Geschichte der Rohingya: Ein vergessenes Volk mit vielen Wurzeln

Ausgabe 213

Foto: The British Library

(gm/iz). Die brutalen Unruhen im burmesische Bundesstaat Arakan, bei denen ein aufgehetzter Mob unzählige Siedlungen der Minderheit der muslimischen Rohingya zerstörte und bis zu 4.000 Menschen ums Leben kamen, werden oft mit rassistischen Argumenten begrün­det. Nach Ansicht des gesamten politischen Spektrums in Burma – inklusive der im Ausland beliebten Opposi­tion – sowie der einflussreichen Armee und buddhistischer Größen können Rohingya keine burmesischen ­Bürger sein. Daher sei es vollkommen korrekt, wie der amtierende Präsident Thein Sein jüngst in einem Interview meinte, sie aus der rohstoffreichen Provinz zu vertreiben. Im Folgenden dokumentieren wir die geschichtlichen Hintergründe eines Konflikts, der heute mit brutaler Gewalt ausgetragen wird.
Der Bundesstaat Arakan in Burma (auch bekannt als Myanmar) grenzt an Bangladesch und wird mehrheitlich von zwei ethnischen Gruppen bewohnt: die buddhistischen Rakhine und die muslimischen Rohingya. Die Rakhine sind mit den Burmesen in religiöser und sprachlicher Hinsicht verwandt, während die Rohing­ya ethnisch und religiös in Verbindung zu den Menschen stehen, die in der Region Chittagong im südöstlichen Bang­ladesch leben.
Die Ureinwohner dieser Region ­waren Hindus, Buddhisten und Animisten. Bevor das Gebiet unter muslimische Herrschaft kam, bestanden bereits Kontakte zu arabischen Seeleuten, die sich in der Gegend von Arakan niederließen. Sie vermischten sich mit der lokalen Einwohnerschaft und bildeten so den Ursprung der jetzigen Bevölkerung, die später als Rohingya bekannt wurden. Einige Histo­riker glauben, dass die ersten Muslime, die sich in Arakan niederließen, Araber unter Führung von Muhammad ibn Hanafija (einem der Söhne von Ali ibn Abi Talib) im späten siebten Jahrhundert waren. Er heiratete eine lokale Königin namens Kaijapuri, die den Islam annahm und deren Untertanen massenhaft zum Islam übertraten. Die Bergspitzen der Region, in der sie lebten, heißen immer noch „Hanifa Tonki“ und „Kaijapuri Tonki“.
Der zweite wichtige Zuzug von frühen Muslimen in dieses Gebiet datiert ins achte Jahrhundert zurück. Die „British Burma Gazetteer“ aus dem Jahre 1957 berichtete, dass „um das Jahr 788 Maha­taing Sandya ­den Thron von Vesali bestieg. Er gründete auf der Stelle des alten Ramawadi eine neue Stadt, die nach ihm benannt wurde. Er starb nach einer 20-jährigen Herrschaft. Während dieser Zeit strandeten einige Schiffe auf den benachbarten Rambree-Inseln und Mannschaften, die ‘Mohammedaner’ gewesen sein sollen, wurden ins eigentliche Arakan geschieht, in deren Dörfer sie sich niederließen. Das waren maurisch-arabische Muslime.“
Zur dritten, entscheidenden Zuwanderung kam es nach 1404, als der, von den Burmesen zur Abdankung gezwungene König Asyl in Gaur fand. Das war die damalige Hauptstadt Bengalens, von wo aus er seinen verlorenen Thron zurückzugewinnen suchte. Der Sultan entsandte zehntausende Soldaten, um Arakan zu eroberen. Später ließen sich ­viele von ihnen in Arakan nieder.
Die Ausbreitung des Islam in Arakan (und entlang der südlichen Küstenzonen von Bangladesch) geschah im Wesentlichen durch maritime Händler und Geschäftsleute. Der ­Historiker U. Kyi schrieb, dass „die überlegene ­Moralität dieser frommen Muslime viele Menschen vom Islam überzeugte, die ihn massenhaft annahmen“. Aus diesem Grund haben die muslimischen Rohing­ya keinen isolierten tribalen oder ethnischen Hintergrund, sondern ganz unterschiedliche Ursprünge, die in einer eigenen Kultur und Zivilisation kulminierten.
Nachdem die Portugiesen während der Mogul-Herrschaft Siedlungen in Chittagong, Sandwip und Arakan gründeten, beteiligten sich die Maghs [Synonym für Arakanesen] von Rakhine an einem Plan zur Plünderung der Mogul-Gebiete in Bengalen. Dafür schlossen sie ein Abkommen mit portugiesischen Piraten ab. Die Piraterie von Portugiesen und Magh war eine so umfangreiche Störung des Friedens und der Sicherheit in ­Bengalen, dass die Mogul eingreifen mussten. 1666 entrang Schaista Khan, der Mogul-Gouverneur von Bengalen, Chittagong von der Kontrolle Arakans. Das war der Anfang vom Ende des Reiches Arakan. Die Maghs aus Arakan (Rakhine) zogen aus Chittagong ab, das sie nie wieder besetz­ten. Trotz der Plünderungen der ­gleichen Allianz im 18. Jahrhundert wurde es in Folge ein Teil von Bengalen.
Der Historiker G.E. Harvey schrieb, dass „eine Karte von Bengalen aus dem Jahre 1794 das Gebiet südlich von Backergunge markiert, das durch die Plünderungen der Mugh (Arakanesen) entvölkert wurde. Die Arakan-Piraten – Mugh und Ferenghi [Europäer] – kamen über das Meer, um Bengalen zu plündern. Mohammedaner [Muslime] wurden derart unterdrückt, wie sie es niemals in Europa erlebten [sic]. Dank ihrer lang anhaltenden Überfälle verelendete Bengalen immer mehr. Es war immer weniger möglich, Widerstand aufzubauen. Kein Haus auf der von ihnen benutzten Seite der Flüsse von Chittagong nach Dakka blieb bewohnt.
Der Distrikt Bakla [Chittagong und Teile von Dakka], der einstmals voller Häuser und kultivierter Felder war und der reiche Einkünfte durch die Betel-Nuss ermöglichte, war so leergefegt, dass niemand übrigblieb, um die Häuser zu bewohnen oder ein Licht in der Region anzuzünden. Als Schaista Khan einige Ferenghi-Deserteure befragte, was ihnen der Magh-König zahlte, antworteten sie: ‘Unser Lohn war das Mogul-Reich. Wir betrachteten ganz Bengalen als unser Herrschaftsgebiet. Wir mussten uns nicht um Steuereintreiber und Hofbeamte scheren, sondern erhoben unsere Landabgaben direkt und ohne Probleme. Wir haben die Dokumente der letzten 40 Jahre aufgehoben.’“ Wegen ihrer langjährigen Wildheit erlangten die Magh von Arakan einen so schlechten Ruf, sodass sie anfingen sich die Rakhine zu nennen.
Wie bereits erwähnt suchte der König von Arakam 1404 Zuflucht in Gaur und bat um Hilfe zur Erlangung seines verlorenen Throns. Dschalaluddin Muhammad Schah, der Sultan von Bengalen, schickte seinen General Wali Khan mit 50.000 Soldaten, um Arakan zu erobern. Wali Khan drängte die Burmesen aus dem Gebiet und riss die dortige Macht an sich. Er führte Persisch als Hofsprache ein und ernannte Qadis. Der Sultan entsandte eine zweite Armee unter General Sandi Khan, um Wali Khan abzulösen und um den exilierten König (Mang Saw Mwan, der den Namen Sulaiman Schah annahm) 1430 wieder auf den Thron zu bringen.
Mang Saw Mwans muslimische Solda­ten ließen sich in Arakan nieder und gründeten dort sogar die Sandi Khan-Moschee. Schließlich wurden sie während der Mrauk-U-Dynastie zum Zünglein an der Waage. Die Praxis der Annahme eines muslimischen Namens oder Titels durch die Könige in Arakan hielt bis 1638 an. Bisveswar Bhattacharya fasste die Entwicklung bis dahin zusammen: „Wegen des dominanten mohammedanischen Einflusses wurden die arakanesischen Könige – auch wenn sie in religiöser Hinsicht Buddhisten waren – im gewis­sen Sinne zu Mohammedanern in ihrer Mentalität.“
1660 flüchtete der Mogul-Prinz Schah Schudscha nach Arakan. Dieses wichtige Ereignis führte zu einer neuen Einwanderungswelle von Muslime in das Königreich Arakan. Zwischen 1685 und 1710 lag die politische Macht Arakans komplett in muslimischen Händen. Ihre Herrschaft beziehungsweise ihr Einfluss hielten ca. 350 Jahre an, bis der burmesische König Boddaw 1784 das Gebiet besetzte und eroberte. Er leitete das Ende der muslimischen Herrschaft ein und machte den Anfang des Misstrauens zwischen Rohingya und Rakhine.
Es gelang Arakan oft, eine gewisse ­Unabhängigkeit zu bewahren. Es war weder Teil des Mogul-Reiches, noch des burmesischen Königreiches. Aber 1784 wurden tausende Arakanesen – Rohing­ya und Buddhisten – getötet. Ihre Moscheen, Dargas und Tempel wurden von burmesischen Soldaten zerstört. Während der burmesischen Herrschaft 1784-1824 wurden 200.000, beinahe zwei Drittel der Arakanesen gezwungen, nach Chittagong zu fliehen. Am 24. Februar 1826 endete der 1. Anglo-Burmesische Krieg. Burma unter­zeichnete den Vertrag von Yandabo und trat Arakan sowie Tenasserim an Britisch-Indien ab. Zur dieser Zeit stellten die Muslime gut ein Drittel der Bevölke­rung von Arakan. Burma wurde am 1. April 1937 von Britisch-Indien abgespalten und separat verwaltet. Arakan wurde gegen die Wünsche seiner Menschen zu einem Teil von Britisch-Burma und 1948 schließlich zur Provinz eines unabhängigen Burmas gemacht.
Jahrhundertelang lebten die muslimischen Rohingya friedlich mit den bud­dhistischen Rakhine. Dies änderte sich jedoch mit dem 2. Weltkrieg, als es durch Anstiftung Dritter – oft durch die britischen Raj – zu sektiererischer Gewalt zwischen beiden Gruppen kam. Die Bitter­keit wurde durch einen Gewaltausbruch vom 28. März 1942 angeheizt, als schätzungsweise 100.000 Rohingya abgeschlachtet wurden, 80.000 aus ihren ­angestammten Siedlungen fliehen mussten und 294 Dörfer in Flammen aufgin­gen. Seitdem hat sich Beziehung zwischen beiden Gemeinschaft dermaßen verschlechtert, dass es kaum eine ­andere Möglichkeit für die Rohingya gab, ihre Selbstbestimmung in einem autonomen Gebiet zu finden.
Nach der burmesischen Unabhängigkeit von 1948 begannen die Muslime einen erfolgloses Aufstand, und ­verlangten eine autonome Provinz innerhalb der Union von Burma. Seine Niederschlagung resultierte in einem Rückschlag, sodass alle Muslime aus der Verwaltung entfernt wurden, sie sich nur noch einge­schränkt im Land bewegen konnten und ihr Eigentum verloren.
Ab 1962 wurden die muslimischen Einwohner in Arakan unter dem Militär­regime von General Ne Win als ­„illegale Einwanderer“ kategorisiert, die sich während der britischen Herrschaft in Burma niedergelassen hätten. Ihre lange Geschichte in Arakan wurden bequem ignoriert. Die Zentralregierung Burmas hat viele Anstrengungen unternommen, sie aus Burma zu vertreiben, und begann mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft. Ein Gesetz aus dem Jahre 1974 entzog den Rohingya die burmesische Staatsbürgerschaft und machte sie zu Fremden im eigenen Land. Das folgende Staatsbürgerschaftsgesetz 1982 reduziert das Volk der Rohingya auf den Status eines staatenloses Volkes.