer TJ-Massenveranstaltung Ende Februar in einer Moschee bei Kuala Lumpur festgestellt. Internationale Pilger brachten das Virus von Malaysia in andere asiatische Länder wie Pakistan, Brunei, Kambodscha oder Thailand.

Es ist aber auch umsichtigen Behörden zu verdanken, dass die Covid-19-Epidemie in Asien nicht noch schlimmer verläuft. Im mehrheitlich islamischen Indonesien wurde eine für den 19. März geplante TJ-Großveranstaltung mit 8.000 Teilnehmern und im indischen Mumbai eine für den 14. März geplante mit 45.000 Teilnehmern verboten. Einerseits versteht sich die 1927 in Indien gegründete TJ als unpolitisch und wird deshalb von politischen Gruppen kritisiert.

Das Viertel Nizamuddin in Neu Delhi war schon vor Covid-19 ein Ziel des antimuslimischen Hasses. Mehr als 40 Menschen kamen bei Angriffen von Hindu-Nationalisten mit Unterstützung der Polizei während Demonstrationen gegen das neue Staatsbürgerrecht ums Leben, das muslimische Flüchtlinge aus islamischen Ländern wie Pakistan oder Afghanistan vom Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft ausschließt.

Der prominente indische Journalist Nirendra Dev stellte unter der Überschrift „Indiens verblüffende Unfähigkeit, die Muslimkonferenz zu stoppen“ in einem Artikel für den asiatischen katholischen Pressedienst Ucanews die Frage: „Die Behörden wussten, dass die Versammlung in Nizamuddin eine tickende Covid-19-Zeibombe war. Warum haben sie nicht gehandelt und sie gestoppt?“

In Devs Artikel schwingt für Kenner der religiösen Spannungen in Indien ­unterschwellig der Verdacht mit, der ­islamfeindlichen und Indien regierende hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei BJP könnte die „tickende Covid-19-Zeibombe“ ins Kalkül passen: ­Muslime als Sündenböcke für die Coronavirus-Katastrophe.

Covid-19 passe in die langjährige Propaganda der BJP und der extremistischen Hindugruppen, derzufolge die Muslime eine Art zerstörerischer Virus im hinduistischen Volkskörper sind, sagte der indisch-amerikanische Indienexperte Arjun Appadurai von der New York University dem „Time“-Magazin. Der BJP-Politiker Subramanian Swamy stellte Anfang April in einem Interview klar, dass der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit aller Bürger nicht für Muslime gelte.

Einen Vorgeschmack auf die Verschärfung der Hetze gegen die muslimische Minderheit – 200 Millionen der 1,3 Milliarden Inder bekennen sich zum Islam – gibt de Anstieg der islamfeindlicher Postings mit Hashtags wie #jihadcorona in den sozialen Medien. Radikale Hindugruppen wie der einflussreiche Vishwa Hindu Parishad (VHP) bezeichnen Nizamuddin als „Coronafabrik“ und fordern die Schließung aller Moscheen Indiens.