
Unter der Leitung der CDU Bundestagsabgeordneten Jens Spahn und Günter Krings sowie der CDU Landtagsabgeordneten Serap Güler und Thomas Kufen hat sich die CDU Gedanken um die Zukunft Deutschlands gemacht und dabei die Themen „Einwanderung“ und in diesem Zusammenhang „Islam in Deutschland“ beleuchtet. Das Ergebnis ist ein gut gemeintes Positionspapier, welches Aufschluss über das verzerrtes Bild der Partei gegenüber den im eigenen Land lebenden Muslimen gibt.
(iz). Das CDU-Positionspapier setzt an der Aussage unserer Kanzlerin an und betont nochmals, dass der Islam schon längst Realität in Deutschland ist und daher auch selbstverständlich zu Deutschland gehört. Auch wenn es in der CDU noch eine nicht geringe Zahl von Mitgliedern und Funktionären gibt, die das anders sehen, ist es erfreulich, dass sich die junge Generation der Partei, von den alten Denkmustern lösen konnte.
Es herrscht auch Verständnis dafür, dass der Islam keine Institution ähnlich der Kirche im Christentum hat und eine einheitliche Auslegung des heiligen Qur’an in Verbindung mit der Sunna des Propheten Mohammed, Friede sei auf Ihm, nicht möglich ist. Anschließend werden verschiedene Bereiche angesprochen und Schlussfolgerungen gezogen, auf die nachfolgend kritisch eingegangen werden soll.
Die wörtliche Auslegung des Qur’an wurde in keiner Zeit des Islams von der Mehrheit ausgeübt
Im Papier wird anschließend darauf eingegangen, dass eine wörtliche Auslegung des Qur’an nicht in unsere Zeit passt und dass daher aktiv gegen extremistische Gruppen wie etwa die Salafisten, vorgegangen werden muss, vor allem wenn durch die Praktiken und Auslegungen die demokratischen Grundrechte angegriffen werden. Das ist eine korrekte Feststellung, jedoch sei an dieser Stelle festzuhalten, dass die wörtliche Auslegung des Qur’an in keiner Zeit des Islams von der Mehrheit der Muslime ausgeübt wurde.
Gerade die vier großen Rechtsschulen des Islams, denen mehr als 90 Prozent der Muslime weltweit angehören, betrachten den Text (Koran, Sunna des Propheten) und Kontext sowie die individuelle Situation und Zeit als wesentliche Einflussfaktoren der Auslegung. Dieses Prinzip gilt auch heute für die in Deutschland lebenden Muslime, die mit fast 95 Prozent den vier Rechtschulen angehören und somit aus ihrem religiösen Verständnis heraus es für selbstverständlich halten, sich den Gesetzen des Landes unterzuordnen und die Grenzen der Religionsfreiheit so ziehen, dass sie die Freiheiten anderer nicht verletzen. Alles andere wäre vor allem nach islamischem Verständnis nicht richtig.
Die Forderung nach einer „Reform“ im Islam bleibt weiterhin unbegründet
Es wird korrekt festgehalten, dass über 90 Prozent der Muslime in Deutschland die Demokratie als eine gute Regierungsform sehen und sich gut aufgehoben fühlen. Dem wird gegenüber gestellt, dass mittlerweile 57 Prozent der Nichtmuslime in Deutschland den Islam als eine Bedrohung ansehen. Auch richtig ist es, dass als wesentlicher Grund die negative und einseitige Berichterstattung in den Medien genannt wird. Über terroristische Taten wie etwa in Paris oder Terrorgruppen wie etwa dem IS wird nicht differenziert berichtet, sondern der Islam als wesentliche Ursache suggeriert, wodurch letztendlich der Generalverdacht entsteht, dass jeder Muslim ein potentieller Verfassungsfeind ist und terroristisches Potential hat.
Das Paradoxe an dieser Feststellung im Positionspapier ist jedoch, dass die gegenwärtige Diskussion über das novellierte Islamgesetz in Österreich oder die Forderungen der hiesigen Politik nach ähnlichen Kontrollen bis hin zu Forderungen nach einem „modernen“ und „reformierten“ Islam gerade ein Produkt dieser emotional geführten Debatte sind. Das Papier führt fort, dass die Reformation des Islams durch „Muslime selbst“ durchgeführt werden müsse; also die Frage, ob eine Reformation denn notwendig sei, wird bereits durch die Politik beantwortet.
Es fehlt schlicht die Begründung, warum eine Reformation notwendig ist. Ausgehend von einer verfassungsfeindlichen salafistisch-wahhabitischen Strömung, kann diese Frage nicht mit einem „ja“ beantwortet werden. Es ist nämlich gerade diese Bewegung, die sich von den vier Rechtsschulen des Islam distanziert und sich als reformistisch sieht. Zudem werden weitere wesentliche Gründe für die Entstehung von Extremismus ausgeblendet, wie beispielsweise soziale, wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Aspekte. Denn genau diese Aspekte sind zentral bei der Entstehung von Terror jeglicher Couleur.
Die islamische Theologie stößt nicht auf Widerstand bei den muslimischen Verbänden
Dass die islamische Theologie an fünf Universitäten eingerichtet ist, ist ein sehr wichtiger und geschätzter Schritt. Noch wichtiger ist es, dass entsprechende Mittel aufgestockt und zur Verfügung gestellt werden, damit die wichtige Aufgabe der Weiterführung und Vertiefung der Islamwissenschaften erfüllt werden kann. Ein falsches Verständnis der Politik ist jedoch das, was in dem Positionspapier von der islamischen Theologie als Hauptaufgabe erwartet wird, nämlich die „Auslegung des Koran in Mitteleuropa“ im 21. Jahrhundert. Mit dem Nebensatz „gerade wenn dies auf Widerstand bei muslimischen Verbänden stößt“ wird zudem dem Empfänger suggeriert, dass die Verbände rigide und unverbesserliche Organisationen sind.
Auch an dieser Stelle lässt sich das Unwissen der Politik über die eigenen Muslime im Land und die muslimischen Verbände erkennen. Alle muslimischen Verbände unterstützen mittlerweile die Einrichtungen der islamischen Theologie an den Universitäten, die es Dank vorbildlichen Dozenten und Professoren wie am IIT Osnabrück, in Tübingen und Frankfurt geschafft haben, das Vertrauen der Muslime und der islamischen Verbände zu gewinnen. Dass es einzelne Professoren gibt, wie beispielsweise Herr Khorchide an der Universität in Münster, die die Qualität der Islamwissenschaften in Deutschland herabsetzen, ist genau so normal wie die berechtigte Kritik der muslimischen Verbände sowie muslimischer und nicht-muslimischer Islamwissenschaftler an der nicht-fundierten und eher prosaähnlichen Lehre von Herrn Khorchide. Kennzeichnend für das Misstrauen gegenüber den Muslimen und den Verbänden in Deutschland sind wiederum die Reaktionen einzelner Medienmacher und Politiker, die in dieser Kritik ein Zeichen für die Zurückgebliebenheit und Aufklärungsresistenz der Muslime sehen.
„Import-Imame“ aus der Türkei – die Bezeichnung ist beleidigend und hat keine Substanz
Dieser Abschnitt des Positionspapiers ist gekennzeichnet durch Pauschalisierungen, nicht-differenzierten Feststellungen und beleidigenden Gleichsetzungen, auf die im Einzelnen eingegangen werden soll.
Dass die Sprache, ein wichtiger Faktor bei der Vermittlung von Werten ist, leuchtet ein. Muslime in Deutschland, seien sie nun in türkischen, bosnischen, marokkanischen, arabischen oder deutschen Gemeinden organisiert, haben zu einem Großteil Imame, die die eigene Herkunftssprache sprechen und auch in dieser Sprache predigen. Es sollte an dieser Stelle noch einmal erwähnt sein, dass das Gebet selbst immer auf Arabisch gesprochen wird, was eine unveränderliche Bedingung des Gebets ist. Folgt man dem Positionspapier, entsteht der Eindruck, als ob das eigentliche Problem der Verfasser, die aus der Türkei oder von den Muslimbrüdern entsandten oder finanzierten Imame sind. Eine irritierende Gleichstellung der beiden Finanzquellen wohlgemerkt, die entweder ungewollt wieder auf Unwissenheit beruht oder der man grobe Fahrlässigkeit unterstellen kann.
In den letzten 50 Jahren haben die „Gastarbeiter“ und ihre Nachkommen über 2.500 Moscheegemeinden in Deutschland aufgebaut, diese finanziert und aufrecht erhalten. Die Erfüllung der religiösen Pflicht ist für den Muslim, das Wichtigste in seinem Leben. Es ist daher als eine Heldentat dieser „Gastarbeiter“ zu sehen, dass sie mit einer unvergleichlichen Aufopferungsbereitschaft diese Gemeinden aufgebaut haben um die Grundbedürfnisse der Muslime zu stillen. Nicht nur wurden die Grundbedürfnisse wie das Pflichtgebet erfüllt, sondern funktionierten die Gemeinden vielmehr als Rehabilitationszentren für die erste Generation, die sich weit entfernt von dem vertrauten Umfeld, den Verwandten und Freunden, in einer neuen Kultur zurechtfinden mussten.
Unter den rund 2.500 Moscheegemeinden bildet die Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) mit ca. 900 Gemeinden der größte Verband in Deutschland. Ihre Gründung erfolgte 1984 und war eine wichtige Anlaufstelle für Muslime aus der Türkei, aber auch anderen Ländern, die einen neutralen Ort für die Ausübung ihrer religiösen Pflicht suchten. Die Imame wurden durch den türkischen Staat finanziert und bereitgestellt, während die allgemeine Gemeindeverwaltung wie Mieten, Immobilienkäufe, Nebenkosten etc. durch die Gemeindemitglieder selbst getragen wurde. Die Imame aus der Türkei haben stets als Bollwerk gegen kommunistische, rechtsextreme und extremistisch-islamische Bewegungen funktioniert und sich stets für die Verfassungstreue in Deutschland ausgesprochen.
Dass gerade diese Imame heute als Hindernis für eine Integration gesehen werden, ist nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die Mehrheit der Muslime in Deutschland ein Schlag ins Gesicht. Die mangelnde Anerkennung ist mehr als anmaßend. Als Randnotiz sei noch erwähnt, dass die restlichen Verbände die Imame selbst finanzieren, wobei teilweise aufgrund des Mangels, Imame aus den Herkunftsländern bevorzugt werden, teilweise jedoch auch junge Imame aus Deutschland eingestellt werden (die Anzahl der qualifizierten Imame aus Deutschland ist jedoch noch immer sehr überschaubar).
Der soziale Aspekt ist ein wesentlicher Grund für die Entstehung einer extremistischen Gesinnung
Dass Imame, die nicht in Deutschland aufgewachsen und der deutschen Sprache mächtig sind, die dritte und vierte Generation der Muslime in Deutschland nicht zielgerecht ansprechen können, ist nicht zu bestreiten. Alle Verbände in Deutschland müssen sich die Frage stellen, wie man besser mit den jungen Generationen kommunizieren kann. An dieser Stelle ist jedoch auch eine Differenzierung notwendig. Die Zielgruppe der salafistisch-wahhabitischen Wanderprediger in Deutschland, die der einfachen Jugendsprache mächtig sind und „Coolness“ ausstrahlen, sind nicht die Jugendlichen, die in Verbänden organisiert sind, aus einem gesunden Elternhaus stammen oder einen hohen Bildungsstand haben. Vielmehr sind laut Statistik des Verfassungsschutzes über 96 Prozent der nach Syrien gereisten deutschen IS-Rekruten entweder vorbestraft, Bildungsabbrecher oder Hartz-IV-Empfänger.
Nicht nur aus dieser Statistik können wir schließen, dass neben der Sprachkomponente vor allem der soziale Aspekt ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung einer extremistischen Gesinnung ist. Daher ist es nicht nur die Aufgabe der muslimischen Verbände, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht-erreichten Jugendlichen aus sozial schwachen Schichten aufzufangen und in gesunde soziale Strukturen einzugliedern. Wenn der soziale Aspekt ignoriert wird, werden wir uns schwer tun, zu erklären, wie salafistisch-wahhabistische Bewegungen oder politisch motivierte Bewegungen wie die Hizb ut-Tahrir, die ausschließlich auf Deutsch predigen und fast ausschließlich außerhalb der islamischen Verbände rekrutieren, Erfolge erzielen.
Fazit – Misstrauen und Vorurteile lassen sich nicht durch Gesetze abbauen
Es ist ok, wenn ein Positionspapier aufgrund aktueller Ereignisse und Emotionen entsteht. Jedoch kann ein solches Papier auch nur als Denkanstoß gesehen werden. Eine kritische Betrachtung solcher Papiere muss durch die Muslime erfolgen um der Politik neue Impulse zu geben.
Gerade Letzteres ist von großer Bedeutung, da wie auch in diesem Positionspapier zu erkennen ist, die Kenntnis über die eigenen Muslime im Land, ihre Gemeinden und Lebensrealitäten mangelhaft sind. Alle Entscheidungen, die auf dieser verzerrten und eher in Emotionen getränkten Kenntnis aufbauen, führen zu einer weiteren Entfremdung der Muslime im Land.
Die Politik hingegen muss offen für konstruktive Kritik sein, gemeinsam mit den Muslimen diskutieren, eine offene Agenda haben und vor allem sich dafür einsetzen, dass das Misstrauen und die Vorurteile gegenüber den Muslimen in den eigenen Parteien abgebaut werden. Nicht durch neue Gesetze sondern durch die Kenntnis des „Anderen“.